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Böckler-Konferenz für Aufsichtsräte 2016

Zwei Tage lang haben sich Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter in Aufsichtsräten über ihre Erfahrungen ausgetauscht und über zukünftige Anforderungen an ihre Arbeit diskutiert. Ein Konferenzbericht über die Veranstaltung der Hans-Böckler-Stiftung in Zusammenarbeit mit der DGB Offensive Mitbestimmung in Berlin.

Harte Bretter bohren – Werkzeug Mitbestimmung

„Die Mitbestimmung ist unsere Werkzeugkiste, wenn es darum geht, die harten Bretter der Zukunft zu bohren“. Mit diesem Bild markiert Norbert Kluge in seinem Eingangsstatement die gedankliche Linie zur diesjährigen Böckler-Konferenz für Aufsichtsräte. Im 40. Jubiläumsjahr des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 beraten rund 250 Arbeitnehmervertreter zwei Tage lang über die Chancen, Hindernisse und Herausforderungen der Unternehmensmitbestimmung. Die zunehmende Internationalisierung, Digitalisierung und Flexibilisierung von Unternehmen und Arbeit setzen die Mitbestimmung gehörig unter Druck. Und immer mehr Unternehmen nutzen gesellschaftsrechtliche Konstruktionen des Europarechts sowie Schlupflöcher in der deutschen Gesetzgebung zur Mitbestimmung, um sich der deutschen Mitbestimmung zu entziehen.

Arbeit und Mitbestimmung der Zukunft – Es wird schwieriger

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen haben die Expertinnen und Experten der Hans-Böckler-Stiftung für Mitbestimmung eine Erkundungsreise in die Zukunft unternommen. In vier Szenarien wurden schon heute skizzierbare gesellschaftliche Szenarien für die Mitbestimmung im Jahr 2035 entwickelt, mit denen sich die Teilnehmer am ersten Tag der Konferenz befassen. In vier szenischen Interpretationen gibt das Schauspieler-Trio vom Improvisationstheater „ImproBerlin“ auf ebenso unterhaltsame wie provokante Weise einen ersten Impuls zur Auseinandersetzung.

Im anschließenden Gedankenaustausch vermittelt sich eine vergleichsweise klare Einschätzung der gegenwärtig dominierenden Szenarioperspektive. Viele sehen die Zeichen auf „Wettbewerb“ stehen: Das „Wir“ wird heute anders definiert. Wir erleben zunehmende Verbetrieblichung, Zersplitterung und Spaltung von Belegschaften statt betriebsübergreifende Solidarität. Für Gewerkschaften und Interessenvertretungen bedeutet das: die Mobilisierung, Organisation und Solidarisierung der Arbeitnehmer werden schwieriger – zumal wenn sich die Trends zur gesellschaftsrechtlichen Aufspaltung in kleinere Unternehmen unterhalb der gesetzlichen Mitbestimmungsschwelle und zu mitbestimmungsfreien Formen weiter fortsetzen.

Mitbestimmung sichern und ausbauen – Wirksame Strategien finden

„Mitbestimmungspolitisch erleben wir seit vielen Jahren einen großen Stillstand“, sagt ein Arbeitnehmervertreter, „wir müssen endlich wieder Bewegung in die Sache bringen“. In der Diskussion um geeignete Strategien zeigen die Teilnehmer große Einigkeit: Die Mitbestimmung als demokratisches Gestaltungsprinzip der Sozialen Marktwirtschaft gehört wieder stärker auf die gesellschaftspolitische Agenda. Mitbestimmungsrechte müssen gesetzlich an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. Antworten auf die Frage „wofür Mitbestimmung?“ müssen wieder stärker in den Vordergrund gerückt und wertemäßig begründet werden: Es gibt ein Recht auf Mitbestimmung aus Arbeit, das keinerlei wirtschaftlicher Rechtfertigung bedarf. Zur praktischen Umsetzung werden Betriebsräte und Aufsichtsräte stärker vernetzt. Das trägt – insbesondere in Konzernstrukturen – wesentlich zum Erfolg von Mitbestimmung bei.

