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Hallesche Verkehrs-AG (HAVAG)

Klimabündnis: Gemeinsam für Gute Arbeit im ÖPNV

Bei der Mobilitätswende spielt der ÖPNV eine zentrale Rolle. Dieser muss ausgebaut und attraktiver werden – für die Verkehrsnutzer*innen wie für die Beschäftigten. Ein lokales Klimabündnis unterstützt den HAVAG-Betriebsrat im Ringen um Gute Arbeit.

Portrait Nachhaltigkeit

Die Hallesche Verkehrs-AG (HAVAG) ist 1990 aus der VE Verkehrsbetriebe Halle hervorgegangen und ein Tochterunternehmen der Stadtwerke Halle GmbH. Zu DDR-Zeiten beschäftigte das Unternehmen knapp 1.700 Mitarbeiter*innen. Aufgrund zahlreicher Umstrukturierungen sank die Zahl der Beschäftigten zwischenzeitlich auf knapp 700. Heute liegt sie bei 780 – Tendenz: steigend.

Die HAVAG ist zuständig für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in der Saale-Stadt Halle und bedient zudem mehrere Gemeinden im Saalekreis. Im Zentrum stehen Betrieb, Instandhaltung, Ausbau und Modernisierung des Straßenbahn- und Busverkehrs sowie der dazugehörigen Infrastruktur. Dafür hat die Stadt viel finanzielle Unterstützung aus Bundes- und Landesmitteln sowie aus Förderprogrammen erhalten. Auch in Zukunft sind zahlreiche Investitionen geplant. Allein für die dritte Ausbaustufe des Stadtbahnprogramms 2023 bis 2035 werden der Bund und das Land Sachsen-Anhalt 250 Millionen Euro bereitstellen. 

Ausgangssituation

Die Stadt Halle a.d.S. verfügt seit 2012 über ein integriertes kommunales Klimaschutzkonzept und hat sich ein energie- und klimapolitisches Leitbild gegeben, das sich an den übergeordneten Klimazielen des Bundes orientiert. Darin spricht sie sich unter anderem für die energetische Optimierung im verkehrlichen Bereich und den Aufbau einer klimafreundlichen Mobilität aus. 

Seit 2021 fahren alle Straßenbahnen der HAVAG mit 100 Prozent Ökostrom, der vollständig aus Erneuerbaren Energien gewonnen wird. Sie vermeidet dadurch jährlich 5.297 Tonnen CO2. Aktuell laufen Projekte im Busbereich mit alternativen Antrieben. So ist die HAVAG dabei, den Einsatz von Elektrobussen und die dafür notwendige Infrastruktur vorzubereiten. 

Der weitere ökologische Umbau der HAVAG dürfte allerdings vor dem Hintergrund der Coronapandemie und einer zunehmend angespannten Finanzlage der Kommune kompliziert werden.

Die Städte Halle und Leipzig sind Kern der Metropolregion Mitteldeutschland. Durch den Ausbau der regionalen Wirtschaft, eines attraktiven Verkehrsangebotes und der Universitäten in beiden Städten hat sich unter anderem das Fahrgastaufkommen im ÖPNV in den vergangenen Jahren stetig erhöht. Allerdings hat es infolge der Coronapandemie einen erheblichen Dämpfer erfahren. Auch stellt sich die Frage, ob der weitere Aus- und Umbau des ÖPNV – wie geplant – vonstattengehen kann, da die Bewältigung der Coronapandemie und ihrer Folgen die Kommunen mit ihrer ohnehin schwachen Finanzausstattung zusätzlich finanziell belastet.

Insbesondere für Halle gilt, dass die Stadt aufgrund der Steuerausfälle als Folge von Corona kaum noch atmen kann. Und die Bundeszuschüsse etwa aus dem ÖPNV-Rettungsschirm, die Halle und die HAVAG für 2020 und 2021 bezogen haben, werden nicht ausreichen, um strategische Investitionen in die Energie- und Mobilitätswende im geplanten Umfang vornehmen zu können. 

Betriebsrat stehen harte Verteilungskonflikte bevor

Damit stehen die Mitbestimmungsakteur*innen bei der HAVAG vor großen Herausforderungen. Einerseits geht es darum, die Möglichkeiten der Mitbestimmung auf allen Ebenen auszuschöpfen, um die Weiterentwicklung des ÖPNV und seine ökologische Transformation voranzutreiben. Andererseits stehen sie vor der Aufgabe, Arbeitsplätze zu sichern, den demografischen Wandel in der Belegschaft zu bewältigen, Fachkräfte und Auszubildende zu gewinnen und zu binden sowie die Beschäftigten mit Blick auf die neuen technologischen Entwicklungen zu fördern und ihnen neue berufliche Perspektiven zu eröffnen. 

Bei seinem Bemühen, beide Aufgaben gleichermaßen zu verfolgen, wird sich der Betriebsrat angesichts der klammen Kassenlage der Kommune auf harte Verteilungskonflikte einstellen müssen. 

