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Tagungsbericht: Transformation nicht ohne Mitbestimmung

„Die wirklich großen Aufgaben löst man nur gemeinsam“

Transformation nicht ohne Mitbestimmung!

Person in Latzhause pflanzt einen Baum ein

Transformation, das wird bei diesem Workshop schnell klar, ist nicht das, was „irgendwann“ und „irgendwo weit weg“ stattfindet – die Klimakrise, die Energiewende, die Alterung der Gesellschaft, die neue Macht der künstlichen Intelligenz. Vielmehr findet Transformation im Hier und Jetzt statt, prägt schon heute den Alltag von Beschäftigten, Betriebs- und Personalräten. Etwa, wenn ein kommunaler Versorger wie die Nürnberger N-ERGIE eine Antwort darauf finden soll, dass bis 2030 ein Drittel seiner Mitarbeiter*innen in Rente geht. Oder wenn Klinik-Beschäftigte vor die Tatsache gestellt sind, dass Deutschlands Krankenhäuser kaum weniger CO2 emittieren als die deutsche Stahlindustrie. Oder wenn sich Betriebsratsgremien überlegen müssen, wie sie ihre Kolleg*innen im Straßenbau vor 38 Grad Celsius schützen können oder Waldarbeiter*innen vor Borreliose übertragenden Zecken, die sich im Zuge des Klimawandels ausbreiten.

„Transformation nicht ohne Mitbestimmung“ hieß der Online-Workshop der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) und ihres Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.), den das I.M.U.-Referat Arbeit und Mitbestimmung organisierte. Dabei zeigten Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen auf, dass Wirtschaft und Gesellschaft mittendrin stecken in grundstürzenden Veränderungsprozessen und diskutierten anhand von Beispielen aus der Arbeitswelt, welche Rolle Arbeitnehmer*innen und ihre Vertretungen dabei spielen können und sollen. 

Podiumsdiskussion

Info

Diskutantinnen und Diskutanten der virtuellen Podiumsdiskussion

Valentin Espert, Researcher, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH

Daniela Tröster, Leiterin HR Grundsätze und Personalmarketing, N-ERGIE AG

Stefan Soltmann, Leiter der Abteilung Gute Arbeit/Betriebspolitik, IGBCE

Susanne Quast, Betriebsratsvorsitzende, Sana Kliniken Düsseldorf GmbH

Wie ungemein anspruchsvoll diese Aufgabe ist, brachte Daniela Tröster so zum Ausdruck: „Von uns wird verlangt, in die Zukunft zu denken, denn 2030 wird nicht so sein wie 2023. Wir wissen nicht, wie das sein wird, aber es wird den Menschen definitiv viel abverlangen: weil sich ihre Jobs verändern, weil die KI kommt, weil sich die Welt weiterdreht.“ Gleichzeitig sei der demografische Wandel in einer so unsicheren Arbeitswelt wie ein Pfand: weil der Mangel an Arbeitskräften sichere Beschäftigung verheißt – vorausgesetzt, dass sich Mitarbeiter*innen durch Qualifizierung auf die Transformation einlassen.

Mitbestimmungsakteure kämpften auf allen Ebenen darum, in den vielfältigen Transformationsprozessen zu bestehen und sie zu gestalten, betonte Dr. Daniel Hay, wissenschaftlicher Direktor des I.M.U., in seiner Begrüßung. Wie sie das konkret tun, beschrieben vier Expert*innen in einer virtuellen Podiumsdiskussion. Valentin Espert, der gerade ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt über „Betriebliche Mitbestimmung der nachhaltigen Transformation“ abschließt, berichtete, dass „fast alle Betriebsräte Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Klimaanpassung als ihre zentralen Herausforderungen betrachten“, selbst dort, wo das Geschäftsmodell unmittelbar mit Ressourcenabbau verbunden ist. Er habe „beeindruckende“ Beispiele im primären und sekundären Sektor gefunden, wo sich Betriebsräte sehr konkret für nachhaltige Veränderungen starkmachen – von der Duschmöglichkeit für Radpendler im Betrieb bis zum Einsatz für eine auf Wasserstoff basierende Stahlproduktion. Espert, der selbst einmal Betriebsrat in seinem Institut war, regte an, das in vielen Betrieben etablierte Vorschlagswesen stärker auf Nachhaltigkeitsthemen auszurichten oder dem Beispiel von Gremien zu folgen, die dazu explizite Arbeitsgruppen gebildet haben. Und er unterstrich, dass Innovationen, die ein Unternehmen nachhaltiger machen, ein riesiger Hebel für Beschäftigungssicherung sein können: „Es gibt einen direkten Bezug zu den Interessen der Kollegen.“

Über interessante Aspekte der digitalen Transformation berichtete Susanne Quast. Einerseits sei Arbeit an Patienten keine Fließbandarbeit, die sich einfach so digitalisieren lasse, andererseits sei ihr Haus sehr weit in Sachen digitale Patientenakte – stoße damit jedoch an harte Grenzen, weil große Teile des Gesundheitswesens noch nicht so weit seien. Noch mehr treibe sie aber die ökologische Frage um, bekannte Quast, denn „Krankenhäuser sind Dreckschleudern“. Etwa wegen des Gebrauchs höchst klimaschädlicher Narkosegase. Auch was die in die Jahre gekommenen Gebäude angeht, die energetisch saniert oder gleich neu gebaut werden müssten, ist der Handlungsbedarf riesig, die Spielräume aber eng angesichts der seit Jahrzehnten verweigerten Investitionsmittel der Bundesländer. So dick die Bretter sind und so hoch die benötigten Mittel, um sie zu durchbohren – Susanne Quast ist sich sicher, dass sich der Einsatz für die ökologische Transformation lohnt: „Der ROI wird stimmen, wir kriegen alle unser Geld zurück, wenn auch langfristig. Wir müssen diesen Weg machen.“

Einen flammenden Appell zur Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern richtete Daniela Tröster an die Workshop-Teilnehmer*innen: „Die wirklich großen Aufgaben löst man nur gemeinsam“, sagte sie mit Verweis auch auf die Pandemiezeit. Das gelte umso mehr für die Megaaufgabe unserer Zeit: „Wie bekommen wir die Welt klimaneutral?“ Aber auch was die digitale Umwälzung der Arbeitswelt betreffe, müssten beide Seiten eng zusammenarbeiten. „Wir wollen Menschen Raum geben, gut arbeiten zu können – und dafür braucht der Busfahrer andere Antworten als der Ingenieur oder die Ingenieurin.“ Als Vertreterin der Arbeitgeberseite, deren Ideen zu Arbeitsbedingungen sämtlich in der Mitbestimmung landeten, sei sie froh über Betriebsräte, die die Zukunftsthemen mutig anpackten. Derzeit arbeite man gemeinsam daran, wie KI in der Personalarbeit helfen könnte, etwa intern durch Standard-Antworten durch einen Bot oder bei Personalentscheidungen von Führungskräften.

Stefan Soltmann riet den Betriebsrät*innen, sich angesichts der immensen Bandbreite der Transformationsthemen eine Übersicht der Aufgaben zu erstellen, auf die man sich konzentrieren wolle: „Sonst ist man ein Getriebener“, sagte der Gewerkschafter. „Wenn man die Themen sortiert und handhabbar macht, weiß man, wie man weiterarbeiten kann – wo eine Betriebsvereinbarung der beste Weg ist, wo eine Qualifizierung hilft, wo externer Rat eingeholt werden muss oder eine Strategieklausur des Betriebsrats der nächste richtige Schritt ist.“

Den Hinweis von I.M.U.-Direktor Daniel Hay auf die überfällige Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (HBS, DGB und die Einzelgewerkschaften haben einen Novellierungsentwurf (PDF) vorgelegt) griffen mehrere Workshop-Teilnehmer*innen auf. IGBCE-Mann Soltmann plädierte für niedrigere Schwellenwerte für die Freistellung von Betriebsrät*innen: „Das ist die Voraussetzung dafür, dass sie mit so komplexen Themen umgehen können.“ Andere argumentierten, gerade in derart transformativen bis disruptiven Zeiten müsse das Informations-, Anhörungs- und Vorschlagsrecht beim betrieblichen Umweltschutz zu einem echten Mitbestimmungsrecht ausgebaut werden, um Beschäftigung sichern zu können. „Die überfällige Anpassung der gesetzlichen Grundlagen würde nicht nur die Handlungsmöglichkeiten erhöhen, sondern auch das Bewusstsein stärken und für das Thema Transformation sensibilisieren“, meinte Valentin Espert vom Wuppertal Institut.

