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Gesetzespaket zum EU-Gesellschaftsrecht

Die EU Kommission hat für Februar 2018 ein neues "Company Law Package" angekündigt. Der Europäische Gewerkschaftsbund sieht in einer Stellungnahme große Risiken und Handlungsbedarf mit Blick auf Unternehmenssitz und Mitbestimmungsrechte.

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Europäischer Gewerkschaftsbund

Der Europäische Gewerkschaftsbund (englisch ETUC, European Trade Union Confederation) ist der europäische Dachverband der Gewerkschaften. Er vertritt 89 nationale Gewerkschaftsbünde aus 39 Ländern und 10 europäische Branchenverbände mit insgesamt 60 Millionen Mitgliedern. Seinen Sitz hat der EGB in Brüssel. 

Forderungen des EGB zum angekündigten Gesellschaftsrechtspaket*

Verabschiedet bei der Sitzung des Exekutivausschusses am 13./14. Dezember 2017

Kernpunkte

  • Die Niederlassungsfreiheit von Unternehmen im Binnenmarkt birgt häufig mehr Risiken als Chancen. Die fehlende Konvergenz bei wichtigen sozialen und steuerlichen Fragen in der erweiterten Union bietet Raum für Missbrauch und die Umgehung von Rechtsvorschriften.
  • Das angekündigte Gesetzespaket zum Gesellschaftsrecht kann für die Arbeitnehmer nur dann einen Mehrwert bieten, wenn es die Praktiken der Briefkastenfirmen und der Umgehung von Arbeitnehmermitbestimmung bzw. -beteiligung wirkungsvoll einschränkt.
  • Jedes Instrument, das die Mobilität von Unternehmen weiter fördert, ohne wirkungsvolle Sicherungsmechanismen gegen ‚Regime Shopping’ zu bieten ist inakzeptabel. Der EGB muss das gesamte Gesellschaftsrechtspaket ablehnen, wenn die Kommission darin nicht den Grundsatz des einzigen oder ‚tatsächlichen’ Gesellschaftssitzes aufnimmt, der den Satzungssitz an den Ort der Unternehmenstätigkeiten koppelt.
  • Das Gesellschaftsrechtspaket muss außerdem berücksichtigten, dass die Niederlassungsfreiheit von Unternehmen – selbst wenn sie auf echte wirtschaftliche Gründe beschränkt bleibt – weitreichende Folgen für die Rechte und Beschäftigung der Arbeitnehmer hat. Daher sind wirksame Standards für die Mitbestimmung/ Beteiligung der Arbeitnehmer notwendig.
    Die derzeitige „Laissez-faire“-Politik hat sehr weitreichende negative Folgen. Briefkastenfirmenstrukturen werden die Entfremdung der Arbeitnehmer vom Binnenmarkt weiter verschärfen. Die Kommission muss sicherstellen, dass der Binnenmarkt und seine wirtschaftlichen Grundfreiheiten zum Instrument werden, das allen europäischen Bürgern dient und insbesondere der arbeitenden Bevölkerung, die den Wohlstand unserer Europäischen Union generiert.

Einführung

Kommissionspräsident Juncker kündigte in seiner Rede zur Lage der Union 2017 ein „EU-Gesellschaftsrechtspaket mit dem Ziel [an], zu einer optimalen Nutzung digitaler Lösungen beizutragen und – unter Einhaltung der nationalen sozial- und arbeitsrechtlichen Vorgaben – wirksame Vorschriften für grenzüberschreitende Tätigkeiten zu erlassen“. Die Verschiebung im Narrativ ist deutlich. Die Kommission scheint erstmals willens zu sein, das EU-Gesellschaftsrecht und die Einhaltung sozialer Standards auf eine Stufe zu stellen.

