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Erfolgsfaktoren für die Mitgestaltung

Die Transformation vom Betrieb aus denken

Was brauchen Mitbestimmungsakteur*innen aus der Automobilzulieferindustrie, um sozial-ökologische Transformationsprozesse im Betrieb frühzeitig und wirksam mitzugestalten? Im Projekt hat man einige Antworten gefunden.

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Förderlinie Transformation: Wir bringen wissenschaftliche Expertise und gute Praxis zusammen – betrieblich, regional, lösungsorientiert.

Die Automobilindustrie steht vor enormen technischen Umbrüchen – und damit die von ihr abhängige Zulieferindustrie. Auch das Automotive-Unternehmen auf das hier Bezug genommen wird, steht mit seinen zwei Betrieben in Baden-Württemberg und Thüringen mit jeweils rund 900 Beschäftigten vor großen Herausforderungen.

Das Projekt „Die Transformation vom Betrieb aus denken“ ist ein Projekt im Rahmen der Förderlinie Transformation. Es greift auf Erkenntnisse aus einer früheren, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Fallstudie bei einem Scheinwerferzulieferer für die Automobilindustrie zurück. Daraus hat sich eine langjährige Zusammenarbeit des Betriebsrats mit der IG Metall, dem Beratungsunternehmen Wert. Arbeit und dem Tübinger Rechtsanwalt Detlef Ernst entwickelt.

Hier treffen neue Anforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit von Prozessen und Produkten, weitereichende Digitalisierungserfordernisse, eine veränderte Unternehmensstruktur und der steigende internationale Wettbewerbsdruck aufeinander.

Genau genommen befindet sich das Unternehmen aktuell in einer doppelten Transformationssituation: Einerseits steht es vor der Aufgabe, sich den technologischen Veränderungen in der Automobilindustrie anzupassen. Dabei spielt hier weniger die Umstellung auf Elektromobilität eine Rolle. Die zentrale Herausforderung besteht vielmehr darin, die Anforderungen zu bewältigen, die aus der fortschreitenden Automatisierung der Fahrzeuge und der damit einhergehenden forcierten Digitalisierung erwachsen. Andererseits sieht sich der Automobilzulieferer gefordert, die Ansprüche und Erwartungen aus dem private-equity-getriebenen Besitzerwechsel, dem Zusammenschluss mit einem weiteren Unternehmen der Autozulieferindustrie und der neuen Unternehmensführung einschließlich ihrer Transformationsstrategie zu erfüllen.

Der Automobilzulieferer, der in dem Projekt im Fokus steht, ist seit Jahren führend auf dem Gebiet hochwertiger Automotive-Produkte. Das Unternehmen wurde 1999 als Joint Venture eines italienischen Automobilkonzerns und eines deutschen Automobilzulieferers gegründet und 2019 mit einem japanischen Automobilzulieferkonzern (hinter dem als Eigentümer ein US-Finanzinvestor steht) verschmolzen. Heute firmiert es als Teil einer internationalen Unternehmensgruppe. Der Hauptsitz der Unternehmensgruppe befindet sich in Japan, das Management ist international aufgestellt. Seine Entscheidungsträger operieren vornehmlich aus den USA und aus Italien heraus.

In Baden-Württemberg (Hauptsitz der deutschen GmbH) betreibt das Unternehmen einen Entwicklungsbetrieb mit rund 840 Beschäftigten, in Thüringen einen Fertigungsbetrieb mit rund 900 Beschäftigten. Das Werk in Thüringen soll Ende März 2024 geschlossen werden. Die IG Metall konnte dort zusammen mit dem Betriebsrat einen Sozialtarifvertrag mit Abfindungen durchsetzen. Der Entwicklungsbetrieb in Baden-Württemberg soll weiter zu einem international führenden Betrieb für modernste Lichttechnik und Sensorik ausgebaut werden.

Die Situation „schreit“ geradezu nach neuen Geschäftsideen, Produkt- und Prozessinnovationen und einem Empowerment der Beschäftigten, damit diese sich in das Transformationsgeschehen kreativ und konstruktiv mit Hilfe von Weiterbildung und Beteiligungsstrategien einbringen können.

