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Transformation und Mitbestimmung

Anforderungen an Betriebsräte in Zeiten der Digitalisierung

Wie laufen Einführungsprozesse von digitalen Technologien ab? Welche Rollen spielen dabei die Akteure Management, Experten/Technikentwickler und betriebliche Interessenvertretungen? Es gibt arbeitspolitische Handlungsfelder und Gestaltungsmöglichkeiten der betrieblichen Mitbestimmung. Sie zeigen sich in der betrieblichen Praxis. Betriebsräte haben eine sehr wichtige Rolle, wenn sie sich als aktive Gestalter sehen und schon während der Konzeption digitaler Projekte eingebunden werden.

Die Digitalisierung ist Versprechen und Bedrohung zugleich. Sie verheißt Modernisierung von Produktionsweisen, Dienstleistungen und Industrieprodukten und sichert damit Wertschöpfung und Arbeit in Deutschland. Sie kann aber auch für Umbrüche in der Arbeitsorganisation stehen und damit für Arbeitsplatzabbau bzw. schlechtere Arbeits- und Entlohnungsbedingungen sorgen (Falkenberg et.al. 2020). In dieser Abstraktheit bleiben beide Szenarien jedoch für Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen unbefriedigend. Es bleibt unklar, wo und wie sie ansetzen können, um die Digitalisierung auf Ebene der Betriebe zu gestalten. Zwei Dinge sind grundlegend: 1.) Transparenz darüber, welche digitalen Technologien in den Unternehmen bereits eingesetzt werden und 2.) Erkenntnisse, welche Auswirkungen diese konkret auf Arbeitsprozesse, Arbeitsbedingungen, Qualifizierung und Beschäftigungen haben.

In diesem Kapitel werden erste Forschungsergebnisse dargestellt, wie Einführungsprozesse von digitalen Technologien ablaufen und welche Rolle dabei betriebliche Akteure aus dem Management, der Technikentwicklung und den betrieblichen Interessenvertretungen spielen. Zudem werden Handlungsfelder bzw. Gestaltungsmöglichkeiten der betrieblichen Mitbestimmung vorgestellt. Basis dieser Erkenntnisse sind Forschungsergebnisse aus mehreren Forschungsprojekten, die von der Hans-Böckler­-Stiftung gefördert wurden und Bestandteil des Forschungsverbundes „Digitalisierung im Betrieb“ sind.

Ausführlich zum Böckler­-Forschungsverbund Digitalisierung im Betrieb:

Die Betriebslandkarte aus dem Projekt Arbeit 2020 ist ein konkretes Beispiel für den Umgang mit digitalen Transformationsprozessen:

Einführungsprozesse bei digitalen Technologien

Digitale Technologien kommen in den Unternehmen schon seit vielen Jahren zum Einsatz und gehören zum Arbeitsalltag der Beschäftigten. Seit einigen Jahren scheint eine neue Digitalisierungswelle stattzufinden, mit zum Teil neuartigen digitalen Technologien (z.B. „3D-Druck“) bzw. solchen, die den Status der Forschung und Entwicklung verlassen haben und nun in Produktionsprozesse integriert werden (z. B. „Künstliche Intelligenz“). Allerdings zeigen die Befunde der Forschung, dass von einer einheitlichen und flächendeckenden Einführung von „Industrie 4.0­-Technologien“ nicht die Rede sein kann (Falkenberg et.al. 2020; 3). Vielmehr sind bei vielen Unternehmen „Suchbewegungen“ erkennbar. In der Regel verfügen Großunternehmen inzwischen über Digitalisierungsstrategien, während in KMU häufig noch große Unsicherheiten bestehen, inwieweit (und welche) digitale Technologien überhaupt einen Nutzen für die Zukunft des Unternehmens haben. Die Unsicherheit über die richtigen Digitalisierungsansätze ist weit verbreitet, daher werden in aller Regel zunächst nur in einzelnen Unternehmensbereichen neue digitale Technologien eingeführt bzw. Pilotprojekte und ­vorhaben ausgerufen. Eine durchgängige Automatisierung und Digitalisierung der Produktion und der vorgelagerten und nachgelagerten Leistungsprozesse ist nicht erkennbar. Dieses Verhalten ist durchaus betriebswirtschaftlich rational, da sich viele Unternehmen weder besonders große Investitionsvolumina in diese Technologien erlauben können, noch die Qualität und Zuverlässigkeit ihrer Produktionsmethoden gefährden wollen.

Bei allen Unterschieden der eingesetzten digitalen Technologien und Einführungsstrategien lässt sich festhalten, dass die Digitalisierung bislang evolutionär, das heißt schrittweise und in aller Regel aufbauend auf bereits bewährte Produktionstechnologien erfolgt.

Handlungsansätze von Management, Technikentwicklern und Betriebsräten

Interviews in Projekten des Forschungsverbundes „Digitalisierung im Betrieb“ zeigen, dass nicht nur Beschäftigte verunsichert sind, wenn es um die Einführung von digitalen Technologien und deren Folgen für Produktion und Arbeit geht. Gerade auch das Management sucht nach Orientierung, wenn es darum geht, welche technische Lösungen sinnvoll sind und mit welcher Geschwindigkeit sie vorangetrieben werden müssen. Durchweg herrscht auf der Führungsebene in Unternehmen ein hoher Diskussions- und Klärungsbedarf. Dies erhöht erkennbar die Chancen für betriebliche Interessenvertretungen, sich in die Diskussionen mit eigenen Vorstellungen einzumischen (Falkenberg et.al. 2020; 14).

