zurück
Frauen Entgeltungleichheit

Auf einen Blick: Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit

Wie ist es um die Chancengleichheit und Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Deutschland bestellt? Unser Forschungsüberblick bündelt aktuelle Analysen und Befunde.

[Aktualisiert am 04.03.2024]

Das Ziel der Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist in Art. 3 (2) des deutschen Grundgesetzes verankert: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Während der Begriff der Gleichberechtigung die Ebene der Rechte umfasst, zielt der Begriff der Gleichstellung darauf ab, die Lebenssituation der im Prinzip gleichberechtigten Gruppen politisch umzusetzen.

Die Hans-Böckler-Stiftung forscht seit langem zum Thema Gleichstellung und Chancengleichheit von Mann und Frau und analysiert Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechterungleichheit. Eine Übersicht aller existierenden Inhalte gibt es auf der Themenseite. Das WSI GenderDatenPortal bietet darüber hinaus ein breites und regelmäßig aktualisiertes Angebot an Statistiken zum Thema Gender und Gleichstellung. Dieser Forschungsüberblick bündelt aktuelle Materialien auf einem Blick.

Arbeitszeit und Sorgearbeit: Gender Time Gap & Gender Care Gap

Im Jahr 2020 arbeiteten Frauen durchschnittlich 7,9 Stunden weniger als Männer. Seit 2005 hat sich der Gender Time Gap, der die Lücke der geleisteten Erwerbsstunden zwischen Männern und Frauen definiert, alljährlich verringert. Allerdings arbeiteten nach wie vor fast jede zweite Frau (46 Prozent), aber nur 11 Prozent der Männer in Teilzeit.

  • Hartnäckiger Gender Time Gap

Auch Ende 2023 tragen Frauen weiterhin die Hauptlast der Kinderbetreuung. Während der Corona-Pandemie gab es leichte Veränderungen, da zeitweilig mehr Väter Betreuungsaufgaben übernommen hatten. Ohne Kinder arbeiten 63 Prozent der Frauen aus Zweiverdiener-Paarhaushalten in Vollzeit (93 Prozent der Männer). Sind Kinder im Spiel, ist dies nur bei 29 Prozent der Frauen der Fall (aber weiterhin 94 Prozent der Männer).

Aus Anlass des Equal Care Day und des Internationalen Frauentags 2024 haben WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch und Eileen Peters (Wissenschaftliche Referentin am WSI) in unserem Podcast Systemrelevant mit Moderator Marco Herack über die Verteilung von Sorgearbeit und wie diese jeweils von Frauen und Männern wahrgenommen wird diskutiert.

Ein weiterer nicht unwesentlicher Punkt: In den meisten Haushalten sind es die Frauen, die den Alltag organisieren – unabhängig davon, ob sie in Teilzeit oder Vollzeit arbeiten. Einkaufslisten machen, Abendessen planen, den Nachwuchs vom Kindergarten abholen, Termin für die Vorsorgeuntersuchung bei der Kinderärztin vereinbaren, zwischendurch den kranken Schwiegervater anrufen und an die Unterlagen für die Steuererklärung denken: Die Alltagsorganisation kann neben der Erwerbsarbeit eine Menge Zeit und Nerven kosten.

  • Mitdenken ist meist Frauensache

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen von „unsichtbarer Denkarbeit“ oder „Mental Load“, wenn es darum geht, den Überblick zu wahren und Wege zu finden, das scheinbar Unvereinbare vereinbar zu machen. WSI-Forscherin Yvonne Lott und Paula Bünger haben untersucht, wie Frauen und Männer diese Planungsaufgaben untereinander aufteilen und welche Belastung daraus resultiert.

Qualifikation und Gleichstellung

Im Bereich der schulischen und beruflichen Qualifikation und der Beteiligung an Weiterbildung haben Frauen in den vergangenen Jahrzehnten erheblich aufgeholt und erreichen mittlerweile sogar ein höheres Niveau als Männer. So hatten 2019 etwa 41 Prozent der Frauen, aber nur 39 Prozent der Männer im erwerbstätigen Alter Abitur oder Fachhochschulreife. Umgekehrt hatten Männer häufiger einen Hauptschulabschluss. Das zeigen die Ergebnisse des WSI-Reports zum Stand der Gleichstellung 2022 von Männern und Frauen in Deutschland.

