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Betrieblicher Gestaltungsbedarf

Projekt "Orts- und zeitflexibles Arbeiten"

Die Corona-Pandemie inflationiert das ungeregelte Arbeiten im Homeoffice. Das vom Bundesarbeitsminister geforderte „Recht auf Homeoffice“ ist gut gemeint. Essenziell sind aber umfassende Betriebsvereinbarungen zum orts- und zeitflexiblen Arbeiten.

Neues Projekt zum orts- und zeitflexiblen Arbeiten

An der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA) startete vor kurzem das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Projekt „Orts- und zeitflexibles Arbeiten in der betrieblichen Praxis“. Mittels Fallstudien einzelner Betriebe untersucht es branchenübergreifend in den Verantwortungsbereichen von IGM, IGBCE, NGG und ver.di, wie Betriebsvereinbarungen zum orts- und zeitflexiblen Arbeiten in der betrieblichen Praxis zustande kommen, wie sie praktisch umgesetzt und von den Beschäftigten genutzt werden. Dies geschieht in enger Kooperation mit dem Arbeitsbereich Praxiswissen Betriebsvereinbarungen des I.M.U. der Hans-Böckler Stiftung. Dort wertet Sandra Mierich vorliegende Betriebs- und Dienstvereinbarungen zum orts- und zeitflexiblen Arbeiten auf ihre Regelungsinhalte hin aus.

Wir wollen so Erkenntnisse gewinnen, wie orts- und zeitflexibles Arbeiten (OzfA) betrieblich gestaltet werden kann, um den Belangen und Bedarfen der betrieblichen Akteure gerecht zu werden. Erste Ergebnisse sind einer Handreichung für Mitbestimmungspraktiker zu entnehmen, welche in Kürze (in der Böckler-Reihe Study) veröffentlicht wird. Das Projekt möchte Best Practices identifizieren und die Aufmerksamkeit bei betrieblichen Praktikern dafür steigern, worauf es bei der Gestaltung von Betriebsvereinbarungen und der anschließenden praktischen Umsetzung für unterschiedliche Beschäftigtengruppen ankommt.

Homeoffice in Corona-Zeiten

Kaum begonnen, wurde die Arbeit des Projekts von der Corona-Pandemie überrollt. Was wie eine Störung des Normalbetriebs erscheint, erweist sich ebenso als Herausforderung für das Projekt wie als Chance, frühzeitig Erfahrungen aus dem aktuell stattfindenden „Realexperiment zum massenhaften Homeoffice“ ziehen zu können. Welche Fragen sich dabei stellen, haben wir in einem – zeitgemäß als Videokonferenz abgehaltenen – internen Workshop des Projektverbunds mit betrieblichen Praktikern, Gewerkschaftern und Arbeitsforscher*innen am 24.4. reflektiert. Im Fokus der Diskussionen stand insbesondere die Frage, welche neuen Forschungsfragen und -aufgaben sich aus der explosionsartigen Zunahme der Arbeit im Homeoffice in Folge der Corona-Krise ergeben.

Eines ist klar: Die aktuelle, größtenteils vollständige Verlagerung von Tätigkeiten in die Privatwohnung von Beschäftigten ist ein qualitativ anderes Phänomen als die zuvor praktizierte anteilige oder gelegentliche Verlagerung der Tätigkeit Einzelner aus dem Betrieb. Zudem existieren in den meisten Betrieben dafür keine Regelungen bzw. Betriebsvereinbarungen.

Zweifelsohne haben wir es gerade mit einer historischen Ausnahmesituation zu tun. Zugleich wird deutlich, dass eine stillschweigende Rückkehr zur alten Normalität kaum möglich und sinnvoll sein dürfte. Die gegenwärtige Sondersituation zeigt eindrücklich wie unter einem Brennglas auf, welche Bedarfe und Optionen, aber auch welche Probleme und Gefahren mit Homeoffice verbunden sind. Um diese zu erforschen, benötigt es insbesondere eine Bestandsaufnahme aktueller Erfahrungen von Betriebsräten in Betrieben, die massiv auf Homeoffice umgestellt haben. Für das Projekt sind damit zwei Konsequenzen verbunden: Einerseits sind entsprechende Forschungsfragen zu entwickeln, die vertiefende Einblicke in die derzeitige Arbeit ermöglichen. Zweitens reagiert das Projekt mit der partiellen Umstellung auf Online- und Telefoninterviews auf die neue Situation, mit der sich auch die Zugänge verändern.

Ein einfaches „Geht doch!“ reicht nicht aus

Die aktuelle Initiative von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil für ein allgemeines Anrecht der Beschäftigten auf Homeoffice ist ein wichtiger Beitrag in der Debatte um die Ausgestaltung dieser Arbeitsform. Für die betriebliche Praxis aber kommt es vielmehr darauf an, für den jeweiligen Betrieb und die betroffenen Beschäftigtengruppen angemessene spezifische Regelungen zu treffen und auszuloten, welche Strukturen im Betrieb dazu ggf. erst geschaffen werden müssen. Dieses anzugehen wird zu einer wichtigen Aufgabe künftiger Betriebsratsarbeit werden.

Es ist zudem wenig sinnvoll, sich bei der Reflektion der gegenwärtigen Situation auf ein vorschnelles und alleine der Kurzfristperspektive geschuldetes „Geht doch!“ zu beschränken. Vielmehr müssen auch die mittelfristigen negativen Nebenfolgen umfassend erfasst und reflektiert werden. Bereits jetzt wird offensichtlich, dass der kollegiale Zusammenhalt und wechselseitige Austausch im Betrieb unter einer „Verallgemeinerung“ von Homeoffice massiv leidet. Vereinzelung in der Belegschaft bringt auch negative arbeitspolitische Konsequenzen mit sich. Hier gilt es, entsprechende Gegenstrategien zu entwickeln und wo erforderlich, auch Routinen in der betriebsrätlichen Arbeit anzupassen. Und schließlich verdeutlicht die aktuelle Praxis des massenhaften Arbeitens im Homeoffice, in wie vielen Fällen die Beschäftigten nicht über adäquate Arbeitsbedingungen in der eigenen Wohnung verfügen. Dies betrifft sowohl den häuslichen Arbeitsplatz als auch die digitale Infrastruktur. Das verdeutlicht, wie wichtig eine robuste Rahmung von Homeoffice durch die betrieblichen Akteure ist, um eine Absenkung von Arbeits- und Gesundheitsschutz und -prävention vorzubeugen.

Das Projekt möchte hierfür wichtige empirische Erkenntnisse beisteuern und dazu jenseits der aktuellen Lage – aber durchaus vor dem Hintergrund der von den Beschäftigten darin gemachten Erfahrungen – generalisierende Rückschlüsse für die notwendige Gestaltung des orts- und zeitflexiblen Arbeitens zusammenführen. Das zielt sowohl auf die betriebs- als auch auf die arbeitspolitische Dimension der Debatte.

Projekt „Orts- und zeitflexibles Arbeiten“

Im Rahmen des Projektes werden Erfahrungen von Betriebsräten, Beschäftigten und Management mit orts- und zeitflexiblen Arbeiten betrachtet. Zentrale Fragestellung ist, wie werden abgeschlossene Vereinbarungen gelebt und was fördert die Umsetzung?

Ansprechpartner für das Projekt: 
Prof. Dr. Ingo Matuschek – ingo.matuschek@hdba.de, Tel. 0385 540 84 76
Christoph Krause (M.A.) – christoph.krause@arbeitsagentur.de, Tel. 0385 540 84 96

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