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50Hertz

Ideenschmiede für die Energiewende

Um Beschäftigte für nachhaltige Innovationen und attraktive Arbeitsbedingungen im Unternehmen zu gewinnen, setzt der Betriebsrat auf beteiligungsorientierte Arbeitsformen.

Portrait Nachhaltigkeit

50Hertz ist einer von vier Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland und betreibt das Höchstspannungsstromnetz (220 kV und 380 kV) mit einer Systemlänge von heute rund 10.500 Kilometern. Das Unternehmen versorgt mit seinen etwa 1.300 Beschäftigten indirekt mehr als 18 Millionen Menschen mit Strom. 50Hertz ist tarifgebunden, verfügt über einen verbandsgebundenen Tarifvertrag mit Branchenorientierung und praktiziert eine lebendige Mitbestimmungskultur.

Der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz mit Sitz in Berlin ist aus der VEAG hervorgegangen, in der das ostdeutsche Übertragungsnetz (VEK Verbundnetze Energie) nach der Wiedervereinigung aufgegangen war. VEAG, Laubag, HEW und Bewag fusionierten 2002 zur Vattenfall Europe AG (VE). Da die VE entlang der Wertschöpfungskette aufgestellt war, wurde im selben Jahr aus der VEAG das Übertragungsnetz in eine eigenständige GmbH ausgegliedert und firmierte als Vattenfall Europe Transmission GmbH (VE-T) als Business Unit im VE-Konzern. Nach 2006 wurden die Übertragungsnetze von HEW und Bewag in die VE-T integriert. Aufgrund rechtlicher Entflechtungsvorgaben trennte sich Vattenfall nach 2008 allerdings von der Sparte und verkaufte diese 2010 – umfirmiert in die 50Hertz Transmission GmbH – an den belgischen Netzbetreiber Elia System Operator und den australischen Infrastrukturfonds Industry Fonds Management (IFM). 2018 übernahm die Förderbank KfW die IFM-Anteile.

Ausgangslage

„Von 60 auf 100 bis 2032“ – so lautet das strategische Ziel von 50Hertz. In seinem Netzgebiet im Osten Deutschlands einschließlich Berlin und im Raum Hamburg möchte das Unternehmen die Stromnachfrage bereits 2032 zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien decken. Das verlangt von ihm, den Netzausbau zu beschleunigen, zusätzlich erneuerbare Kapazitäten einzubinden und zugleich den Stromanteil aus den zentralen Kohle- und Gaskraftwerken zu senken sowie die technologischen Fähigkeiten zu verbessern, um ein solches Netz sicher steuern und optimal auslasten zu können.

Die große Herausforderung des Unternehmens besteht im forcierten Ausbau des Übertragungsnetzwerks entsprechend den politischen Zielen der Bundesregierung und dem Energiewirtschaftsgesetz bei gleichzeitig steigendem Strombedarf. Auch hat sich 50Hertz vorgenommen, den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur zu unterstützen.

Geht es nach den Plänen der neuen Bundesregierung, die Chemische Industrie, die Schwerindustrie und die Automobilindustrie bis 2030 weitgehend zu dekarbonisieren, dürfte sich der Bedarf an Strom gegenüber 2018 verdoppeln.

50Hertz sieht deshalb gigantische Aufgaben beim Netzaufbau auf sich zukommen. Zum einen geht es darum, den Ausbau des Übertragungsnetzwerks zu beschleunigen und weitere Erneuerbare-Energien-Potenziale an Land und auf See zu erschließen. Dies lässt sich allerdings nur dann realisieren, wenn es in der Bevölkerung eine breite Akzeptanz für den Netzausbau über Land und für den Ausbau Erneuerbarer Energien – insbesondere Fotovoltaik und Windkraft, Onshore wie Offshore – gibt.

Zum anderen muss das Unternehmen die Voraussetzungen schaffen, um einen höheren Anteil an Erneuerbaren Energien durch die Netze schleusen zu können. Dafür werden nicht nur längere und robustere Übertragungsleitungen, sondern auch eine Reihe neuer Umspannwerke und Schaltanlagen zur Intensivierung des Stromaustausches zwischen verschiedenen Netzen und zur Sektorkopplung benötigt.

Nicht zuletzt muss 50Hertz die Digitalisierung im Unternehmen vorantreiben und sein neues modulares Netzleitsystem ausbauen, um die Möglichkeiten moderner Mess- und Regeltechnik stärker ausschöpfen und dadurch eine stabile Stromversorgung über 24 Stunden, sieben Tage die Woche und an 365 Tagen im Jahr sicherstellen zu können.

Betriebsrat agiert nicht im luftleeren Raum

1990 stand das Übertragungsnetz in Ostdeutschland am Beginn eines dramatischen Schrumpfungsprozesses, der sich auch in der Anzahl der Beschäftigten bei der VEAG widerspiegelte: Von damals ungefähr 3.600 ging es runter auf 613 Beschäftigte Ende 2002. Erst mit dem zunehmenden Gewicht der regenerativen Energien für die Stromgewinnung begann für 50Hertz der Aufschwung – wirtschaftlich und personell. Mittlerweile befindet sich das Unternehmen in einer Phase, in der es pro Jahr rund 100 neue Mitarbeiter*innen einstellt. Daran hat der Betriebsrat erheblichen Anteil.

Als Betriebsrat agiert man nicht im luftleeren Raum. Wir haben uns von Anfang an in die Debatte über eine Energiewende eingemischt – sowohl auf der Ebene der Politik als auch innerhalb unserer Gewerkschaft, der IG BCE.

Dr. Lutz Pscherer, Gesamtbetriebsratsvorsitzender

Der Betriebsrat von 50Hertz will den Dialog mit Politik und Gesellschaft intensivieren, damit es gelingt, weitere Erneuerbare-Energien-Potenziale an Land und auf See zu erschließen. Er hat sich von Anfang an in die politische Debatte über eine Energiewende eingemischt: beim energiepolitischen Frühstück der SPD genauso wie beim Wirtschaftsrat der CDU, als es beispielsweise um die Novellierung des Energiewirtschaft-Gesetzes und der Anreizregulierungsverordnung, um den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren und den Ausstieg aus der fossilen Energie ging. Auch gegenüber der IG BCE und gegenüber dem Gesetzgeber und den Behörden hat er seinen Standpunkt vertreten, selbst wenn das nicht immer einfach war.

Heute sieht sich der Betriebsrat in der Verantwortung, das Unternehmensziel „von 60 auf 100 bis 2032“ mitzutragen und umsetzen zu helfen. Hierfür möchte er ebenfalls alle ihm gegebenen Möglichkeiten in der Öffentlichkeit wie auch innerhalb des Unternehmens nutzen.

Was dem Betriebsrat aktuell Kummer bereitet, sind fehlende Stromspeicher. Hierfür müsste die Politik dringend die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. 50Hertz verfügt zwar über ein großes Angebot an regenerativer Energie, das insbesondere durch weitere Offshore-Plattformen auf der Ostsee noch ausgeweitet werden könnte. Aber es mangelt an Speichermedien.

Sorgen bereiten dem Betriebsrat auch die Verbraucher*innen. Nicht nur, dass sie den Ausbau insbesondere von Wind- und Fotovoltaikanlagen sowie von Übertragungsleitungen stärker unterstützen sollten, damit sie selbst mehr grünen Strom beziehen können. Sie werden künftig auch ihr Konsumverhalten umstellen und Energie nicht nur aus Kosten-, sondern auch Kapazitätsgründen stärker angebotsorientiert – das heißt: zu Zeiten, wenn viel Strom vorhanden ist – nutzen müssen. Das gilt nicht nur für die Haushaltskunden, sondern in noch stärkerem Maße für die Industrie, die Produktionszyklen in Zukunft möglicherweise anders über den Tag verteilen muss als bisher.

Projekt: Modernes Arbeiten bei 50Hertz

Auch innerhalb des Unternehmens ist der Betriebsrat dabei, die Energiewende voranzubringen und die damit verbundene sozialökologische Transformation im Unternehmen erfolgreich und im Interesse der Beschäftigten mitzugestalten. Innovationen, attraktive Arbeitsbedingungen und eine engagierte Belegschaft sind für ihn hierfür die zentralen Voraussetzungen.

Der Trend zu wissensorientierter Arbeit zeigt sich auch bei 50Hertz. Es gibt einen hohen Anteil an Fach- und Hochschulkadern. Bei einem Großteil der Beschäftigten beobachtet der Betriebsrat, dass sich der Wert der Arbeit stark gewandelt hat: Die jungen Leute wünschen sich einen "coolen" Arbeitgeber und möchten selbst bestimmen, wann und wie viel sie arbeiten. Ihnen ist Karriere oft weniger wichtig als eine ausgewogene Work-Life-Balance. Was folgt daraus für den Betriebsrat und die Mitbestimmung?

Um Genaueres über ihre Wünsche zu erfahren, brachte der Betriebsrat das Projekt „Modernes Arbeiten bei 50Hertz“ auf den Weg. Es startete 2021 mit dem Aufruf an alle Beschäftigten, an einer Umfrage freiwillig teilzunehmen. Über 800 Mitarbeiter*innen hatten sich daraufhin beim Betriebsrat gemeldet, die bereit waren, sich an der Umfrage zu beteiligen. Die eigentliche Befragung sollte innerhalb von Workshops in kleinen Gruppen stattfinden, die von freiwilligen Helfern aus der Belegschaft moderiert werden sollten. Knapp hundert Beschäftigte waren bereit, sich für diese Aufgabe extra schulen zu lassen.

Bei dem Projekt bewegte den Betriebsrat vor allem die Frage: Wie verändert sich Arbeit unter den Bedingungen von Klimakrise, Energiewende, fortschreitender Digitalisierung und einer Pluralisierung von Lebensstilen? Die Kernfragen an die Beschäftigten lauteten daher: Wie wollt Ihr in Zukunft leben? Wie stellen wir uns die Zusammenarbeit in fünf bis zehn Jahren vor – und wie wünschen wir sie uns? Wie bereiten wir die Firma auf die veränderten und neuen Anforderungen und Erwartungen aus der Belegschaft und Bewerberschaft vor? Wer sind engagierte Mitarbeitende?

In einer ersten Umfrage ging es aber auch um die Rolle der Mitbestimmung: Wie bleibt der Betriebsrat innerhalb der Belegschaft und des Unternehmens relevant? Wie positionieren wir den Betriebsrat zukünftig über die tatsächlich für die Belegschaft wichtigen Themen? Wer sind Kandidaten für die Mitbestimmung? Unter welchen Umständen wären Sie bereit, sich – vielleicht sogar als Betriebsrat – im Unternehmen stärker zu engagieren? 

In den Workshops kristallisierten sich sechs Themenkomplexe heraus, zu denen sich die Befragten detailliert äußerten: 1. Team, Führung, Organisation; 2. Arbeitszeit; 3. Innovation, 4. Fortbildung; 5. Identifikation & Unternehmenskultur; 6. Corporate Health.

Bemerkenswert bei diesem Projekt ist das durchweg positive Feedback der Mitarbeiter*innen bezüglich der angesprochenen Themen und ein hohes Interesse der Befragten an proaktivem betrieblichem Engagement. Mitbestimmung und Unternehmenserfolg werden von ihnen bei 50Hertz nicht als Gegensätze betrachtet. Viele Befragte können sich sogar vorstellen, selbst im Betriebsrat aktiv zu sein, sofern sie das mit ihrer beruflich-fachlichen Arbeit vereinbaren können.

Die inzwischen vorliegenden Erkenntnisse und Ergebnisse aus den Befragungen und den Workshops werden nun von der Projektgruppe „Modernes Arbeiten“ und in themenorientierten Arbeitsgruppen tiefgehender bearbeitet. Teilweise werden dazu Sachkundige oder Sachverständige hinzugezogen.

Einige Ideen konnten kurzfristig sogar schon umgesetzt werden. Die geäußerten Vorschläge und Ideen aus der Belegschaft sind auch bereits in das Aktionsprogramm des Betriebsrats für die nächsten fünf Jahre eingeflossen. Dazu zählt die Umsetzung der zwischen der IG BCE und 50Hertz getroffenen Vereinbarung „Moderne Arbeitswelten“, die es erlaubt, virtuelle Laborräume zu schaffen, in denen Beschäftigte aus bestimmten Bereichen über einen festen Zeitraum zusammenkommen, um ihre eigenen Ideen zu erproben.

Zu den ersten Maßnahmen, die sich aus den Projektideen ergaben, zählt beispielsweise eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über einen finanziellen Zuschuss für diejenigen, die mobil arbeiten, den sie vorrangig für ihre Büroausstattung verwenden sollten. Vorschläge, wie Teams selbst darüber bestimmen können, wie sie ihre Arbeit gestalten und in welchem Rhythmus die Teammitglieder zusammenkommen, befinden sich bereits in der Testphase. Auch arbeitet das Projektteam gerade an einer Art Knigge für die Beschäftigten zum Umgang mit hybridem Arbeiten in den Teams.

Freiräume für Innovationen

Das Projekt „Modernes Arbeiten bei 50Hertz“ reiht sich ein in eine ausgeprägte Innovationskultur sowohl des Unternehmens als auch der gesamten Elia-Gruppe, der das Unternehmen angehört. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Innovationsinkubator „The Nest“ an den Standorten Brüssel und Berlin.

The Nest soll kreative Ideen im Unternehmen beschleunigen. Der Innovationsinkubator ermöglicht es, dass Beschäftigte aus unterschiedlichen Bereichen über einen definierten Zeitraum zusammenkommen, um ihre eigenen Ideen beziehungsweise Vorschläge aus der Belegschaft mithilfe neuer Methoden in Projekten zu bearbeiten und schließlich in die Praxisreife zu überführen. Ziel ist es, das Innovationspotenzial in der Belegschaft stetig zu fördern, Beschäftigte zu unterstützen, selbst ihre Arbeitsplätze attraktiver zu gestalten und engagierte Fachkräfte dauerhaft an das Unternehmen zu binden.

Klimawandel fordert mehr Arbeitsschutz

Ein Kernthema des Unternehmens ist allerdings auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz. Klimawandel und Energiewende stellen besonders die Beschäftigten in den Umspannwerken und auf den Plattformen auf See sowie die Mitarbeiter*innen im Transmission Control Centre (TCC) und den regionalen Technischen Überwachungsplätzen (TÜP) vor wachsende Herausforderungen.

Die Arbeit auf See ist besonders risikobehaftet und verlangt von den Beschäftigten viel Erfahrung und hohen Respekt vor den Gefahren der elektrischen Anlagen im Höchstspannungsnetz. Sie werden deshalb jedes Quartal vom Unternehmen zum Thema Arbeitssicherheit belehrt und qualifiziert. Auch von den Fremdfirmen, die an diesen Anlagen arbeiten, verlangt 50Hertz Schulungen für ihre Mitarbeiter und entsprechende Zertifikate.

In den Kontrollzentren und Technischen Überwachungsplätzen besteht die Herausforderung für die Beschäftigten darin, verstärkt meteorologische Bedingungen einberechnen zu müssen, um abschätzen zu können, wie und in welchem Maße die Einspeisung von regenerativer Energie in das Stromnetz stattfinden wird. Das führt oft zu großem Stress. 50Hertz legt daher große Sorgfalt auf die Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastungen vor allem an diesen Arbeitsplätzen. Dabei wird das Unternehmen durch eine Arbeitsgruppe mit Verantwortlichen aus dem Unternehmen und Vertretern des Betriebsrates, aber auch in vielen Fragen durch die Wissenschaftskompetenz von Hochschulen, unterstützt.

Kontakt

Dr. Lutz Pscherer, Gesamtbetriebsratsvorsitzender