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Unternehmensführung und Mitbestimmung

Kapitalmärkte, Unternehmensstrategien und Schlussfolgerungen für die Mitbestimmung der Zukunft

Finanzinvestoren spielen seit der Finanzkrise eine wachsende Rolle an den internationalen Kapitalmärkten. Insbesondere in Zeiten ökonomischer Unsicherheit öffnen sich ihnen zunehmend Räume, um maßgeblichen Einfluss auf Unternehmenspolitik und Strategien zu nehmen. Aus Beschäftigtensicht ist besonders bedenklich, dass sie wirtschaftliche Transformationsprozesse im eigenen Interesse beeinflussen und fallweise beschleunigen können. Daher ist es aus Sicht von Mitbestimmungsträgern entscheidend, sich eingehend mit der Unternehmensstrategie zu befassen, um so handlungsfähig zu bleiben.

Die Eigentümerstruktur deutscher Unternehmen befindet sich spätestens seit den 1990er Jahren in einem stetigen Wandel (vgl. Sekanina 2018). Angefangen bei bewussten regulatorischen Schritten hin zu einer stärkeren internationalen Öffnung des deutschen Kapitalmarkts, über die Einschnitte der Finanzkrise 2008/2009 für Banken und Versicherungen bis hin zur Niedrigzinspolitik der Zentralbanken zogen sich Entwicklungen, die die Finanzierungslandschaft dauerhaft veränderten. Infolgedessen sind vor allem Finanzinvestoren und Vermögensverwalter zu zentralen Akteuren des Strukturwandels geworden, den wir gerade erleben.

Wer sind die neuen Akteure?

Während Banken und Versicherungsunternehmen unter der Finanzkrise 2008/2009 und den Folgen erheblich zu leiden hatten, konnte eine Reihe anderer Finanzdienstleister mittelfristig davon profitieren. Möchte man möglichst viele dieser Akteure unter einem Begriff zusammenfassen, kommt man zum Begriff des Vermögensverwalters. Diese Investoren agieren als „Kapitalsammelstellen“ im Auftrag Dritter am Kapitalmarkt und investieren deren Geldern nach teils sehr unterschiedlichen Kriterien in verschiedene Investitionsobjekte, darunter Beteiligungen an Unternehmen. Das erforderliche Kapital sammeln sie über Fonds ein, die von ihnen kontrolliert und verwaltet werden. Die Beteiligung am Unternehmen ist von der finanziellen Betrachtungsweise geprägt, die das Verhältnis eines Anlegers zu seinem Anlageobjekt auszeichnet. Möglichkeiten verbindender strategischer Entwicklungslinien, wie z. B. im Rahmen einer langfristigen Industriebeteiligung, sieht dieses Geschäftsmodell nicht vor. Dennoch zergliedert sich das Feld der Vermögensverwalter in eine ganze Reihe unterschiedlicher Investorentypen, von denen hier drei dargestellt werden sollen.

Passive Fonds: Giganten im Hintergrund

Ein klassischer „aktiver“ Vermögensverwalter wählt bewusst potenziell renditeträchtige Unternehmen aus, in die er für einen bestimmten Zeitraum investiert. Dieser Investmentansatz hat jedoch seit der Finanzkrise kontinuierlich wachsende Konkurrenz von „passiven“ Investmentfonds bekommen: In diesem Fall verteilt die Beteiligungsgesellschaft ihre Gelder auf alle Unternehmen eines Börsenindex. An Stelle einer bewussten Anlageentscheidung wird lediglich ein bestimmter Aktienindex mechanisch nachgebildet. Infolge des äußerst niedrigen Zinsniveaus und der scheinbaren Sicherheit durch die Streuung des Kapitals erfreuen sich diese Indexfonds gigantischer Kapitalzuflüsse. In einem zunehmend hochkonzentrierten Markt haben sich die drei US-amerikanischen Gesellschaften Blackrock (über 6,5 Bio. USD verwaltetes Vermögen), Vanguard (über 5,5 Bio. USD) und State Street (über 2,5 Bio. USD) als dominante Akteure herausgebildet. Unter ihrer Kontrolle bündeln sie wachsende Minderheitsanteile an nahezu allen börsennotierten Unternehmen der Industrieländer.

