Hauptinhaltsbereich

LABOR.A 2020

Homeoffice in Zeiten der Pandemie

Die Corona-Pandemie legt es offen: Homeoffice bietet Chancen, bereitet Probleme und muss noch reifen. Auf der LABOR.A haben wir uns über die Herausforderungen des Arbeitens in Nähe und Distanz ausgetauscht. Ein Bericht.

Teaserbild Labor.A 2020

Gut zusammengefunden: Unser Homeoffice-Panel auf der LABOR.A 

Als Ende Mai 2020 der Aufruf der Hans-Böckler-Stiftung kam, sich an der LABOR.A zu beteiligen, war der erste Lockdown noch voll in Gange. Es war also ungewiss, wie diese LABOR.A ablaufen würde und welches Format geeignet sein könnte. Am Ende fand sie online statt und wurde in etwa so gestaltet, wie es bereits in den Veranstaltungen vorher üblich war: Thematisch beieinander liegende Angebote wurden gemeinsam präsentiert und diskutiert.

Der Titel unserer Session „Zusammenarbeit, Mitbestimmung und Führung in Nähe und Distanz - historisch, gegenwärtig, während der Pandemie und in Zukunft“ wurde uns zwar vorgegeben, wir fanden aber einen roten Faden. 

Wir entschlossen uns, mit einem kompakten Video unsere Inputs zu bündeln und zugleich die Teilnehmer:innen des Panels in Form von Arbeitsgruppen einzubeziehen. 

Im Folgenden möchten wir einen kleinen Eindruck aus unseren eigenen Forschungen und der Diskussion in unserem Panel vermitteln.

Homeoffice bleibt ein Privileg

Das modern klingende Homeoffice war historisch gesehen über Jahrhunderte hinweg der Normalzustand. In Heimarbeit wurde produziert und repariert, Textilien oder landwirtschaftliche Produkte wurden im heimischen Wohnzimmer, das häufig auch Schlafzimmer und Küche sowie gelegentlich sogar Stall zugleich war, bearbeitet und verarbeitet. Die Trennung von Wohnung/ privatem Leben und der Erwerbsarbeit ist ein Phänomen industrialisierter Gesellschaften. Erst seitdem es die Fabrik gibt, “gehen wir zur Arbeit”.

Mit der Trennung von Wohnen und (modernem) Arbeiten begann das Homeoffice zu einem Privileg zu werden. Im 19. Jahrhundert waren es nur wenige Industrielle, die ihre Unternehmen von zuhause aus mit dem Telegraphen und später dem Telefon managten. Mit der Automation und der Digitalisierung seit den 1950er-Jahren wurde es zwar möglich, auch die moderne Arbeit an anderen Orten auszuführen als dort, wo die Maschinen standen. Ein Privileg für Angestellte mit “weißem Kragen” blieb es dennoch.

Bemerkenswert ist, dass mit jedem Digitalisierungsschub die Idee verbunden wurde, komplexe Tätigkeiten mit einem Automaten oder Computer zu vereinfachen und diese dann von geringer qualifizierten Beschäftigten und eventuell sogar von zuhause aus ausführen zu lassen. Dies betraf die Setzer:innen der 1970er-Jahre, die Sekretär:innen der 1980er-Jahre (Stichwort: Telearbeit) und dies betrifft auch viele Web-2.0-Anwender:innen seit den 2010er-Jahren. Und dennoch, wenn es ums Eingemachte geht, bleibt Homeoffice ein Privileg.

In der Coronakrise – dies haben die unserem Panel zugrunde liegenden Studien und die Diskussionen auf der Labor.A ergeben – waren es die Sekretär:innen und Sachbearbeiter:innen, die als erste wieder in den Betrieb und ins Büro gerufen wurden. Zuhause zu arbeiten bleibt damit ein Privileg der qualifizierten Angestellten – wenn man denn in einem Betrieb fest angestellt ist. Als prekär beschäftigte:r Clickworker wiederum ist das Arbeiten neben dem Bett oder am Küchentisch Normalzustand. 