  • Schulabschlüsse von Männern und Frauen im Zeitverlauf

Frauen absolvieren in Deutschland im Jahr 2021 deutlich seltener als Männer eine Berufsausbildung im Rahmen des dualen Ausbildungssystems, so Daten unseres WSI GenderDatenPortals. Sie stellen insgesamt nur ein gutes Drittel aller Auszubildenden im dualen System. Innerhalb des dualen Ausbildungssystems in Deutschland verteilen sich Frauen und Männer dann auffallend ungleich auf die verschiedenen Berufsbereiche.

Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen war laut WSI-Gleichstellungsreport 2022 im Jahr 2020 rund 7 Prozentpunkte niedriger als die der Männer. Anfang der 1990er Jahre war die Differenz indes noch fast dreimal so groß. Eine weitere WSI-Studie aus dem Jahr 2020 zeigt außerdem, dass die Erwerbstätigenquote der Frauen in Westdeutschland deutlicher unter jener der Männer liegt als in Ostdeutschland. Auch in anderen Bereichen liegt der Westen gegenüber dem Osten in Sachen Gleichstellung zurück.

  • Erwerbstätigkeit: Gleichstellung noch nicht erreicht

Die Auswertung im Vorfeld des 30. Jahrestags der Deutschen Einheit 2020 zeigt unter anderem: Bei schulischer und beruflicher Qualifikation haben Frauen in beiden Landesteilen weitgehend mit den Männern gleichgezogen. Bei der Erwerbsbeteiligung zeigen sich dagegen trotz Annäherungen auch heute noch deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern und zwischen Ost- und Westdeutschland. Unser Video präsentiert die wichtigsten Ergebnisse und zeigt: Der Osten hat aufgeholt, ist etwa im Bereich der Kinderbetreuung vornedran, aber es gibt noch einiges zu tun – gerade beim Thema Löhne und Rente.

Vergleichsweise selten kommt es bis heute vor, dass die Frau die Hauptverdienerin, die „Familienernährerin“ ist. Allerdings hatte die Zahl solcher Haushalte im Zeitraum von 2007 bis 2016 zugenommen, wie eine Untersuchung von WSI-Forscher Wolfram Brehmer sowie Christina Klenner und Tanja Schmidt zeigt. Demnach hatten im Schnitt knapp 11 Prozent der Paarhaushalte in Deutschland eine Hauptverdienerin. Wobei die Quote im Laufe des Untersuchungszeitraums von 9,9 auf 11,9 Prozent gestiegen ist.

  • Das traditionelle Modell bröckelt

Finanzielle Ungleichheit von Frauen und Männern

Der Gender Pay Gap beschreibt den prozentualen Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst abhängig beschäftigter Männer und Frauen. In den vergangenen Jahren ist die Entgeltungleichheit von Männern und Frauen zwar deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2020 verdienten Frauen jedoch immer noch rund 18 Prozent weniger als Männer. Auch in 2023 hat sich dahingehend nichts getan.

  • Klaffende Lücken

Frauen sind am Arbeitsmarkt weiterhin in vielerlei Hinsicht benachteiligt, nicht nur hinsichtlich Arbeitszeit sondern vor allem auch bei den Einkommen. Das geht aus einer neuen Untersuchung hervor, die das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zu Equal-Pay-Day und Internationalem Frauentag 2023 vorgelegt hat. In 45 der 46 Branchen, für die die WSI-Auswertung erstmals Daten aus dem Jahr 2022 liefern kann, verdienen Frauen weniger als Männer.