Es liegt auf der Hand, dass die abnormen Kapitalsummen dieser Vermögensverwalter zu einem erheblichen Einfluss auf ganze Branchen führen. Tatsächlich nehmen diese Investoren jedoch für sich in Anspruch, nicht öffentlich sichtbar auf Unternehmenspolitik einzuwirken. So besetzen sie keine Aufsichtsratsmandate und lassen Entscheidungen auf Hauptversammlungen vor allem von sogenannten Stimmrechtsberatern vorbereiten. Gleichzeitig betonen sie jedoch, in bestimmten Fällen das direkte Gespräch mit der Unternehmensleitung „unter vier Augen“ zu suchen.1

Die Aktivisten: Abteilung Attacke

Am anderen Ende des Spektrums stehen aktivistische Investoren. Jene „vornehme Zurückhaltung“, die die passiven Fonds für sich reklamieren, ist den Aktivisten von vornherein fremd. In aller Regel handelt es sich um schwach regulierte Hedge Fonds. Sie kaufen sich für kurz- bis mittelfristige Zeiträume mit geringen Beteiligungsquoten (meist unter fünf Prozent) in börsennotierte Gesellschaften ein. Im Eskalationsfall versuchen sie mit öffentlichem Druck und medialen Kampagnen Entscheidungen zu bewirken, die kurzfristige Kursanstiege und Sonderdividenden erwarten lassen. Ist das Ziel erreicht, erfolgt der zeitnahe Weiterverkauf.

Aktivistische Fonds haben in den vergangenen Jahren ihr Engagement vor allem in Kontinentaleuropa und speziell Deutschland stark erhöht. Ihren Kapitalgebern versprechen sie in Zeiten niedriger Zinsen höhere Renditen, als sie sonst am Kapitalmarkt erzielbar wären. Um diese zu erreichen, konfrontieren sie betroffene Unternehmen mit einschneidenden personellen und strategischen Forderungen (siehe Kap 7.5). Neben Wechseln in der Unternehmensleitung stehen insbesondere Abspaltungen von Konzernbereichen an der Spitze ihrer Agenda.

Die Finanzingenieure sind zurück: Geschäftsmodell Private Equity2

Anders als passive Fonds und Aktivisten reicht das Geschäftsmodell von Private Equity weit in den Mittelstand hinein. Private Equity­-Investoren streben eine zeitlich begrenzte Kontrollübernahme ihrer Zielunternehmen an, an deren Ende sie das Unternehmen möglichst gewinnträchtig weiterverkaufen möchten („Exit­-Orientierung“).

Nachdem die Private Equity­Branche in Folge der Finanzkrise einen deutlichen Dämpfer erlitten hatte, sammeln sie seit einigen Jahren wieder Finanzmittel in Rekordumfang ein. Insbesondere große US-amerikanische und britische Gesellschaften wie Bain, Carlyle, Blackstone, KKR und Apollo können ihr starkes Aktivitätsniveau problemlos mit neuen Mitteln finanzieren. Zunehmend treten sie auch im Tandem oder in Kooperation mit anderen Investoren auf, um auch große Übernahmen börsennotierter Gesellschaften finanzieren zu können.3

Aus Sicht der betroffenen Unternehmen bedeutet der Einstieg eines Private Equity­-Investors meist starke Veränderungen. Einerseits stehen nicht selten sogenannte Buy­-and-­Build-­Strategien, also Wachstum über Zukäufe, auf der Agenda. Andererseits sind aber auch Restrukturierungen und Effizienzprogramme zentrale Bausteine, die zu Lasten der Belegschaft gehen können. Leider spielt nach wie vor auch der sogenannte „Leverage­Effekt“, d.h. die bewusste Erhöhung der Unternehmensschulden zur Hebelung der Investorenrendite, eine wichtige Rolle. Das betroffene Unternehmen muss dann neben den ohnehin hohen Renditeforderungen der Private Equity­-Gesellschaft zusätzlich den Schuldendienst aus den Übernahmekrediten erwirtschaften.

Der Einfluss auf unternehmensstrategische Entscheidungen

In den letzten Jahren erleben wir ein „Shareholder Value 2.0“-Szenario: Einflussnahme auf Unternehmensstrategien durch aktivistische Investoren und Private Equity-Gesellschaften – teils mit Billigung und Unterstützung größerer Vermögensverwalter – ist in vielen Unternehmen zum Alltag geworden. Längst sind die beschriebenen Akteure zu zentralen Machtfaktoren in den Unternehmen geworden, ohne deren Einverständnis unternehmensstrategische Entscheidungen kaum noch denkbar sind. Die Folge ist, dass Strategien immer weniger an der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität von Unternehmen ausgerichtet werden, sondern daran, welche Maßnahme kurz- bis mittelfristig die möglichst maximale Rendite am Kapitalmarkt bringt. Diese strategische Vorgehensweise hat Schlagseite Richtung radikaler Profitmaximierung im Interesse der Anteilseigner bekommen. Dieser verengte Blick auf unternehmerisches Handeln ist einem breiter verstandenen Unternehmens- und Beschäftigteninteresse oftmals wenig dienlich.

