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Professionalisierung für die Mitbestimmung

Qualifikation für die Mitbestimmung der Zukunft

Studierende werden als Nachwuchs für die Mitbestimmung eine immer wichtigere Zielgruppe, da der Anteil an Studienanfängern im Vergleich zu neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen an Abschlussjahrgängen kontinuierlich steigt. Bisher aber findet das Thema Mitbestimmung an den Hochschulen zu wenig statt.

Wie die Mitbestimmung der Zukunft aussehen wird, hängt auch davon ab, wer die Mitbestimmer und Mitbestimmerinnen der Zukunft sind und wie sie angemessen für anstehende Aufgaben qualifiziert werden können. Neben ihren Forschungsprojekten widmet sich die Hans-Böckler­-Stiftung diesen Fragen im Bereich der Studienförderung. Die ca. 3000 Stipendiatinnen und Stipendiaten der Stiftung werden materiell unterstützt und erfahren eine umfassende ideelle Förderung. In einem jährlich wechselnden Seminarprogramm bietet die Stiftung Gelegenheit, sich mit gewerkschaftlichen Positionen und Veränderungen in der Arbeitswelt im nationalen und internationalen Kontext auseinanderzusetzen. Die allermeisten Stipendiatinnen und Stipendiaten sind aktive Mitglieder einer DGB-Gewerkschaft, ein großer Teil verfügt über eigene Erfahrungen in der betrieblichen Mitbestimmung. Materielle und ideelle Förderung haben großes Potenzial, aktiv die Mitbestimmerinnen und Mitbestimmer der Zukunft zu qualifizieren. Der Fokus auf Studierende ist zentral, wenn auch zukünftig weiterhin Berufs- und damit Mitbestimmungseinsteiger für gewerkschaftliche Positionen erreicht werden sollen, denn bereits seit einigen Jahren nimmt die Zahl der Studierenden im ersten Semester zu und liegt mittlerweile über der neu abgeschlossener Ausbildungsverträge (vgl. BMBF 2019, S. 22).

Mitbestimmung im Studium

Anders als junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betrieben begegnen Studierende in ihrer Qualifikationsphase selten Menschen aus betriebliche Mitbestimmungsgremien. Die Gremien der akademischen Selbstverwaltung an Hochschulen sind in ihren Aufgaben nicht mit betrieblichen Gremien zu vergleichen. Die Wahlbeteiligung ist im Gegensatz zu Betriebsratswahlen durchgängig sehr niedrig. Das deutet auf ein geringes Interesse an diesen Strukturen hin (vgl. Correctiv.org 2019). Nur wenige Absolventinnen haben an den Hochschulen letztlich eigene Erfahrung mit dem Thema Mitbestimmung.

Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge vs. Studium

Neben Berührungspunkten durch Engagement oder ihr soziales Umfeld könnten Studierende mit Mitbestimmungsfragen im Studium selbst in Kontakt kommen. Ob und wie Mitbestimmung dort überhaupt thematisiert wird, wurde in einem Projekt mit Fokus auf BWL- und Management-Studiengänge untersucht (vgl. Allespach/Dusse 2016). Die Auseinandersetzung mit gewerkschaftlichen Themen im Studium ist nicht bloß für die Gewinnung zukünftiger Mitbestimmungsakteure relevant, sondern auch für den Umgang mit diesen Themen in Unternehmen. Hochschulabsolventinnen und ­-absolventen bilden den Führungskräftenachwuchs für Unternehmen. Wenn zukünftige Führungskräfte aus ihrem Studium bereits erstes Wissen über Mitbestimmungsstrukturen und ihre Relevanz für unternehmerisches Handeln haben, begegnen sie diesen Themen anders und besser vorbereitet, als wenn sie in konkreten Situationen erstmalig und unvermittelt damit konfrontiert werden. Die Ergebnisse zeigen, dass Mitbestimmung nur in sehr geringem Umfang Thema und kaum in Curricula verankert ist. Wenn sie überhaupt thematisiert wird, dann vor allem in Wahlbereichen und nur in individualistischer Perspektive, nicht mit kollektivrechtlichen  Fragen  (vgl. Allespach / Dusse 2016, S.9) Selbst in inhaltlich absolut einschlägigen Modulen wie Unternehmensführung oder Industrial Relations ist Mitbestimmung weitgehend ein blinder Fleck. Dieser Befund lässt sich auch auf die entsprechenden Lehrbücher ausdehnen. Gerade die gestalterischen Möglichkeiten und die Bedeutung sozialpartnerschaftlichen Handelns werden in den untersuchten Studiengängen kaum berücksichtigt. Ähnlich den Themen Corporate Social Responsibilty oder Wirtschaftsethik wird Mitbestimmung nicht im Kontext institutionalisierter Rahmenbedingungen behandelt, sondern entlang individualisierter, z. B. arbeitsrechtlicher Fragen. (vgl. Allespach/Dusse 2016, S. 10).