Zusammensetzen wird sich das Gesellschaftsrechtspaket aus einem Vorschlag für eine Richtlinie über grenzüberschreitende Spaltungen, einer geplanten Überarbeitung der Richtlinie über grenzüberschreitende Verschmelzungen und einem Richtlinienvorschlag, der die Nutzung digitaler Tools zur Eintragung von Unternehmen fördern soll. Das Paket könnte zwei weitere Instrumente beinhalten: einen Richtlinienvorschlag über grenzüberschreitende Sitzverlegungen (vorher als 14. Gesellschaftsrechtsrichtlinie über die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes bekannt) und einen Verordnungsentwurf über Kollisionsrechtsbestimmungen für Unternehmen.

In der Rechtssache Polbud bestätigte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil jüngst, dass Unternehmen, die ihren Sitz innerhalb des Binnenmarkts verlagern, um in den Genuss einer für sie günstigeren Rechtsordnung zu kommen, nicht per se gegen geltendes Recht verstoßen. Folglich sind die Mitgliedstaaten nicht befugt, Unternehmen bei der Verlagerung ihres Sitzes in ein anderes Land der Europäischen Union einzuschränken – selbst wenn sie die Schaffung einer Briefkastenfirma zur Folge hat.

In seiner Stellungnahme im Rahmen einer Konsultation von 2012 zur Zukunft des Gesellschaftsrechts hatte der EGB bereits die Verantwortung des EU-Gesetzgebers betont, die Niederlassungsfreiheit von Unternehmen zu regulieren, um Wettbewerb zwischen verschiedenen Rechtssystemen zu verhindern. Das Urteil in der Rechtssache Polbud verdeutlicht die Notwendigkeit geeigneter Gesetzesmaßnahmen noch.

Diese Stellungnahme des EGB formuliert Forderungen im Hinblick auf das angekündigte Gesellschaftsrechtspaket. In zwei Kernbereichen sind Schritte erforderlich: die EU-weite Harmonisierung der Kriterien zur Kopplung des Satzungssitzes und des Orts der Unternehmenstätigkeiten und wirksame Rechtsvorschriften zur Arbeitnehmerbeteiligung.

Teil I – Wie sehen die Pläne für eine Richtlinie über grenzüberschreitende Umwandlungen aus?

Die EU muss den Wettbewerb zwischen Rechtssystemen beenden
Die Wahl des Lands, in dem der Gesellschaftssitz eingetragen wird, ist ein wichtiger Schritt im Leben eines Unternehmens, da er über das nationale Recht entscheidet, das im Wesentlichen für das Unternehmen gelten wird. Angesichts der fehlenden EU-weiten Harmonisierung in diesem Bereich kommt der EuGH zu dem Schluss, dass es Unternehmen freistehen sollte, ihren Sitz in einem beliebigen EU-Mitgliedstaat einzutragen, ungeachtet der Frage, wo ihre Aktivitäten tatsächlich angesiedelt sind.

Diesen „Laissez-faire“-Ansatz nutzen skrupellose Unternehmen aus, die vollkommen künstliche Strukturen schaffen, um die rechtlichen Verpflichtungen in Verbindung mit dem Satzungssitz zu minimieren oder dagegen zu verstoßen. Die Folge ist unlauterer Wettbewerb über Steuer- und Sozialstandards und bisweilen extreme Ausbeutung von Arbeitnehmern.

In einem Bericht von 2016 wies der EGB nach, dass Arbeitnehmer im deutschen Fleischverarbeitungssektor teilweise Monatslöhne von nur 700 Euro erhalten, während die Vorarbeiter mafiaähnliche Praktiken im Betrieb anwenden. Im niederländischen Güterkraftverkehr fahren LKW-Fahrer acht Wochen durchgehend, ohne ihre Fahrzeuge verlassen zu dürfen. Im europäischen Bausektor werden die Arbeitgeberanteile an der Sozialversicherung einbehalten.

Briefkastenfirmen werden außerdem genutzt, um nationale Mitbestimmungsgesetze zu umgehen. Es sind derzeit fast 100 Unternehmen, die ihrer Größe nach der deutschen Unternehmensmitbestimmung unterliegen (würden), sie aber umgehen, indem sie eine ausländische Rechtsform wählen. Dies betrifft mehr als 300.000 Arbeitnehmer, Tendenz steigend.

