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Koalitionsverhandlungen

Neue Regierung – neuer Schwung für die Mitbestimmung?

Der Koalitionsvertrag wurde am Mittwoch von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vorgestellt, nachdem knapp 5 Wochen verhandelt wurde. Was kann man von der neuen Regierung im Bereich der Unternehmensmitbestimmung erwarten?

Der Koalitionsvertrag steht. Das knapp 180-Seiten starke Dokument muss noch von den zuständigen Parteigremien gebilligt werden. Unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ werden die gemeinsamen Projekte für die nächsten vier Jahre, in 9 Kapitel unterteilt, vorgestellt.

Was haben die Parteien im Bereich der Unternehmensmitbestimmung vor? Inhaltliche Bezüge lassen sich an zwei Stellen finden: 

Auszug aus dem Koalitionsvertrag

„Deutschland nimmt bei der Unternehmensmitbestimmung eine weltweit bedeutende Stellung ein. Die bestehenden nationalen Regelungen werden wir bewahren. Missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts wollen wir verhindern. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickelt wird, sodass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Wir werden die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt.“  Koalitionsvertrag, Seite 72 

Hier werden zwei konkrete von den Gewerkschaften geforderte Maßnahmen angekündigt: Die Lücke in der Drittelbeteiligung beim Zählen der Beschäftigten im Konzern soll geschlossen werden. Berechnungen aus dem Jahr 2016 zufolge betrifft dies allein circa 600 Unternehmen. Der Koalitionsvertrag ist in dieser Sache sehr explizit, sodass eine zügige Umsetzung anzunehmen ist. 

Darüber hinaus möchte man sich für die Weiterentwicklung der Mitbestimmung einsetzen, „sodass es nicht mehr zu einer vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt).“ Die Vermeidung der Mitbestimmung durch die Europäische Aktiengesellschaft ist ein bekanntes Problem. 4 von 5 großen SE vermeiden die paritätische Mitbestimmung, weil das (spätere) Anwachsen der Beschäftigtenzahlen keine Auswirkung auf das Mitbestimmungsniveau hat. Daher muss das SE-Beteiligungsgesetz so verändert werden, dass bei Überschreiten deutscher Schwellenwerte zur Unternehmensmitbestimmung nachverhandelt wird sowie neue gesetzliche Auffangregeln gelten. Ob dies nun vollumfänglich angegangen wird, ist aus dem vorgeschlagenen Koalitionsvertrag nicht klar ersichtlich. „Ich begrüße, dass die Schließung von Rechtslücken in der Unternehmensmitbestimmung endlich auf die politische Agenda kommt. Das ist ein großer Fortschritt“, so Dr. Daniel Hay, wissenschaftlicher Direktor des I.M.U. „Es darf aber bei der Europäischen Aktiengesellschaft nicht nur kosmetische Veränderungen geben. Darauf werden wir achten. Außerdem müssen Regelungen zur Erfassung von Unternehmen in ausländischer Rechtsform getroffen werden, damit die Mitbestimmung hier nicht ins Leere läuft.“, betont Hay.  

Unter dem Kapitel „Europa“ wird die europäische Dimension von Mitbestimmung aufgegriffen.

Auszug aus dem Koalitionsvertrag

„Wir wollen demokratische Mitbestimmung auf europäischer Ebene und europäische Betriebsräte fördern und wirkungsvoll weiterentwickeln. Auch bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen von Gesellschaften müssen nationale Beteiligungsrechte respektiert und gesichert werden.“ Koalitionsvertrag, Seite 134

Dass die Koalition sich auch auf europäischer Ebene für die Unternehmensmitbestimmung einsetzen möchte, ist gut, muss aber in konkretes Handeln münden: Die deutsche Bundesregierung muss sich auf europäischer Ebene für eine Rahmenrichtlinie zur Information, Konsultation und Mitbestimmung einsetzen. Auch eine Stärkung der Europäischen Betriebsräte durch eine Revision der entsprechenden Richtlinie ist zwingend nötig. Eine erste Nagelprobe für die Absichten der neuen Koalition wird die Umsetzung der Richtlinie für grenzüberschreitende Umwandlung, Verschmelzung und Spaltung sein. „Hier müssen die rechtlichen Spielräume für die Mitgliedstaaten zum Schutz der Mitbestimmung genutzt werden. Wir werden die Parteien beim Wort nehmen“, unterstreicht die I.M.U. Expertin Maxi Leuchters. „Die starken Bekenntnisse zur Mitbestimmung im Koalitionsvertrag, aber auch in unterschiedlichen Diskussionen vor der Bundestagswahl, machen mich optimistisch.“ 

Die Weiterentwicklung der Mitbestimmung ist aufgrund der bereits eingesetzten Transformation unerlässlich. Die ambitionierten Klimaziele der neuen Bundesregierung müssen mit einer Stärkung der Beteiligungsrechte von Arbeitnehmer:innen einhergehen. Die Schließung von Rechtslücken ist dabei ein erster Schritt. Mittelfristig muss aber auch über eine qualitative Stärkung der Mitbestimmung gesprochen werden. Hier gibt es im Koalitionsvertrag noch Luft nach oben.