Doch das Management setzte erst einmal auf herkömmliches Krisenmanagement: auf eine rigide Sparpolitik verbunden mit einer drastischen Arbeitsverdichtung. Vor allem im Bereich der Personalwirtschaft sollten die Kosten gesenkt werden. So konfrontierte die Geschäftsführung des Entwicklungsbetriebs in Baden-Württemberg den Betriebsrat bereits 2020 mit der Absicht, ein knappes Drittel der dortigen Belegschaft abbauen zu wollen. Zur gleichen Zeit verbreiteten sich im Fertigungsbetrieb Thüringen erste Gerüchte, dass dem Standort eine schwierige Zukunft bevorstünde, da die Auftragsbücher ab 2025 leer seien.

Wir sahen uns in weiten Teilen einem schwammigen lokalen Management gegenüber, mit Kommandostrukturen, die ihre Wurzeln im Ausland hatten. Wir erlebten mitunter organisierte Verantwortungslosigkeit.

Rolf Plake

Diese Situation veranlasste die Betriebsräte aus beiden Betrieben, gemeinsam mit der IG Metall, an einer proaktiven Strategie zur Standort- und Beschäftigungssicherung zu arbeiten. Dabei galt es zunächst, betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Standorte vom Management nicht gegeneinander ausgespielt werden konnten.

Tarifabweichung als Druckmittel

Im Entwicklungsbetrieb in Baden-Württemberg hatte das Management bereits angedeutet, dass es zu Verhandlungen bereit sei, sofern die Arbeitnehmerseite einem Sparbeitrag der Beschäftigten – konkret: einer Tarifabweichung entsprechend dem bestehenden Ergänzungstarifvertrag in Form eines anteiligen Verzichts auf Bestandteile von Sonderzahlungen – zustimmen würde. Auch von den Führungskräften erwartete es ein finanzielles Entgegenkommen. Trotz erheblicher Bedenken und in der dezidierten Absicht, dem Konzern keinen Vorwand zu liefern, Verhandlungen zu blockieren, verständigen sich IG Metall und Konzernbetriebsrat – auch auf Rat der einbezogenen Berater*innen – mit dem Arbeitgeber auf einen solchen „Deal“. Sie waren sich allerdings einig, von ihm dafür einen hohen Preis zu verlangen.

Die Idee war, eine Konzernbetriebsvereinbarung einzufordern – einen „Zukunftspakt“ mit dem Arbeitgeber –, um in beiden Betrieben ein von der Arbeitnehmerseite mitentwickeltes Zukunftskonzept auf den Weg und insbesondere Innovationen voranzubringen und Beschäftigung zu sichern. Außerdem sollten die Mitbestimmungsakteur*innen genauso wie die Beschäftigten stärker mitgestaltend in die Transformation eingebunden werden. Dafür verlangten sie zusätzliche Mitspracherechte.

Nach wochenlangen Verhandlungen mit dem Management auf allen Unternehmensebenen, die begleitet waren von Aktivitäten aus beiden Belegschaften, um den Verhandlungsdruck auf das Management zu erhöhen, gelang es ihnen schließlich 2022, einen solchen „Zukunftspakt“ durchzusetzen.

Im Nachhinein sind wir sehr froh, dass wir die Mitbestimmung im Unternehmen für proaktives Handeln nutzen konnten. Es gelang uns, frühzeitig in die Pläne der Arbeitnehmerseite eingebunden zu werden. Das ermöglichte es uns, gerade was den Betrieb in Baden-Württemberg betraf, konkrete Vorschläge zur Zukunftssicherung bereits zu einem Zeitpunkt zu entwickeln, als sich die Geschäftsleitung noch hinter vagen Andeutungen versteckte. Auch war von einer möglichen Betriebsschließung in Thüringen noch nicht die Rede. Niemand aus dem Management traute sich, etwas zu sagen. Man zeigte sich zwar gesprächsbereit – aber nur unter der Voraussetzung, dass die Beschäftigten einem Einsparbetrag zustimmen würden. Die Arbeitnehmerseite dagegen wollte endlich Klarheit haben, um handeln zu können. Deshalb rieten wir zu Verhandlungen, selbst wenn ein materielles Entgegenkommen der Beschäftigten unabwendbar sein würde. Wir alle waren uns allerdings sicher, dass wir dafür vom Arbeitgeber einen hohen Preis einfordern konnten, da die Belegschaft beider Betriebe dieses Hinhalten satthatte und bereit war, zu kämpfen.

