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Mercedes-Benz-Group

Planungs- und Umweltausschuss als Nachhaltigkeitstreiber

Der Planungsausschuss des Betriebsrats im Werk Sindelfingen verfolgt eigene Ansätze zur klimafreundlichen Mobilität auf dem Werksgelände und zur Gebäudesanierung. Auch der Umweltausschuss im Werk Untertürkheim treibt die Nachhaltigkeit voran.

Portrait Nachhaltigkeit

Der gesellschaftliche Druck auf die Automobilindustrie zur Dekarbonisierung der Fahrzeugproduktion hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verstärkt. Auch bei Mercedes-Benz wird dies spürbar. Der Konzern hat sich einen „SpurWechsel“ in Richtung Dekarbonisierung und Klimaneutralität verordnet, bei dem es nicht nur um das Produkt – CO2-neutrale Autos, Transporter, Lkw und Busse – geht, sondern auch um eine Transformation der gesamten Wertschöpfungskette.

Bis 2039 strebt Mercedes-Benz eine komplett CO2-neutrale Neuwagenflotte an. Ressourcensparende Batterien, Brennstoffzellen und flüssiger Wasserstoff sollen bis dahin Antriebsysteme auf Basis fossiler Brennstoffe vollständig ersetzen. Auch die internen Produktionsprozesse sollen ab 2022 CO2-neutral sowie ressourcenschonender und stärker vernetzt erfolgen. Ferner sollen die Lieferanten entlang der gesamten Lieferkette verpflichtet werden, ihrerseits konsequent darauf hinzuwirken, Emissionen zu senken. Die Minimierung kritischer Rohstoffe wie Kobalt und Lithium sowie der Ausbau von Kreislaufwirtschaft stehen ebenfalls auf der Agenda.

Die Ausgangslage

Am Standort Sindelfingen zeichnet sich bereits ab, dass die strategische Umstellung auf Elektromobilität und klimaneutrale Fahrzeugproduktion gravierende Folgen nicht nur für die Produktions-, sondern auch für die indirekten Bereiche bis hin zur Buchhaltung und speziell für die Planung und Logistik an den einzelnen Standorten haben wird.

Zwar gilt seit 2017 im gesamten Unternehmen ein Zukunftstarifvertrag, der bis 2030 betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Doch befürchten viele der 40.000  dort Beschäftigten, dass die Umstellung mit einer neuen Automatisierungswelle verbunden sein wird, die dazu führt, dass Roboter viele Tätigkeiten übernehmen und damit Arbeitsplätze künftig wegfallen beziehungsweise so umgestaltet werden, dass sich ihre Arbeitsbedingungen deutlich verschlechtern.

Dem möchte der Betriebsrat dadurch begegnen, dass er seine Möglichkeiten nutzt, um den Beschäftigten Raum zu geben, eigene Ideen zu entwickeln und diese in die Entscheidungsprozesse des Unternehmens einzubringen.

Wir werden alle Hände voll zu tun haben, unsere Mitbestimmungsrechte auszuschöpfen. Ohne Rückendeckung durch die Belegschaft wird das nicht gehen. Und auch nicht ohne ihre Ideen.

Damir Brasnic, Betriebsrat im Werk Sindelfingen und Vorsitzender des Planungsausschusses

Ein wichtiges Ideenlabor ist für ihn der Planungsausschuss des Betriebsrats im Bereich Logistik des Werks Sindelfingen.

Der Planungsausschuss des Betriebsrats

Die Neuausrichtung des Logistikmanagements beziehungsweise deren Folgen für die Beschäftigten und die Umwelt ist eine der vielen Herausforderungen, mit denen sich der Betriebsrat aktuell befasst. Während sich noch vor 20 Jahren der überwiegende Teil der Lieferanten quasi „vor der Haustür“ befand, bezieht das Werk seine Waren und Werkstoffe mittlerweile vor allem aus Asien und den verschiedensten Regionen Europas. Daraus ergeben sich Lieferverkehre mit enorm gesteigertem CO2-Ausstoß. Diesen Flottenverbrauch zu senken, ist für die Logistikplaner eine immense Aufgabe, die man nicht allein durch die Elektrifizierung von Sprintern bewältigen kann. Vielmehr müssen die gesamten Lieferketten in den Blick genommen werden.