Mehr Mitbestimmung forderte Susanne Quast auch für die Personalplanung und die Weiterbildung ein, erinnerte aber auch daran, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz bereits jetzt ein scharfes Schwert sein könne, um Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit zu bewegen: „Das wird viel zu selten genutzt, um Mitbestimmungsrechte im Sinne erfolgreicher Transformation auszuüben.“

Vorhandene rechtliche Grundlagen noch stärker zu nutzen, war auch das Plädoyer von I.M.U.-Direktor Hay. Und er warb dafür, noch mehr Austausch zu üben, noch mehr Netzwerke zu knüpfen: „Unsere Forschung zeigt, dass mitbestimmte Unternehmen langfristig erfolgreicher sind, weil sie die Nachhaltigkeit immer im Kopf haben, weil Betriebsräte immer nach standort- und beschäftigungssichernden Lösungen suchen.“ Dafür sei Austausch eine Grundvoraussetzung: „In der Praxis gibt es viele brillante Beispiele dafür, wie ein Betriebsrat zum ersten Mal eine Antwort für ein konkretes Problem findet, von der andere lernen können – wenn sie davon erfahren.“

Diskussionsraum 1: Betriebs- und Personalratsarbeit in der Transformation: Aktuelle Trends der hybriden Arbeit

Auf der Suche nach dem „New Normal“

Einmal mehr erweist sich der einflussreiche Betriebsrat des Stuttgarter Technologiekonzerns Bosch als Vorreiter in der mitbestimmten Transformation, wie das Beispiel des Bosch-Standorts in Abstatt zeigt, das der dortige Betriebsrat Thomas Fortenbacher vorstellte. Mit ihm im Diskussionsraum: Gudrun Schlöpker, Referatsleiterin Arbeit und Mitbestimmung am I.M.U. 

Abstatt bei Stuttgart, erst 2004 eröffnet, ist ein reiner Entwicklungsstandort mit rund 4.000 Beschäftigten der Robert Bosch GmbH, der sich seiner „Inspiring Working Conditions (IWC)“ rühmt – ein Bürokonzept, das sowohl Rückzugsmöglichkeiten bietet als auch Austausch und Zusammenarbeit fördert. „Das flexible Arbeiten erleichtert es den Mitarbeitern, den aktuell passenden Arbeitsort für sich zu wählen“, so das Unternehmen, das in Abstatt unter anderem Lounge-Zonen, Kreativräume und Freiflächen zur Verfügung stellt, auf seiner Website.

Doch während die Büroflächen vor der Pandemie sehr begehrt waren und immer mehr verdichtet wurden, blieben sie nach der Pandemie zunehmend verwaist, weil viele Mitarbeitende weiterhin das Homeoffice präferierten. Das Unternehmen hat daher den Anspruch, die Anzahl der verfügbaren Arbeitsplätze im Betrieb zu reduzieren und Kosten zu sparen. In der Belegschaft gibt es sehr verschiedene Arbeitsvorlieben, alle wissen die Flexibilität zu schätzen, wollen aber dennoch natürlich auf gut ausgestattete Büroarbeitsplätze zugreifen können und auch die Möglichkeit haben, im persönlichen Kontakt vor Ort zusammenzuarbeiten. Der Betriebsrat hat in einem längeren Prozess die Bedarfe ermittelt, Lösungsvorschläge gemacht und Vereinbarungen geschlossen, um die verschiedenen Interessen zu verbinden.