Projektleiter Rolf Plake

Erweiterte Mitspracherechte als Basis für Mitgestaltung

Kernstück ist zum einen der Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bis Ende 2024 und zum anderen eine erweiterte Mitsprache der Betriebsräte im Rahmen eines paritätisch besetzten Steuerkreises im Betrieb in Baden-Württemberg und einer neuen Dialogform mit dem Arbeitgeber – „strategischer Dialog“ – im Betrieb in Thüringen.

Überdies erreichte die Arbeitnehmerseite durch ihr geschlossenes Vorgehen, dass die Beschäftigten an beiden Standorten unter anderem durch neue Arbeitsformen und Qualifizierungen intensiver und direkter am betrieblichen Transformationsgeschehen beteiligt werden.

Gleichzeitig gelang es den Arbeitnehmervertreter*innen, ihre Position im Unternehmen deutlich zu stärken. Durch ihr fachliches Wissen und ihre Innovationskompetenz, die sie sich notwendigerweise aneignen mussten, um im paritätischen Steuerkreis beziehungsweise im „strategischen Dialog“ mit dem Management wirkungsmächtig agieren zu können, waren sie in der Lage, eigene beschäftigungsrelevante Vorschläge zu entwickeln und gegenüber dem Management zu vertreten. Während dieses noch zögerte und abwiegelte, präsentierten sie sich bereits als „Macher“ und forderte Initiativen für innovative Produkte und Geschäftsfelder – und damit auch für eine neue Qualität der Arbeit – ein. Damit verschaffte sich die Arbeitnehmerseite zugleich hohe Anerkennung unter den internen Experten im Unternehmen – Ingenieuren, leitenden Angestellten, fachlichen und organisatorischen Berater*innen –, von denen sich viele durchaus kooperativ zeigten. Deren Einbeziehung half ihr nicht nur dabei, spezielles betriebliches Wissen zu akquirieren, um die Standorte zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Durch die Beteiligung und Mobilisierung unterschiedlicher Beschäftigtengruppen – später auch der regionalen Öffentlichkeit – gelang es ihr gleichzeitig, neue Machtressourcen zu erschließen.

Wichtige Lernprozesse durchlaufen

Faktisch konnten bisher im Entwicklungsbetrieb in Baden-Württemberg notwendige Innovationen vorangetrieben und viele Arbeitsplätze – unter anderem durch Integration eines externen Dienstleisters – gesichert werden. Auch gelang es, für den Fertigungsbetrieb in Thüringen neue Perspektiven zu entwickeln. Sie reichten jedoch nicht aus, den Arbeitgeber davon zu überzeugen, an dem Standort festzuhalten, nachdem klar war, dass ein für das Werk in Thüringen essenzieller Auftrag eines Automobilkonzerns endgültig wegfallen würde.

Auch die massiven Proteste aus der Belegschaft und der regionalen Öffentlichkeit änderten daran nichts. Sie trugen aber wesentlich mit dazu bei, einen Sozialtarifvertrag mit ordentlichen Abfindungen durchzusetzen. Die Entscheidung des Konzerns war sicherlich auch dessen prekärer Gesamtsituation geschuldet, die unter anderem mit einem vorinsolvenzlichen Verfahren in Japan zusammenhängt.

Die im Projekt erarbeitete Handlungshilfe ist dennoch ein wichtiges Werkzeug für betriebliche Akteur*innen, da es aus den in beiden Betrieben gewonnenen Erkenntnissen – positiven wie negativen – Hinweise geben kann, was eine frühzeitige, beteiligungs- und arbeitnehmerorientierte Transformationsstrategie in einem Unternehmen bewirken kann. Gleichzeitig schärft sie den Blick für die Hürden und Grenzen der Mitgestaltung von betrieblichen Transformationsprozessen im Interesse der Beschäftigten, die möglicherweise auf anderen Handlungsebenen und -plattformen künftig stärker ausgefochten werden müssen. Nachfolgend die wichtigsten Essentials.