  • Gleichstellung in Ost und West

Ein genauerer Blick auf die Arbeitsverhältnisse zeigt außerdem, dass Frauen häufiger prekär beschäftigt sind als Männer. So bezogen 2020 17 Prozent der Frauen der Vollzeit beschäftigten Frauen ein Niedrigeinkommen von weniger als 2.000€ brutto. Bei den Männern waren es 9 Prozent. Auch die in vielerlei Hinsicht problematischen Minijobs werden häufiger von Frauen ausgeübt. (Mehr zum Thema Minijobs)

Schlechtere Löhne, eine niedrigere Erwerbsbeteiligung, ein geringeres Arbeitsvolumen und ein höherer Anteil an Beschäftigten im Niedriglohnbereich sorgen dafür, dass Frauen in deutlich größerem Maße Gefahr laufen, im Alter arm zu sein. Nimmt man gesetzliche Rente, betriebliche und private Alterssicherung zusammen, beziehen Frauen durchschnittlich ein um 49 Prozent niedrigeres Alterseinkommen als Männer (Gender Pension Gap).

Frauen in Führungspositionen

Laut der Statistik des WSI-Gleichstellungsreports 2022 sind Frauen in den Top-Positionen der Wirtschaft deutlich seltener vertreten als Männer. Nur elf Prozent aller Vorstandsposten der 160 größten deutschen börsennotierten Unternehmen mit Frauen besetzt. In Aufsichtsräten liegt der Anteil immerhin bei 32 Prozent. In mitbestimmten Unternehmen fällt er mit 35 Prozent höher aus als in Unternehmen ohne Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat. Etwas anders sieht es auf der zweiten Führungsebene aus. Dort ist der Frauenanteil mit 40 Prozent nur etwas niedriger als der Anteil an allen Beschäftigten (44 Prozent).

Um für mehr Gendergerechtigkeit in Führungsgremien zu sorgen, gibt es in vielen Ländern gesetzliche Geschlechterquoten. Insgesamt verfügen zehn von 31 europäischen Ländern diesbezüglich gesetzlich bindende Regeln. Laut einer Analyse des Instituts für Unternehmensmitbestimmung (I.MU.) war davon die gesetzliche Geschlechterquote in Deutschland im Jahr 2019 die schwächste. Auch wenn sich seitdem einiges geändert haben dürfte, ein Problem dabei bleibt: Das entsprechende Gesetz bezieht sich allein auf börsennotierte Unternehmen, die paritätisch mitbestimmt sind. In 10 der 14 europäischen Aktiengesellschaften (SE) im wichtigsten deutschen Börsenindex DAX gilt die verbindliche Geschlechterquote für Aufsichtsrat und Vorstand beispielsweise nicht. Die Rechtsform der SE läuft mit ihren Schlupflöchern zur Vermeidung von Mitbestimmung in ihrer derzeitigen Form also auch Bemühungen um mehr Gleichstellung in Führungspositionen zuwider.

  • Geschlechterquoten

Gleichstellung und Corona

Eine anhaltende Diskussion dreht sich um die Frage, inwiefern die Corona-Pandemie zu Rückschritten in Sachen Gleichstellung geführt hat (Retraditionalisierung). Schließlich hatten Frauen die Hauptlast von Schul- und Kitaschließungen zu tragen. Befunde der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung, in der Erwerbstätige und Arbeitssuchende während der Pandemie wiederholt befragt wurden, zeigen, dass eher Mütter im Job kürzertraten.

  • Yvonne Lott sagt: Es besteht die Gefahr, dass die Pandemie Fortschritte in Sachen Gleichstellung in Frage stellt, die langsam über Jahre hinweg gemacht wurden.

So reduzierten im Januar 2022 rund 19 Prozent der Mütter, aber nur 6 Prozent der Väter wegen Corona ihre Arbeitszeit. Auch Einzelmaßnahmen wie zusätzliche Kinderkrankentage konnten nicht verhindern, dass Frauen in der Pandemie auf dem Arbeitsmarkt weiter ins Hintertreffen geraten sind, wie eine WSI-Studie zeigt.

Dass die politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise die Unterschiede zwischen den Geschlechtern eher vergrößert haben könnten, zeigt auch eine vom WSI geförderte Studie der Berliner Forscherin Regina Frey, die mit dem Gender-Budgeting-Ansatz gearbeitet hat. Die Corona-Hilfspakete der Bundesregierung kamen Männern mehr zu Gute als Frauen.