Prozessorientierte Kollegialität (oder: das Flurgespräch fehlt)

Dass der Arbeit eine soziale Qualität eigen ist, die ganz unterschiedlich ausfallen kann, ist eine weit verbreitete Erfahrung: Die Beziehungen zu Vorgesetzten, Untergebenen und Kolleg:innen in der Werkhalle, im Büro, in einer Dienstleistungseinrichtung oder einem Geschäft sind sowohl Voraussetzung als auch Ergebnis kollektiver Wertschöpfung. Nur wenige Menschen erbringen ihre Leistung gänzlich alleine, die meisten sind eingebunden in Netzwerke gemeinsamer Tätigkeit. Gute Beziehungen “auf Arbeit” zu erhalten, ist daher ein wichtiges Ziel; es dient einer hohen Produktivität, fördert nicht selten auch ein gutes Betriebsklima und die Zufriedenheit der Arbeitenden. 

Im besten Fall stellt sich eine Kollegialität ein, die auch gelegentliche Auseinandersetzungen aushält. Vorgesetzten eine abweichende Meinung kundtun zu können, ohne gleich negative Konsequenzen fürchten zu müssen, gehört ebenso dazu, wie der gelegentliche und am nächsten Tag vergessene Disput unter Kolleg:innen. Natürlich gibt es auch nicht zu überbrückende Gegensätze; unabhängig davon gilt aber: Die Arbeitsstelle ist für viele ein Ort, an dem sie geschätzte Kolleg:innen treffen und sich vernetzen. 

Mit der Corona-Krise war das für einen erheblichen Teil der Belegschaften vorbei oder eingeschränkt. Ins Homeoffice geschickt zu werden und nun mehr oder weniger vereinzelt seine Arbeit tun zu müssen, betraf laut Zeitungsberichten etwa ein Viertel aller Arbeitenden über einen zum Teil doch recht langen Zeitraum. Insbesondere Beschäftigte aus den Verwaltungsbereichen konnten recht schnell ihren Arbeitsplatz verlegen, aber auch Angestellte in der Entwicklung, in Laboren und sogar in einigen Produktionsbereichen waren dazu in der Lage. 

Der Kontakt zu Kolleg:innen fiel mit der Pandemie nicht gänzlich weg, aber es haben sich neue und zunächst ungewohnte Formen eingestellt: Video-Konferenzen, Chat-Räume, Absprachen über Telefon etc. haben die Gespräche mit den Kolleg:innen verändert. Dabei geht es weniger um vertrauliche Themen, sondern vielmehr darum, die anstehende Arbeit weiterhin gemeinsam stemmen zu können. Es fällt leichter sich abzustimmen, wenn kein Medium wie Computer oder Telefon dazwischengeschaltet ist. 

Das betrifft auch eine Form der gemeinsamen Arbeit, die wir als “prozessorientierte Kollegialität” bezeichnen: das Vermögen einer Anzahl von Menschen, gemeinsam eine Arbeitsaufgabe voranzutreiben. Unsere Erhebungen in der Corona-Krise unter Beschäftigten im Homeoffice zeigen, dass mit zunehmender Dauer der Abwesenheit vom Betrieb die Kommunikation über Video, Telefon usw. als nicht ausreichend eingeschätzt wurde. Natürlich fehlte auch mal der Austausch über private Themen. Wichtiger jedoch ist die Wahrnehmung, dass eine wichtige Voraussetzung guter Arbeit fehlte: die schnelle Abstimmung “auf dem Flur”, die beiläufige Information in der gemeinsamen Zigarettenpause. 

Diese Dinge waren zuvor selbstverständlich und trugen zum Gelingen der Arbeit bei. Erst in der Krise und mit dem Ausbau des Homeoffice zeigte sich, dass prozessorientierte Kollegialität eine wenig beachtete, aber fundamentale Qualität des Arbeitens ist, die durch das Ausweichen auf Homeoffice erheblich gestört wurde. Viele Beschäftigte, so unsere Ergebnisse, können sich die Arbeit im Homeoffice allenfalls begrenzt vorstellen; der größte Anteil an Arbeit soll wieder “im Betrieb” stattfinden.

Privatsphäre: “Auf einmal sitzen die Kolleg:innen bei mir im Wohnzimmer”

In gewisser Hinsicht ist Kollegialität also schwerer zu verwirklichen, wenn der Kontakt in Präsenz wegfällt. Mit der Verlagerung der Zusammenarbeit ins Digitale geht aber noch ein weiterer Aspekt einher, der in unseren Diskussionen auf der Labor.A, insbesondere von einigen Betriebsrät:innen hervorgehoben wurde: Kollegialität hat sich auch dadurch verändert, dass die Kolleg:innen auf einmal quasi ‚in die Wohnung gelassen werden‘ und damit unfreiwillig in die Privatsphäre eindringen. Die Zusammenarbeit über Videokonferenzen findet in privater Umgebung statt, in der die Wohnungseinrichtung und möglicherweise weitere Haushaltsangehörige sichtbar und hörbar werden. Teile der Privatsphäre, die man früher vielleicht gern versteckt hat (und was leicht möglich war), drängen nun in die Sichtbarkeit.

