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Yasmin Fahimi Böckler Konferenz für Aufsichtsräte 2022 Service aktuell

Böckler-Konferenz für Aufsichtsräte 2022: Für mehr Tempo beim mitbestimmten Wandel

Unsere diesjährige Aufsichtsräte-Konferenz war ein nachdrückliches Plädoyer für mehr Mitbestimmung – gerade in Krisenzeiten.

Von Andreas Molitor

Yasmin Fahimi scheint sich bei ihrem Auftritt auf der diesjährigen Aufsichtsräte-Konferenz einen alten Song der Band “The Kinks” zu Herzen genommen zu haben. „Give the people what they want“, gib den Leuten, was sie wollen, singen die englischen Rocker in ihrem Lied, das fast so viele Jahre auf dem Buckel hat wie das deutsche Mitbestimmungsgesetz. Gemessen am Applaus aus dem Publikum, traf die neue DGB-Vorsitzende genau den Nerv. „Wir sollten endlich rauskommen aus dem antiquierten Mitbestimmungs-Baukastensystem“, nahm sie Anlauf.  Sie fragte: „Warum setzen wir den Schwellenwert für die Unternehmensmitbestimmung nicht herunter, sodass es für alle Unternehmen eine paritätische Mitbestimmung gibt?“

Der Zuhörerschaft, mehrheitlich Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter in Aufsichtsräten, sprach sie damit aus der Seele. Und Yasmin Fahimi setzte noch einen drauf – mit dem Vorschlag, man könne in Deutschland die Börsennotierung davon abhängig machen, ob im Aufsichtsrat Arbeitnehmervertreter mit am Tisch säßen. Von dieser DGB-Vorsitzenden wird noch manches klare Wort zu hören sein. Die traditionsreiche zweitägige Aufsichtsräte-Konferenz der Stiftung, diesmal unter dem Motto „Fortschritt wagen – Mitbestimmung stärken!“, war erneut als hybrides Event organisiert – ein Teil der Zuhörer live vor Ort in Berlin bei den Diskussionsrunden und Workshops, der Rest daheim oder im Büro am Bildschirm. Auf einen offenen Schlagabtausch mussten sie nicht lange warten.

Für eine kräftige Prise Dissens sorgte gleich zu Beginn Volker Quaschning, Professor für regenerative Energie aus Berlin, mit einem in den Ohren der gewerkschaftlich geerdeten Zuhörerschaft dystopisch klingenden Szenario. „Die Menschen machen momentan das Falsche“, postulierte er mit Blick auf die Automobilindustrie. „Sie müssen weg vom Band und hin zu den Erneuerbaren“ – wo in den kommenden Jahren eine Million neue Jobs entstünden. Man müsse „den Beschäftigten jetzt ehrlich sagen: ‚Spätestens in drei Jahren werden wir das Band hier dichtmachen.‘“ Alles andere sei „postfaktisches Wünsch-Dir-was mit dramatischen Konsequenzen.“

  • Andreas Audretsch, Christiane Benner, Volker Quaschning Böckler Konferenz für Aufsichtsräte
    Andreas Audretsch, Christiane Benner und Volker Quaschning

Leerstehende Fabrikhallen in Wolfsburg und an anderen Automobilstandorten – das mag sich Christiane Benner nicht vorstellen.  „Wenn ich so etwas als Vision verträte, knallen mir die Kolleginnen und Kollegen ihre Gewerkschafts-Mitgliedsbücher vor die Füße“, plädierte die Zweite Vorsitzende der IG Metall für eine Transformation mit Maß. Unternehmen wie zum Beispiel der Kolbenhersteller Mahle, 70000 Beschäftigte weltweit, „die hängen noch überwiegend am Verbrenner, da kämpft die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat mit aller Kraft darum, dass nicht desinvestiert wird“. In den Aufsichtsräten solcher Firmen „fordern wir den erforderlichen strategischen Kurswechsel ein“, berichtete Benner. Vielfach seien es die Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter, die zu mehr Tempo beim Wandel mahnen – und die Belegschaften zu Akteuren machen. In knapp der Hälfte der Fälle habe man es dabei „mit einem Management zu tun, das keine oder keine ausreichende Transformations-Strategie vorweisen kann“.