Im Planungsausschuss des Betriebsrats laufen viele Fäden zusammen, um diese Aufgaben gezielt anzugehen. Dessen zentrale Themen sind nachhaltige Mobilitäts- und Gebäudeplanung. Hier bündeln sich Betriebsrats- und Expertenwissen. Denn bei vielen Themen zieht der Betriebsrat Sachverständige hinzu – Führungskräfte, aber mehr noch Sachbearbeiter, die Prozessabläufe aus eigener Erfahrung am besten kennen.

Werkverkehr umstellen

Erst einmal sind es kleine Schritte, die sich der Planungsausschuss vorgenommen hat, um den CO2-Ausstoß der Flotte zu senken. Dazu zählt, den Werkverkehr stärker auf das Fahrrad zu verlagern. Für die hierfür erforderliche Infrastruktur hat der Betriebsrat lange gekämpft. Inzwischen gibt es viele – zur besseren Sichtbarkeit gelbfarbige – Dienstfahrräder auf dem Werksgelände und gesicherte Abstellmöglichkeiten.

Sein nächstes Ziel ist es, die Parkplatzordnung anzupassen. Die aktuelle Parkplatzordnung stammt aus dem Jahr 1992, als noch Lkw und Pkw den Werkverkehr dominierten und niemand an Stellflächen für die wachsende Anzahl von Fahrrädern dachte.

Auch der Pendelverkehr der Beschäftigten hin und zurück zur Arbeit hat beim Betriebsrat im Werk Sindelfingen einen hohen Stellenwert. Um sie zu motivieren, ihren Pkw daheim zu lassen und auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen, setzt er auf Anreize. Das kostenlose Feinstaubticket, das vom Unternehmen für Pendler*innen bei Feinstaubalarm im Stuttgarter Raum entwickelt wurde, fand unter den Beschäftigten großen Anklang. Mittlerweile gibt es am Werkstor Extraeingänge für Fahrräder. Der Betriebsrat sorgte bereits für Fahrradworkshops für interessierte Beschäftigte auf dem Werksgelände sowie für neue und gesicherte Fahrradabstellplätze, insbesondere für höherwertige Fahrräder, und für Ladesäulen für E-Bikes. Perspektivisch soll es für alle Radler*innen Duschen und Spinds geben.

Die Themen Jobrad und Diebstahlschutz gehen Betriebsrat und Planungsausschuss ebenfalls an. Künftig soll auch Bike-Sharing auf dem Werksgelände ermöglicht werden, da es ressourcenschonender ist, den Beschäftigten Bike-Sharing-Fahrräder anzubieten, die durch eine App gesteuert und außerdem regelmäßig gewartet werden, als allen ein Dienstfahrrad für den Werkverkehr zu überlassen, das vielleicht nur zwei- oder dreimal pro Woche genutzt wird.

Auch den Werkverkehr mit Bussen möchte er umweltfreundlicher gestalten. Statt Busse mit festen Bushaltestellen und Abfahrzeiten, die von externen Firmen betrieben werden, will er kleinere elektrifizierte Vito-Vans im Shuttle-on-demand-Betrieb auf dem Werksgelände einführen. Momentan noch laufen Verhandlungen mit dem Arbeitgeber darüber, wer die Vans fahren soll. Die Position des Betriebsrats ist klar: Die innerbetrieblichen Shuttle-Verkehre sollten von werkseigenen Beschäftigten gefahren werden, insbesondere von Kolleg*innen, die nicht mehr in der Produktion beschäftigt werden können.

Gebäude- und Infrastruktur anpassen

Das andere große Thema im Planungsausschuss, Gebäude und Infrastruktur an den Klimawandel anzupassen, ist für den Sindelfinger Betriebsrat nicht weniger herausfordernd. Seit mehr als 20 Jahren betreibt Mercedes-Benz am Standort ein Blockheizkraftwerk, das nicht nur Wärme, sondern auch klimafreundlichen Strom liefert. Darüber hinaus versorgen mehrere Windkraftwerke das Sindelfinger Werk mit „grünem“ Strom. Für den weiteren Bedarf an „grünem“ Strom soll es künftig Wasserstofflösungen geben. In die konkreten Planungen ist der Betriebsrat aber bisher nicht eingebunden.

