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Was auf Beschäftigte zukommt Böckler Impuls

Arbeitswelt: Was auf Beschäftigte zukommt

Ausgabe 05/2022

Welche Innovationen werden wichtig in der Arbeitswelt? Eine Studie analysiert und bewertet aktuelle Entwicklungen, die den Arbeitsalltag grundlegend verändern könnten.

Die Veränderungen, auf die sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einstellen müssen, sind enorm: Produktionsprozesse sollen weltweit vernetzt, gleichzeitig nachhaltig sein. Völlig neuartige Werkstoffe kommen zum Einsatz. Es entstehen innovative digitale Dienstleistungen. Mobilität wird neu gedacht. Der Wandel geschieht auf so vielen Ebenen gleichzeitig, dass man leicht den Überblick verlieren kann. Was wird tatsächlich wichtig im Arbeitsalltag, welche Trends müssen weiter beobachtet werden? 

Mit diesen Fragen hat sich ein Team um Norbert Malanowski vom VDI Technologiezentrum in Düsseldorf beschäftigt. In dem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt „Monitoring Innovations- und Technologiepolitik“ haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 15 bedeutsame Innovationen identifiziert. Anschließend haben sie diese Trends gemeinsam mit Fachleuten aus Gewerkschaften, Wirtschaft und Wissenschaft bewertet. Die Analyse soll insbesondere Beteiligten auf Arbeitnehmerseite dazu dienen, Innovationen frühzeitig zu erkennen und im Sinne der Beschäftigten zu gestalten. 

Als Entwicklungen, die dringendes oder sehr dringendes Handeln erfordern, betrachten die Forschenden:

Digitalisierung personennaher Dienstleistungen

Die Nachfrage nach sogenannten personennahen Dienstleistungen – zum Beispiel in Pflege oder Medizin – wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren wachsen. Gleichzeitig dürfte hier ein Digitalisierungsschub nachgeholt werden, der in anderen Bereichen der Wirtschaft bereits stattgefunden hat. Die Bandbreite der möglichen und teils bereits existierenden digitalen Werkzeuge ist groß: von der Kommunikation, der Auswertung von Daten, digitalen Lehrangeboten, der softwaregestützten Planung von Arbeitsprozessen bis hin zur Fernüberwachung von Patientinnen und Patienten. Mit der Nutzung dieser Werkzeuge werden neue Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestellt. Damit muss sich auch die Aus- und Weiterbildung verändern. Der Grad der Professionalisierung könnte steigen – zuungunsten der gering qualifizierten Beschäftigten. Bei einer Reihe von Tätigkeiten dürften Menschen durch Maschinen verdrängt werden.

Herausforderungen durch ökologische Transformation

Die Europäische Kommission hat mit dem „European Green Deal“ eine neue Strategie für Wirtschaft, Nachhaltigkeit und Beschäftigung in Europa vorgestellt. Ziel ist eine klimaneutrale Wirtschaft bis zum Jahr 2050. Die Wirtschaft soll wachsen, ohne dass dafür immer mehr Ressourcen verbraucht werden. Das birgt Chancen für Unternehmen, die auf neue Technologien setzen. Gerade kleinere und mittelgroße Firmen könnten jedoch überfordert sein. Ihnen drohen Wettbewerbsnachteile sowie hohe finanzielle Belastungen. Einige Unternehmen könnten verschwinden, viele Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verlieren. Es braucht bessere staatliche Förderung für kleine und mittlere Unternehmen in bisher wenig innovativen Branchen.

Innovationen beim Recycling großer Batterien

Die Aufbereitung von Groß-Batterien für Elektrofahrzeuge und in der Industrie wird in den kommenden Jahren große Bedeutung erlangen. Ausgemusterte Fahrzeugbatterien könnten als Speicher für eine private Photovoltaikanlage weiterverwendet werden, da dort eine niedrigere Kapazität ausreicht. Voraussetzung ist die Aufbereitung in speziellen Anlagen, die erst noch errichtet werden müssen. Mit dem Bau einer solchen Anlage in Brandenburg macht BASF einen ersten Schritt in diese Richtung. Ab 2023 sollen hier ausgediente Lithium-Ionen-Batterien recycelt werden. Der Bedarf an Fachkräften für das Batterie-Recycling wird steigen. Beim Umgang mit elektrisch geladenen und daher brandgefährlichen Produkten sowie Chemikalien wird Arbeitsschutz ein zentrales Thema.