Es führt bislang jedoch nicht dazu, dass Einführungsprozesse von neuen digitalen Technologien in Unternehmen reibungslos verlaufen. Vielmehr zeigt sich, dass diese vom Management nicht richtig vorbereitet werden und die Digitalisierung häufig als singuläres Projekt behandelt wird, ohne zu beachten, welche Strukturen, Bereiche und Schnittstellen außerhalb des unmittelbaren Prozesses betroffen sein könnten. Vielfach fehlen auch bereichs- und hierarchieübergreifende Erkenntnisse und Ansätze. Zudem werden Beschäftigte und Betriebsräte unzureichend vorbereitet und einbezogen – Digitalisierung wird häufig als Top­Down­Prozess verordnet und verfehlt damit die erhofften Effekte.

Auch die Entwicklerinnen und Entwickler der digitalen Technologien – egal ob unternehmensintern oder ­extern – können hier keine Impulse setzen. Anhand der Entwicklung von sogenannten „Wearables“ konnte gezeigt werden, dass deren Zielstellung überwiegend in der Optimierung von einzelnen Arbeitsplätzen besteht und Arbeitskräfte vor allem als potenzielle Fehlerquellen im Arbeitsprozess wahrgenommen werden. Es fehlt eine Herangehensweise, die die Arbeitsorganisation und die innerbetriebliche Arbeitsteilung im Ganzen erfasst. Der Austausch in Richtung Beschäftigte und deren Interessenvertretungen ist häufig sehr begrenzt.

Betriebsräten kommt daher eine eminent wichtige Rolle bei der Einführung von digitalen Technologien zu. Sie können mit ihrem Blickwinkel, ihrer Expertise und ihrer engen Beziehung zu den Beschäftigten viele dieser Einführungsprobleme mildern, wovon auch die Unternehmen profitieren. Allerdings müssen sie dazu eine Handlungsorientierung entwickeln, die man als „aktive Gestaltung“ bezeichnen kann (Falkenberg et.al. 2020; 17). Das bedeutet, dass Betriebsräte schon während der Konzeption und Einführung digitale Projekte bewerten und begleiten müssen (vgl. dieser Beitrag). Die Folgen für die Arbeitsorganisation und die Arbeitsbedingungen müssen dabei immer im Blick behalten werden.

Anforderungen an betriebliche Interessenvertretungen

Betriebsräte, die sich proaktiv mit der Digitalisierung auseinandersetzen, stehen vor neuen Anforderungen an ihre Interessensvertretungsarbeit. Es müssen zum Teil neue Wege eingeschlagen werden:

  • Wissen sammeln und sich vernetzen:
    Betriebsräte müssen ihr Wissen über Entwicklungen im Betrieb verbessern und neue Kompetenzen entwickeln. Dies kann durch externe Beratung, den Austausch mit anderen Betriebsräten und vor allem der Einbindung der Beschäftigten als Expertinnen und Experten ihrer Arbeit erfolgen. Gerade die Beteiligung der Beschäftigten scheint zur Schlüsselfrage zu werden.
  • Gremien und Strukturen weiterentwickeln:
    Betriebsräten wird angeraten, ihre Strukturen an solche anspruchsvollen „Querschnittthemen“ wie die Digitalisierung anzupassen. Als Instrument hierfür können speziell eingerichtete Arbeits- und Projektgruppen genannt werden.
  • Gewerkschaften als Unterstützer einbinden:
    Auch Gewerkschaften können als Berater und Unterstützer in betrieblichen Veränderungsprozessen auftreten. Sie können die Vernetzung der Betriebsräte unterstützen und Zugänge zu Beratungseinrichtungen sicherstellen. In Auseinandersetzungen mit dem Management können sie, falls notwendig und angebracht, Belegschaften mobilisieren und damit Betriebsräten ggf. weitere Handlungsoption sichern.
  • Beziehung zum Management überprüfen:
    Es hat sich gezeigt, dass eine Mischung aus Kooperation und ggf. Konflikt angebracht ist, um Digitalisierungsprojekte erfolgreich zu bewältigen. Die frühzeitige Einbindung von Betriebsräten in diese Prozesse ist eine Voraussetzung dafür. Weitsichtige Unternehmensleitungen werden dies als Vorteil begreifen, weil so zusätzliche Kompetenz genutzt werden kann. Nicht selten wird diese Vorgehensweise aber über Konflikte und Auseinandersetzungen erreicht.
  • Digitale Techniken selbst einsetzen:
    Digitale Techniken können über die übliche Kommunikation (Smartphones, E­Mail etc.) weitreichender für die betriebliche Interessenvertretungsarbeit eingesetzt werden. Dabei geht es nicht nur um die Ansprache von jüngeren und vermeintlich digital affineren Beschäftigten. Es können digitale Instrumente zur systematischen Beteiligung von Beschäftigten genutzt und Abstimmungen, Umfragen usw. effizient organisiert werden.

Dies sind nur einige mögliche neue Ansätze von betrieblicher Interessenvertretungsarbeit, die in unseren Forschungsprojekten identifiziert wurden. Betriebsräte und Gewerkschaften sind aufgerufen, im Sinne der Zukunft der Mitbestimmung weitere Wege und Instrumente zu entwickeln und auszuprobieren.

Literatur
Falkenberg, J./Haipeter, T./Krzywdziniski, M./Kuhlmann, M./Schietinger, M./Virgilito, A. (2020): Digitalisierung in Industriebetrieben. Auswirkungen auf Arbeit und Handlungsansätze für Betriebsräte. Hans-­Böckler­-Stiftung; Forschungsförderung Report Nr. 6, Düsseldorf.