Die Fragestellungen, die der Betriebsrat dabei behandelt hat, bilden einen Teil der Themen ab, die nach Forschungserkenntnissen in verschiedenen Branchen und Betriebsgrößen relevant sind. Betriebs- und Personalräte haben dazu unterschiedliche Lösungen verhandelt, die für ihre betrieblichen und organisatorischen Voraussetzungen passend sind. 

Die Forschung zum Thema Arbeiten von zu Hause, von unterwegs und im Büro zeigt, dass es für Arbeitnehmende wichtig ist, verschiedene Aspekte in Betriebs- und Dienstvereinbarungen transparent und verlässlich zu regeln. Die abgeschlossenen Vereinbarungen enthalten neben grundsätzlichen Fragen wie Zielsetzung, Definition und Voraussetzungen für mobiles Arbeiten (oder ähnliche Begriffe) auch Aspekte zur Organisation. Zur Organisation mobiler Arbeit gehört unter anderem eine angemessene Ausstattung (technisch und/oder Mobiliar), Anbindung an den Betrieb, gegebenenfalls notwendige Qualifizierung (beispielsweise Selbst- und Zeitmanagement). Aspekte zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sind unter den veränderten Gegebenheiten schwieriger zu erfassen und zu regeln, da die Beschäftigten nicht mehr physisch greifbar sind. Dennoch sind Vorkehrungen bezüglich physischer und psychischer Belastungen zu treffen. Das Thema Arbeitszeit umfasst neben der Lage, Dauer und Verteilung auch möglicherweise Service- und Erreichbarkeitszeiten. All diese Aspekte in abgeschlossenen Vereinbarungen wirken den Risiken, unter anderem Arbeitsverdichtung und Entgrenzungstendenzen, entgegen.

Insgesamt zeigt sich, dass orts- und zeitflexibles Arbeiten immer auch Konsequenzen für das Arbeiten im Betrieb, vor Ort hat. Daher ist es sinnvoll, bei der Verhandlung von Vereinbarungen gleichzeitig Auswirkungen für das Arbeiten im Betrieb und außerhalb des Betriebs vor Augen zu haben. Wenn es um die Kombination von beidem geht, spricht man von einem neuen Normal: Dieses „New Normal“ in den Büros bringt neue Konfliktfelder mit sich, wie Betriebsrat Fortenbacher darlegte: Wie oft und wann arbeitet man gemeinsam am Standort, und wie muss der dafür ausgestattet sein? Wie bringt man unterschiedliche Erwartungen von Mitarbeitenden und Führungskräften unter einen Hut? Und wie soll damit umgegangen werden, wenn Arbeitgeber das Arbeiten von zu Hause nutzen wollen, um Immobilienkosten zu sparen?

In Abstatt haben sie dazu verschiedene Vereinbarungen getroffen, die vieles regeln von gekennzeichneten „Ankerbereichen“ und „Flexzonen“ über die Ausstattung der Kollaborationsräume für hybride Besprechungen bis hin zur Mindestgröße der Schreibtische an Bildschirmarbeitsplätzen und zur Desksharing-Quote (als Quotient aus Arbeitsplätzen und Nutzern). Dabei ist die Detailliertheit der lokalen Vereinbarung auch Ausdruck dafür, wie lange Bosch-Betriebsräte schon für gute Arbeitsbedingungen kämpfen und deshalb auf eine Fülle vorangegangener Verträge bauen können: In den vergangenen Jahren wurden allein drei Konzernbetriebsvereinbarungen zu „Mobiles Arbeiten“ (2014), zu „Smart Work“ und zur „Büroplanung“ (beide 2022) geschlossen; und nach der lokalen Vereinbarung in Abstatt in diesem Jahr („Eckpunktepapier Büroplanung“) ist dort bereits die nächste zur „Belegungsmessung“ in Arbeit.

