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„Gespräche in der HR-Kaffeeküche“

Die Transformation der Arbeit in der Produktion

In produktionsintensiven Branchen verändert sich die Arbeit rasant und tiefgreifend. Welche arbeitspolitischen Herausforderungen bestehen im sogenannten „direkten Bereich“ und wie können wir ihnen wirksam begegnen?

Zu den positiven Effekten der Pandemie wird gemeinhin die plötzliche und flächendeckende Einführung von neuen Arbeitsformen v.a. im indirekten Bereich gezählt. Das sind häufig spannende Entwicklungen, die aber auch neue Ungleichheiten bzw. die Wahrnehmung von Flexibilitätseinschränkungen oder sogar -verlusten bei Tätigkeiten der unmittelbaren Leistungserstellung (direkter Bereich: Dienstleistungen sowie auch Produktionstätigkeiten) mit sich gebracht hat. Ein Hochofen kann eben (noch) nicht aus dem Homeoffice heraus bedient werden und musste in der Pandemie weiterlaufen. Menschliche Kontakte bei der Arbeit und auf dem Arbeitsweg waren für viele Produktionsbeschäftigte unvermeidlich. 

Gleichzeitig sind Arbeitsplätze, die die unmittelbare Anwesenheit vor Ort voraussetzen, in vielfältiger Weise von Transformation betroffen. So mag bei einigen Beschäftigten der Eindruck entstanden sein, dass Transformation und arbeitspolitische Innovation „immer nur den Anderen nützt“. Es besteht Handlungsbedarf für das Personalmanagement und Betriebsräte, um auch sogenannten direkten Beschäftigten beispielsweise eine erhöhte persönliche Flexibilität und Arbeitsfähigkeit zu ermöglichen. Mehr noch:  Es geht darum, technologische und organisatorische Modernisierung als positiv besetztes Transformationsprojekt im Sinne guter Arbeit anzugehen und zu vermitteln.
 

Illustration Virtual Coffee

„Gespräche in der HR-Kaffeeküche“

Wie viele andere Netzwerke, so hat auch die Arbeitsgemeinschaft „Engere Mitarbeiter der Arbeitsdirektoren Stahl“ in der Pandemie mit virtuellen Debattierformaten den Kontakt und Austausch aufrechterhalten. Einen dieser Räume haben wir „Virtual Coffee“ genannt und als wirksames und kompaktes Austauschformat etabliert. In unterschiedlicher Zusammensetzung werden aktuelle Themen aus der Perspektive der Stahlindustrie diskutiert und in kurzen Beiträgen zusammengefasst. 

Es braucht eine neue Humanisierung der Arbeit

Die Stahlindustrie hat eine lange Tradition in der kontinuierlichen „Humanisierung der Arbeit“. So war etwa die Attraktivität als Arbeitgeber immer schon eine zentrale Frage in der Stahlindustrie. Sie wurde mit guter Bezahlung, hervorragenden Sozialleistungen, gut ausgebautem Arbeits- und Gesundheitsschutz, hochwertiger Bildung und wirksamer Mitbestimmung beantwortet. Aber bieten wir in den Augen potenzieller Bewerber auch heute noch zeitgemäße Arbeitsplätze? Sind wir in der Lage, ihnen zu vermitteln, was sie bei uns erwarten dürfen? Und werden wir dem, was wir versprechen, auch gerecht, indem wir in der Personal- und Organisationsentwicklung nichts „liegen lassen“? 

Unser Facharbeiter*innennachwuchs bringt in Bezug auf zukünftig benötigte Kompetenzen viel mehr mit, als gemeinhin behauptet wird. Gleichzeitig wird diese Klientel (zurecht) anspruchsvoller hinsichtlich einer guten Begleitung, moderner Arbeitsbedingungen und auch Sinnstiftung. Viele Personaler in der Stahlindustrie fragen sich: Können wir noch genügend „gute Leute“ für eine technisch-gewerbliche Ausbildung gewinnen? Ist unser Tarifsystem (nicht nur monetär) attraktiv genug, Mitarbeiter erfolgreich zu rekrutieren und zu halten? Können wir die gut ausgebaute Mitbestimmung auch als Element sinnstiftender und partizipativer Arbeit vermitteln? Die Antwort lautet: Ja. Und das Rezept ist relativ einfach: Traditionsreiche Branchen müssen sich ihrer Stärken besinnen, sie herausstellen und weiterentwickeln sowie eine mutige Arbeitspolitik betreiben. Heute heißt das mehr denn je, insbesondere im Produktionsbereich Arbeit systematisch weiterzuentwickeln. 