Aus strategischer Perspektive zeigt sich der Einfluss dieser Akteure in den letzten Jahren besonders in der Debatte darüber, ob Mischkonzerne noch zeitgemäße Organisationsformen darstellen (Campagna/Eulerich 2019). Kapitalmarktakteure fordern unisono eine Abkehr von der Diversifikation hin zum fokussierten Unternehmen. Die langfristige ökonomische Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens scheint dabei nebensächlich. Sobald ein Unternehmen seine Geschäftsbereiche reduziert und Abspaltungen in der Öffentlichkeit kommuniziert, steigt annahmegemäß der Börsenwert. Die schwindende Zahl verbliebener Mischkonzerne in Deutschland wird verstärkt umstrukturiert: Siemens, Thyssen-Krupp, Bayer und Continental sind prominente Beispiele. Die Finanzinvestoren freuen sich über Sonderdividenden und vorübergehende Kursanstiege.

Längst sind Vermögensverwalter auch zu prägenden Figuren des digitalen Strukturwandels geworden. Sie beeinflussen grundsätzliche unternehmensstrategische Überlegungen darüber, mit welchen Geschäftsmodellen sowie Wertschöpfungsprozessen die wirtschaftlichen Aktivitäten der Zukunft gestalten werden sollen. Eine zentrale Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, wie Innovationen organisiert werden können. Leider dominieren in diesem Bereich vielfach unreflektierte Übertragungen von Leitbildern der Startup-Szene auf die Organisation etablierter Großunternehmen. Inkubatoren und Start-ups sind die neuen Hoffnungsträger für das digitale Zeitalter. Sie sol­len die erforderlichen, disruptiven Innovationen hervorbringen, die den Unternehmen neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Die Jagd auf Start-Ups soll nicht selten das Versäumnis unzureichender eigener Forschungs- und Entwicklungsleistungen kompensieren. Häufig wird der Zukauf von Know-how schlicht als die günstigere und schnellere Möglichkeit zur Kompetenzbildung angesehen.

Ferner ergibt sich aus der Perspektive externer Kapitalmarkt-Investoren ein vielgestaltiges Messproblem bei der Betrachtung eigener Forschungs- und Entwicklungstätigkeit. Einerseits stellt sie vor  allem für kurzfristige Finanzinvestoren in erster Linie Aufwand dar, der sich erst in der mittleren bis fernen Zukunft in Erträgen spiegelt. Dann ist dieser Investor jedoch möglicherweise schon nicht mehr am Unternehmen beteiligt. Gleichzeitig tut sich die Betriebswirtschaftslehre weiterhin schwer damit, Effizienzgewinne aus der digitalen Transformation zuverlässig in Finanzkennzahlen zu messen. Auch zeigen empirische Studien, dass Aktienanalysten sich besonders mit der Bewertung innovativer Unternehmen aus dem Hochtechnologiebereich schwertun. Die Bewertung komplexer digitaler Innovationen ist aus unternehmensexterner Perspektive also mit Schwierigkeiten verbunden, was jedoch unmittelbare Auswirkungen auf die Bereitschaft haben dürfte, diese angemessen finanziell zu fördern.

Weitere typische Forderungen vieler Finanzinvestoren sind zudem kostensenkende Effizienzprogramme. Oftmals lassen sich die horrenden Renditeziele gar nicht anders realisieren. Kurzfristig scheinen die Effizienzmaßnahmen zum wirtschaftlichen Erfolg zu führen, doch gehen sie zu Lasten der Belegschaft, wie auch der Substanz des Unternehmens und seiner nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit. Ob reine Kostenstrategien die richtige Antwort auf einen technologisch und innovationsgetriebenen Wettbewerb sind, darf stark bezweifelt werden. Wollen Unternehmen sich in Zukunft behaupten, so ist vielmehr eine offensive Strategie, die auf Innovationen, neue Produkte und Märkte setzt, erforderlich. Die Verweildauer vieler Finanzinvestoren in den Unternehmen ist aber nicht auf diese nachhaltige Perspektive ausgelegt.

Warum ist es so gefährlich, Kapitalmarktakteuren so viel Einfluss auf die unternehmensstrategischen Entscheidungen zu gewähren? Jede unternehmensstrategische Entscheidung hat Auswirkungen auf die Unternehmensstruktur (Müller 2017: S. 258 f.). Denn die strategischen Entscheidungen, welche Produkte und Dienstleistungen für welche Märkte produziert, welche Innovationen wo entwickelt, welche Kosten wo eingespart werden sollen, haben einen signifikanten Einfluss auf die Struktur der Unternehmen und folglich auf die Standort- und Beschäftigungsperspektive.

Fazit

Unternehmensstrategische Entscheidungen sind höchst komplex. Sie werden unter großer Unsicherheit getroffen. Es existieren in der Praxis viele Stolpersteine, die dem Strategieprozess innewohnen – von der Strategiewahl, über die zu Grunde gelegten Analysen bis hin zur Implementierung. Diese Unwägbarkeiten können zu strategischen Krisen führen. Umso wichtiger ist es, strategische Entscheidungen in diesem Spannungsfeld nicht alleine dem Primat eines als „nachhaltig“ etikettierten Shareholder Value zu unterwerfen, sondern die Breite bestehender Stakeholder-Interessen in den Strategiebildungsprozess einzubeziehen. Hierbei sind Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerseite entscheidende Akteure im Ringen um adäquate Entscheidungen zum Wohle des Unternehmens und der Beschäftigten. Die Gestaltungsfähigkeit der Mitbestimmung in diesem Umfeld hängt maßgeblich davon ab, ihre Vorteile und Stärken zielgerichtet in die Waagschale zu werfen. Die Handelnden sollten noch stärker ihren internen Wissensvorsprung nutzen, um unternehmensstrategische Debatten im Aufsichtsrat mitzuprägen und Entscheidungen im Sinne eines breiter verstandenen Unternehmenszwecks im Sinne aller Stakeholder zu beeinflussen.

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1 „Als Sparringspartner dient ihm dabei regelmäßig Larry Fink, Vorstandschef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, der zugleich auch zu Siemens’ wichtigsten Investoren zählt. ‚Es vergeht kaum ein Monat, in dem sich Kaeser und Fink nicht treffen’, heißt es im Blackrock-Umfeld, die beiden liegen ziemlich auf einer Linie’.“ (Kamp 2018)
2 Privates Beteiligungskapital, das nicht an der Börse gehandelt wird. Die Kapitalgeber sind private oder institutionelle Anleger, z. B. spezialisierte Kapitalbeteiligungsgesellschaften, Private-Equity-Gesellschaften.
3 Zuletzt kündigten zudem die Investment-Giganten Blackrock und Vanguard (s. o.) ihren Eintritt in diesen profitablen Markt an (Lim 2019; Rekenthaler 2020).

 

Literatur
Campagna, S. (2020): Unternehmensstrategie mitgestalten – Arbeitshilfe für Aufsichtsräte. Mitbestimmungspraxis Nr. 29. Hans-Böckler-Stiftung (Hg.). [20.02.2020].
Campagna, S. / Eulerich, M. (2019): Mischkonzerne – ein Auslaufmodell? In der Zwickmühle zwischen Kapitalmarktmoden und digitaler Transformation­. Mitbestimmungsreport Nr. 46. Hans-Böckler-Stiftung (Hg.). [20.02.2020].
Kamp, M. (2018): Warum Joe Kaeser auf Investor Larry Fink hört. Wirtschaftswoche, 15. August 2018. [20.02.2020].
Lim, D. (2019): BlackRock Fund’s First Big Private-Equity Deal Is a Sign of What’s to Come. The Wall Street Journal, 12. August 2019. [20.02.2020].
Müller, H. E. (2017): Unternehmensführung. Strategie-Management-Praxis. 3. Auflage, Berlin und Boston.
Rekenthaler, J. (2020): Assessing Vanguard‘s Move into Private Equity. Morningstar, 20. Februar 2020. [20.02.2020].
Sekanina, A. (2018): Finanzinvestoren und Mitbestimmung. Wie der Wandel der Investorenlandschaft die Mitbestimmung herausfordert. Mitbestimmungsreport Nr. 42. Hans-Böckler-Stiftung (Hg.). [20.02.2020]