Einige Betriebsrät:innen berichteten in der Diskussion von einer Spaltung in der Belegschaft, da hier höchst unterschiedliche Bedürfnisse deutlich werden. Manchen ist es unangenehm, dass andere sehen können, wie man wohnt. Andere beschreiben, dass das Verhältnis zu den Kolleg:innen dadurch vertrauter geworden ist; sie freuen sich, mehr von sich zeigen zu können und als “ganze Person” sichtbarer zu werden. Manche nutzen es gar als Inszenierungsmöglichkeit, sei es mit intellektuell anmutender Bücherwand, stylischer Einrichtung oder gut geratenen Kindern. 

Für diejenigen, die diese Art der Sichtbarkeit aber nicht wollen, bedeutet die Entgrenzung von Privatsphäre und Öffentlichkeit allerdings weitere Anforderungen und Anstrengungen. Sie sehen sich z. B. gezwungen, die Wohnung so umzustellen, dass sich eine Ecke mit weißer Wand und ohne Kindergeschrei findet, die nicht viel über die Privatsphäre preisgibt. Hier ist wichtig, die unterschiedlichen Bedürfnisse zu akzeptieren, so das Fazit aus Sicht der Interessenvertreter:innen. Letztlich wurde in der Diskussion deutlich, dass das Eindringen des Privaten in den beruflichen Kontext aber auf jeden Fall die beruflichen Rollen verändern kann. 

Führung – welche Rolle spielt sie (noch)?

Ein weiteres Thema unseres Panels waren die veränderten Anforderungen an Führung. In der Diskussion kam heraus, dass sich einige Beschäftigte von ihrer Führungskraft im Stich gelassen gefühlt haben. Die Führungskraft habe sich “herausgezogen”, Verantwortung abgegeben, die Beschäftigten waren entsprechend auf sich allein gestellt. Die Umstellung auf verstärktes Homeoffice durch die Corona-Pandemie hat alle Betriebsparteien gleichermaßen getroffen und teilweise überfordert – auch die Führungskräfte. Dies gilt insbesondere dort, wo Homeoffice bisher eher ein untergeordnetes Thema war. Schnell wurde zwar eine technische Infrastruktur geschaffen und Prozesse umgestellt; wie aber Führung unter diesen Umständen stattfinden kann, musste vielfach erst neu erarbeitet werden.

In Unternehmen und Organisationen, wo es bereits Regelungen und Vereinbarungen zum Homeoffice gab, waren die Einschläge nicht so gravierend. Es bestand schon eine technische Infrastruktur, Erreichbarkeits- und Arbeitszeitrahmen waren konkret festgelegt, und das Homeoffice war gelebter Bestandteil. In diesen Unternehmen und Organisationen wurde in Bezug auf das Führungsverhalten eher von einer Vertrauenskultur gesprochen. Die Verantwortungsübertragung wurde dort weniger als Belastung wahrgenommen, sondern als Wertschätzung.

Führung wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen, aber sie muss sich verändern. Präsenzkultur und hierarchische Strukturen werden mehr und mehr aufgebrochen. Die Führungskraft bleibt Entscheidungsträger:in und ist dafür verantwortlich, dass Prozesse reibungslos ablaufen. Mit vermehrtem Homeoffice ist es aber nicht mehr möglich, die aktuelle Situation der Beschäftigten schnell einschätzen zu können; dies unterscheidet sich von dem kurzen Besuch am Büroplatz. Homeoffice bedarf erhöhter Kommunikation innerhalb der Unternehmen und Organisationen auf allen Ebenen. 

Das Arbeiten im Homeoffice erweist sich als anspruchsvoll für Beschäftigte, Mitbestimmung und Führung. Mit einem geschärften Blick auf die hier diskutierten Herausforderungen bietet diese Arbeitsform aber gleichzeitig große Potenziale für die Gestaltung der Arbeit der Zukunft – wenn diese denn partizipativ gestaltet werden kann.

Weitere Inhalte zum Thema