Zu tun gebe es noch jede Menge, bei Bosch und in anderen Firmen, stellte Thomas Fortenbacher resümierend fest: Denn so groß das Bedürfnis vieler Beschäftigter nach hybridem Arbeiten sei (wobei die Covid-19-Pandemie als Trendbeschleuniger wirkte), so sehr müsse es durch Mitbestimmungsakteure erstritten und abgesichert werden, zumal es in sehr vielen Unternehmen noch überhaupt keine Vereinbarungen dazu gebe. Ein Grund dafür sei, dass Arbeitgeber oft die zusätzlichen Kosten scheuten. Ein weiterer sei die „gefühlte Ungerechtigkeit“ zwischen denen, die mobil arbeiten können und denen, die es nicht können, zum Beispiel in der Produktion. Dieser Konflikt sei kaum auflösbar. Fortenbachers Schlussfolgerung: „Die Mitarbeitenden in Werkstatt und Produktion sollen verstehen, dass sie keinen Nachteil haben im Vergleich zu früher. Natürlich gibt es Mitarbeitende in den Büros, die durch die Nutzung ihres Homeoffice sowohl Vorteile haben (etwa individuelle Gestaltungsmöglichkeit bezüglich Arbeitsort und -zeit) als auch Nachteile (wie Entgrenzung). Die unterschiedliche Betroffenheit ergibt zunächst ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Wir überlegen ganzheitlich, wie Veränderungen mitarbeiterorientiert gestaltet werden können.“

Diskussionsraum 2: KI verstehen, bewerten und begrenzen

Die AI-Card: ein wichtiger, aber nur ein erster Schritt

In diesem Diskussionsraum berichtete der Betriebsrat Dietmar Kuttner von einer langjährigen Auseinandersetzung mit seinem Arbeitgeber – der Siemens AG. Vorweg: Die Arbeitnehmervertretung ist noch nicht am Ziel, hat aber eine wichtige Etappe geschafft. Ein Fall, von dem andere lernen können.

Wie vermutlich in vielen kleineren und mittleren Unternehmen beginnt die Geschichte auch im Weltkonzern Siemens scheinbar banal: Die Geschäftsleitung kauft eine Software, die dann vom betrieblichen Datenschutzbeauftragten begutachtet und von der Mitbestimmung mithilfe einer Checkliste geregelt wird; erst dann kommt die Software in aller Regel zum Einsatz. Im konkreten Fall handelte es sich aber um Software, die große Datenmengen nutzt, um Profile von Auszubildenden zu erstellen und sie für bestimmte Aufgaben in „geeignete“ und „nicht geeignete“ Personen zu sortieren (Assessment-Center). Symptomatisch war, dass Siemens zunächst bestritt, dass es sich überhaupt um KI handele. Symptomatisch deshalb, weil KI begrifflich gar nicht exakt definiert ist und KI-Anwendungen oft auch nicht als solche erkennbar sind, womit die Risiken ihres Einsatzes unklar bleiben müssen. Damit kann jedoch der Betriebsrat seine Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte gar nicht umfänglich wahrnehmen, weil Betriebsräte erst einbezogen werden, wenn die Programme längst ausgestaltet sind. Da es sich beim Training von KI-Anwendungen aber um eine wesentlich andere Thematik handelt als die Konfiguration klassischer IT-Systeme, ist hier eine frühzeitige Einbindung des Betriebsrats unerlässlich.

Für diese frühzeitige Information hat sich der Gesamtbetriebsrat (GBR) von Siemens eingesetzt und deswegen den kompetent besetzten Sonderausschuss KI gegründet. Als vorläufige Arbeitsweise zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite hat sich seither die Verwendung einer AI-Card herausgebildet (AI = artificial intelligence = KI). Sie ist eine Art Steckbrief, der alle relevanten Fragestellungen strukturiert darstellt. „Wir halten eine solche AI-Card für einen richtigen Schritt, weil sie es Betriebsräten und Arbeitgebervertretern ermöglicht, überhaupt erst einmal beurteilen zu können, womit sie es zu tun haben, um dann als Mitbestimmungsakteure ein passendes Set an Maßnahmen zu bestimmen“, sagte Jonas Grasy, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Technologieberater am IMU Institut in Stuttgart, der den Diskussionsraum mit Betriebsrat Kuttner moderierte. Die AI-Card mache das weite Thema KI in einer übersichtlichen Form handhabbar.

