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Ausländische Rechtsformen einbeziehen Böckler Impuls

Mitbestimmung: Ausländische Rechtsformen einbeziehen

Ausgabe 12/2021

Um ihre Umgehung zu erschweren, sollten die Mitbestimmungsgesetze auf Unternehmen mit ausländischer Rechtsform erstreckt werden. Ein Gesetzentwurf zeigt, wie das funktioniert.

Dass Beschäftigte in den Aufsichtsräten großer Unternehmen mitbestimmen dürfen, gehört zu den Markenzeichen des deutschen Wirtschaftsmodells. Das bewährte Miteinander von Arbeit und Kapital ist allerdings in Teilen akut gefährdet: Allein in Unternehmen mit mehr als 2000 inländischen Arbeitnehmern, deren Aufsichtsräte eigentlich paritätisch besetzt sein müssten, wird laut einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung mehr als 2,1 Millionen Beschäftigten die Unternehmensmitbestimmung vorenthalten. Mitverantwortlich für diese Entwicklung sind nach Einschätzung des Rechtswissenschaftlers Achim Seifert von der Friedrich-Schiller-Universität Jena Schlupflöcher, die sich aus dem Recht der EU ergeben. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Niederlassungsfreiheit erlaube es nämlich Gesellschaften, ihren Verwaltungssitz unter Beibehaltung ihrer Rechtsform in ein anderes EU-Land zu verlegen. Verlegen Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründet worden sind, ihren Verwaltungssitz nach Deutschland, kann dies dazu führen, dass deutsches Mitbestimmungsrecht trotz Überschreitung des gesetzlichen Schwellenwertes keine Anwendung findet. Dass die Zahl der Arbeitgeber, die die Mitbestimmung umgehen, seit Jahren ansteigt, müsse beunruhigen. Denn es führe mittel- bis langfristig dazu, dass das deutsche Mitbestimmungsmodell ausgehöhlt wird. Da auf EU-Ebene wegen des Einstimmigkeitsprinzips im Rat keine harmonisierende Regelung zur Erstreckung der Mitbestimmung zu erwarten sei, müsse der nationale Gesetzgeber aktiv werden.

Für das I.M.U. hat Seifert einen Entwurf für ein Mitbestimmungserstreckungsgesetz ausgearbeitet, das der Mitbestimmungsumgehung durch die Nutzung ausländischer Rechtsformen einen Riegel vorschieben soll. Der Gesetzentwurf sieht vor, die deutschen Mitbestimmungsgesetze – also Mitbestimmungs-, Montan-Mitbestimmungs-, Mitbestimmungs-Ergänzungs- und Drittelbeteiligungsgesetz – auf Auslandsgesellschaften zu erstrecken. Alle Unternehmen mit Verwaltungssitz in Deutschland, die in einer Rechtsform eines anderen Staates firmieren, mit einer AG, KG oder GmbH nach deutschem Recht gleichwertig sind und die übrigen Voraussetzungen für eine Mitbestimmung nach deutschem Recht erfüllen, müssten demnach Arbeitnehmervertreter in ihrem Aufsichtsrat mitbestimmen lassen. Monistisch verfasste Gesellschaften, die nicht über Vorstand und Aufsichtsrat, sondern nur über ein einziges Leitungsgremium verfügen, könnten die Vorgaben erfüllen, indem sie entweder ein separates Aufsichtsorgan einrichten, das mit dem Aufsichtsrat nach deutschem Recht vergleichbar und mitbestimmt ist, oder sie müssten Arbeitnehmervertreter in ihr bestehendes Verwaltungsorgan aufnehmen. Nicht betroffen von dem Erstreckungsgesetz sollen Auslandsgesellschaften sein, deren Beschäftigte bereits gleichwertige Mitbestimmungsrechte haben, beispielsweise weil Gesetze des Gründungsstaates dies vorschreiben.

Mit EU-Recht ist der Gesetzentwurf laut dem Autor vereinbar. Er laufe zwar auf einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit hinaus, halte aber den Anforderungen stand, die der EuGH für solche Eingriffe in seiner Rechtsprechung entwickelt hat: Diese seien gerechtfertigt, wenn sie in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, von „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses“ getragen sowie zur Erreichung ihres Zieles geeignet und erforderlich sind.

Seifert erklärt, dass eine Diskriminierung nicht vorliege, da die Auslandsgesellschaften gegenüber Gesellschaften deutschen Rechts keineswegs schlechter gestellt werden. Vielmehr werde mit dem Gesetzentwurf eine mitbestimmungsrechtliche Gleichstellung erreicht. Auch für Unternehmen mit monistischer Verfassung seien dabei „keine unüberwindbaren Funktionsprobleme“ zu erwarten. Schließlich sei Mitbestimmung auch in Staaten wie Frankreich oder Luxemburg gesetzlich vorgeschrieben, wo Unternehmen grundsätzlich monistisch verfasst sind.

Dass der Arbeitnehmerschutz durch Mitbestimmung zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehört, die Beschränkungen von Grundfreiheiten rechtfertigen, habe der EuGH in seiner Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt, so der Arbeitsrechtler. Da die starke Zunahme von „mitbestimmungsrelevanten Auslandsgesellschaften“ die Mitbestimmung untergräbt, seien gesetzliche Schutzmaßnahmen zudem geboten. Und die Erstreckung der Mitbestimmung auf Auslandsgesellschaften sei dafür ein geeignetes Mittel.

Achim Seifert: Gesetzentwurf zur Erstreckung der deutschen Mitbestimmung auf Auslandsgesellschaften, Rechtsgutachten für die Hans-Böckler-Stiftung, Mitbestimmungsreport Nr. 65, Juni 2021

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