In Ermangelung eines europäischen Steuerrahmens können Unternehmen des Weiteren mithilfe von Briefkastenfirmen die höchste Körperschaftssteuer umgehen.

Eine faire Besteuerung dort, wo Gewinne erwirtschaftet werden, sollte mit der Umsetzung der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), ihrer Verbesserung und der öffentlichen Berichterstattung multinationaler Unternehmen für jedes einzelne Land angegangen werden. Da die Körperschaftssteuer mit dem Ort des Satzungssitzes zusammenhängt, spielt das Gesellschaftsrecht eine wichtige Rolle, um eine faire Besteuerung multinationaler Unternehmen zu gewährleisten.

Die Europäische Kommission muss den Grundsatz verankern, dass die wirtschaftlichen Grundfreiheiten der EU nicht von Unternehmen für vollkommen künstliche Konstrukte missbraucht werden dürfen. Das EU-Recht muss festlegen, dass ein Unternehmen seinen eingetragenen Firmensitz nicht in einen Mitgliedstaat (ver-)legen kann, in dem es keine echten Wirtschaftsaktivitäten verfolgt (d.h. keine Mitarbeiter, keine Räumlichkeiten, kein Gewinn etc.). Dies gilt umso mehr, wenn eine solche Verlagerung sich nachteilig auf arbeits- und steuerrechtliche Standards sowie bestehende Mitbestimmungssysteme auswirken würde. Der EGB fordert einen Ansatz, der auf einem einzigen oder ‚tatsächlichen Sitz’ basiert. In den Grundzügen folgt er dem Modell, das im Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) festgelegt wurde, das der EGB immer unterstützt hat. **

Teil II – Grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen sowie die Digitalisierung von Firmengründungen

Jedes Instrument, das die Mobilität der Unternehmen weiter fördert, ohne wirksame Sicherungen gegen „Regime-Shopping“ vorzusehen, ist nicht tragbar. Der EGB wird sich vehement gegen das gesamte Gesellschaftsrechtspaket wehren, wenn die Kommission keine wirkungsvollen Kriterien für eine Kopplung von Sitz und Aktivitäten vorschlägt, wie sie in Teil I und III genannt werden.

Der EGB wird außerdem jeden Verordnungsentwurf über Kollisionsrecht ablehnen, der die Gründungstheorie legitimiert (d.h. dass Unternehmen dem Recht des Lands, in dem der Satzungssitz eingetragen ist, unterliegen).

Der EGB ist gegen die Pläne der Kommission für eine Richtlinie über grenzüberschreitende Spaltungen. Die unternehmerische Notwendigkeit einer solchen Richtlinie ist nicht erwiesen und der EGB befürchtet, dass sich die Erleichterung von Aufspaltungen größerer Unternehmen in kleinere Strukturen negativ auf die bestehenden Strukturen der Arbeitnehmervertretung auswirken wird.

Was die Digitalisierung von Firmengründungen betrifft, erkennt der EGB den Mehrwert eines einzigen, vernetzten und EU-weiten Registers aller Unternehmen an. Eine solche einheitliche Informationsquelle erhöht die Transparenz und unterstützt die Überwachung von Firmenaktivitäten. Gleichzeitig befürchtet der EGB jedoch, dass die rein digitale Eintragung von Unternehmen das Problem des Betrugs und/oder der veralteten oder unvollständigen Informationen verschärfen könnte. Daher fordert er die Kommission auf, mögliche Durchsetzungsprobleme gründlich abzuwägen, bevor die Online-Eintragung von Gesellschaften erleichtert wird. Die einfache Vernetzung nationaler Firmenregister ohne Gewährleistung einheitlicher Qualitätsstandards kann nur ein erster Schritt sein. Die Online-Eintragung von Firmen ohne Mindeststandards für die Überprüfung ist unzulänglich; eine notarielle Beteiligung wäre begrüßenswert, um hochwertige Arbeit zu gewährleisten.

