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Crowdworking ist in. Ist die Mitbestimmung out?

Welche Standards müssen für die Dezentralisierung und Externalisierung von Arbeit geschaffen werden? Über Crowdworking und Plattformökonomie diskutieren Dr. Ole Wintermann von der Bertelsmann Stiftung und Dr. Thomas Klebe vom Hugo Sinzheimer Institut.

Frage 20

 

 

Thomas Klebe
© IG Metall

Mitbestimmung schafft soziale und faire Bedingungen für Crowdworker

Dr. Thomas Klebe, Leitung Hugo Sinzheimer Institut

"Die Zahl der Crowdworker im Internet nimmt zu. Klar ist auch Crowdwork wird eine der Beschäftigungsformen der Zukunft sein. Nach einer Studie des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft arbeiten schon heute fast ein Fünftel der deutschen Unternehmen mit Crowdworkern zusammen. Die Bandbreite reicht dabei vom gut bezahlten Spezialisten bis zum digitalen Niedriglohnjob. Was sie gemeinsam haben: Sie kennen keine festen Arbeitszeiten, keinen Kündigungsschutz, keinen Urlaubsanspruch und keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Hier sehen die Plattformbetreiber jedenfalls in Deutschland durchaus auch ihre soziale Verantwortung.

In Deutschland arbeiten die meisten Crowdworker nebenberuflich. Wenn sie hauptberuflich arbeiten, erzielen sie einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge durchschnittlich ein Nettoeinkommen von lediglich 1.500 €. Davon müssen sie ihre Risiken wie Krankheit, Arbeitsausfall und Altersarmut alleine absichern. Ein gutes Leben ist also für viele davon nicht zu gestalten. Zudem muss man genau hinschauen: In einer Reihe von Fällen ist durchaus davon auszugehen, dass Crowdworker nicht Selbstständige, sondern Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit allen Schutzrechten sind. Insgesamt besteht aber Gestaltungsbedarf.

Crowdworker benötigen Mitbestimmungsrechte, um auf Augenhöhe mit den Auftraggebern die Arbeitsbedingungen aushandeln zu können. Diese müssen vielleicht anders ausgestaltet werden als die klassische Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Betrieben. Schon heute stellen Plattformen wie etwa faircrowdwork.org der IG Metall Transparenz her: Crowdworker bewerten hier die Anbieter hinsichtlich der Arbeitsbedingungen bis hin zur Bezahlung. Darüber hinaus muss der Gesetzgeber einen gesetzlichen Rahmen schaffen, die die Anbieter von Crowdwork nicht aus der gesellschaftlichen Verantwortung entlässt: Wie klassische Arbeitgeber sollten sie sich an den gesamtgesellschaftlichen Sozialkosten beteiligen und wie andere Arbeitgeber auch einen Mindestlohn zahlen. Darüber hinaus sind Gewerkschaften gefragt, sich über die Ländergrenzen hinweg abzustimmen. Crowdwork ist international. Erste Netzwerke sind bereits geknüpft."

 

 

Ole Wintermann

Neue Wege bei der Mitbestimmung wagen

Dr. Ole Wintermann, Bertelsmann Stiftung

"Angesichts der Digitalisierung unserer Arbeitswelten ist eine Form der Mitbestimmung nicht etwa ein Auslaufmodell sondern ganz im Gegenteil ein absolute Notwendigkeit. Begünstigend kommt hinzu, dass die jüngere Generation, die heute bereits mit den Anforderungen einer digitalisierten Ökonomie leben muss (befristete Anstellungen, schlechtere Betriebsrenten im Vergleich zu älteren Arbeitnehmern, leistungsabhängige Bezahlungen, internationale Konkurrenz) selbst im höchsten Maße gewohnt ist, Partizipation, Teilhabe, Transparenz und Empathiefähigkeit in digital affinen Jobs und Firmen zu leben und diese Erwartungshaltung auch gegenüber dem Arbeitgeber sehr viel deutlicher als jede Generation zuvor zu äußern.

Beim Versuch, Mitbestimmung neu zu definieren und zu leben, dürfen wir aber nicht der Gefahr anheim fallen, tradierte Instrumente, überholte Prozesse und nicht mehr bei allen Beschäftigten gleichermaßen akzeptierte Institutionen in die Pflicht zu nehmen und als allein maßgeblich für die Mitbestimmung zu betrachten. Aktuelle Debatten zu Holokratie, Unternehmensdemokratie, virtuellen Genossenschaften und fluiden Organisationsformen zeigen, dass wir neue Wege wagen müssen, die jenseits einer durch die Industriegesellschaft geprägten Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Dichothomie verortet sind. Diese neuen Wege haben wir deshalb oft nicht im Blick, weil, wie auch die Diskussion in und um das Weißbuch Arbeiten 4.0 wieder gezeigt hat, wir sehr im nationalen Denken gefangen sind. Damit aber schlagen wir den falschen Weg ein. Digitalisierung kennt meistens keine nationalen (Denk-) Grenzen."

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