Mitbestimmung in BWL-­ und Management­-Studiengängen – Ein blinder Fleck?

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Als Konsequenz aus diesem Befund wird derzeit ein Projekt gefördert, in dem Studienmodule zur Mitbestimmung entwickelt werden. Die Module nehmen traditionelle Themen wie etwa Personalmanagement, Führungskultur, Unternehmensstrategie, aber auch neue unternehmerische Herausforderungen, etwa Diversität und digitale Transformation, in den Blick und versuchen, die Mitbestimmung als unterstützenden Faktor für Unternehmensleitungen zu positionieren, um die sozialpartnerschaftliche Perspektive zu stärken.

Offenheit für Mitbestimmungsthemen

Junge Beschäftigte stehen gewerkschaftlichen Positionen offen gegenüber und gerade ihre Erfahrungen zu Beginn des Berufslebens sind prägend für die spätere Wahrnehmung von Mitbestimmung (vgl. Cha et al. 2019, S. 1). Hier bestehen Möglichkeiten, sie insbesondere für die Mitarbeit in Mitbestimmungsstrukturen zu gewinnen – allerdings sind sie in gewerkschaftlichen Strukturen stark unterrepräsentiert (vgl. Tapia / Turner 2018, S. 5; Anders et al. 2015, S. 26 ff). Um diesem Umstand entgegen zu wirken, werden mittlerweile Projekte und Ansprachekonzepte initiiert1, die speziell auf diese Zielgruppe zugeschnitten sind und mit einem Mix aus Einbindung in Strukturen und organisatorischer Autonomie arbeiten. In den Projekten wird es ermöglicht, einerseits klassische gewerkschaftliche Themen zu adressieren, andererseits neue Fragen zu thematisieren und Bündnisse einzugehen. Voraussetzung hierfür ist die Bereitschaft zu einer thematischen Offenheit (vgl. Cha et al. 2019, S. 2). Dazu gehört auch, die Mitarbeit für Personen (z. B. Studierende) zu ermöglichen, die nicht bereits über ihre Betriebszugehörigkeit in gewerkschaftliche Strukturen eingebunden sind, möglicherweise auch über die Neudefinition von Altersgrenzen.

Herausforderungen

Eine erste Idee, vor welchen Herausforderungen junge Mitbestimmungsakteure sich selbst perspektivisch sehen und welche Qualifikationsbedarfe sie artikulieren, lieferte 2018 ein gemeinsamer Workshop mit Stipendiatinnen und jungen Aufsichtsräten. Die Teilnehmenden stellen fest, dass sie in eine (Arbeits-­)Welt hineinwachsen, in der Demokratie und Mitbestimmung massiv unter Druck stehen. Hinzu kommt, dass permanent steigende Arbeitsbelastung und prekäre Bedingungen beim Berufseinstieg als Behinderung für eigenes Engagement empfunden werden. Insbesondere an letztem Punkt kann eine systematische Qualifikation ansetzen. Berufsneulinge könnten nicht nur über Mitbestimmungsarbeit informiert, sondern mit konkreten Angeboten unmittelbar in die betriebliche Arbeit eingebunden werden. Mit einem Übergangsmanagement für Mitbestimmungsgremien können Unsicherheiten über den Umfang konkreter Aufgaben reduziert und so die Bereitschaft zum Engagement erhöht werden. Gleichzeitig kann eine frühzeitige Einbindung helfen, die eigene Haltung zu stärken und Kompetenzen zu entwickeln. Nicht zu unterschätzen ist dabei die Wirkung von Netzwerken und Mentoring­-Programmen.

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1 z. B. „Perspektive U35“ von ver.di, „Liefern am Limit“ der NGG oder die Zusammenarbeit der IG Metall mit der „YouTubers Union“
Literatur
Allespach, Martin, und Birgitta Dusse (2016): Das Thema Mitbestimmung in BWL- und Management­-Studiengängen – ein blinder Fleck? Düsseldorf: Hans­-Böckler­-Stiftung.
Anders, Carsten, Hendrik Biebeler, und Hagen Lesch. (2015): Mitgliederentwicklung und politische Einflussnahme: Die deutschen Gewerkschaften im Aufbruch? IW­-Trends – Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung 42: 21–36.
BMBF. (2019): Berufsbildungsbericht 2019.
Cha, Mijin, Camille Dupuy, Jane Holgate, Melanie Simms, und Maite Tapia. (2019): Unions are only as old as they feel: lessons on young worker engagement from the UK, France, Germany and the US.
Correctiv.org. (2019): Demokratie an Hochschulen. Zwischen Mitbestimmung und Machtmissbrauch [09.03.2020.]
Tapia, Maite, und Lowell Turner. (2018): Renewed Activism for the Labor Movement: The Urgency of Young Worker Engagement, Work and Occupations 45: 391–419.