Genauso wichtig wie eine klimafreundliche Infrastruktur und Stromversorgung ist dem Betriebsrat ein verbesserter Schutz der Beschäftigten vor den Folgen des Klimawandels am Arbeitsplatz. Absehbar ist, dass die Temperaturen gerade in den Sommermonaten weiter steigen werden und es mehr Hitzetage geben wird. Da stellt sich die Frage nach Gebäudedämmung und Raumkühlung – gerade bei den alten Gebäuden.

In diesem Punkt gibt es momentan Streit im Unternehmen. So fordert der Betriebsrat unter anderem Deckenkühlungen in den Produktionshallen, wie es sie in Büroräumlichkeiten schon lange gibt, oder zumindest Rohre, durch die kaltes Wasser geleitet wird. Damit kann die Raumtemperatur tatsächlich um drei bis vier Grad gesenkt werden. Auch Lüftungssysteme mit Ventilatoren kommen infrage. Für den Arbeitgeber stehen allerdings die Kosten einer solchen Umrüstung und ihr Effekt in keinem Verhältnis. Der Betriebsrat aber drängt in diesem Punkt nach vorne: Bei jedem neuen Rohbau oder Gebäude, das saniert werden muss, bringt er eigene Anforderungen ein. Fahrbänder unterm Dach, die für extrem hohe Hitze im Sommer sorgen, darf es nicht länger geben.

Vieles, was der Betriebsrat bei der Gebäudesanierung einfordert, wurde bereits in der modernisierten Produktionshalle 46 (in der die alte S-Klasse gefertigt wurde und künftig die GLC-Produktion läuft) und in der neuen Halle 56 („Factory 56“), in der die neue S-Klasse hergestellt wird – der „Halle der Superlative“, wie sie in den Medien genannt wird –, realisiert. Da gibt es unter den Dächern keine Bühnen mehr, dafür aber energiesparende Dämmung und Klimaanlagen. Das Werksdach und die Parkplatzdächer sind mit Fotovoltaikanlagen ausgestattet. Für die Idee, eine Belegschaftsgenossenschaft zu gründen, die die Fotovoltaikanlagen betreibt – so wie bei Volkswagen in Emden – kann sich der Betriebsrat im Werk Sindelfingen begeistern. Mitarbeiter*innen könnten dann Anteile an den Anlagen erwerben und würden entsprechend ihren Genossenschaftsanteilen finanziell am Gewinn beteiligt.

Homeoffice ist für den Betriebsrat planerisch ebenfalls ein wichtiges Thema. Was sich in der Coronapandemie bewährt hat, nämlich die Ausweitung von Homeoffice, hat für ihn allerdings Schattenseiten. Er fürchtet, dass unter dem Vorwand von Corona und Klimakrise insbesondere Büroarbeitsplätze, aber auch Gebäudeteile, abgebaut werden, um Kosten und Miete zu sparen. Seine Bedenken hat er bereits in den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber über eine Betriebsvereinbarung zum Thema Desksharing zum Ausdruck gebracht, das in vielen Arbeitsbereichen erprobt werden soll.

Desksharing ist Teil der „Future Office Strategy“ von Mercedes Benz. Im Gespräch ist, dass der Arbeitgeber dadurch einen zweistelligen Millionenbetrag an Kosten einsparen will. Demgegenüber verlangt der Betriebsrat, dass dieses Geld nicht eingespart, sondern in die bessere Ausstattung von Büros und Arbeitsplätzen auf dem Campus und draußen im Homeoffice beziehungsweise im mobilen Arbeiten investiert wird – in bessere Laptops, ergonomisch gestaltete, höhenverstellbare Tische und Stühle, in einen zweiten Bildschirm bei einigen Arbeitsplätzen.

Auch aus sozialen Gründen steht der Betriebsrat diesem Konzept skeptisch gegenüber. Die Ausweitung mobiler Arbeit berge die Gefahr, dass informelle Gespräche in der Kaffeeküche, Gemeinschaftsaktivitäten, aber auch Kreativität und gegenseitiges Verständnis füreinander, auf der Strecke bleiben, wenn sie nicht durch neue soziale Netzwerke, Diskussions- und Beteiligungsformen flankiert würde.

Vernetzte Betriebsratsarbeit

Ob Klimawandel, mobiles Arbeiten oder Verkehrswende: Wichtig ist dem Mercedes-Betriebsrat in Sindelfingen eine stärkere Vernetzung von Betriebsräten aus verschiedensten Unternehmen. In diesen Fragen sieht der Betriebsrat auch die IG Metall gefordert. Es geht darum, den überbetrieblichen Erfahrungsaustausch zu organisieren, betriebliches Akteurswissen zu bündeln und – gerade was die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit betrifft – geeignete Qualifizierungsangebote zu schaffen.

Am Mercedes-Benz-Standort in Untertürkheim gibt es seit Ende der 1990er-Jahre den Arbeitskreis „Umwelt und Technologie“. Er wurde gegründet von einigen Enthusiasten, darunter zwei Betriebsräten, für die eine gute Umwelt und nachhaltige Mobilität schon immer gut zusammenpassen sollten.

Der Arbeitskreis begann zunächst damit, Informationsveranstaltungen zu diversen Umweltthemen mit bis zu 400 Teilnehmenden und vielen renommierten Referenten, wie dem Umweltwissenschaftler Prof. Ulrich von Weizsäcker, dem SPD-Bundestagsabgeordneten und Fürsprecher für Erneuerbare Energien, Hermann Scheer, oder dem Journalisten und Buchautor Franz Alt, zu organisieren. Später regte der Kreis eigene Projekte an. Von vielen Vorschlägen, beispielsweise um Energien zu sparen oder zur Entwicklung von Apps, profitierte das Unternehmen direkt.

Mittlerweile hat sich der Arbeitskreis zu einer Art Thinktank entwickelt, aus dem heraus das Unternehmen bereits viele Ideen bezog und als Innovationen umsetzte.

Wir schafften es immer wieder, viele Menschen im Unternehmen für unsere Ideen zu begeistern. Außerdem sind wir inzwischen breit vernetzt. Aber die wichtigste Antriebskraft kommt aus uns selbst heraus: Wir haben einfach Spaß daran, selbst gestellte Aufgaben für eine bessere Umwelt zu lösen – und dies sogar nach Feierabend.

Udo Bangert, Betriebsrat und Gründungsmitglied des Ausschusses

Diese Begeisterung für neue Konzepte, insbesondere zur Nachhaltigkeit, vermisst der Betriebsrat aktuell im gewerkschaftlichen Umfeld. Es fehlten klare Zielbilder zum Themenfeld Klimakrise und Nachhaltigkeit. Zudem wünsche er sich einen Investitionsfonds, in den die Tarifparteien einzahlen, damit Betriebsräte und gewerkschaftliche Akteure eigene Nachhaltigkeitsprojekte voranbringen könnten. Außerdem müsse es stärker gelingen, die Beschäftigten durch mehr Beteiligungsmöglichkeiten für die infolge der Klimakrise anstehenden Veränderungen im Betrieb und für den Naturschutz zu sensibilisieren.

Die Herausforderungen und Konflikte in den Unternehmen dürften gerade in der Klimakrise weiter zunehmen. Deshalb müssen sich die Gewerkschaften immer mal klarmachen, wo ihre Wurzeln sind. Darum geht es vor allem: die Demokratie in den Betrieben zu verteidigen und auch mal wieder gemeinsam im Hof zu stehen, um Ansprüche bei den anstehenden Transformationen einzufordern. Die Zeit ist reif, um für eine bessere Umwelt und ein soziales Miteinander mehr Druck zu machen!

Udo Bangert, Betriebsrat und Gründungsmitglied des Ausschusses

Kontakt

Damir Brasnic, Betriebsrat im Werk Sindelfingen

Udo Bangert, Betriebsrat im Werk Untertürkheim