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Interview PH HERO Böckler Impuls

Mitbestimmung : "Wir dürfen optimistisch sein"

Ausgabe 09/2022

Der Europäische Gerichtshof entscheidet darüber, ob die Aufsichtsratssitze für überbetriebliche Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertreter gestrichen werden können. Mitbestimmungsexperte Sebastian Sick hält einen Ausgang zugunsten der Gewerkschaften für möglich.

Ein spezielles Vorschlagsrecht für überbetriebliche Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertreter im Aufsichtsrat: Wird der EuGH für diese Regelung im deutschen Mitbestimmungsgesetz Verständnis zeigen?

Sebastian Sick: Bei der mündlichen Verhandlung am 7. Februar vor dem EuGH stützten die Bundesregierung, die EU-Kommission sowie Luxemburg vollständig die Position der klagenden Gewerkschaften IG Metall und Verdi. Das ist eine gute Ausgangslage. Nunmehr hat Generalanwalt Richard de la Tour beim EuGH seine Schlussanträge in dieser Frage vorgelegt. Sie sind von grundsätzlicher rechtlicher und mitbestimmungspolitischer Tragweite. Auch er teilt die Meinung der Gewerkschaften. Weil der EuGH in seiner Entscheidung sehr häufig dem Generalanwalt folgt, dürfen wir optimistisch sein. Der Generalanwalt bestätigt den gesonderten Wahlgang zur Sicherung der Gewerkschaftssitze im Aufsichtsrat ausdrücklich: „Durch die Umwandlung einer deutschen Aktiengesellschaft in eine Europäische Gesellschaft darf der besondere Wahlgang für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsrat nicht beeinträchtigt werden. Dieser Wahlgang ist ein prägendes Element der Regelung über die Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland und kann nicht Gegenstand von Verhandlungen im Rahmen der Umwandlung sein.“

Inwiefern könnte die deutsche Regelung überhaupt mit dem Europarecht kollidieren?

Sick: Es geht um die Sicherung der Mitbestimmung bei Umwandlung einer AG in eine SE: Nach der EU-Richtlinie zur Europäischen Aktiengesellschaft muss bei Umwandlung in der Vereinbarung über die Beteiligung der Beschäftigten in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das vor der Umwandlung in eine SE bestand. Gestritten wird darüber, was unter alle Komponenten und das gleiche Ausmaß konkret zu verstehen ist. Geht es nur um den zahlenmäßigen Anteil – die Parität – oder darüber hinaus um qualitativ prägende Elemente der Mitbestimmung wie die Beteiligung von Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertretern? Letzteres ist auch die Position des Bundesarbeitsgerichts, die der EuGH nun als europarechtskonform bestätigen könnte. 

Was haben die Beschäftigten bei SAP und in anderen Unternehmen von externen Mitgliedern der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat? 

Sick: Externe Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertreter bieten einen überbetrieblichen Blickwinkel und ein breites Netzwerk. Sie bringen zusätzlichen externen Sachverstand ein – zum Beispiel zur Branche, juristisch, ökonomisch oder politisch –, wie dies ja auch auf Anteilseignerseite der Fall ist. Zudem sind sie in besonderem Maße unabhängig von Unternehmen und Management und stärken so die Kontrolle des Aufsichtsrats. Die Unternehmensmitbestimmung lebt vom Zusammenwirken betrieblicher und externer gewerkschaftlicher Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter. Das Bundesverfassungsgericht konstatierte bereits 1979, dass die Einbeziehung von Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat es erleichtert, auch auf der Arbeitnehmerseite besonders qualifizierte Vertreter zu entsenden, und dass dies einem ,Betriebsegoismus‘ entgegenwirken oder diesen doch zumindest abmildern kann.

Sebastian Sick ist Experte für Unternehmensrecht und Corporate Governance im I.M.U.

Die Frage vor Gericht

Bei der Umwandlung der SAP AG in eine SE wurde eine Option zur Verkleinerung des Aufsichtsrats vereinbart. Demnach könnten die Aufsichtsratssitze für überbetriebliche Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertreter wegfallen. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist das jedoch nicht zulässig. Nun entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH).

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