Wir fordern den erforderlichen strategischen Kurswechsel ein!

Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall

Der grüne Bundestagsabgeordnete Andreas Audretsch wiederum sieht nicht nur die Betriebe als Spielfeld der Transformation. Er wirbt für neue gesellschaftliche Allianzen – etwa zwischen Gewerkschaften und Klimaschützern. Verbale Abrüstung auf Seiten von Basis-Bewegungen wie Fridays For Future wäre hier sicher hilfreich, aber, so Audretsch in Richtung von Christiane Benner, „auch bei den Gewerkschaften muss sich noch einiges ändern“.

Dass die Transformation von zwei schweren Krisen begleitet wird – zuerst die Corona-Pandemie, jetzt der Ukraine-Krieg – macht die Lage noch komplizierter. „Was wir in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben, kann man nur als Wahnsinn beschreiben“, berichtete Hakan Bölükmese, Aufsichtsrat beim Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport AG, einem Unternehmen mit rund 20000 Beschäftigten. Über die gesamte Pandemiezeit hinweg war dem Unternehmen wegen einbrechender Passagierzahlen ein Großteil des Geschäfts weggebrochen. Immerhin sei es gelungen, einen Notlagentarifvertrag mit Beschäftigungssicherung bis Ende 2023, Arbeitszeit-Verkürzungen und Corona-Sonderzahlungen abzuschließen. Trotzdem verließen 4000 Mitarbeiter das Unternehmen. Jetzt fehlen überall Leute – beim Checkin, bei den Sicherheitskontrollen, beim Be- und Entladen.

  • Böckler Konferenz für Aufsichtsräte 2022
    "Die Bereitschaft ist in Krisenzeiten größer, die Meinung der Arbeitnehmervertreter einzuholen" - Hakan Bölükmese, 2.v.l.

Allerdings hat Bölükmese auch festgestellt, „dass es in Krisenzeiten beim Management durchaus ein wachsendes Bewusstsein für die Situation der Beschäftigten“ gibt und dass „die Bereitschaft größer ist, die Meinung der Arbeitnehmervertreter einzuholen – und sei es am Rand einer Sitzung im persönlichen Gespräch“. Möglicherweise ist ja auch der eine oder andere Vorstand zu der Erkenntnis gekommen, dass Unternehmen mit einer starken Beschäftigtenvertretung tendenziell besser durch Krisen kommen als nicht mitbestimmte Firmen. Die Ökonomen Michael Wolff und Marc Steffen Rapp haben das in einer von der uns geförderten Studie am Beispiel der Finanzkrise von 2008/2009 belegt und fordern mit Blick auf die Transformation: „In Krisenzeiten und bei tiefgreifenden Umbrüchen muss man die Arbeitnehmer mitnehmen – und da ist die Mitbestimmung im Aufsichtsrat ein wichtiges Werkzeug.“

Auch in den aktuellen Krisensituationen bestätigt sich der Wert der Mitbestimmung. Hier und dort konnten die Beschäftigtenvertreter wichtige Vereinbarungen mit dem Management treffen, berichtete Heike Hausfeld, Aufsichtsrätin bei der Bayer AG. So entstand auf Initiative der Arbeitnehmerseite ein Zukunftskonzept für die deutschen Standorte des Konzerns. Welches sind die Geschäftsfelder der Zukunft? Wo soll investiert werden? „Da haben wir den Arbeitgeber auf unsere Seite gekriegt.“

Weitere Informationen zur Veranstaltung

Viele weitere Informationen sowie Videoaufzeichnungen und Fotos der Böckler Konferenz für Aufsichtsräte 2022 finden Sie in der Veranstaltungsdokumentation.  

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