Corporate Governance
Der Mitbestimmungs-Index
Was leistet die Mitbestimmung für die Zukunft nachhaltig geführter Unternehmen? Der Mitbestimmungsindex MB-ix gibt Auskunft.
Der Mitbestimmungsindex, kurz: MB-ix, entwickelt vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, misst den Zusammenhang zwischen der institutionellen Verankerung von Mitbestimmung und der Zukunftsfähigkeit von börsennotierten Unternehmen. Das ist innovativ: Denn im Fokus steht die Nachhaltigkeit und nicht die klassische betriebswirtschaftliche Variable. Zudem werden erstmals verschiedene Stärken der Mitbestimmung konstruiert: ein unterschiedlicher Grad der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat, unterschiedliche Rechtsformen des Unternehmens, ein eigenständiges Personalressort im Vorstand, eine Interessenvertretung der europäischen Belegschaft an der Spitze des Unternehmens. Darin unterscheidet sich diese Studie von allen bisherigen Versuchen der Forschung, Aussagen zu den Wirkungen von Mitbestimmung zu treffen.
Die Hans-Böckler-Stiftung fördert den MB-ix, weil sie mit seinen Ergebnissen einladen will zur Zukunftsdiskussion über die Mitbestimmung in Deutschland, aber auch über unsere Grenzen hinaus. Dabei gilt es insbesondere, die grundsätzliche Frage zu beantworten: Wofür ist ein Unternehmen da, zumal wenn es auf fremdem Kapital beruht und der Öffentlichkeit gegenüber transparenzpflichtig ist? Das Unternehmen trägt gesellschaftliche Verantwortung, weil es von jenem Kapital lebt, das in der Gesellschaft erwirtschaftet und angesammelt wurde – oft genug aus den Beiträgen von Arbeitnehmern zu ihrer Altersvorsorge oder zu anderen Versicherungen. Zudem stellt es Produkte und Dienstleistungen her, die zwar gewinnbringend verkauft werden müssen, aber eben auch einen Nutzen für seine Kunden stiften. Schließlich trägt ein Unternehmen als gesellschaftlicher Akteur auch Verantwortung für das Zusammenleben mit anderen Akteuren, für seine Arbeitnehmer, für seine Region, für seine Umweltverträglichkeit.
Wie muss ein solches Unternehmen mit diesen vielfältigen Zielen und Verantwortungen geführt werden? Genügt es, wenn Investoren aus dem eingesetzten Kapital Gewinne erzielen und das Unternehmen einzig und allein diesem Ziel dient? Wir meinen: Nein. Zugespitzt formuliert: Das einfache dichotomische Konzept der Unternehmensführung muss überwunden werden. Der moderne Ansatz von Unternehmensführung will diese Engführung auf das Börseninteresse hinter sich lassen. Wir argumentieren für eine breiter aufgestellte und deshalb bessere Unternehmensführung, die die Nachhaltigkeit von Unternehmen zum Ziel hat: Perspektiven für Arbeit und Standorte, im Einklang mit seiner Umwelt und (deshalb) wirtschaftlich erfolgreich und krisenfest.
Auch in diesem Sinne ist der MB-ix innovativ. Er weitet den Blick dafür, zu hinterfragen: Wie erreichen Unternehmen ihre (betriebs-)wirtschaftlichen Ziele? Welchen – je nach Ausgangspunkt des Wissenschaftlers – positiven oder negativen Beitrag leistet die Mitbestimmung dazu? Wie in solchen Studien üblich, erfolgt der Vergleich auch hier, indem die Entwicklung innerhalb eines ausgewählten Zeitraums beleuchtet wird – in diesem Fall umfasst er die Jahre 2006 bis 2013: Welchen Effekt hatte die Unternehmensmitbestimmung auf die Art und Weise, wie börsennotierte Unternehmen in Deutschland die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise überwunden haben? Gleichzeitig wird der Radar nach vorne gerichtet: Gibt es Anzeichen dafür, dass dabei eine nachhaltigere Unternehmenspolitik entwickelt wurde? Wenn ja: Welche? Der MB-ix macht dies fest an Indikatoren wie nachhaltiger Personalpolitik und „guter Arbeit“, an einer an langfristigen und sozialen Erfolgskriterien orientierten Managervergütung, am Beitrag zur besseren Innovationskraft von Unternehmen und auch zur Corporate Social Responsibility. Das sind die Handlungsfelder, bei denen sich eine Einflussnahme durch Mitbestimmung bietet. Die Wissenschaftler gehen dabei vom deutschen Gesellschaftsrecht aus, das der Mitbestimmung rechtlich eine wesentliche Funktion in der Überwachungs-, Beratungs- und Führungsarchitektur von börsennotierten und publizitätspflichtigen Unternehmen verbindlich zuweist.
Der MB-ix verfolgt ein doppeltes Ziel: Mit seinen Ergebnissen sollen bereits während des Bearbeitungsprozesses regelmäßig Befunde über das Pro und Contra der Unternehmensmitbestimmung in die öffentliche Debatte eingespeist werden. Debatten über die Zukunft von Mitbestimmung waren und sind immer wieder von fundamental gegensätzlichen Glaubenspositionen geprägt – durch seine wissenschaftliche Grundlage verleiht ihnen der MB-ix mehr Rationalität. Zugleich werden wichtige Dimensionen der Unternehmensmitbestimmung in Kategorien von Corporate Governance „übersetzt“, um mit guten Argumenten die Mitbestimmung in ein gesellschaftspolitisch funktionaleres Modell der Unternehmensführung einzufügen.
Der vorliegende Mitbestimmungsreport stellt Konzept, Konstruktion und zugrunde liegende wissenschaftliche Prämissen des MB-ix erstmals einer größeren Öffentlichkeit vor. Er fußt auf einer soliden Datenbasis, wurde mit Unterstützung von Praktikern entwickelt, seine Anwendung wurde in vielen Pre-Tests getestet. Er hält den Maßstäben der empirisch arbeitenden Sozialwissenschaft mittlerweile stand. Nun erwarten wir mit großer Zuversicht empirisch gut unterlegte Ergebnisse. Sie werden uns in der Praxis, aber auch in der Politik weiter dahin führen, den dringend notwendigen und bereits angestoßenen Paradigmenwechsel in der Corporate Governance zu verstärken. Auch die Mitbestimmung wird sich dabei verändern. Aber sie wird ihren zentralen Platz darin behaupten und ausbauen.
R. Scholz & S. Vitols (2016): Der Mitbestimmungsindex
Wirkungen der Mitbestimmung für die Corporate Governance nachhaltiger Unternehmen
Reihe: Mitbestimmungsförderung Report, Nr. 22.
Düsseldorf: 2016, ISSN: 2364-0413
16 Seiten
Ansprechpartner: Norbert Kluge