Mit dem Siemens-GBR stimmte Grasy allerdings auch darin überein, dass die AI-Card nur ein erster Schritt sein könne. Denn weder enthält der Steckbrief eine Definition von KI, noch ist er bislang in eine Betriebsvereinbarung eingebettet, weshalb das Risiko besteht, dass es immer von Neuem zu Auseinandersetzungen darüber kommt, ob es sich um ein KI-System handelt oder nicht. „Bei einer solchen betrieblichen Definition ist es wichtig, KI möglichst weit zu fassen, weil so für alle relevanten Anwendungen eine Einschätzung der Risiken möglich wird“, erläuterte Jonas Grasy. Auch aus diesem Grund will der GBR eine Absicherung der Mitbestimmung in Sachen KI nicht dauerhaft allein auf die AI-Card stützen, sondern eine unternehmensweite Betriebsvereinbarung erreichen, die sowohl die unterschiedlichen KI-Klassifizierungen als auch die dazugehörigen ethischen Grundlagen berücksichtigt.

Ein äußerst wichtiger Aspekt bei der Gestaltung von KI-Mitbestimmung, so Kuttner und Grasy bei der Diskussion, sei die Unterscheidung in technikzentrierte und menschenzentrierte KI. Während das Risikopotenzial bei der menschenzentrierten KI – Beispiel wäre eben jenes Assessment-Center im Personalbereich – oft offenkundig ist, kann technikzentrierte KI ihre Wirkung auf Beschäftigte erst im zweiten Schritt entfalten, etwa indem sie zu Arbeitsverdichtung oder anderen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen führt. „Zu prüfen ist also immer die Rückbindung an den Geschäftsprozess, in dem die KI angewendet wird“, betonte Jonas Grasy. Nur auf die rein technischen Aspekte zu schauen, reiche nicht aus, um KI tatsächlich zu gestalten. „Es geht um den Blick auf das Unternehmen als soziotechnisches System: Nur so kann man erkennen, wie riskant eine Anwendung ist, welcher Missbrauch möglich wäre. Es geht darum, in einer Welt, die absehbar voller KI ist, weiterhin gute Arbeit zu ermöglichen.“

Diskussionsraum 3: Transformation und strategische Personalplanung

Vorbereitet sein für Zeiten der Knappheit

Neben der Digitalisierung gehört der demografische Wandel zu den stärksten transformativen Kräften dieser Zeit – täglich liest und hört man darüber in den Medien unter dem Schlagwort „Fachkräftemangel“. Prof. Dr. Carsten Wirth von der Hochschule Darmstadt und die Vorsitzende des Telekom-Konzernbetriebsrats, Kerstin Marx, diskutierten darüber mit Teilnehmenden des Workshops.

„Be a Future Maker“ hieß Anfang 2023 eine Studie der Deutschen Telekom, in der Zahlen genannt wurden, die auch einen Riesen wie die Telekom nicht kalt lassen können: Danach fehlten in Deutschland fast 330.000 MINT-Fachkräfte, seien 96.000 Stellen für IT-Fachkräfte und fast 70.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Wo die Situation derart angespannt ist, braucht es eine Strategie – in diesem Fall eine strategische Personalplanung. Also das Gegenteil dessen, was viele Unternehmen in der Vergangenheit taten, als sie die Ausbildung herunterfuhren und auch sonst kurzfristigen Sparreflexen in der Personalpolitik nachgaben.

Zentraler Begriff der Diskussion war deshalb „Skill Management“. Gemeint ist damit, wie Professor Wirth ausführte, die systematische Planung, Organisation, Realisierung und Kontrolle der Skill-Entwicklung der Beschäftigten. Bereits 2017 hat die Telekom mit dem Aufbau eines Skill-Management-Systems begonnen, es seither überarbeitet und in mehreren Gesellschaften pilotiert. Jedem Mitarbeitenden wird ein Skill-Profil zugewiesen, das die Skill-Anforderung an die jeweilige Rolle definiert. Die Skills werden durch die Beschäftigten im Rahmen einer Selbsteinschätzung erfasst, wenn sie möchten, auch solche jenseits des Berufs, zum Beispiel zivilgesellschaftliches Engagement. Der Abgleich zwischen den vorhandenen und den erforderlichen Skills zeigt Weiterentwicklungs- und Karrieremöglichkeiten für bestehende Mitarbeiter*innen auf, macht aber auch sichtbar, welche Skill-Profile unter Umständen vom externen Arbeitsmarkt kommen müssen.

