Hauptinhaltsbereich

Praxiswissen Betriebsvereinbarungen

Prozessorientierte Kollegialität im Corona-Modus

Die Pandemie hat das Homeoffice für Viele zum zentralen Arbeitsort gemacht. Schnell mussten neue Formen der digitalen Kooperation auf Distanz entwickelt werden. Im besten Fall kommt dies Bedürfnissen von Beschäftigten nach und stabilisiert Prozesse.

Seit März ist das Homeoffice für viele Beschäftigte zum zentralen Ort der Arbeit geworden. Damit verbunden sind zahlreiche Herausforderungen, u.a. Belastungen durch gleichzeitige Kinderbetreuung, die oft nicht hinreichende technische und räumliche Ausstattung zuhause, die notwendige zeitliche (Eigen-)Strukturierung des Arbeitsalltags und die Distanz zu Kolleg*innen, die neue Formen der Kommunikation und Abstimmung untereinander erfordern. 

Im Projekt „Orts- und zeitflexibles Arbeiten“ werden seit längerem Interviews in verschiedenen Fallbetrieben geführt, die bereits vor Corona Betriebsvereinbarungen zu orts- und zeitflexiblem Arbeiten abgeschlossen haben. Betriebsräte, Personalverantwortliche und Mitarbeiter*innen werden zu ihren Erfahrungen mit diesen flexibilisierten Arbeitsformen vor dem März 2020 befragt, aber auch dazu, wie sie die Umstellung durch Corona erlebt haben und was sie sich für die Zukunft wünschen.

Projekt „Orts- und zeitflexibles Arbeiten“

Im Rahmen des Projektes werden Erfahrungen von Betriebsräten, Beschäftigten und Management mit orts- und zeitflexiblen Arbeiten betrachtet. Zentrale Fragestellung ist, wie werden abgeschlossene Vereinbarungen gelebt und was fördert die Umsetzung?

Ansprechpartner für das Projekt: 
Prof. Dr. Ingo Matuschek – ingo.matuschek@hdba.de, Tel. 0385 540 84 76
Christoph Krause (M.A.) – christoph.krause@arbeitsagentur.de, Tel. 0385 540 84 96

Ein Thema hat besondere Brisanz: Die Frage, wie es gelingen kann, trotz ausschließlich digitaler Meetings und körperlicher Distanz weiterhin gut zusammen zu arbeiten und die eigenen Aufgaben zufriedenstellend zu erledigen. 

Unterschiedliche Voraussetzungen

Die ersten Ergebnisse zeigen, dass die Voraussetzungen hierfür sehr unterschiedlich sind – auch in Abhängigkeit davon, wie Betriebsvereinbarungen ausgestaltet sind und wie sie gelebt werden. Wer vorher schon regelmäßig im Homeoffice gearbeitet hat und im Team eingeübt hat, über Distanzen zu kooperieren, war deutlich im Vorteil und hat die Umstellung oft nicht als problematisch erlebt. Manche Beschäftigte arbeiten bereits seit Jahren ortsverteilt, oft über viele, auch internationale Standorte mit anderen zusammen. Manche vermissen das Büro nicht, sie profitieren zeitlich und finanziell vom Einsparen langer Arbeitswege und kommunizieren problemlos über digitale Medien. Das gilt aber längst nicht für alle: einige sind zum ersten Mal im Homeoffice und mussten sich erst umstellen, manche haben zuhause keine guten Arbeitsbedingungen, und viele berichten, dass sie auf Dauer das alleinige Homeoffice als belastend wahrnehmen. Überwiegend wird der durch Corona angestoßene Wandel jedoch (noch) als positiv erlebt.

Vertrauen und Kontrolle

Es ist seit langem bekannt, dass selbst in ortsflexibles Arbeiten prinzipiell unterstützenden Unternehmen mit entsprechenden Betriebsvereinbarungen die konkrete Umsetzung an kulturellen Barrieren und vor allem an der Haltung der Vorgesetzten scheitern kann. Viele Beschäftigte erleben bei ihren Vorgesetzten, dass diese „gern ihre Schäfchen um sich herum versammeln“; sie beanspruchen umfassende Kontrolle über die Leistung, aber auch darüber, wie die Arbeitszeit verbracht und gestaltet wird. Vor der Pandemie waren viele Beschäftigte, die im Homeoffice arbeiten wollten, mit dem Vorurteil konfrontiert, dass zuhause schlechter gearbeitet werde. Es fehlte oft das Vertrauen in die Mitarbeiter*innen, was dazu führte, dass viele ihren Anspruch auf ortsflexibles Arbeiten nicht durchgesetzt haben. 

„Jetzt sehen wir: es funktioniert“

Die Lage hat sich durch die Pandemie und notgedrungenes Homeoffice grundlegend verändert. Durchweg beschreiben die Interviewten, dass ein Akzeptanzwandel im Unternehmen resp. bei Vorgesetzten stattgefunden hat: Es zeigt sich nun, dass ortflexibles Arbeiten gut funktioniert. Aufgrund solcher Erfahrungen wird vielerorts bereits über eine Ausweitung dieser Arbeitsform nachgedacht; nicht wenige Beschäftigte, die vorher einen wöchentlichen Homeoffice-Tag vereinbart hatten, wünschen sich, zukünftig einen weiteren Tag zuhause bleiben zu können und dies, wenn möglich, auch spontaner und flexibler als zuvor. Vor allem die jüngere Managementgeneration scheint demgegenüber aufgeschlossener zu sein, so dass zu erwarten ist, dass Nachfrage und Angebot zukünftig besser zu vereinbaren sind.

„Der Plausch zwischendurch fehlt“: prozessorientierte Kollegialität

Deutlich wird allerdings auch, wie wertvoll die gemeinsame und gleichzeitige Zeit am betrieblichen Arbeitsplatz ist. Viele der Interviewten haben hohe Ansprüche an die eigene Arbeit, möchten ihre Netzwerke pflegen, ansprechbar und sichtbar sein. Dabei geht es nicht nur um die netten Kontakte. Vielmehr wird deutlich, wie wichtig diese häufig beiläufigen Situationen des Austauschs vor Ort für die betrieblichen Prozesse sind. Zum Arbeitsalltag vieler gehört es, „im Vorbeigehen Dinge zu erledigen“, zu „netzwerken“, „auf dem Flur Leute treffen, die um Hilfe bitten“ – und das fehlt nun. Manche beschreiben es nun als schwierig, in Kontakt zu bleiben, „man entfremdet sich“, wenn der Flurfunk und das kleine Gespräch an der Kaffeemaschine fehlen, bei denen es manchmal um Privates geht, oftmals aber auch Berufliches und Fachliches im Mittelpunkt stehen. Das bezeichnen wir als prozessorientierte Kollegialität. 

Zusammenarbeit wird nun „etwas, was man pflegen muss“, ganz ausdrücklich und explizit: Beispielsweise muss man sich regelrecht aufraffen und sich Zeit nehmen, jemanden anzurufen, den oder die man sonst zufällig getroffen hätte. Man muss, so eine Interviewte „darauf achten, dass an einem nichts vorbeirutscht.“ Manche Abteilungen haben dafür nun virtuelle Kaffeepausen oder Verabredungen für den digitalen Feierabend inklusive Getränk eingeführt – das hilft, um ein Gefühl zu bekommen, wie es den anderen geht, erzählt eine Interviewte. Das alles zielt vordergründig auf die psychosoziale Stabilisierung der Kollegen in einer außergewöhnlichen Situation, dient damit aber auch der Leistungsfähigkeit der Belegschaften insgesamt und verweist auf die hohe Bedeutung sozialer Rahmungen der Arbeit im Homeoffice. Prozessorientierte Kollegialität in diesem Sinne ist eine Voraussetzung der Arbeit im Homeoffice, sie zu ermöglichen eine Führungsaufgabe.

Gestaltung guter Zusammenarbeit: Unterstützung organisieren

Deutlich wird in den Interviews auch, dass gute Rahmenbedingungen Gute Arbeit fördern. Unabdingbar ist es, hinreichende technische Ausstattung bereit zu stellen, den Anforderungen aus der Familie gerecht werdende flexible Arbeitszeiten zu ermöglichen, aber auch diesbezügliche Grenzziehungen vorzunehmen – der Gefahr individueller Überforderung kann so begegnet werden. Vor allem sind Arbeitgeber und Betriebsräte gefordert, auf die Motivation und die Stimmung zu achten, den Kontakt zu halten und psychosozialen Belastungen systematisch nachzuspüren. Das gilt insbesondere für jene, die sich nicht von allein melden, oder zum Beispiel in digitalen Meetings nichts sagen. Manche Unternehmen haben sich während der Corona regelmäßig an die Belegschaft gewandt und die Arbeit im Homeoffice gewürdigt - „Wahnsinn, was ihr leistet von zu Hause“. All dies erfordert hohe Sensibilität und unterstützende Angebote, die Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam anbieten können. Für die Zukunft scheint es wichtig, solche Ansätze stärker als bislang zu systematisieren und als Handwerkszeug für die Gestaltung guter orts- und zeitflexibler Arbeit zu entwickeln.

Weiterführende Informationen:

Weitere Inhalte zum Thema