Besser geht es mitbestimmt und mit starker Personalabteilung

Starke Betriebsräte erscheinen uns dabei (im Gegensatz zu vielen HRlern aus anderen Branchen) eher nützlich als hinderlich. Sie sind ein struktureller Vorteil der Stahlindustrie. Der wichtigste Stakeholder der Personalarbeit – die Belegschaft – hat in unseren Unternehmen eine starke und gut organisierte Stimme. Von Seiten HR müssen wir ein in sich konsistentes Managementsystem einbringen, sowie zeitgemäße HR-Kompetenzen und – mit der Rolle des Arbeitsdirektors/ der Arbeitsdirektorin - eine ausgeprägte Strategiefähigkeit. Strukturwandel wird in der Stahlindustrie seit Jahrzehnten praktiziert – in Abstimmung mit den Führungskräften und selbstverständlich im Schulterschluss mit der Mitbestimmung. Dennoch waren die transformativen Anforderungen und auch die Geschwindigkeit des Wandels noch nie so hoch. Während wir „umbauen“, muss das operative Geschäft laufen: Aus der Brille des sogenannten „Business“ muss „alles funktionieren“. Eine anspruchsvolle Doppelrolle: Wandel unterstützen und zugleich Wertschöpfung sicherstellen. Nur wer diese Rolle beherrscht, kann kreative und wirksame Lösungen vorschlagen und die Stahlindustrie als attraktiven Arbeitgeber weiterentwickeln. Nach allem was man heute weiß, werden diese Lösungen einerseits die Qualifizierung und Kompetenzentwicklung betreffen und andererseits die Gestaltung von zeitgemäßen Arbeitsbedingungen. 

Bildung und moderne Arbeitsgestaltung als Schlüssel

Die berufliche Bildung, d.h. die (Fort-) Entwicklung der beruflichen Handlungsfähigkeit, wird in der Transformation fraglos eine herausragende Rolle spielen. Die Stahlindustrie besitzt hervorragende Bildungseinrichtungen und eine lange Tradition qualitativ hochwertiger Berufsbildung. Das betrifft die Erstausbildung ebenso gut wie die Fort- und Weiterbildung. Sie dienen der unmittelbaren fachlichen Vorbereitung und Schaffung beruflicher Handlungskompetenz (in Aus- und Weiterbildung), sie motivieren und nehmen Ängste vor z.T. beschleunigtem Wandel und sie stärken die Beschäftigten auch kommunikativ, um Transformation partizipativ mitgestalten zu können. Die Bildungsfachleute entwickeln neue betriebliche Karrierepfade für die Beschäftigten und legen damit häufig auch den Grundstein für ein modernes Verständnis von partizipativer und kooperativer Führung. 

In der mit Bildung notwendigerweise verknüpften und konsistent verbundenen Arbeitsgestaltung – ebenfalls ein neues/altes Spielfeld mitbestimmter Personalarbeit – geht es aktuell darum, Flexibilisierungskonzepte für den gewerblichen Bereich zu finden. Im indirekten Bereich konnten unter dem Druck der Pandemie schnell pragmatische und sukzessive auch langfristig tragfähige Konzepte gefunden werden. Häufig wurde Digitalisierung hier spürbar im Sinne der Beschäftigten eingesetzt. Direkte Beschäftigte „spüren“ dagegen häufig eine stärkere Fremdbestimmung. Produktivitätsoptimierung und Effizienzsteigerung werden dabei von den Beschäftigten gar nicht unbedingt als Problem angesehen. Auch die Digitalisierung wird von der Belegschaft nicht kategorisch abgelehnt. Die Beschäftigten wollen aber sicher sein, dass ihre Interessen in den zahlreichen parallel laufenden Veränderungs– und Optimierungsprozessen Berücksichtigung finden. Es bedarf hier eines „New Deal“ für die Transformation, der die Interessen des Unternehmens ebenso gut im Blick hat wie die Bedürfnisse und Interessen der Belegschaften. 

Attraktivität als Arbeitgeber und nachhaltige Stahlproduktion: Zwei Seiten einer Medaille 

Die Arbeitsbeziehungen in der Stahlindustrie bieten beste Bedingungen, diese komplexen Herausforderungen zu meistern. Diesen Wettbewerbsvorteil teilt die Stahlindustrie mit anderen stark mitbestimmten Branchen. Es transformiert sich einfach besser im Konsens mit den Belegschaften. Transformation ist ein gestaltungsoffener Prozess, der nicht gegen die Beschäftigten möglich bzw. sinnvoll ist. Ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen will, dass ihr Unternehmen sich weiterentwickelt und als attraktiver Arbeitgeber zum Motor der sozial-ökologischen Transformation wird. Wenn es der Stahlindustrie gelingt, ihre Stärken in der beruflichen Bildung und in der mitbestimmten Arbeitsgestaltung zusammen mit den absehbaren Möglichkeiten einer grünen Stahlproduktion in die Recruiting-Schaufenster zu stellen, wäre schon viel gewonnen. 

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