Erfolgsfaktoren für die Mitgestaltung betrieblicher Transformationsprozesse

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Mitgestaltung betrieblicher Transformationsprozesse im Interesse der Beschäftigten ist – nach den Erkenntnissen des Projekts – die frühzeitige Analyse der Gesamtsituation des Unternehmens und der betroffenen Standorte mit Blick auf die Folgen für die Beschäftigten. Sie ist die Basis dafür, klare Ziele und eine darauf bezogene (proaktive) Handlungsstrategie entwickeln zu können. Es empfiehlt sich deshalb, in eine solche Analyse viel Know-how auch von internen Sachverständigen und externe Berater*innen einfließen zu lassen und die Situationsklärung als gemeinsamen Prozess zu organisieren.

Im vorliegenden Fall wandten sich die Betriebsräte bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt an die IG Metall und an interne (Arbeitnehmervertreter im Wirtschaftsausschuss, sachkundige leitende Angestellte) und externe Sachverständige (Beratungsunternehmen, Rechtsanwälte), als das Management sich noch hinter vagen Andeutungen versteckte und erste Gerüchte über bevorstehenden Arbeitsplatzabbau die Runde machten.

Das brachte ihnen einen zeitlichen Vorsprung, um die Situation im Unternehmen in Ruhe und ohne akuten Handlungsdruck zu analysieren. Dafür nutzten sie Betriebsratsklausuren und Seminare zusammen mit der IG Metall und externen Berater*innen. Erst einmal ging es darum, sich gegenseitig zu informieren und mithilfe von Branchenanalysen und Erkenntnissen aus vorherigen Beratungsprojekten auf den gleichen Wissensstand zu bringen.

Wenn die Geschäftsführung zu zögerlich ist, eine eigene Transformationsstrategie zu entwickeln, sollten Mitbestimmungsakteur*innen nicht abwarten, bis der Arbeitgeber seine Pläne vorlegt, sondern selbst aktiv werden und eigene Impulse setzen.

Im Fall der beiden Werke des Automotive-Unternehmens bot es sich an, Paragraf 92a Betriebsverfassungsgesetz proaktiv zu nutzen, da bereits seit 2020 Gerüchte über einen Arbeitsplatzabbau an beiden Standorten im Umlauf waren. Paragraf 92a Betriebsverfassungsgesetz räumt Betriebsräten ein starkes Mitbestimmungsrecht ein. Er gibt ihnen die Möglichkeit, „dem Arbeitgeber Vorschläge zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung“ zu machen, die dieser zwingend mit ihnen beraten muss.
Nach einer intensiven Situationsanalyse auf der Basis der vom Arbeitgeber eingeholten Informationen, aber auch von Branchenanalysen und Expertengesprächen stand der Betriebsrat vor der Aufgabe, eigene Ziele hinsichtlich der betrieblichen Transformation zu definieren und eine entsprechende Zukunftsstrategie auszuarbeiten, um diese Ziele zu erreichen. In diesen Ziel- und Strategiefindungsprozess bezog der Betriebsrat neben der IG Metall und den Berater*innen auch die Beschäftigten frühzeitig und direkt ein. Mithilfe von Workshops und extra dafür ausgebildeten Moderator*innen sollten sie ihre Ideen einbringen können und bereits entwickelte Vorstellungen verfeinern helfen. Die Einbeziehung der Beschäftigten in die Ausgestaltung des Zukunftskonzepts war zudem wichtig, um im Verhandlungsprozess mit dem Arbeitgeber gegebenenfalls Druck „von unten“ auszuüben zu können.

Ein weiterer Faktor, um als Betriebsrat betriebliche Transformationsprozesse erfolgreich mitgestalten zu können, ist, nach den Erkenntnissen des Projekts, die Stärkung der Solidarität in der Belegschaft.