Die Rolle für Betriebsräte ist deshalb eine doppelte: Sie üben einerseits eine Schutzfunktion für Mitarbeiter*innen aus, Stichwort „gläserne Belegschaft“, und können gleichzeitig eine wichtige Gestaltungsfunktion bei der strategischen Personalplanung wahrnehmen. „Es geht darum, dass nicht nur das Management, sondern auch der Betriebsrat darauf schaut, was getan werden muss, damit Beschäftigungssicherheit gewährleistet ist, Beschäftigungsfähigkeit erhalten bleibt und Zugang zu Weiterbildung organisiert wird“, sagte Carsten Wirth. Dazu könne Skill Management einen wichtigen Beitrag leisten. Wirth arbeitet derzeit an einem Porträt des Skill Management-Systems der Telekom und hat bereits ein Porträt der strategischen Personalplanung bei Auszubildenden von Evonik Industries veröffentlicht („Bedarfsgerecht ausbilden“), das unter anderem zeigt, wie betriebliche Vereinbarungen umgesetzt werden können.

Mit Blick auf die junge Generation, der bei der Fachkräftesicherung eine überragende Rolle zukommt, betonte KBR-Chefin Kerstin Marx, dass diese Generation sehr stark nach Orientierung suche, nicht zuletzt als Folge der Pandemie. Bezug nehmend auf die Nachwuchskräftestudie „Be a Future Maker“ der Telekom sagte Marx: „Die Studie zeigt eindeutig, dass Unternehmen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wertschätzen und ihnen Perspektiven bieten, erfolgreicher bei der Rekrutierung und Bindung von Fachkräften sind. Damit sich junge Menschen für ein Unternehmen entscheiden, muss es ihren Werten entsprechen. Das Gefühl der Passung verstärkt sich, wenn Nachwuchskräfte Vertrauen, Zutrauen und Anerkennung erfahren, Verantwortung übernehmen und unterschiedliche Aufgabenbereiche kennenlernen dürfen, wenn sie ins Team integriert und entsprechend ihrer Stärken eingesetzt werden.“ Große Erwartungen, die erfüllen muss, wer in Zeiten eines knapper werdenden Angebots bestehen will.
 

Diskussionsraum 4: Die sozial-ökologische Transformation aktiv gestalten – Erfahrungen aus der Praxis

„Information und Einbindung sind das A und O“

Wie man skeptische Beschäftigte auf dem Weg zur grünen Transformation mitnimmt, erzählten Thomas Kirst, Personalratsvorsitzender bei der Omnibus-Technik der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), und Dr. Klaus-Stephan Otto, Geschäftsführer des Berliner Beratungsunternehmens EVOCO, im Diskussionsraum 4.

Gleich zu Beginn stellte Berater Otto seine Prämisse in den virtuellen Raum: Eine Transformation wie die Energie- oder Verkehrswende könne nur gelingen, wenn sich nicht weite Teile der Betroffenen als Opfer erlebten, über deren Köpfe hinweg entschieden wird, deren Interessen keine Rolle spielen. Sonst, mahnte der Psychologe, bestehe die Gefahr, dass sich die Übergangenen populistischen Meinungen und Bewegungen anschließen und notwendige Veränderungen ausbremsen. In einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt begleitete Otto deshalb Betriebs- und Personalräte in vier Unternehmen, die ihr Geld mit Mobilität verdienen und somit betroffen sind von der anstehenden Transformation. Gegenstand des Projekts war die Frage, wie es gelingen kann, sowohl Beschäftigte als auch Betriebs- und Personalräte stärker zu Akteuren der Veränderungsprozesse zu machen. Grundiert war die Begleitung der Berater durch die Einschätzung, dass Gewerkschaften sich zwar gut in der digitalen Transformation auskennen und von Beschäftigten auch als Kämpfer für soziale Belange anerkannt sind, jedoch nicht unbedingt als Experten für ökologische Themen wahrgenommen werden.

Als Vorreiter beschrieb Berater Otto das VW-Werk in Emden, in dem zwei E-Modelle vom Band laufen. Der dortige Betriebsrat beschäftige sich seit vielen Jahren mit ökologischen Fragen der Transformation bis hin zur Moorbewässerung in Werksnähe. Bereits 2008 gründete das Gremium eine Belegschaftsgenossenschaft, die die Werksdächer mit Solarzellen bestückte und ihren Mitgliedern seither eine stabile Rendite abwirft. Auch das VW-Werk in Salzgitter, in dem noch Verbrennermotoren produziert werden, ist im Umbau zum Batteriezentrum des Konzerns. Und auch dort, so Otto, sei der Betriebsrat sehr früh mittendrin gewesen in der Gestaltung.

Neben dem Reifenwerk von Goodyear im sächsischen Riesa waren die BVG der vierte Partner im Projekt. Mit dem Ziel, im Omnibus-Bereich bis 2030 klimaneutral zu werden, begann man dort 2017 mit vier E-Bussen, wie Personalrat Thomas Kirst berichtete, der seit 43 Jahren im Unternehmen ist. Was viele zunächst nur als „netten Versuch“ eher beiläufig wahrnahmen, provozierte immer häufiger kritische Fragen, als auf den Betriebshöfen der Bau von Ladeeinrichtungen die gewohnten Abläufe behinderte. Es gab Kommentare wie „so ein Mist“, „die da oben verbrennen nur Geld“, „Diesel ist doch sowieso besser“. Inzwischen fahren 238 BVG-Busse mit Strom, weitere mehrere hundert Fahrzeuge seien ausgeschrieben. Aber die Stimmung sei gut, berichtete der gelernte Fahrzeugschlosser Kirst.

Das Rezept? „Information und Einbindung sind das A und O“, sagte Kirst und referierte diverse Dialogformate auf allen Ebenen vom Einzelgespräch innerhalb des Personalrats über Betriebsversammlungen und Workshops in den Werkstätten (inklusive Vertrauensleute) bis hin zu Treffen mit dem Vorstand, mit Bereichsleitern und dem zuständigen Projektleiter. Besonders hob Kirst eine kleine mobile Ausstellung hervor, mit der der Personalrat durch alle sechs Betriebshöfe zog. Sie zeigte auf einem Zeitstrahl, was wann wo in den nächsten Jahren der Transformation hin zur E-Mobilität passieren soll, es gab ein Quiz, einen Briefkasten für Fragen, viele persönliche Begegnungen mit Führungskräften. Darauf aufbauend erstellte der Personalrat einen Aktionsplan mit 15 Punkten, darunter die Qualifizierung der Mitarbeiter*innen, die Anpassung der eigenen Ausbildung sowie die Anpassung der Tarifverträge. Besonders erwähnenswert: Das Gremium habe jetzt ein Mitspracherecht bei der Erstellung der Lastenhefte für die Hersteller der E-Busse.

Workshop-Teilnehmerin Charlotte Richter, Referentin des KBR/EBR beim Essener Anlagenbauer GEA Group, bekräftigte Kirsts Bericht mit Nachdruck: „Auch wir machen gute Erfahrungen mit der Einbindung der Mitarbeiter. Wir holten Projektmanager und Beschäftigte an einen Tisch, um das Delta der Beurteilungen zu besprechen und so gemeinsam vor die Welle zu kommen.“ Charlotte Richter beschrieb die notwendige Rolle der Betriebsräte im Transformationsprozess als „Ermöglicher“, die Arbeitgeber und Mitarbeiter*innen noch mehr ins Gespräch bringen müssten. Auch an die Gewerkschaften gerichtet sagte sie: „Wir dürfen nicht von oben herab sagen: ‚Wir wissen, wie es geht.‘ Stattdessen müssen wir die Menschen reinholen in einen gemeinsamen Prozess.“