Der Mitbestimmungsindex – Starke Argumente für die Mitbestimmung

Die Unternehmensmitbestimmung hat starke Argumente auf ihrer Seite.
Bevor die Teilnehmer am zweiten Konferenztag in die – hier nicht näher dokumentierten –  inhaltlichen Tiefen der Aufsichtsratsarbeit eintauchen, geben Sigurt Vitols und Anke Hassel ihnen wichtiges Werk- und Rüstzeug mit auf den Weg. Sigurt Vitols vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung erläutert den in Zusammenarbeit mit der Hans-Böckler-Stiftung entwickelten Mitbestimmungsindex MB-IX. Dieser beschreibt die Leistungsfähigkeit von Mitbestimmung für den Unternehmenserfolg. Die Ergebnisse sind eindeutig: Mitbestimmte Unternehmen haben sich in und nach der Finanzkrise als deutlich stabiler erwiesen als solche ohne Mitbestimmung. Sie investieren überproportional in Kapitalgüter und in Ausbildung, und sie sind innovativer. Kurz: Mitbestimmung unterstützt die nachhaltige Unternehmensführung. Damit verfügen Gewerkschaften und Mitbestimmungspraktiker erstmals über ein empirisch abgesichertes Argumentarium, das den Wert und Nutzen von Mitbestimmung für Unternehmen belegt. Das hilft, die Mitbestimmungsdebatte gesellschaftlich zu beleben, im Dialog der Sozialpartner zu versachlichen und Mitbestimmung in den Unternehmen auch zukünftig erfolgreich zu gestalten.

Gegenwind aus der EU – Die politische Auseinandersetzung führen

Dass dies aber ein „hartes Brett“ bleibt, darauf verweist Prof. Anke Hassel von der Hertie School of Governance und designierte Direktorin des WSI der Hans-Böckler-Stiftung. Mit Blick auf die herrschende Debatte in der Europäischen Union bezweifelt sie den Willen und das Engagement der EU-Kommission für einen Ausbau von Mitbestimmungsrechten. Im Zweifel werde der Marktliberalisierung Vorrang gegeben, in der die Mitbestimmung ein Störfaktor sei. Die Sicht sei nach wie vor geprägt von Kapitaleigner-Dominanz und Shareholder-Value-Prinzip. Ausdruck dessen sei die Positionierung der EU-Kommission im EuGH-Rechtsstreit um die europarechtliche Konformität der deutschen Mitbestimmung. Hier folge die Kommission der Klägerargumentation. Das für 2017 erwartete Urteil, meint Anke Hassel, berge ein hohes Risikopotenzial für die deutsche Mitbestimmung. Eindringlich appelliert sie deshalb an die Teilnehmer, sich der Auseinandersetzung hier und heute zu stellen. Es reiche nicht, Rechtsgutachten zur Untermauerung der eigenen Position in Stellung zu bringen. Notwendig sei vor allem, die Auseinandersetzung auch politisch zu führen. Die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten müssten sich stärker und vernehmbarer zu den positiven Mitbestimmungserfahrungen in Deutschland bekennen. Es gehe darum, die Stimmung und das Meinungsklima für eine starke Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland und in Europa nachhaltig zu beeinflussen.

Mitbestimmung ist kein Geschenk – Wir müssen kämpfen

Am Ende der Konferenz haben nicht nur die „harten Bretter“ an Kontur gewonnen, denen sich die Unternehmensmitbestimmung gegenüber sieht. Auch der Blick in die Werkzeugkiste scheint unverstellter. Und deren Inhalt beschränkt sich nicht auf Bohrer allein: „Notfalls ist da auch ein Hammer drin“, sagt Norbert Kluge. Das klingt kämpferisch, und so ist es wohl auch gemeint. Denn Mitbestimmung gab es nie und gibt es auch in Zukunft nicht geschenkt. Die Arbeitswelt mitzugestalten, war stets ein „hartes Brett“.