Verarbeitung von Kohlendioxid als Brückentechnologie

Wie sich der Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren lässt, ist eine der am meisten diskutierten Fragen in Gesellschaft, Politik und Wissenschaft. An erster Stelle steht die Vermeidung von Emissionen. Daneben ist es aber auch möglich, bereits ausgestoßene Treibhausgase zu kompensieren beziehungsweise der Atmosphäre zu entziehen. Ein – nicht unumstrittener – Vorschlag sieht vor, Kohlendioxid schon im Zuge der Freisetzung abzuspalten und unterirdisch einzulagern oder in folgenden industriellen Prozessen weiterzuverarbeiten. In Deutschland laufen dazu bisher lediglich Versuche. Die Technologien dazu sind überwiegend an Kohlekraftwerken angesiedelt und damit bei den Unternehmen, die am stärksten von Transformationsprozessen betroffen sein werden. Soll die Speicherung und Umwandlung von Kohlendioxid ausgeweitet werden, müssen die Beschäftigten der Kraftwerke gezielt fortgebildet werden. Auch in der Herstellung von Zement, Stahl und Beton sowie in der chemischen Industrie benötigen Beschäftigte Kenntnisse darüber, wie sich Kohlendioxid „auffangen“ lässt. Auf diese Weise können Arbeitsplätze erhalten oder sogar neu geschaffen werden.

Arbeitserleichterung durch Spracherkennung

Spracherkennung ist inzwischen technisch weit fortgeschritten. Auch am Arbeitsplatz könnte sie künftig verstärkt zum Einsatz kommen und die Interaktion mit Maschinen erleichtern. Naheliegend ist der Einsatz im Büro, wenn Sprache in Text übersetzt werden soll. Bei der Dokumentation oder Protokollierung lässt sich Zeit sparen. Bereits heute kommt in manchen Callcentern eine besondere Software zum Einsatz, die Gespräche mithört, analysiert und beeinflusst. Sie überprüft in Echtzeit, welche Worte gesprochen werden, und unterstützt das Personal mit Vorschlägen, wie das Gespräch weitergeführt werden sollte. Auch in der Industrie sind sprachgesteuerte Prozesse denkbar. Zum einen müssen die Beschäftigten im Umgang mit Spracherkennung und Künstlicher Intelligenz weitergebildet werden. Zum anderen können digitale Assistenten, die ständig empfangsbereit sind und potenziell zuhören, erhebliche Probleme beim Datenschutz verursachen. Beschäftigte müssen vor unberechtigter Kontrolle geschützt werden.

Software durch Modulbausteine („Low Code“)

Die Entwicklung von Software war früher die Aufgabe von Programmierern. Inzwischen existieren Plattformen, die es ermöglichen, Software beziehungsweise Apps fast ohne Programmierung zu erzeugen. Das Verfahren nennt sich „Low Code“. Es greift zurück auf modular vorhandene Bausteine, aus denen sich maßgeschneiderte Anwendungen schnell und kostengünstig zusammensetzen lassen. Low Code könnte die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft erheblich beschleunigen. Vor allem die Arbeitgeber sehen darin ein großes Potenzial. Auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bisher keine IT-Fachkenntnisse hatten, könnten eine gestaltende Rolle einnehmen. Allerdings gibt es Risiken: So wird der Schulungsaufwand trotz Einfachheit des Low-Code-Ansatzes manchmal unterschätzt. Zudem steigt die Abhängigkeit von Anbietern wie Google, Microsoft oder der Siemens-Tochter Mendix.

Unter Beobachtung

Neben den als dringlich und sehr dringlich eingeschätzten Entwicklungen arbeiten die Forschenden in ihrer Studie weitere Themen heraus, die sie als „beobachtenswert“ einstufen. Dabei geht es unter anderem um den „Durchbruch des Supermaterials Graphen“, bioelektronische Anwendungen in der Medizin, digitales Hygienemanagement im Lebensmittelhandel oder alternative Materialien in der Bauwirtschaft wie Carbonbeton.

Norbert Malanowski u.a.: Monitoring Innovations- und Technologiepolitik für das Jahr 2021, Working Paper der HBS-Forschungsförderung, Nr. 239, Februar 2022

Mehr Informationen zum Projekt finden sich auf den Seiten des Mitbestimmungsportals

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