Teil III – Wirkungsvolle Rechtsvorschriften über die Beteiligung von Arbeitnehmern / Mitbestimmung

Der EGB fordert den effizienten Schutz der geltenden nationalen Bestimmungen zur Unterrichtung, Anhörung und Unternehmensmitbestimmung im Zusammenhang mit dem oben genannten europäischen Ansatz, diese Rechte der Arbeitnehmer auf alle europäischen Unternehmen auszuweiten, die eine Umwandlung auf Grundlage europäischer Gesetzgebung vollziehen. Der Ansatz einer Staffelung (escalator approach) würde die meisten nationalen Systeme schützen und die Umgehung nationaler Rechtsvorschriften durch Anwendung des europäischen Gesellschaftsrechts beenden, die derzeit zu beobachten ist. Er beinhaltet eine dynamische Regelung, die verhindert, dass Unternehmen kurz vor Erreichen eines Schwellenwerts nach nationalem Recht zu einer europäischen Gesellschaftsform wechseln (oder Instrumente des europäischen Gesellschaftsrechts anwenden). Der Staffelungsansatz verankert den Verhandlungsgrundsatz ‚im Schatten des Gesetzes’ und starker Rechte. Das Verhandlungsergebnis kann je nach Fall unterschiedlich sein, sollte aber nicht die Rechte nationaler Gewerkschaften nach nationalen Gesetzen und/oder Gepflogenheiten beschneiden. Der EGB fordert, dass Unternehmen bei Anwendung europäischer gesellschaftsrechtlicher Instrumente die Rechte auf Unterrichtung, Anhörung und Unternehmensmitbestimmung sichern müssen, wie sie in der Stellungnahme des EGB zum neuen EU-Rahmen beschrieben werden. Darüber hinaus würde eine allgemeine Pflicht zur Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats die europäische, grenzübergreifende Dimension der Unterrichtung und Anhörung stärken, die in Fällen grenzüberschreitender Unternehmensmobilität unabdingbar ist.

Sowohl die Europäische Säule sozialer Rechte (ESSR) wie auch der Sozialgipfel in Göteborg haben es versäumt, die Frage der Mitbestimmung anzusprechen. Dies muss bei der Umsetzung des Maßnahmenprogramms zur ESSR korrigiert werden. Die Arbeitnehmer müssen an wesentlichen Veränderungen beteiligt werden und sie begleiten. Daher müssen bei jedem Vorhaben, den Satzungssitz in ein anderes Land zu verlagern, die Arbeitnehmer auf höchster Ebene frühzeitig beteiligt werden. Die Verlagerung des Sitzes in ein anderes Rechtssystem wirkt sich auf die Verfahren zur Unterrichtung, Anhörung und Unternehmensmitbestimmung aus. Verlagert ein Unternehmen seinen Gesellschaftssitz in einen Mitgliedstaat, dessen Standards weniger Schutz bieten als die des vorherigen Sitzstaats, besteht eine reale Gefahr, dass der Arbeitnehmerschutz aufgeweicht wird.

Daher muss der Vorschlag der Kommission folgende Punkte berücksichtigen:

  • Das Verhandlungsverfahren muss vorbehaltlich gewisser Anpassungen für grenzüberschreitende Umwandlungen gelten, um sicherstellen, dass im Schatten des Staffelungsansatzes Verhandlungen zur Ausgestaltung und Funktionsweise eines neuen grenzübergreifenden Unterrichtungs- und Anhörungsgremiums sowie über Mitbestimmungsrechte geführt werden.
  • Während der Dauer der Verhandlungen müssen die vorhandenen Strukturen der Arbeitnehmervertretung fortbestehen, bis die neue Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung grenzübergreifend in Kraft tritt.
  • Aufeinanderfolgende grenzüberschreitende Umwandlungen sind zu verbieten.
* Der Text ist eine nicht offizielle Übersetzung für das Mitbestimmungsportal, die englische Originalfassung findet sich auf der EGB-Website.
** „Der Sitz der SE muss in der Gemeinschaft liegen, und zwar in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung der SE befindet. Jeder Mitgliedstaat kann darüber hinaus den in seinem Hoheitsgebiet eingetragenen SE vorschreiben, dass sie ihren Sitz und ihre Hauptverwaltung am selben Ort haben müssen.“ (Artikel 7).

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