Im vorliegenden Fall war die Gefahr groß, dass der Entwicklungsstandort in Baden-Württemberg gegen den Fertigungsbetrieb in Thüringen vom Management ausgespielt würde, um der Arbeitnehmerseite größere materielle Zugeständnisse abzutrotzen. Dem beugte diese vor, indem sie beschloss, hauptsächlich auf der Konzernebene – und damit seitens des Konzernbetriebsrats – mit der Arbeitgeberseite zu verhandeln. Auf dieser Ebene wurde dann auch der „Zukunftspakt“ mit weitreichenden Mitspracherechten für die Arbeitnehmervertreter*innen vereinbart.
Er bildete die Grundlage, um eine von der Arbeitnehmerseite mitgetragene Vorwärts- und Zukunftsstrategie für beide Standorte zu entwickeln.

Die so entfaltete Solidarität bewährte sich vor allem, als absehbar war, dass der Fertigungsstandort in Thüringen nicht mehr zu halten war. In beiden Betrieben kam es zu Widerstandsaktionen gegen die Werkschließung. Dieser gemeinsame Protest entwickelte sich für den Betriebsrat zuletzt zu einer starken Machtressource und bestärkte ihn, diesen Konflikt in die Öffentlichkeit zu tragen und in der Region Ansprechpartner und Bündnispartner zu gewinnen, die den Kampf um den Erhalt des Standorts unterstützten.

Die im „Zukunftspakt“ vereinbarten neuen Mitspracheformen (paritätischer Steuerkreis beziehungsweise „strategischer Dialog“) ermöglichten es den Arbeitnehmervertreter*innen, weitergehende Informationen einzuholen und sich an konkreten Investitionsentscheidungen, am Ideenmanagement und auch an der Bearbeitung von Qualifizierungsbedarfen zu beteiligen. Sie nutzten diese, um zusammen mit den Beschäftigten und den externen Berater*innen für beide Betriebe konkrete Vorschläge für ein Zukunftskonzept einschließlich Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung und Standortentwicklung zu erarbeiten und dem Arbeitgeber zur Beratung vorzulegen.

Die von ihnen entwickelte Vorwärts- und Zukunftsstrategie fußt auf einer differenzierten, auf drei Säulen basierenden Zukunftsperspektive für das thüringische Fertigungswerk und einen 13 Punkte umfassenden Transformationskatalog für die Zukunftsgestaltung des Entwicklungswerks. Das Drei-Säulen-Konzept sah vor, beide Betriebe stärker miteinander zu verzahnen und damit zugleich zu stabilisieren. Dazu wurden wechselseitige Besuche der Beschäftigten aus den beiden Standorten organisiert. So konnte praktische Solidarität gelebt werden.

Das beste Zukunftskonzept läuft ins Leere, wenn es am Willen mangelt, es umzusetzen. Eine wichtige Voraussetzung ist daher, handlungsfähige Entscheidungsträger sowohl auf der Arbeitnehmer- wie auf der Arbeitgeberseite zu haben.

Im Fallbeispiel des Automotive-Unternehmens zeigte sich hier eine enorme Schwachstelle. Die auf einer Matrixorganisation fußende Unternehmensstruktur berechtigte das lokale Management nur begrenzt, Transformationsentscheidungen zu treffen. Die eigentlichen Entscheidungsträger saßen in den USA, in Italien und Japan. Auch hier erwies es sich als ein strategisch guter Schachzug der Arbeitnehmerseite, Verhandlungen nicht mit dem lokalen Management zu führen, sondern auf die Konzernebene zu verlagern und regelmäßige (quartalsmäßige) Boardgespräche zwischen dem konflikterfahreneren Konzernbetriebsrat und dem für Europa zuständigen CEO zu verabreden.

Die sozial-ökologische Transformation ist für die meisten Unternehmen ein komplexes Unterfangen. Die fortschreitende Globalisierung, der Klimawandel, die forcierte Digitalisierung und der demografische Wandel zwingt sie zu unterschiedlichen Anpassungsmaßnahmen innerhalb eines engen Zeitfensters. Auch die Mitbestimmungsakteur*innen sehen sich damit vor starke und diverse Herausforderungen gestellt. Die Transformation betrieblich mitzugestalten setzt nicht nur voraus, Risiken für die Beschäftigten rechtzeitig zu erkennen, sondern auch eigene Ideen und Initiativen zu entwickeln, um mitzuhelfen, ein Unternehmen zukunftsfähig zu machen, Beschäftigung zu sichern und gute Arbeitsbedingungen zu erhalten. Daher ist es für sie unabdingbar, Fach- und Innovationskompetenz aufzubauen.

Dies hatten auch die Mitbestimmungsakteur*innen im beobachteten Unternehmen erkannt und deshalb schon frühzeitig externe Berater*innen mit ins Boot geholt, um eine proaktive Handlungsstrategie auszuarbeiten. Gleichzeitig sprachen sie interne Expert*innen in den beiden Betrieben an, um sich zu informieren und mehr über die Situation des Unternehmens und die Risiken für die Belegschaften zu erfahren: Mitglieder des Wirtschaftsausschusses, Ingenieure, leitende Angestellte. Überdies sahen sie die Notwendigkeit, auch technische Kompetenz einzuholen, um eigene Ideen zu entwickeln, mit denen Innovationen in den Kerngeschäften Lichttechnik und Sensorik, die beide Standorte verbanden, vorangebracht werden konnten. Dazu nutzen sie ebenfalls die Gespräche mit den externen Berater*innen und den internen Sachverständigen und nahmen ferner an fachlichen Qualifizierungen teil.

Dies alles brachte sie schließlich in die Lage, das bis dahin verteilte Know-how zu bündeln und es in ein auf drei Säulen basierendes Zukunftskonzept einfließen zu lassen, auf dessen Grundlage die beiden Betriebe neu ausgerichtet, miteinander verzahnt und stabilisiert werden sollten. Damit wollten sie Voraussetzungen schaffen, um zum einen über neue Anwendungsfelder der automobilen Welt – wie assistiertes beziehungsweise autonomes Fahren – und damit über neue Produkte – beispielsweise die Entwicklung von neuer Software – zu beraten und zum anderen neue, den Innovationen entsprechende betriebliche Prozesse anzustoßen. Agile Arbeitsformen, abteilungsübergreifendes Handeln und partizipative Entscheidungsprozesse etwa sollten nicht nur für eine neue Qualität der Arbeit sorgen, sondern auch innovative und kreative Potenziale in beiden Belegschaften freisetzen.

Um Transformationsprozesse mitgestalten zu können, reicht es nicht, eine gute Idee oder ein gutes Zukunftskonzept zu entwickeln. Mitbestimmungsakteur*innen müssen ihre Vorschläge auch in den Dialog mit dem Arbeitgeber einbringen, in Entscheidungsprozessen durchsetzen und schließlich in die Praxis umsetzen. Sie müssen also strategiefähig sein, ihre fachliche und organisatorische Kompetenz nutzen und Machtressourcen aufbauen, um Verhandlungs- und Aktionsdruck zu erzeugen. Dies verlangt von ihnen ein vielschichtiges Agieren.

Im Entwicklungsbetrieb in Baden-Württemberg ging es darum, verteiltes Wissen aus den Belegschaften und von externen Berater*innen zu aktivieren, zu bündeln und zu einem realisierbaren Zukunftskonzept zu verschmelzen. Die Betriebsräte waren in diesem Prozess nicht nur Moderatoren, die dialogfähig sein mussten, um Beschäftigte, das Management und Expert*innen einzubinden. Mit der Etablierung eines paritätischen Steuerkreises beziehungsweise „strategischen Dialogs“ mit dem Management beziehungsweise Arbeitgeber waren sie auch Organisatoren des Transformationsgeschehens. Das Know-how bezogen sie aus ihrer Erfahrung, aber auch aus Seminaren und den Expertengesprächen. „Aber immer auch waren die Betriebsräte gefordert, flexibel zu handeln, in Kreisläufen zu denken“, berichtet Rolf Plake. „Ständig auftauchende Defizite bei der Analyse mussten sie durch Informationsbeschaffung ausgleichen; entsprechend den neuen Erkenntnissen mussten sie ihre Ziele und Strategie ständig hinterfragen beziehungsweise anpassen. Auch ihre Rolle veränderte sich laufend: Mal waren sie der Good Cop, mal der Bad Cop in den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber.“

Strategisches Vorgehen setzt auch bestimmte Rahmenbedingungen voraus. Das Betriebsverfassungsgesetz gibt einen Handlungsrahmen vor. Aber alle Mitbestimmungsakteur*innen müssen auch Zeit haben und qualifiziert sein, um eine aktive Rolle einnehmen zu können. Das setzt bei den Betriebsräten entsprechende Freistellungen voraus. Ebenfalls notwendig ist, die Arbeitsteilung innerhalb des Betriebsrats so zu verändern, dass niemand überlastet ist. Auch sollte innerhalb des Gremiums ein Projektmanagement eingerichtet werden – mit Prozessmanagern, die immer wieder Ist- und Soll-Situationen abgleichen. Überdies ist es notwendig, externe und interne Unterstützungsstrukturen aufzubauen, um insbesondere fachliche Expertise und juristischen Beistand zu sichern. Und nicht zuletzt gilt es, lokale beziehungsweise regionale Machtressourcen zu erschließen: Kontakte zu den Medien, zur Politik, zu den Betriebsräten aus anderen Unternehmen beziehungsweise Branchennetzwerken, unterschiedlichen Gewerkschaften und gesellschaftlichen Institutionen zu pflegen. Das wurde im Fertigungsbetrieb vor allem ab dem Zeitpunkt wichtig, als klar wurde, dass der Standort in Thüringen geschlossen werden sollte.

Das endgültige Aus des Betriebs in Thüringen zeigt aber auch: Die Mitgestaltung betrieblicher Transformationsprozesse hat ihre Grenzen. „Wir sahen uns in weiten Teilen einem schwammigen lokalen Management gegenüber, mit Kommandostrukturen, die ihre Wurzeln im Ausland hatten. Wir erlebten mitunter organisierte Verantwortungslosigkeit“, resümiert Projektleiter Rolf Plake seine Erfahrungen aus dem Projekt. „Die Mitbestimmung hat enorme Stärken, die wir im Fall der betrieblichen Gestaltungsaufgaben und zur Generierung von Ideen sehr gut nutzen konnten. Sie hat aber ihre Schwächen, wenn es um unternehmerische Entscheidungen geht, die die Geschäftsfelder und Produkte eines Unternehmens betreffen.“ Dennoch ist aus seiner Sicht die Transformation auf vielen Feldern im Interesse der Beschäftigten gestaltbar. „Man kann etliche Themen diskutieren, aber eben ausgestalten kann man sie nicht in eigener Regie. Jedes Handeln des Betriebsrats kann aber mehr Transparenz und Klarheit in der Belegschaft schaffen: Du bist Mitakteur*in, auch wenn du nur kleine Hebel in der Hand hast. Und selbst wenn du nicht alles erreichen kannst, lohnt es sich weiterzukämpfen, statt alles hinzunehmen. Denn du machst Erfahrungen, die dich kreativer, reflektierter und solidarischer und insgesamt stärker und mutiger machen – für die nächste Auseinandersetzung im Betrieb.“

Ansprechpersonen des Projektes 

Projektleiter: Rolf Plake 
Projektbearbeitung: Melissa Gabriel 

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Förderlinie Transformation

Digitale Transformation, Klimawandel, Energiekosten - Es gibt viele Treiber von Transformationsprozessen. Folgen für die Arbeitswelt sind u.a. ein hoher Veränderungsdruck auf allen Seiten, in Betrieben, Branchen und Regionen. Im Zentrum der neuen Förderlinie Transformation steht daher: Wir entwickeln sehr konkrete Projekte gemeinsam mit Praxispartner*innen und etablieren eine schnelle Entscheidungsfindung über die Förderung. Wir bringen konkrete aktuelle Herausforderungen in der Praxis von Betriebs- und Personalräten mitbestimmter Unternehmen und Organisationen mit wissenschaftlicher Expertise zusammen – betrieblich, regional, lösungsorientiert.