Fest steht für ihn allerdings: Die Verkehrswende ist nur mit einem attraktiven und gut ausgebauten ÖPNV zu schaffen, um die Stadtbewohner*innen dazu zu bewegen, auf ihren Pkw zu verzichten. Und entscheidend dafür, ob es gelingt, mehr Bus- und Bahnfahrer für den ÖPNV gewinnen und langfristig binden zu können, sind letztlich gute Arbeitsbedingungen. 

Der ÖPNV ist zurzeit ein Arbeitnehmermarkt. Wir stehen in der Frage der Nachwuchsgewinnung nicht nur im Wettbewerb vor Ort mit Unternehmen aus der Industrie, sondern auch mit den Nahverkehrsunternehmen in anderen Bundesländern.

Roland Salz, Verdi-Vertrauensmann und Mitglied des HAVAG-Betriebsrats

Die HAVAG konkurriert auf dem örtlichen Arbeitsmarkt unter anderem mit Porsche, BMW und anderen Industrieunternehmen um Fachkräfte und Auszubildende. Bei den Löhnen und Gehältern wird es für das Unternehmen schwierig mitzuhalten, da die bei der HAVAG gezahlten Tarifentgelte deutlich unter denen liegen, die in der Industrie gezahlt werden. Der Betriebsrat setzt daher auf Gute Arbeit, die allen Beschäftigten langfristige Perspektiven, vernünftige Arbeitsbedingungen und eine gelebte Mitbestimmung bietet. 

Gute Arbeit bei der HAVAG

Bisher richtete der Betriebsrat sein Augenmerk bei der HAVAG stark auf die Aus- und Weiterbildung. Mit den Personalverantwortlichen steht er ständig im Austausch darüber, welche Qualifizierungsangebote gerade bei der Umstellung auf E-Mobilität erforderlich sind und wem sie zukommen sollen. Großes Gewicht legt er darauf, dass die über viele Jahre gesammelten Erfahrungen und Wissensbestände zwischen den älteren und jüngeren Beschäftigten geteilt und alle durch Weiterbildungsmöglichkeiten in eine neue Zukunft mitgenommen werden können. 

Seit einiger Zeit rücken allerdings die Arbeitszeiten wieder verstärkt in den Fokus des Betriebsrats. Die HAVAG ist ein Unternehmen mit einem hohen Altersdurchschnitt. Digitalisierung und sich ändernde Anforderungen aufgrund des technologischen und ökologischen Wandels führen dort zu einer immer stärkeren Arbeitsverdichtung, selbst in den Nicht-Fahrdienstbereichen. Und sie belasten vor allem die Älteren. 

Klare Impulse in diesem Themenfeld erhoffte der Betriebsrat sich von einem bundesweit einheitlichen Rahmentarifvertrag Nahverkehr (ÖPNV), wie ihn die Gewerkschaft Verdi bereits seit vielen Jahren fordert. 2020 war er bereits zum Greifen nahe, konnte aber nicht durchgesetzt werden.

Mit einem bundesweit einheitlichen Rahmentarifvertrag Nahverkehr (ÖPNV) könnten die unterschiedlichen Standards in den Tarifverträgen kommunaler Verkehrsunternehmen der 16 Bundesländer für die Beschäftigten im Nah- und Regionalverkehr hinsichtlich des Lohn- und des Sozialgefüges angepasst und verbessert werden. Ein erster Versuch zum Abschluss eines solchen Rahmentarifvertrages auf Bundesebene scheiterte 2020 jedoch am Widerstand der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), steht aber für die Gewerkschaft Verdi weiter auf der Tagesordnung. 

Deshalb hatte Verdi in der zurückliegenden Tarifrunde einzelne Tarifforderungen aus dem Paket der Bundesforderungen auf Länderebene verhandelt. So kam es in Sachsen-Anhalt Ende 2020 zu ersten Gesprächen mit der Arbeitgeberseite, danach jedoch zu einer langen Verhandlungspause. Erst im Juli 2021 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen und im November 2021 abgeschlossen. 

Die wichtigsten Ergebnisse, die nun auch für alle HAVAG-Beschäftigten gelten: 30 Tage Urlaub (wie dies in der Industrie, in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes und sogar in Teilen der Stadtwerke-Halle-Gruppe schon lange selbstverständlich ist). Außerdem wurde erreicht, dass zukünftig viele Zulagen, wie Schicht- und Wechselschichtzulagen oder auch Zulagen für atypische Arbeit etwa an Wochenenden, in Freizeit umgewandelt werden können. Wichtig dabei ist auch, dass die finanzielle Entschädigung bei Rufbereitschaft in Freizeit ausgeglichen werden kann. Auf diese Weise ist es vielen Kolleg*innen möglich, bis zu 35 Tage bezahltes Frei im Jahr zu nehmen.

Dafür aber erzielte Verdi in der Tarifrunde 2020/2021 in Sachsen-Anhalt erstaunliche Ergebnisse, die die Voraussetzungen für Gute Arbeit im ÖPNV deutlich verbessern helfen. Das gilt insbesondere für die Forderung nach Umwandlung von Zuschlägen in Freizeit und damit nach zusätzlichen Entlastungstagen. Bei der HAVAG korrespondierte sie mit dem Bemühen des Betriebsrats, Arbeitszeiten zu entzerren und vor allem ältere Beschäftigte dadurch zu entlasten. Deshalb waren viele HAVAG-Beschäftigte sogar bereit, für diese Forderung am 3. und 4. Oktober 2021 zu streiken und sie in die Öffentlichkeit zu tragen, um den Druck auf den Arbeitgeber zu verstärken. 

Klimabündnis unterstützt HAVAG-Beschäftigte

In diesem Rahmen spielte auch das im Juni 2020 gegründete ÖPNV-Halle-Bündnis eine tragende Rolle. Dahinter verbirgt sich der Zusammenschluss von Umwelt- und Klimaschutzaktivisten von Fridays for Future (FfF) und Gewerkschafter*innen – darunter auch einige Betriebsratsmitglieder der HAVAG.
 

Klimabündnisse wie in Halle a.d.S. gibt es bereits in mehreren deutschen Städten. Sie werden oftmals vom DGB und von einzelnen Gewerkschaften unterstützt.

Den Anstoß, in Halle auf lokaler Ebene ein Klimabündnis zu bilden, gab das 2020 auf Bundesebene gegründete breite Bündnis „ÖPNV-Gipfel“. Darin schlossen sich Vertreter*innen der Gewerkschaft Verdi, von Fridays for Future, BUND, BUNDjugend, Attac Deutschland, den Naturfreunden Deutschlands, dem ökologischen Verkehrsclub VCD, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EvG), Changing Cities und andere zusammen. Das Bündnis trat beispielsweise vor der Verkehrsministerkonferenz am 14. Oktober 2020 mit der Forderung an die Bundesregierung, einen ÖPNV-Gipfel einzuberufen, vor die Öffentlichkeit. Dieser fand dann auch am 7. Juni 2021 statt und wurde von dem Bündnis kritisch begleitet. 

Bei den ersten Zusammentreffen ging es unter anderem darum, sich gemeinsam über die Rolle des ÖPNV für die Verkehrswende zu verständigen. Bei weiteren Gesprächen kristallisierte sich die Forderung an die Stadt Halle heraus, bis 2030 klimaneutral zu werden, insbesondere die Altstadt vom Pkw-Verkehr zu entlasten und dafür den ÖPNV weiter auszubauen. Dabei kam immer wieder auch die Situation bei der HAVAG zur Sprache. Als sich dann die Tarifrunde zum Nahverkehrstarifvertrag immer weiter in die Länge zog, kam die Idee auf, durch gemeinsame Aktionen die Tarifrunde zu unterstützen.

Da prallten zwar manchmal Welten aufeinander. Aber hinterher fanden es alle toll, mal wieder zum Nachdenken bewegt worden zu sein.

Robert Schmidt, Verdi-Vertrauensmann und Mitglied des Betriebsrats der HAVAG

2020 fanden bereits drei gemeinsame Aktionstage statt, an denen sich Mitglieder des Klimabündnisses zu den ÖPNV-Ablösepunkten aufmachten, um mit den Straßenbahn- und Busfahrern ins Gespräch zu kommen. Auch Fahrgäste sprachen sie an. Weitere Aktionstage folgten 2021. Selbst an den Warnstreiks bei der HAVAG, unter anderem in den Betriebshöfen, beteiligten sich Mitglieder des Klimabündnisses – und das zur Überraschung mancher Straßenbahn- und Busfahrer bereits morgens früh um Drei, gut gelaunt und mit Kaffee und Kuchen für alle Beteiligten. 

Die HAVAG-Betriebsratsmitglieder und Verdi-Vertrauensleute Roland Salz und Robert Schmidt waren von Anfang an mit dabei, als sich das Klimabündnis in Halle a.d.S. gründete. Über die Kooperation während der Tarifrunde 2020/2021 äußern sie sich durchweg positiv und betrachten diese als überaus nachahmenswert. 

Unser Problem ist doch: Die Herausforderungen in den Betrieben werden unter anderem durch die Digitalisierung und die Bewältigung der Klimakrise immer größer und komplexer. Viele Dinge lassen sich inzwischen auch nicht mehr im Betrieb allein lösen.
Der Ausbau des ÖPNV und die Umsetzung einer sozial gerechten und ökologischen Mobilitätswende ist vor allem eine politische Frage. Deshalb brauchen wir Partner*innen in der Zivilgesellschaft, die uns Gewerkschafter*innen unterstützen und uns vielleicht auch mal den einen oder anderen Impuls mitgeben, um uns selbst zu verändern.
Und wer weiß: Die meisten Aktiven bei Fridays for Future werden früher oder später auch mal Arbeitnehmer*innen sein. Da schadet es sicherlich nicht, schon in jungen Jahren mit Gewerkschaften Bekanntschaft gemacht und einen Einblick in die Arbeitswelt gewonnen zu haben.

Roland Salz, Verdi-Vertrauensmann und Mitglied des Betriebsrates der Hallesche Verkehrs AG

Kontakt

Roland Salz, Mitglied des Betriebsrats
Robert Schmidt, Mitglied des Betriebsrats