  • Frauen haben weniger von Corona-Maßnahmen

Die Auswirkungen von Corona auf die Verteilung von Arbeitszeit und Sorgearbeit war auch schon mehrfach Thema im Podcast Systemrelevant (Folgen 47, 76, 82 (ab Min. 23) und 93).

Wie sich die Geschlechtergerechtigkeit im ersten Jahr der Corona-Pandemie entwickelt hat, thematisiert außerdem unser Erklärvideo "Frauen am Krisenherd".

Was kann für mehr Gleichstellung getan werden?

Um dem Fortschritt bei der Geschlechtergerechtigkeit mehr Schwung zu verleihen, schlagen Expert*innen vor, das Ehegattensplitting zu reformieren, die institu­tionelle Kinderbetreuung auszubauen, für mehr egalitäre Erwerbskonstellationen in Familien zu sorgen, beispielsweise durch die Förderung flexibler Arbeitszeitar­rangements für Männer und Frauen oder mehr Partnermo­nate beim Elterngeld. Statt Präsenz- und Überstundenkultur brauche es mehr Arbeitsplätze in kurzer Vollzeit. Systemrele­vante Berufe im Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitswesen gelte es aufzuwerten, Stereotype bei der Berufswahl abzu­bauen. Die Reichweite verpflichtender Geschlechterquoten für Vorstände und Aufsichtsräte großer börsennotierter Un­ternehmen sollte ausgeweitet werden.

Um die Gleichstellung voranzubringen, braucht es auch laut des Reports "Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern auf den Arbeitsmärkten in West- und Ostdeutschland?" von Svenja Pfahl, Eugen Unrau, Maike Wittmann und Yvonne Lott weiterhin eine Stärkung der Tarifbindung.

Welche Potenziale Digitalisierung und Homeoffice für mehr Gleichstellung haben und warum gute Regelungen in diesem Kontext wichtig sind, zeigt eine von uns geförderte Studie. Eine wichtige Rolle spielt, wie eine weitere Studie zeigt, dabei und darüber hinaus die Mitbestimmung. Unternehmen mit Betriebsrat schneiden in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser ab als ohne.

  • ja
    Mitbestimmung trägt dazu bei, die beruflichen Chancen von Frauen zu verbessern.

Auf der vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) und Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) veranstalteten Gleichstellungstagung 2021 wurden von Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik und Gewerkschaften Forderungen an eine Gleichstellungspolitik nach der Corona-Pandemie formuliert. Die Aufzeichnungen finden sich auf unserem YouTube-Kanal. Die wichtigsten Ergebnisse sind zudem in einem Tagungsbericht dokumentiert.

Weitere Studien und Materialien

  • In einer steigenden Zahl von Haushalten erwirtschaften Frauen das Haupteinkommen. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass dies an veränderten Rollenbildern liegt. Zur Studie
  • Im Podcast Systemrelevant sprechen Johanna Wenckebach und Bettina Kohlrausch über die ersten Frauen in Betriebsräten vor mehr als 100 Jahren – und ihre Nachwirkungen auf die Gegenwart.
  • Anlässlich des Weltfrauentages 2020 hat das Magazin Mitbestimmung fünf Frauen unterschiedlicher Generationen aus verschiedenen Gewerkschaften porträtiert.
  • Was bedeutet der anstehende Generationenwechsel in vielen Betriebsräten für die Geschlechterpolitik? Das thematisiert das Magazin Mitbestimmung.

Ansprechpartner*innen in der Stiftung

Dr. Yvonne Lott leitet das Referat Geschlechterforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Prof. Dr. Bettina Kohlrausch ist Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Dr. Johanna Wenckebach war Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung und arbeitet seit Anfang 2024 bei der IG Metall.

Hinweise, Korrekturen oder Fragen zu den Inhalten dieser Seite? Kontaktieren Sie uns gerne unter digital-redaktion@boeckler.de

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen