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Siemens Gamesa Renewable Energy

Tarifvertrag: Leuchtturm für die Branche

Der Betriebsrat verteidigt den für die Branche beispielhaften Flächentarifvertrag gegen den steigenden internationalen Wettbewerbsdruck. Ziel ist es, Standards für Gute Arbeit in der aufstrebenden, eher mitbestimmungsfernen Windindustrie zu setzen.

Portrait Nachhaltigkeit

Die Ausgangslage

Siemens Gamesa zählt zu den international führenden Herstellern von Windenergieanlagen. Im Offshore-Bereich ist Siemens Gamesa sogar Weltmarktführer, im Onshore-Bereich gehört das Unternehmen zu den fünf stärksten Windkraftanlagenherstellern weltweit.

Seit über 30 Jahren engagiert sich Siemens in der Windkraftsparte – an Land (Onshore) und auf See (Offshore). Nach dem Kauf der dänischen Bonus Energy A/S im Jahr 2004 und der in Bremen ansässigen AN Windenergie GmbH im Jahr 2005 bündelte Siemens seinen Windkraftbereich zunächst in seinem Tochterunternehmen Siemens Wind Power. Danach baute der Konzern seine Windkraftsparte immer weiter aus und fusionierte schließlich mit dem nordspanischen Windkraftanlagenhersteller Gamesa. Daraus entstand 2017 die Siemens Gamesa Renewable Energy, die seit 2020 Teil von Siemens Energy ist.

Die Siemenstochter verfolgt eine Nachhaltigkeitsstrategie, in deren Mittelpunkt Dekarbonisierung, Recyclingfähigkeit und „Zero-Waste“-Produktion stehen. Ziel ist es, Turbinen bis 2040 und Rotorblätter bis 2030 vollständig recycelbar zu machen, statt sie – wie bisher – beim Sondermüll zu entsorgen. Bis 2040 – und damit zehn Jahre früher als ursprünglich geplant – will es Null-Emissionen erreichen, einschließlich der Emissionen aus der Wertschöpfungskette. Siemens Gamesa ist bestrebt, sich als umweltverträgliches und verantwortungsbewusstes Unternehmen zu präsentieren.

Aber die Unsicherheit beim Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland, die veränderten Auslandsmärkte und ein maßloser Preiskampf im internationalen Wettbewerb machen dem Unternehmen zunehmend zu schaffen. Auch die Mitbestimmungsträger*innen stehen dadurch vor großen Herausforderungen.

Zwei zentrale Handlungsfelder für den Betriebsrat

Seit Jahren ist der Betriebsrat bei Siemens Gamesa mit der unsicheren Lage auf dem deutschen Markt beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und dem ständigen Auf und Ab der Windindustrie konfrontiert. Jahren des Booms folgten seit 2018 bis heute Jahre der Stagnation. Überdies steht Siemens Gamesa in einem zunehmend härter geführten internationalen Wettbewerb. Dieser hat seine Ursache unter anderem darin, dass einzelne Länder die Produktion von Windkraftanlagen stark subventionieren.

Die Windenergie zählt zwar zu den umweltfreundlichsten, saubersten und sichersten Energiequellen. Aber bis heute kommt der Ausbau der Windkraft hierzulande nicht recht voran, während die Branche in anderen Ländern regelrecht boomt. Und trotz der Erleichterungen, die das 2021 reformierte EEG für den Ausbau der Windkraft in Aussicht stellt, sind die Perspektiven für die Branche eher durchwachsen.

Bis 2017 wuchs der Zubau der Windkraft in Deutschland fast kontinuierlich. Ab 2018 ging er dann drastisch zurück und lag 2019 sogar auf dem tiefsten Stand seit der Einführung des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000. Mit 770 Windrädern, die 2020 genehmigt wurden, stieg zwar der Ausbau in Deutschland langsam wieder an. Aber das war immer noch ein Rückgang von 40 Prozent gegenüber 2015.

Ein wesentlicher Grund für diesen Einbruch war das 2017 eingeführte neue Genehmigungsverfahren, insbesondere die Pflicht zum bundesweiten Ausschreiben neuer Windkraftanlagen, aber auch neue Abstandsregeln für die Anlagen an Land. In der Folge lieferten sich die Anbieter einen Preiskampf, bei dem etliche kleinere Unternehmen aus dem Markt gedrängt wurden. Auch fehlende Flächen, zunehmende Klagen von Naturschutzverbänden und Konflikte mit der Luftverkehrssicherung spielten dabei eine Rolle.

Zudem verändert sich das Auslandsgeschäft dramatisch: Gerade bei Offshore-Projekten in Frankreich, Polen, den USA und in Taiwan, aber auch im Bereich Onshore für die Türkei und Russland, gewinnt Local Content – das heißt: Fertigung vor Ort – immer größeren Einfluss.

Wir sollen in vielen Ländern vor Ort Fertigung aufbauen und gleichzeitig billiger werden. Das kneift sich!

Thomas Ahme, Betriebsratsvorsitzender

Nun kommt die Umsetzung der eigenen und gesetzlich vorgegebenen Klima- und Nachhaltigkeitsziele hinzu. Auch die Wasserstofftechnologie soll bei Siemens Gamesa künftig eine wichtige Rolle spielen. Vor Helgoland gibt es bereits eine erste Musteranlage, bei der eine Windkraftturbine mit direkt erzeugtem Wasserstoff angetrieben wird.

Deshalb konzentrierte sich der Betriebsrat in den letzten Jahren vor allem auf zwei Handlungsfelder: In engem Kontakt mit der IG Metall engagiert er sich auf der politischen Ebene für einen verlässlichen, planvollen und stetigen Ausbau der Windkraft und für die finanzielle Unterstützung des ökologischen Umbaus, damit Arbeitsplätze erhalten und dauerhaft gesichert werden können. Und im Unternehmen selbst kämpft er für den Ausbau der Mitbestimmung und die Weiterentwicklung des mit der IG Metall abgeschlossenen Tarifvertrags.

Verstärktes Lobbying ...

So waren Mitglieder des Siemens-Gamesa-Betriebsrats bei dem von der IG Metall bereits 2005 gegründeten Betriebsräte-Netzwerk Windindustrie von Anfang an dabei. Sie nutzen es bis heute zum einen als Anlaufstelle, um Informationen unter Betriebsräten der Branche auszutauschen und zum anderen, um politisch wirksam zu sein.

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Betriebsräte-Netzwerk Windindustrie

Das IG-Metall-Netzwerk Windindustrie agiert als gewerkschaftliche Austauschplattform und branchenpolitischer Treiber für den Ausbau der Windindustrie und für die Rahmenbedingungen eines fairen Wettbewerbs. Es knüpft Kontakte auf politischer Ebene in der Region und im Bund. Seine Mitglieder beteiligen sich an Branchenfachgesprächen, Ausschüssen und Veranstaltungen von Parteien, Wirtschaftsverbänden bis hin zum Bundeswirtschaftsministerium. Sie verstehen sich als „Lobbyisten“ für die Arbeitsplätze in der Windindustrie. Viele ihrer Forderungen zum Ausbau der Erneuerbaren Energien finden sich im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wieder.

... für gute und sichere Arbeit

Der Erhalt der Tarifbindung und der tarifvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen ist den Mitbestimmungsakteur*innen bei Siemens Gamesa nicht allein deshalb wichtig, weil er die Beschäftigten in diesem Auf und Ab der Branche schützt. Der Flächentarifvertrag ist ein Leuchtturm für die gesamte Branche. Seinen Erhalt hatte die Arbeitnehmerseite zur Bedingung gemacht, als Siemens sein Windgeschäft verselbstständigen wollte und es später zum Zusammenschluss mit Gamesa kam.

Das Besondere an ihm: Er setzt Standards, die in der noch relativ jungen, großenteils gewerkschafts- und mitbestimmungsfernen Windbranche beileibe nicht selbstverständlich sind: 35/35,8-Stunden-Woche, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, regelmäßige Einkommenserhöhung.

Zuletzt noch profitierten zahlreiche Beschäftigte aus dem Logistikbereich von den Vorteilen dieses Tarifvertrags, deren Tätigkeitsfeld vor einigen Jahren aus dem Siemens-Konzern aus- und 2021 durch ein Insourcing nach Siemens Gamesa wieder in den Konzern eingegliedert wurde. In dieser Zwischenzeit galt für sie der Haustarifvertrag einer Speditionsfirma mit Arbeitsbedingungen weit unter dem Niveau des Flächentarifvertrags.

Aber die Mitbestimmungsakteur*innen in dem Unternehmen können sich auf der Tarifbindung nicht ausruhen, denn sie beobachten eine zunehmend restriktive Haltung des Unternehmens gegenüber Mitbestimmungs- und Arbeitnehmer*innenrechten. So etwa gelten die bestehenden Tarifverträge für die in der Zwischenzeit übernommenen Teile der früheren Windkraftanlagenhersteller Adwen und Senvion bisher nicht, da diese in eigenständige GmbHs umfirmiert wurden.

Auch zeigt sich häufig, dass die seit Jahrzehnten im Siemens-Konzern etablierte Mitbestimmungskultur zunehmend bei Siemens Gamesa „geschliffen“ und an den am Hauptsitz des Unternehmens in Spanien (Bilbao) geltenden viel schwächeren Mitbestimmungsregelungen ausgerichtet wird. Hier wollen die Betriebsräte gegensteuern und deshalb einen Euro-Betriebsrat gründen.

Für sie bleibt allerdings ein zentrales Dilemma bestehen: Die Bundesregierung möchte zwar die Windkraft weiter ausbauen, aber sie soll immer günstiger angeboten – und damit produziert – werden. Dies hat schon jetzt erhebliche Auswirkungen auf die Fertigungstiefe und die lokale Wertschöpfung. Aber genau bei diesen Themen, die der wirtschaftlichen Mitbestimmung unterliegen, bleiben Betriebsräte außen vor. Für sie stellt sich daher die Frage, was sie tun können, um die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens und der Standorte zu erhalten, ohne dass die Beschäftigten dabei einen zu hohen Preis zahlen müssen.

Du musst noch das Letzte an Produktivität bei den Beschäftigten rausholen, um zu einem bestimmten Kostensatz produzieren und mit den anderen Standorten mithalten zu können. Diesen Spagat müssen wir bewältigen: Wirtschaftlichkeit darf nicht auf Kosten der Beschäftigten, der Umwelt und des Klimas gehen.

Horst Hakelberg, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender

Sie sehen deutlich, wie sehr der Innovationsdruck im Unternehmen steigt. Viele Beschäftigte, vor allem in der Entwicklung, der Fertigung, dem Service und der Installation, müssen sich ständig neu ausrichten. Der Bedarf an Weiterbildung ist daher enorm und die Arbeitsbelastung für viele Beschäftigte nimmt zu. Grundsätzlich geht es dem Betriebsrat darum, für ein innovatives Betriebsklima zu sorgen, das für die vielen jungen Leute im Unternehmen – das Durchschnittsalter der Belegschaft beträgt gegenwärtig 37 Jahre – attraktiv ist.

Kontakt

Thomas Ahme, Betriebsratsvorsitzender

Horst Hakelberg, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender