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RAG Aktiengesellschaft

Kohleausstieg: Massenhaft Qualifizierungen in Eigenregie

Den Ausstieg aus dem Steinkohlenbergbau flankierte der Betriebsrat bei der RAG Deutsche Steinkohle AG durch koordinierte Weiterbildungs- und Begleitmaßnahmen. Ziel war es, so viele Bergleute wie möglich in neue Tätigkeiten und Unternehmen zu vermitteln.

Portrait Nachhaltigkeit

Der Kohleausstieg hat im Steinkohlenbergbau bereits 2007 begonnen. Die RAG Deutsche Steinkohle AG (DSK – wurde 2019 mit der RAG Aktiengesellschaft verschmolzen) stand damals vor der immensen Herausforderung, zigtausende Arbeitsplätze abbauen zu müssen und möglichst vielen Bergleuten durch Umschulung eine neue berufliche Perspektive zu ermöglichen. Diesen Umstellungsprozess von einem nicht mehr kohleproduzierenden zu einem ökologisch nachhaltig wirtschaftenden, vorwiegend mit Ewigkeitsaufgaben des Bergbaus betrauten Betrieb haben die RAG-Betriebsräte über Jahre hinweg aktiv mitgestaltet.

Ausgangssituation

2007 verständigten sich der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und das Saarland darauf, die bereits in den 1960er-Jahren begonnene Subventionierung der Steinkohle allmählich bis 2018 auslaufen zu lassen. Die Wirtschaftlichkeit der Steinkohlenförderung war schon lange nicht mehr gegeben. So kam es, dass nach mehr als 200 Jahren der industrielle Steinkohlenbergbau in Deutschland zu Ende ging. 

Seit 2018 wird auch bei der RAG Aktiengesellschaft keine Kohle mehr gefördert. Das Unternehmen ist nunmehr mit nachfolgenden Aufgaben befasst, um für das Erbe des Bergbaus nachhaltige Lösungen zu finden, die langfristig bestehen. Dabei handelt es sich um die Ewigkeitsaufgaben des Steinkohlenbergbaus – insbesondere Grubenwasserhaltung, Grundwassermanagement und der Betrieb von Polderanlagen, um das Wasser an der Tagesoberfläche regulieren zu können. Dazu zählen aber auch die endlichen Aufgaben. Hierzu gehören vor allem die Sicherung alter Schächte, die Beseitigung von Bergschäden sowie die Folgenutzung und -entwicklung von Grundstücken, auf denen vormals Bergbau betrieben wurde.
 

1997 arbeiteten bei der Deutschen Steinkohle AG (DSK), einer Vorgängerin der RAG AG, noch 78.000 Beschäftigte unter und über Tage. Heute sind es wenig mehr als 1.000. Und ebenfalls noch in den 1990er-Jahren verfügte das Unternehmen über 50 Standorte, heute sind es gerade einmal vier. 

Sozialverträglicher Personalabbau

Politik, Gewerkschaften und Betriebsräte waren sich damals einig: Der Ausstieg aus der Steinkohlenförderung und der damit verbundene massive Personalabbau – es handelte sich damals um mehr als 80.000 Beschäftigte – müssen sozialverträglich erfolgen. 

Für uns Betriebsräte und genauso für die IG BCE galt seit jeher der Grundsatz: ,Keiner fällt ins Bergfreie‘.

Michael Babucke, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender

Das Steinkohlefinanzierungsgesetz setzte den Rahmen, damit Beschäftigte in bestimmten Altersgruppen, die von diesen Stilllegungsmaßnahmen betroffen waren, Anpassungsgeld beziehen konnten. Eine der größten Herausforderungen bestand allerdings für alle Beteiligten darin, Bergleute ohne diese Eingangsvoraussetzungen massenhaft umzuschulen, um sie in neue Jobs zu bringen und ihnen langfristige Perspektiven in anderen Unternehmen und Branchen zu sichern. 

Betriebsrat war von Anfang an eingebunden

RAG-Betriebsräte begleiteten den Ausstieg des Unternehmens aus der Kohleförderung von Anfang an intensiv mit. Die Montanmitbestimmung erleichterte den Mitbestimmungsakteur*innen die Einbindung in die Entscheidungs- und Umgestaltungsprozesse auf allen Ebenen des Unternehmens.

Der damals geltende Manteltarifvertrag, der bis heute fortwirkt, bot den Beschäftigten zunächst einmal grundlegenden Schutz, da er betriebsbedingte Kündigungen ausschloss. Sozialpläne und Interessenausgleich in den einzelnen Bergwerken sorgten ebenfalls dafür, dass der massive Personalabbau sozial – vor allem durch Abfindungen, Anpassungsgeld bei vorzeitigem Ruhestand und Qualifizierungsvereinbarungen – flankiert werden konnte. Auch die Politik wurde damals stark in die Verantwortung genommen. 
 

Alles drehte sich darum, möglichst vielen Bergleuten neue Beschäftigungs- und Lebensperspektiven zu eröffnen.

Peter Holtgreve, ehemaliger langjähriger Betriebsrat und heute Projektleiter beim TÜV-Nord Bildung

Auf Transfergesellschaft verzichtet

Auf eine Transfergesellschaft, die das Qualifizierungs- und Vermittlungsgeschäft hätte betreiben können, wurde damals bewusst verzichtet. Die RAG entschied vielmehr, dieses Geschäft in Eigenregie durchzuführen und hierfür die eigenen Ressourcen, Kontakte und Verbindungen zu mobilisieren. Dafür brachte sie beste Voraussetzungen mit.
Etliche Mitarbeiter*innen aus dem Unternehmen waren bereits in den 1990er-Jahren dafür qualifiziert worden, um in den einzelnen Bergwerken das Qualifizierungspotenzial der Belegschaften zu ermitteln und so Beschäftigte gezielt weiterbilden und beruflich fördern zu können. 
 

Wir alle wussten doch viel besser als Außenstehende, wie unsere Bergleute, Schlosser und Elektriker ausgebildet waren und welche Jobs möglicherweise für sie infrage kamen.

Peter Holtgreve, ehemaliger Betriebsrat

Eine Transfergesellschaft erübrigte sich auch, weil die RAG bereits über eine eigene Bildungsgesellschaft verfügte, die RAG Bildung GmbH. In ihr bündelte sie langjährige Erfahrung und hohe Kompetenz bei der Entwicklung und Durchführung von Bildungsangeboten für unterschiedliche Berufsgruppen auf hohem Niveau. Selbst Ingenieuren aus den Untertagebereichen konnte sie durch die Kooperation und den späteren Kauf der renommierten Benedict-School Top-Sprachkurse – in Englisch oder gar in Mandarin – anbieten.

Nach 2007 erweiterte die RAG Bildung ihre Angebote systematisch, trat verstärkt an Städte heran, erstellte regionale Arbeitsmarktanalysen und kooperierte mit anderen Bildungsträgern. Unter anderem knüpfte sie auch intensive Kontakte zur IHK, zu Handwerkerinitiativen, anderen Betrieben und Jobbörsen, um Job- und Qualifizierungsbedarfe in der Region zu ermitteln und umgeschulte Bergleute dorthin zu vermitteln. 

Betriebsräte waren in jedem Bergwerk und überall in der Personalvermittlung mit dabei. Die RAG finanzierte ihnen wissenschaftlichen Beistand und Expertenrat. Nachdem die Bergleute geschult und vermittelt werden konnten, wurden sie oft noch wochenlang in ihren neuen Jobs nachbetreut – alles Tätigkeiten, wie sie heute von Arbeitsberatern oder -vermittlern bei der Agentur für Arbeit ausgeübt werden.

Insgesamt haben – nach Angaben des Betriebsrats – mehr als 26.000 Beschäftigte zwischen 1997 und 2022 von den Angeboten der RAG, sich umschulen zu lassen, Qualifizierungsmaßnahmen und eine finanzielle Übergangshilfe während der „Kennenlernphase“ bei anderen Arbeitgebern zu beanspruchen, Gebrauch gemacht. 

Nicht immer ging die Rechnung auf, die ehemaligen Bergleute in großem Maßstab zu vermitteln. Aber in nahezu 90 Prozent konnten sie, eng begleitet von den Arbeitsplatzakquisiteuren, in den neuen Berufen Fuß fassen – allein 700 von ihnen als Berufskraftfahrer. Viele wurden zu Rettungsassistenten oder als Kranken- und Altenpfleger ausgebildet, etliche gingen zur Feuerwehr. 

Zu den Flops zählte ein angekündigter Medienpark im Süden von Dortmund, der nicht zustande kam und in den die damals extra dafür geschulten Beschäftigten nicht vermittelt werden konnten. Negative Erfahrungen machten auch die Beschäftigten, die in das Siemens-Werk in Kamp-Lintfort vermittelt wurden, welches nur noch kurze Zeit bestand.

Kontakt

Peter Holtgreve, ehemaliger Betriebsrat

Michael Babucke, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender