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Werkzeugkasten Szenarien (Modul 1)

Grundlagen der Szenarienentwicklung

Was sind Szenarien? Und warum brauchen wir sie?

Wenn wir die Zukunft nicht mehr hochrechnen können, kommt der Entwicklung denkbarer Szenarien höchste Bedeutung zu.

Burkhard Schwenker, Barbara Dauner-Lieb

Szenarien sind Geschichten über die Zukunft, aber ihr Zweck liegt darin, bessere Entscheidungen in der Gegenwart zu treffen.

Ged Davis

Warum sollte man Zeit und Ressourcen in die (gemeinsame) Erarbeitung von Szenarien über mögliche zukünftige Entwicklungen investieren? In diesem Modul zeigen wir, was Szenarien sind und was nicht, worin ihr Mehrwert für eine wirksame Mitbestimmungspraxis liegt und für das Treffen von Entscheidungen in Situationen, die von Unsicherheit und schwer abschätzbaren Entwicklungen geprägt sind. Es werden Kriterien an die Hand gegeben, für welche Fragestellungen und Herausforderungen sich der Ansatz eignet sowie die inhaltlichen und organisatorischen Voraussetzungen und Erfolgskriterien für einen fruchtbaren Einsatz benannt. Eine Reihe von Praxisübungen regt dazu an, unsere gewohnten Denkmuster mit Blick auf die Zukunft offenzulegen sowie zu hinterfragen und lädt zum Denken in Szenarien ein.

Szenarien sind Geschichten über die Zukunft, die Menschen bewegen, etwas zu tun.

Szenarien beschreiben, wie sich unser heutiges Handlungsumfeld mit Blick auf eine bestimmte Fragestellung und für einen zuvor definierten Zeitraum verändern kann. Sie enthalten Hinweise darauf, welche treibenden Kräfte, Akteure und Wechselwirkungen für den Wandel ursächlich sein könnten. Und sie beleuchten, welche Herausforderungen und welche Chancen damit einhergehen würden.

Das Medium ist die Erzählung. So werden unterschiedliche Ebenen miteinander verknüpft und Bedeutungszusammenhänge geschaffen. Nicht nur der Kopf, auch das Gefühl werden angesprochen. In aller Regel sind für eine bestimmte Fragestellung immer mehrere Szenarien – also unterschiedliche, aber gleichermaßen plausible Entwicklungspfade – denkbar. Zusammengenommen ergeben sie eine „Landkarte für die Zeit“: zur Orientierung, zum Abwägen, für den Austausch mit anderen – und zum Eingreifen.

Häufig ist das Bild sehr begrenzt, das wir uns von der Zukunft und unseren Einflussmöglichkeiten machen. Allzu oft dominieren Eile und die vielfältigen Anforderungen des Alltags, isolierte Symptombetrachtung und das bloße Fortschreiben von aktuellen Trends. Und erst wenn der „Dampf im Kessel“ ein hohes Maß erreicht hat, wird etwas getan – reaktiv und unter Druck. Mithilfe von Szenarien können wir den Blick für längerfristige Chancen und Risiken weiten.

Das Ziel der Entwicklung von Szenarien ist nicht, die Zukunft vorherzusagen. Vielmehr geht es darum, den Blick zu weiten und unterschiedliche mögliche Entwicklungen frühzeitig zu antizipieren, um besser vorbereitet zu sein, wenn die eine oder andere davon tatsächlich eintritt. Schon der Umstand, dass sie stets in der Mehrzahl auftreten – es gibt zu einer Fragestellung in der Regel immer mehrere plausible Szenarien – unterscheidet sie von der Prognose. Szenarien unterscheiden sich aber auch von Utopien, die meist „in einem fernen Land in einer unbestimmten Zeit“ spielen. Denn Szenarien tragen stets der heutigen Ausgangslage und den damit verbundenen Pfadabhängigkeiten Rechnung. Sie spielen im Spannungsfeld zwischen dem, was wir von der Zukunft aller Voraussicht nach schon wissen, und dem, was noch völlig ungewiss ist.

Statt eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Zukunft zu geben, werden zentrale Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft identifiziert:

  • Welche Einflussfaktoren werden einen maßgeblichen Einfluss haben, sind aber aus heutiger Sicht in ihrer künftigen Ausprägung noch hochgradig ungewiss?
  • Welche kausalen Zusammenhänge könnten die eine oder die andere Entwicklung vorantreiben?
  • Was wären dann die jeweiligen Auswirkungen?

Ein wichtiger Aspekt hierbei ist, dass man quasi gezwungen wird, sich Gedanken darüber zu machen, was für die zugrunde liegende Fragestellung wirklich wichtig ist. Denn um handeln zu können, müssen wir die Wirklichkeit vereinfachen. Die Frage ist also: Was berücksichtigen wir und was lassen wir außen vor? Es geht nicht um Vollständigkeit, sondern um Bedeutung – und damit um unsere mentalen Modelle, mit denen wir uns (unbewusst) die Welt erklären. Durch die intensive Auseinandersetzung mit diesen Fragen entstehen unterschiedliche Theorien darüber, welche grundlegenden Alternativen die Zukunft in sich birgt.

Das Durchspielen von Szenarien führt dazu, dass man für unterschiedliche Entwicklungen besser gewappnet ist. Denn schon Louis Pasteur wusste:

Glück kommt denen zugute, die darauf vorbereitet sind.

Louis Pasteur

Szenarien helfen so, vom passiven Modus – „Hoffentlich wird nichts Schlimmes passieren!“ – hin zu einer Haltung zu kommen, die Handlungsspielräume in den Mittelpunkt stellt: „Welche Möglichkeiten haben wir, wenn dieses oder jenes eintritt?“ Oder: „Was können wir tun, um diese oder jene Entwicklung zu unterstützen bzw. zu verhindern?“

In der Zusammenschau unterschiedlicher Szenarien entsteht so ein Referenzrahmen, eine „Landkarte für die Zeit“, die auch dem konstruktiven Austausch mit anderen dient. Die Kommunikation mit und über Szenarien wird zudem dadurch befördert, dass es sich dabei in der Regel um Geschichten handelt, die nicht nur den analytischen Verstand ansprechen, sondern auch das Emotionale. Sie sind vielschichtig und mehrdeutig, haben Licht- und Schattenseiten – wie das wirkliche Leben. Szenarien lassen sich leicht verbreiten, man erzählt sie weiter.

Szenarien sind stets als Einladung zum Dialog zu verstehen,

  • sich gemeinsam mit anderen darüber zu verständigen, was für die Zukunft von Bedeutung sein wird,
  • auf welche grundlegenden Alternativen man vorbereitet sein sollte,
  • in welcher Zukunft wir leben wollen und
  • was wir heute tun können, um unsere Zielsetzungen wirkungsvoll zu verfolgen.

Auch gerade über die üblichen Grenzen innerhalb von Organisationen sowie zwischen unterschiedlichen Interessengruppen und über gegenläufige Weltanschauungen hinweg können Szenarien zu einer konstruktiven Verständigungskultur beitragen – zum Beispiel für die Kommunikation von Vorstand und Aufsichtsrat, in der Sozialpartnerschaft, zwischen den Betriebsparteien, zwischen unterschiedlichen Standorten eines Unternehmens etc.

Warum brauchen wir Szenarien für eine wirkungsvolle Mitbestimmung?

Wir wissen heute noch nicht, wie die Situation in fünf, zehn oder gar zwanzig Jahren aussehen wird. Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, sie ist offen. Das Gute daran ist, dass wir damit die Möglichkeit haben, Einfluss zu nehmen. Das Schwierige liegt darin, dass wir stets unter Unsicherheit entscheiden und handeln müssen – ohne zu wissen, in welchem längerfristigen Kontext sich unsere heutigen Entscheidungen und Handlungen entfalten werden.

Gerade für Mitbestimmungsakteure bietet der Szenarienansatz zahlreiche Auffahrten und ein breites Spektrum an sinnvollen Einsatzfeldern. Mithilfe von Szenarien können wir – im Austausch mit anderen und durch tiefer gehende Erkundungen – den Blick für längerfristige Chancen und Risiken weiten und so auch die Integrität unseres Handelns stärken.

Auch wenn Szenarien von der Zukunft handeln, liegt ihr Hauptzweck darin, heute bessere Entscheidungen zu treffen – auch und gerade in Zeiten, die durch komplexe Veränderungen im Feld der Mitbestimmung und ein hohes Maß an Ungewissheit geprägt sind. Indem wir grundlegende Alternativen – beispielsweise in Bezug auf anstehende Restrukturierungen im Unternehmen, Veränderungen im Marktumfeld oder bestimmte Gesetzesvorhaben – frühzeitig einander gegenüberstellen und bewerten, stärken wir unsere Fähigkeit, Zukunft nicht einfach nur zu erdulden, sondern aktiv mitzugestalten.

Szenarien sind in diesem Sinne ein Ansatz, konstruktiv mit schwer abzuschätzenden Veränderungen umzugehen. Gleichwohl ist der Ansatz nicht für jede Situation bzw. Auseinandersetzung mit der Zukunft das richtige Werkzeug. Hier beschreiben wir Kriterien für geeignete „Anlässe“.

Anwendungsbeispiele im Bereich der Mitbestimmung

Der Szenarienansatz hat sich bereits bei einer Vielzahl von Fragestellungen und Herausforderungen im Feld der Mitbestimmung bewährt. Im Folgenden werden ein paar Beispiele benannt:

Restrukturierungen sind immer mit einem hohen Maß an schwer abschätzbaren Konsequenzen verbunden: wenn beispielsweise eine Fusion ansteht, die Unternehmensführung die Schließung eines Standorts plant, Stellen abgebaut werden sollen, wenn Ergebnissteigerungs-/ Kostensenkungsprogramme aufgelegt werden oder der Einstieg in neue Märkte angestrebt wird. Hier bietet es sich an, aus Sicht der Mitbestimmung unterschiedliche Szenarien durchzuspielen, welche längerfristigen Folgen und Herausforderungen damit einhergehen könnten.

Veränderungen in der Eignerstruktur oder ein personeller Wechsel in der Unternehmensführung können sich auf vielen Ebenen auswirken. Ein guter Anlass, einmal verschiedene Entwicklungen durchzuspielen und über mögliche Strategien der Einflussnahme nachzudenken.

Im Zuge der Digitalisierung immer weiterer Prozesse und Abläufe im Unternehmen steigt auch die Notwendigkeit, mögliche Auswirkungen und „Nebenwirkungen“ neuer Algorithmen und Softwaresysteme frühzeitig zu antizipieren – und z. B. gegebenenfalls über entsprechende Betriebsvereinbarungen zu flankieren.

Kaum ein Unternehmen ist unberührt von den großen Veränderungen unserer Zeit, ausgelöst durch technologische Innovationen, disruptive Veränderungen des Markt- oder Regulierungsumfelds sowie des allgemeinen Umbaus hin zu einer ökologisch tragfähigen Wirtschaftsweise. Die daraus resultierenden Herausforderungen ähneln sich an vielen Stellen, aber letztlich sind diese Prozesse für jedes Unternehmen durch eine spezifische Mischung aus absehbaren Notwendigkeiten und großen Ungewissheiten geprägt.

Für die längerfristige strategische Ausrichtung der Arbeit des eigenen Gremiums bietet es sich an, von Zeit zu Zeit auch einmal in Szenarien zu denken. „Welche Herausforderungen liegen vor uns, wo sehen wir Handlungsbedarf?“ Und davon abgeleitet: „Wie definieren wir unser Selbstverständnis und unseren Gestaltungsanspruch?“

Insbesondere nach der Betriebsratswahl, wenn „alte Hasen“ und „neue Gesichter“ zum gemeinsamen Handeln finden müssen, macht eine solche Erkundung Sinn. Das gleiche gilt natürlich auch für die Arbeitnehmer:innenbank in sich neu konstituierenden Aufsichtsräten bzw. auch dann, wenn wichtige strategische Fragen für die künftige Unternehmensentwicklung anstehen.

Die Interessenvertretungen der Beschäftigten sehen sich immer wieder mit Annahmen und Prognosen der Arbeitgeberseite konfrontiert. Die Fähigkeit, in Szenarien zu denken, hilft dabei, diese Annahmen zu hinterfragen und Alternativen zu erkennen. Insbesondere dann, wenn hierbei „Sachzwänge“ und „Alternativlosigkeiten“ ins Feld geführt werden.

Unterschiedliche Herangehensweisen und Zielsetzungen

Szenarien können individuell entworfen werden, als Gruppe, Organisation oder auch organisationsübergreifend. In der Regel ist es fruchtbarer, Szenarien gemeinsam mit anderen zu entwickeln als „im eigenen Saft“ zu verbleiben. Auch was den Zeitbedarf angeht, ist der Ansatz ausgesprochen flexibel. Szenarien können spontan auf einem Blatt Papier skizziert werden (ggf. reicht auch ein Bierdeckel), mit ein paar engagierten Kolleg:innen über ein paar Stunden in einem kompakten Meeting bzw. Workshop oder auch in mehrmonatigen Prozessen mit vielen Beteiligten.

Die Wahl des Vorgehens hängt von den verfügbaren Ressourcen ab sowie von den Zielen, die erreicht werden sollen. Zentrale Basisqualifikationen sind – ganz gleich, in welchem Format mit Szenarien gearbeitet wird – die Lust am Erkunden, Offenheit im Umgang mit Unsicherheit, Toleranz gegenüber anderen Perspektiven sowie die Bereitschaft, tief verankerte Sichtweisen infrage zu stellen.

Zielsetzungen der Szenarienentwicklung

  • Sensibilisierung für den größeren Kontext und längerfristige Zusammenhänge
  • Ein konstruktiver Umgang mit Ungewissheit
  • Offenlegung und Hinterfragen von (eigenen) Annahmen und der „offiziellen Zukunft“
  • Identifikation von grundlegenden Alternativen und damit eine bearbeitbare Anzahl von „Zukünften“
  • Herstellen einer gewissen Vertrautheit mit möglichen veränderten Rahmenbedingungen
  • Frühzeitige Identifikation und Abschätzung von Risiken und die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten, mit ihnen umzugehen
  • Ein (gemeinsamer) Lernprozess und Teambuilding
  • Unterstützung von Entscheidungsprozessen und Strategiebildung
  • Ein Kommunikations- und Dialoginstrument zur Verständigung mit anderen Stakeholder-Gruppen

Szenarien als Prdoukt und als Prozess

Wenn es um die Frage geht, welchen Mehrwert die Entwicklung von Szenarien erbringt, müssen zunächst zwei Ebenen unterschieden werden:

Zum einen ist da das Produkt – die Szenarien. Diese Erzählungen vermitteln mögliche längerfristige Entwicklungspfade, die dazu genutzt werden können, für den größeren Kontext zu sensibilisieren und mögliche Handlungsweisen einmal auf unterschiedlichen „Bühnenbildern“ zu testen bzw. durchzuspielen. Grundlegende Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft werden in Szenarien explizit gemacht, ebenso wie die Prämissen derer, die sie entwickelt haben. Szenarien schaffen eine gemeinsame Sprache, sie thematisieren (unterschwellige) Risiken und regen zum Nachdenken über (neue) Handlungsoptionen an. Szenarien sind ein Kommunikationsmittel für den Austausch mit anderen. Wirkungsvolle Szenarien sind plausibel, aber zugleich auch neuartig und herausfordernd. Sie eröffnen neue Perspektiven.

Ein wichtiger Nutzen entsteht in der Regel aber auch bereits im Prozess der Szenarienentwicklung. Dieser fördert die Fähigkeit der Beteiligten, mit Ungewissheit in einer konstruktiven und strukturierten Weise umzugehen.

Das Gespür für längerfristige Zusammenhänge und für relevante Veränderungen im weiteren Umfeld wird ebenso gestärkt. So berichten Beteiligte von Szenarienprozessen immer wieder, dass sie im Anschluss einzelne Ereignisse und Medienberichte besser in größere Entwicklungslinien und -zusammenhänge einordnen können.

Der Prozess der Szenarienentwicklung bietet Raum für Perspektiven, Bedürfnisse und Erwartungen, die gewöhnlich ausgeblendet werden bzw. unausgesprochen bleiben. Fest verankerte Prämissen können, ja müssen, im Verlauf der Szenarienentwicklung immer wieder hinterfragt werden. Auch unkonventionelle Sichtweisen werden einbezogen.

Daraus ergeben sich auch positive Effekte für die Zusammenarbeit in anderen Bereichen sowie die allgemeine Organisationskultur. Die Entwicklung von Szenarien kann dazu beitragen, Vertrauen zu stärken und eine gemeinsame Sprache zu finden.      

Abgrenzung zu anderen Formen der Zukunftsbetrachtung

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, sich ein Bild von der Zukunft zu machen. Im Folgenden werden ein paar davon kurz beschrieben und in ihren Unterschieden zum Szenarienansatz abgegrenzt

Eine weit verbreitete Herangehensweise ist, die Zukunft als eine verlängerte Gegenwart zu sehen. Es wird davon ausgegangen, dass die künftige Entwicklung sich nicht maßgeblich von der heutigen Ausgangslage unterscheiden wird: „Was sollte sich schon ändern?“ Entsprechend wird auf bewährte Lösungen und Rezepte gesetzt: „Bisher sind wir mit dieser Strategie doch immer gut gefahren.“

Historisch betrachtet ist dies durchaus vielversprechend. Wenn man auf das setzt, das gestern funktioniert hat, liegen die Chancen hoch, dass es auch morgen wieder klappt. Auch das Sprichwort „Never change a winning team“ oder Ansätze einer „Politik der ruhigen Hand“ entsprechen dieser Sichtweise. Wenn die Rahmenbedingungen unseres Handelns aber nicht mehr relativ stabil sind und sich unser Umfeld rasant verändert, kann dies sehr riskant sein und zu bösen Überraschungen führen. Szenarien machen mögliche Diskontinuitäten frühzeitig zum Thema.

Häufig werden die Turbulenzen einer sich im Sauseschritt verändernden Welt durchaus wahrgenommen, aber die Anforderungen des Tages lassen wenig Spielraum für größere Kursveränderungen und neue Prämissen. Man befindet sich im „Feuerwehrmodus“ bzw. fährt auf Sicht. Ein solcher Umgang ist typisch und manchmal unvermeidbar, wenn man sich mitten in einer Krise befindet. Wenn der Säbelzahntiger um die Ecke kommt, macht es keinen Sinn, Szenarien zu entwickeln – von unseren Vorfahren haben diejenigen überlebt, die schnell genug auf dem Baum waren.

Das Problem an dieser Beziehung zur Zukunft liegt darin, dass sie praktisch ausschließlich reaktiv ist und wenig Raum für Gestaltung lässt. Per Definition ist der Zeithorizont in dieser Zukunftsbeziehung ein ausgesprochen kurzer. Szenarien sollten, wenn möglich, entwickelt werden, bevor „das Reh auf die Straße springt“, bevor Krisen eintreten und die Symptombekämpfung alle Kräfte in Anspruch nimmt. Oder gar nicht mehr genug Raum zum Handeln bleibt.

Ein Versuch, Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft zu verringern und möglichen Risiken aus dem Weg zu gehen, ist die Prognose. Im Gegensatz zu Szenarien kommt die Prognose in der Einzahl daher. Gerade, wenn es um wichtige Investitionsentscheidungen  geht, würde man natürlich gerne wissen, was passieren wird, und nicht mit mehreren möglichen Zukünften konfrontiert werden. Für kürzere Zeiträume oder sehr stabile Trends ist dieses Vorgehen durchaus geeignet. In komplexeren Zusammenhängen und auf lange Sicht kann diese durch eine Prognose gewonnene Sicherheit sich aber durchaus als trügerisch erweisen.

Historisch gesehen treffen Prognosen eben sehr oft nicht zu und es kommt anders. Auch stabil erscheinende Trends und Veränderungen erweisen sich sehr häufig als gar nicht so stabil. Oder wie es in einem amerikanischen Sprichwort heißt: „A trend is a trend, until it bends.“ ("Ein Trend ist solange ein Trend, bis er abbiegt"). Trends beruhen immer auf Daten bzw. Informationen aus der Vergangenheit. Wenn also behauptet wird, dies oder jenes wird sicher kommen – dann ist Vorsicht geboten. Insofern ist es gut, mehr als eine (die erwartete) Zukunft „in petto“ zu haben – und auf unterschiedliche Entwicklungen vorbereitet zu sein.

Eine wiederum andere Herangehensweise ist die Fokussierung auf die Zukunft, die wir uns wünschen bzw. die wir als notwendig erachten. Das kann eine große Kraft entwickeln. Normative Zukunfts- bzw. Leitbilder können dazu beitragen, Orientierung zu geben, Menschen mitzunehmen und entsprechende Planungen abzustimmen und voranzutreiben. Ein Problem liegt jedoch darin, dass es dennoch vielleicht ganz anders kommt. Man kann die Zukunft nicht alleine schreiben. Auch andere Menschen, Gruppen und Kräfte haben Einfluss. Szenarien spielen unterschiedliche künftige Entwicklungen durch, gegebenenfalls auch diejenigen, die uns vielleicht nicht so gut gefallen. Erst dann wird gefragt, welche der Szenarien wir eher anstreben und welche eher vermieden werden sollten. Die Erfahrung zeigt, dass gerade die Auseinandersetzung mit Szenarien, die eher als negativ wahrgenommen werden, sehr ertragreich sein kann. Und letztlich lassen sich in jeder Zukunft auch Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten finden.

An dieser Stelle bedarf es auch einiger Worte zum Genre der Utopie. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass in der Regel kein oder nur ein sehr schwacher Bezug zur heutigen Ausgangslage besteht. Utopien spielen gewöhnlich an einem unbestimmten Ort zu einer unbestimmten, fernen Zeit. Damit werden sie im positiven wie im negativen Sinne beliebig. Oft sind Utopien stark normativ aufgeladen, sie beschreiben eine Idealwelt. Umgekehrt verhält es sich mit Dystopien – hier geht regelmäßig die Welt unter. Utopien und Dystopien sind mal „realistischer“, mal zugespitzter. In jedem Falle sind sie Projektionsfläche für reale Wünsche und Befürchtungen. Sie können inspirieren, motivieren, der Verständigung dienen. Oft sind Utopien auch moralisch doppeldeutig und nehmen gesellschaftliche Diskurse und (Fehl-)Entwicklungen aufs Korn. Wie zum Beispiel die Geschichte vom Schlaraffenland – eine Welt im permanenten materiellen Überfluss, in der niemand mehr irgendeiner Arbeit nachgehen und auf keinerlei Knappheiten Rücksicht genommen werden müsste.  

Szenarien zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine klare Verbindung zur heutigen Ausgangslage herstellen und sich durch ein hohes Maß an Plausibilität auszeichnen (auch wenn sie durchaus tiefgreifende Veränderungen beschreiben und sehr ungewohnt anmuten können). Der Szenarienansatz geht davon aus, dass Beschreibungen möglicher Zukünfte einen klaren Bezug zu den heute Handelnden herstellen müssen, um eine Wirkung zu entfalten.

Schließlich gibt es noch eine weitere sehr spannende Kategorie von Zukunft: die großen Überraschungen. Diese werden manchmal als die „unvorhersehbaren Unvorhersehbarkeiten“ bzw. „Unknowable Unknowables“ bezeichnet, auch als „Schwarze Schwäne“ oder „Wild Cards“. Hierbei handelt es sich um Ereignisse, die extrem unwahrscheinlich sind, aber – wenn sie eintreten – mit enormen Konsequenzen verbunden sind.

Natürlich kann ein Meteorit auf der Erde einschlagen und sicher hätte dies gravierende Auswirkungen. Bei Szenarien zur Zukunft der Digitalisierung oder den Folgewirkungen einer Unternehmensfusion werden solche Ereignisse aber gewöhnlich außen vor gelassen. Denn es geht hierbei um die Unsicherheiten und alternativen Entwicklungspfade, die sich aus heutiger Sicht (und aus dem Gegenstand der Szenarienfrage heraus) erkennen lassen. Nichtsdestotrotz ist es durchaus hilfreich, sich von Zeit zu Zeit einmal die Frage zu stellen, was gegebenenfalls all unsere heutigen Szenarien und Vorstellungen von der Zukunft über den Haufen werfen könnte. Denn es gibt hier auch eine Grauzone bzw. fließende Übergänge – zum Beispiel die Frage, ob die Coronakrise rückblickend eher ein Szenario oder ein „Schwarzer Schwan“ war.

Entstehung und Entwicklung des Szenarien-Ansatzes

Das Denken in Szenarien als tief verwurzelte Kulturtechnik

Das Denken in alternativen Szenarien ist im Grunde von jeher eine zutiefst menschliche Eigenschaft und Kulturtechnik. Viele Überlegungen beginnen mit Fragen wie „Was mache ich, wenn dieses oder jenes eintritt?“ Wir alle entwickeln permanent bewusst oder unbewusst Szenarien und spielen gedanklich mögliche künftige Entwicklungen durch.

Früher: „Was mache ich, wenn ein Säbelzahntiger um die Ecke kommt?“ Heute: „Werde ich den Zug noch erreichen?“ „Welche berufliche Aus- oder Weiterbildung wäre für mich am besten geeignet?“ „Was antworte ich, wenn mir diese oder jene Frage in einem Meeting gestellt wird?“ „Sollen wir dieses Jahr den Urlaub am Meer oder in den Bergen verbringen?“

Dies dient dazu, besser vorbereitet zu sein oder mögliche Entscheidungen abzuwägen. Der Neurologe David Ingvar prägte hierfür den Begriff „Memories of the Future“ – Erinnerungen an die Zukunft, um zu verdeutlichen, dass unsere Entscheidungen und Handlungen eng mit unseren Vorstellungen über mögliche Zukünfte verwoben sind. Wir antizipieren mögliche alternative Situationen und bereiten uns darauf in der Gegenwart vor – auch wenn, oder gerade, weil wir nicht wissen können, wie die Zukunft tatsächlich aussehen wird. Zukunft wird so als offener Prozess begreifbar, den wir nicht bestimmen können, aber in dem wir durchaus Wahl­möglichkeiten haben. Was sich individuell ganz automatisch vollzieht, ist in einer Gruppe oder gar großen Organisationen oder Gesellschaften wesentlich komplizierter. Angesichts der zunehmenden Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft wurde um die Mitte des 20. Jahrhunderts ein Ansatz entwickelt, auch als Organisationen und Institutionen strukturiert mit den Unwägbarkeiten einer sich immer rascher wandelnden Welt umzugehen.

Ursprünge und Entwicklung des Szenarienansatzes

Als Instrument für die Strategiebildung und Organisationsentwicklung wurde der Szenarienansatz nach dem II. Weltkrieg erstmals im militärischen Bereich systematisch ausgearbeitet. Treibende Kraft war hierbei die Unsicherheit über die künftigen geopolitischen Konfliktkonstellationen und auch die Frage, mit welchen Mitteln und Strategien künftige Konflikte überhaupt ausgetragen werden. Eine prägende Rolle kam hierbei Herman Kahn zu, der 1960 das Buch „On Thermonuclear War“ veröffentlichte und den Begriff „Szenario“ in die Zukunftsforschung einführte. Innerhalb kurzer Zeit wurde der Szenarienansatz auch von Unternehmen aufgegriffen und weiterentwickelt, um langfristige Investitionsentscheidungen und Strategieprozesse in einem turbulenter werdenden Marktumfeld robuster zu machen. Pionierarbeit leistete hier unter anderem Pierre Wack, der in den 1970er- und 1980er-Jahren bei SHELL für die Entwicklung von Szenarien verantwortlich war. Über die Jahre wurde der Szenarienansatz auch als Instrument in der Planung großer Infrastrukturvorhaben und für die Regionalplanung, in der Politikberatung sowie für beteiligungsorientierte Dialogformate genutzt und weiterentwickelt. Szenarienprozesse haben sich auch als Werkzeug für die Mediation bis hin zur Bearbeitung ethnopolitischer Konflikte erfolgreich bewährt.

Die Arbeit mit Szenarien ist keine Modeerscheinung, sondern blickt bereits auf eine Geschichte von mehr als sieben Jahrzehnten zurück. In diesem Zeitraum wurde der Ansatz kontinuierlich erprobt, weiterentwickelt und für vielfältige Handlungsfelder fruchtbar gemacht: 

  • Militärische Strategieplanung (Ursprung des Szenarienansatzes)
  • Strategiebildung und Investitionsentscheidungen von Unternehmen (in einem sich verändernden Marktumfeld)
  • Infrastrukturplanung und regionale Entwicklung (künftige Bedarfe, demografische Veränderungen, Ausbauziele etc.)
  • Instrument der Politikberatung (z. B. unterschiedliche Klimaschutzszenarien und ihre jeweiligen Konsequenzen)
  • Dialogprojekte und Konfliktbearbeitung (z. B. bei gegensätzlichen Interessenlagen, in ethnopolitischen Konflikten)
  • Lernende Organisationen (in Transformationsprozessen)
Cover WP 2030


Der Szenarienansatz im Feld der Mitbestimmung

In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat die Arbeit mit Szenarien auch im Feld der Arbeitsbeziehungen ihren Platz gefunden. Im Rahmen des Projekts „Worker Participation 2030“ des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI) wurden 2008 vier Szenarien zur Zukunft der Arbeitnehmerbeteiligung in der EU entwickelt. In der Hans-Böckler-Stiftung arbeiten wir seit 2014 intensiv mit der Methode. Den Auftakt hierzu bildete der Szenarienprozess „Mitbestimmung 2035". Es folgten Fokus-Szenarien u. a. zur Digitalisierung der Arbeitswelt. Seitdem arbeiten wir in verschiedenen Kontexten mit unterschiedlichen Zielgruppen mit Szenarien. In mehreren DGB-Gewerkschaften wurden zudem in den letzten Jahren Szenarienprozesse auf den Weg gebracht: „Weichenstellung 2030“ (EVG), „Arbeit in der Industrie 2030“ (IG Metall) und „Perspektiven 2030+“ (IG BCE) zeigen, dass der Ansatz auch für die Neuausrichtung der Gewerkschaftsarbeit auf Resonanz stößt.

Erfolgskriterien für die Nutzung des Szenarien-Ansatzes

Illustration Erfolgskriterien

Für die Nutzung des Szenarienansatzes haben sich eine Reihe von Voraussetzungen bzw. Erfolgskriterien herauskristallisiert, die wir hier kurz skizzieren wollen.

Der Szenarienansatz eignet sich insbesondere für Situationen, in denen schwer abschätzbare Veränderungen anstehen. Man weiß, dass man auf die eine oder andere Weise betroffen sein wird, aber die Lage ist durch ein hohes Maß an Unsicherheit gekennzeichnet. Zudem sollte die Herausforderung für eine längere Zeit sowohl offen in ihrer Entwicklung als auch relevant bleiben.

Wenn das Problem hingegen relativ eindeutig ist und die Lösung ebenfalls klar erscheint, sind eher Instrumente der Strategiebildung, Planung und Umsetzung gefragt. Und in einer akuten Krise besteht in der Regel wenig Raum, um Szenarien für die längeren Entwicklungslinien zu erarbeiten – es muss gehandelt werden. Jetzt.

Anlass und Fragestellung eines Szenarienprojekts müssen zu Beginn klar definiert werden. Es muss für alle Beteiligten klar sein, warum hier Szenarien entwickelt werden – insbesondere, wenn viele Menschen miteinbezogen werden sollen: die Fragestellung, die Bedeutung und die Unsicherheit, die dem Vorhaben zugrunde liegen. Wichtig ist dabei: Die Fragestellung lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten, sie bleibt auch auf längere Sicht offen und für die Handelnden bzw. Adressaten relevant.

Weitere Aspekte zu geeigneten Anlässen und der Formulierung der Fragestellung für die Entwicklung von Szenarien finden sich hier:

Die Entwicklung von Szenarien entfaltet in der Regel nur dann Wirkung, wenn sie im Anschluss auch zu neuen Perspektiven und Handlungsansätzen beitragen kann. Dies erfordert zum einen ein hohes Maß an Motivation der Beteiligten, sich auf den Prozess einzulassen. Zum anderen ist auch ein starkes Commitment seitens der Entscheidungsebene erforderlich. Weil die Entwicklung und Antizipation robuster Szenarien Ressourcen erfordert, muss man sich insbesondere Zeit dafür nehmen. Und auch, weil Szenarien immer dann besonders fruchtbar sind, wenn sie mit den betreffenden Handlungsebenen verknüpft werden. Wie bereits angeführt:

Szenarien sind Geschichten über die Zukunft, die Menschen bewegen, etwas zu tun.

Ulrich Golüke

Erfolgen die Entwicklung von Szenarien und die anschließende Auseinandersetzung mit ihnen eher nebenbei und ohne großes „Herzblut“, sind die Prozessbeteiligten eher dienstverpflichtet und haben kein aktives Interesse an den Ergebnissen, ist auch die Wirkung entsprechend nur beiläufig: ein paar interessante Insights, bevor man zum nächsten Tagungsordnungspunkt oder Projekt übergeht. Wenn die Entwicklung von Szenarien nicht durch eine intrinsische Motivation des Teams getragen und mit realen Bedürfnissen verknüpft ist, und wenn es an Rückhalt der Führungsebene fehlt, sollte man einen größeren Szenarienprozess besser gar nicht erst beginnen.

Der Ressourcenbedarf für die Entwicklung von Szenarien kann sehr unterschiedlich sein. Er hängt davon ab, wie komplex die zu untersuchende Fragestellung ist, welches Design für den Prozess gewählt wird und welche Ziele erreicht werden sollen. Drei Arten von Ressourcen sind hier zu unterscheiden:

Zeitliche Ressourcen

Wie bereits beschrieben, kann das Denken in Szenarien zu einer bestimmten Fragestellung, die einen umtreibt, auch ohne großen zeitlichen Aufwand erfolgen. Wenn es sich aber um einen umfangreicheren Szenarienprozess handelt, in dem viele Perspektiven zusammengeführt und komplexe Herausforderungen erkundet werden sollen, braucht es dafür auch entsprechende zeitliche Ressourcen. Eine klare und transparente Zeitplanung ist darum ein wichtiger Bestandteil der Vorbereitungen. Und die erforderliche Zeit muss den Beteiligten dann auch tatsächlich zur Verfügung stehen – entsprechend ihrer Rolle bzw. Aufgaben.

Zu entscheiden ist hier, ob die Szenarienentwicklung selbst, also von Personen innerhalb der Organisation, geleistet werden soll oder ob bzw. in welchem Umfang man sich externe Unterstützung dazuholt. In vielen Fällen haben sich hier Mischformen erwiesen, indem ein Kernteam von Personen aus der Organisation bzw. aus dem Unternehmen (Ownership und gute Kenntnis der internen Abläufe, i.d.R. begrenzte zeitliche Ressourcen) und externer Prozessbegleitung (Neutralität, Methodenkenntnis, Moderationsfähigkeiten, zeitliche Ressourcen) gebildet wird.

Gegebenenfalls muss auch die erforderliche Zeit, die sich Interviewpartner:innen, Teilnehmende an Workshops und Feedbackpräsentationen von Szenarienentwürfen nehmen müssen oder die für die Recherche und Zusammenstellung von Informationen erforderlich sein wird, mit eingerechnet und entsprechend kommuniziert werden. Wichtig ist auch, dass die Beteiligten für die ihnen jeweils zugeordneten Aufgaben über entsprechende Fähigkeiten (z. B. Moderation von Gruppen) verfügen.    

Finanzielle Ressourcen

Was für die zeitlichen Ressourcen gilt, gilt entsprechend auch für die Frage nach dem erforderlichen finanziellen Aufwand. Erfolgt die Entwicklung von ein paar Szenarienskizzen im Rahmen eines ohnehin angesetzten Meetings oder einer Gremiumssitzung, fallen auch keine großen Kosten an. Für aufwendigere Vorhaben müssen Tagungs- und Reisekosten, Kosten für die externe Konzeption und Prozessbegleitung, die Durchführung von Recherchearbeiten und Interviews (inkl. Transkription) eingestellt werden.

Wenn die Szenarien veröffentlicht werden sollen, entstehen in der Regel Kosten für Redaktion und Lektorat sowie Illustrationen und andere Veröffentlichungskosten bis hin zu Kosten für Dialogveranstaltungen mit unterschiedlichen Zielgruppen.

Die mögliche Bandbreite der erforderlichen finanziellen Ressourcen ist sehr groß und hängt ganz von den Zielsetzungen ab, die mit dem Vorhaben erreicht werden sollen. Ebenso wie eine realistische Zeitplanung, ist auch eine entsprechende Kostenplanung ein wichtiger Bestandteil der Vorbereitung eines erfolgreichen Szenarienprojekts.  

Informationen

Eine dritte Ressource liegt in der Verfügbarkeit von Informationen. Dies ist zum einen eine Frage der zeitlichen und finanziellen Ressourcen für die Recherche. Oft ist es aber auch eine Frage des Zugangs. Es kommt immer wieder vor, dass sensible Daten und Informationen, die für die Entwicklung robuster Szenarien hilfreich wären, aus unterschiedlichen Gründen nicht oder zu spät zur Verfügung gestellt werden. Dies ist sicher vielen vertraut: Gerade in größeren Organisationen oder Unternehmen sind enorme Informationsmengen verteilt, man weiß nur nicht genau, wo oder man erhält keinen Zugriff. Insbesondere für ein klares Bild bezüglich der heutigen Ausgangslage ist eine entsprechende Zusammenschau der relevanten Informationen aber unerlässlich – auch, weil sich hiervon bereits vieles für die Zukunft ableiten lässt. Was jeweils relevant ist, hängt von der Fragestellung für die Szenarienentwicklung ab. Vertrauen und gegebenenfalls auch formale Mittel wie Vertraulichkeitsvereinbarungen (bei externer Prozessbegleitung) können hier hilfreich sein.

Szenarien leben davon, dass in ihre Entwicklung vielfältige Perspektiven einfließen. Entsprechend muss dafür gesorgt werden, dass nicht die eigene Weltsicht bzw. organisationale Prämissen nur um ein weiteres Mal bestätigt werden. In der Tat scheitern Gremien, Organisationen und Unternehmen immer wieder an „Gruppendenken“, „blinden Flecken“ und daran, dass Veränderungen im Umfeld nicht auch zu neuen Verhaltensweisen und Interpretationen führen.

Ein kritischer Erfolgsfaktor für die Entwicklung von Szenarien liegt darum in der Toleranz und dem sich Einlassen auf andere Sichtweisen – auch wenn diese den eigenen Überzeugungen widersprechen. Das Denken in Szenarien ist per se uneindeutig, denn es werden ja gegensätzliche Zukunftsbilder und gegenläufige Entwicklungspfade gleichberechtigt nebeneinandergestellt.

Bereits innerhalb einer Gruppe gibt es gewöhnlich unterschiedliche Mentalitäten und Rollen, mit denen auf die Zukunft geblickt wird, zum Beispiel Menschen, die eher analytisch oder eher emotional veranlagt sind, die eher Pragmatischen, die die Dinge gerne managen oder die, die feste Regeln und klare Verantwortlichkeiten bevorzugen. 

Wenn möglich, sollte man sich in jedem Fall auch „Außenperspektiven“ mit ins Boot holen, beispielsweise indem man einen „Critical Friend“, dem man vertraut, mit ins Team holt oder indem man zumindest Gespräche bzw. Interviews mit Außenstehenden führt, die den Blick auch auf andere Sichtweisen, Bedürfnisse und Interessenlagen weiten.    

Die Entwicklung von Szenarien beruht zum einen auf der Zusammenschau und Auswertung von Informationen sowie solider Analyse von kausalen Zusammenhängen, von Ausgangslagen und Pfadabhängigkeiten. Mindestens im gleichen Maße handelt es sich aber um einen kreativen Prozess und eine intuitive Erkundung von Möglichkeiten.

In diesem Sinne müssen hier fachliche Expertise und Fakten mit Sinn- und Bedeutungszuweisungen, Intellekt mit Emotion und Intuition zusammengebracht werden. Denn Szenarien setzen per Definition da an, wo sich die Zukunft nicht mehr berechnen lässt. Und auch für die Ausarbeitung von Szenarien bedarf es unserer Fähigkeit, eine bestimmte Entwicklung als eine herausfordernde und spannende Geschichte zu erzählen. Die Erfahrung zeigt immer wieder, dass es vielmehr sinnstiftende Erzählungen sind, die Menschen bewegen, etwas zu tun oder zu neuen Einsichten führen, als eine noch so gut aufbereitete Aneinanderreihung von Datenpunkten.

Mit Blick auf den Prozess der Szenarienentwicklung gilt ebenfalls: Es handelt sich stets um einen kreativen Prozess, eine Erkundung, in der es nicht um die Abarbeitung starrer Regeln geht. In diesem Sinne ist jeder Szenarienprozess anders – eher organisch als mechanisch, auch wenn das Vorgehen immer einer vergleichbaren Struktur folgt. Ein „Methoden-Dogmatismus“ ist da wenig hilfreich. Die Entwicklung erfordert Gespür und Achtsamkeit. Und je häufiger man dies übt, desto einfacher wird es. Kompass ist: Was hat Bedeutung, was ist wirklich wichtig für die Menschen, um die es in diesen Szenarien gehen soll?

Es mag zunächst trivial anmuten: Aber die vielleicht wichtigste Voraussetzung ist, sich die Zukunft grundlegend anders vorstellen zu können als die Gegenwart. Wir tendieren allzu leicht dazu, radikale Veränderungen für eher unwahrscheinlich zu halten. Dies gilt insbesondere für Aussichten, die für uns ungewohnt, unerwünscht oder verunsichernd sind. Gute Szenarien schauen trotzdem genau dorthin. Dafür benötigt die Gruppe ein hohes Maß an Offenheit, (Denk-)Freiheit und Vertrauen. Auch müssen genügend Perspektiven eingebunden sein bzw. gewonnen werden, um das Ausmaß von „Blinden Flecken“ und des „Gruppendenkens“ zu verringern. Nicht selten erliegen wir zudem der Verlockung, uns der Unsicherheit doch wieder möglichst schnell entledigen zu wollen. Indem wir beispielsweise einzelne Szenarien mit Wahrscheinlichkeitsprozenten versehen, fällt der Fokus schnell wieder auf das vermeintliche Trendszenario (das erfahrungsgemäß oft nicht eintritt). Es gilt also, mutig zu sein. Denn oft ist mehr Veränderung möglich, als wir uns zunächst vorstellen können – oder wollen.

Ein anderer Aspekt hierbei ist, dass Szenarien oft für andere zunächst unangenehme Wahrheiten und Hinweise enthalten. Mögliche Schwachstellen und Verwundbarkeiten werden deutlich, ebenso die Einsicht, dass die bewährten und lieb gewonnenen Rezepte in der Zukunft vielleicht nicht mehr funktionieren werden. Tief verankerte Überzeugungen und Prämissen werden infrage gestellt. Auch in dieser Hinsicht können darum Mut und die Offenheit gefordert sein, andere – insbesondere diejenigen mit größerer Entscheidungsmacht – auf eine freundliche und verdaubare Weise etwas aus ihrer Komfortzone herauszuholen und ihre Bereitschaft zur Veränderung anzuregen. Pierre Wack, einer der Pioniere des Szenarienansatzes nannte seine Aufgabe gegenüber dem Management darum häufig auch „a gentle art of reperceiving“ – frei übersetzt, eine freundliche Einladung, die Dinge anders zu sehen. Was eine gewisse Kunstfertigkeit erfordert.


... und noch etwas

Szenarien können ihre volle Wirkung nur entfalten, wenn sie wahrgenommen werden, wenn sie Menschen erreichen und dazu bewegen, etwas zu tun. Es kommt aber nicht selten vor, dass – nachdem mit Engagement ein Set von Szenarien entwickelt wurde – die Energie fehlt, diese nun auch entsprechend zu nutzen und fruchtbar zu machen. Die Szenarien sind dann nicht ein wichtiger Meilenstein und Auftakt dafür, mit anderen über die Gestaltung der Zukunft in einen Dialog einzutreten bzw. sie für konkrete strategische Ableitungen und zur Unterstützung in der Entscheidungsfindung zu nutzen, sondern eher das finale Produkt. Mit der Vorstellung der „Projektergebnisse“ in einer Veröffentlichung in Form einer Broschüre oder auf einer Website wird das Vorhaben abgeschlossen. Um das Potenzial von Szenarien zu heben, bedarf es aber einer „Roadshow“, die unterschiedliche Formen haben kann, aber in jedem Fall maßgeblich davon lebt, dass Menschen zusammenkommen, und sich mit den Szenarien konstruktiv auseinandersetzen. In Modul 3 werden mögliche Herangehensweisen für die strategische Nutzung von Szenarien näher beschrieben, in Modul 4 geht es um weitere Möglichkeiten für die Arbeit mit Szenarien. 

Icon Checkliste

Checkliste

Ist der Anlass durch folgende Merkmale gekennzeichnet?

  • Es handelt sich um eine Herausforderung, die für diejenigen, die die Szenarien entwickeln bzw. mit ihnen adressiert werden sollen, von großer Bedeutung ist.
  • Bezüglich der künftigen Entwicklung und/oder geeigneten Lösungen bzw. Handlungsweisen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit.
  • Die Herausforderung(en) bieten Raum für das Nachdenken über längerfristige strategische Handlungsmöglichkeiten, d. h. man befindet sich nicht in einer akuten Krisensituation, die unmittelbares Handeln erfordert. 

Wenn die Herausforderung für die Beteiligten keine allzu große Relevanz hat, wenn die künftige Entwicklung bzw. das Problem und die Lösung relativ klar und eindeutig erscheinen oder wenn man sich in einer akuten „Emergency-Situation“ befindet – die keinen Raum für Kreativität und Reflexion zulässt, bedarf es in der Regel keiner Szenarien.

Besteht in der betreffenden Organisation bzw. dem Unternehmen oder dem Gremium oder der Gruppe eine gewisse Offenheit und Bereitschaft zur Veränderung? Kann bei dem Vorhaben insbesondere mit der Unterstützung durch die Entscheidungsebene(n) gerechnet werden?

Wenn die Organisationskultur durch Beharrung, verkrustete Entscheidungsstrukturen und eine Führung, die am Status quo festhält, geprägt ist, bestehen keine guten Aussichten für einen fruchtbaren Szenarienprozess.

Stehen ausreichende Ressourcen zur Verfügung, um die Zielsetzungen zu erreichen und das gewählte Format erfolgreich umsetzen zu können?

Dazu zählen insbesondere: 

  • ein Kernteam/Verantwortliche, die den Prozess koordinieren/begleiten und Verantwortung für die Erreichung der Ergebnisse übernehmen;
  • angemessene zeitliche Ressourcen aller Beteiligten;
  • finanzielle Ressourcen (z. B. für Treffen/Tagungen, die Transkription von Interviews oder die Veröffentlichung der Szenarien, Recherchen und ggf. die Mittel für externe Unterstützung).   

Wenn die zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht mit dem Anspruch und dem angestrebten Umfang des Projekts korrespondieren, wird sich dies auch bei den Ergebnissen bemerkbar machen. Dementsprechend sollte das Vorhaben erst beginnen, wenn entsprechende Ressourcen zur Verfügung stehen oder gegebenenfalls ein weniger aufwendiges Format gewählt wurde.

Praxisübungen für das Denken in Szenarien

Das Denken in Szenarien ist uns einerseits sehr vertraut, wird aber im Arbeitsalltag, insbesondere innerhalb von Gruppen und Organisationen, oft nicht genutzt. Im Folgenden werden ein paar „Lockerungsübungen“ vorgestellt, die dafür genutzt werden können, diese Kulturtechnik ein wenig anzuregen. Einige davon können auch für konkrete Fragestellungen und Herausforderungen im Feld der Mitbestimmung genutzt werden, um mögliche Handlungsoptionen zu identifizieren, abzuwägen oder einmal für unterschiedliche mögliche „Zukünfte“ durchzuspielen.

„Was wäre, wenn ...?“

Zukunftsszenarien stellen im Grunde immer die Frage: „Was wäre, wenn ...?“ Entsprechend ist dies auch ein guter Einstieg für die Behandlung wichtiger strategischer Fragen. Statt gleich damit zu beginnen, wie sich das eigene Handeln optimieren und effizienter gestalten ließe, wird der Blick erst einmal darauf gerichtet, wie die künftige Situation – also der Kontext – aussehen könnte, in der sich die zu treffenden Entscheidungen bewähren müssen.     

Vorgehen

  1. Zunächst wird kurz eine mögliche künftige Situation zu einer für die Beteiligten relevanten Herausforderung skizziert. Wenn zum Beispiel eine gewisse Unsicherheit bezüglich des Fortbestands des Unternehmensstandorts besteht, bietet es sich an, dies einmal – frühzeitig und im geschützten Raum – durchzuspielen. „Was wäre, wenn unser Unternehmensstandort in ein paar Jahren aufgegeben und die Produktion an einen günstigeren Standort verlagert wird?“
  2. Nachdem die „Was wäre, wenn ...?“-Frage formuliert ist, wird nun untersucht, welche Gründe zum Eintreten dieses Szenarios führen könnten. Welche Voraussetzungen müssten hierfür zusammenkommen? Welche Kräfte wirken möglicherweise in diese Richtung? Wo sehen wir dafür schon heute erste Hinweise?
  3. Im Anschluss daran werden Handlungsmöglichkeiten identifiziert und durchgespielt. Je nachdem, ob es sich um ein wünschenswertes Szenario handelt oder eines, das vermieden werden soll, lautet die Leitfrage „Was können wir (gemeinsam mit anderen) tun, um das Eintreten dieser Entwicklung zu fördern bzw. zu verhindern?“
  4. Alternativ kann auch gefragt werden: „Welche Handlungsmöglichkeiten haben wir, wenn dieses Szenario tatsächlich eintritt, um unsere Zielsetzungen auch unter diesen Bedingungen wirkungsvoll verfolgen zu können?“

Praxistipp

Die Auswahl einer geeigneten „Was wäre, wenn...?“-Frage ergibt sich immer aus der konkreten Situation derer, die diese Übung machen. Häufig stehen bestimmte Veränderungen bzw. Herausforderungen ja schon „mit einem Bein in der Tür“.

Ein paar Beispiele:

  • „Was wäre, wenn die Markteinführung unseres neuen Produkts ausgesprochen erfolgreich verliefe und die Produktionskapazitäten/-mengen zügig erhöht werden müssten?“
  • „Was wäre, wenn die Unternehmenszentrale im Zuge einer Fusion ins Ausland verlegt würde?“
  • „Was wäre, wenn eine Investitionszusage der Unternehmensführung nicht eingehalten würde?“
  • „Was wäre, wenn es Unterbrechungen in der Lieferkette und damit einen massiven Mangel an Vorprodukten geben würde?“
  • „Was wäre, wenn unserem Unternehmen der Marktzugang in China in der Zukunft deutlich erschwert würde?“
  • „Was wäre, wenn der neue Investor darauf drängt, die defizitären/ertragreichen Unternehmensteile abzuspalten?“
  • „Was wäre, wenn sich die Energiekosten für die Produktion in Deutschland im internationalen Vergleich deutlich verteuern würden?“

Eine intuitive Verlaufskurve

Abbildung Verlaufskurve

Szenarien beschreiben, wie sich die Rahmenbedingungen im Laufe der Zeit entwickeln können. Oft haben wir schon eine intuitive Vorstellung davon, wie sich bestimmte Parameter verändern werden. In dieser Übung geht es darum, sich diese unterschwelligen Erwartungen bewusst zu machen bzw. sie gegenüber anderen offenzulegen. Diese Übung dient auch dazu, das Denken in kausalen Zusammenhängen zu stärken. Intuitive Verlaufskurven können individuell oder gemeinsam mit anderen entwickelt werden.

Vorgehen

  1. Zunächst wird eine bestimmte Variable bestimmt, die näher betrachtet werden soll, zum Beispiel die künftige Beschäftigungsentwicklung im Unternehmen. Wenn Informationen zum zurückliegenden Verlauf vorliegen (also zum Beispiel, wie sich die Anzahl der Beschäftigten über die letzten zehn Jahre verändert hat), kann eine Linie gezeichnet werden, die den zurückliegenden Verlauf abbildet, ansonsten startet man einfach bei der heutigen Ausgangslage.
  2. Auf einem Blatt Papier wird eine horizontale Zeitachse gezogen – zum Beispiel für die kommenden fünf oder zehn Jahre. Auf der senkrechten Achse wird die Variable eingetragen, um die es gehen soll.
  3. Nun wird eine Line eingezeichnet, welche Entwicklung für die Variable über den festgelegten Zeitraum erwartet wird. Diese Linie ist natürlich eine eher gefühlsmäßige Einschätzung und keine, die korrekt berechnet werden soll/kann.
  4. Nun wird die intuitiv erstellte Linie näher betrachtet. Wie kann ihr Verlauf, insbesondere das An- und Absteigen, mögliche Wendepunkte oder sprunghafte Veränderungen, erklärt werden? Diese Überlegungen werden in Form von kurzen Beschreibungen bzw. Kommentaren entlang der Verlaufskurve festgehalten. Gegebenenfalls können in diesem Arbeitsschritt auch Korrekturen, Ergänzungen und Verfeinerungen der Verlaufskurve vorgenommen werden, sodass ein in sich plausibles und nachvollziehbares Bild der Entwicklung entsteht.

Variationsmöglichkeit: Es kann interessant sein, zunächst jedes Teammitglied für sich eine eigene Verlaufskurve zeichnen zu lassen. Auf diese Weise werden mögliche unterschiedliche Zukunftserwartungen sichtbar und können diskutiert werden.

Beispiele für mögliche Variablen

  • Anzahl der Beschäftigten
  • Gewerkschaftlicher Organisationsgrad im Unternehmen/in der Branche
  • Anzahl der durchschnittlichen Wochenarbeitsstunden
  • Nutzung einer neuen unternehmensinternen Software
  • Entwicklung der Auftragslage des Unternehmens
  • Preisentwicklung bei wichtigen Vorprodukten oder Absatzmärkten
  • Wirtschaftliche Entwicklung nach der Coronakrise (BIP)
  • ...   

 

Schlagzeilen der Zukunft

Wir wissen heute noch nicht, in welcher Form und über welche Medien künftig Informationen verbreitet werden. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es auch auf längere Sicht so etwas wie Nachrichten und Schlagzeilen geben wird. In dieser kreativen Übung geht es darum, sich Schlagzeilen und kurze Nachrichten für ein bestimmtes Jahr in der Zukunft zu überlegen.

Vorgehen

  1. Zunächst werden bestimmte Themenbereiche sowie ein bestimmter Zeitpunkt in der Zukunft gewählt. Themenbereiche können zum Beispiel sein: die Entwicklung der eigenen Branche und des Marktumfelds, Politik und Regulierung, gesellschaftliche Konflikte, Kultur, ökologische Themen, Mitbestimmungsthemen, „Vermischtes“ ...
  2. Die Teilnehmenden entwickeln dann individuell ein paar Schlagzeilen und kurze Meldungen zu diesen Themen und das entsprechende Zukunftsdatum.
  3. Diese werden dann den anderen in Form einer kurzen „Presseschau“ vorgestellt.
  4. Abschließend kann noch kurz reflektiert werden, was zu den in den Schlagzeilen und Meldungen beschriebenen Veränderungen geführt haben könnte und was das für die eigenen Handlungsmöglichkeiten bedeuten würde.

Diese Übung eignet sich auch als Warm-up, wenn es in der Entwicklung von Szenarien darum geht, konkrete Bilder und prägnante Beispiele für die beschriebenen Zukünfte zu finden (ggf. mit der Konkretisierung: „Welche Schlagzeilen und Meldungen könnte man in diesem Szenario erwarten?“).

„Die Zukunft, die schon passiert ist“

Die Zukunft ist offen und voller Unwägbarkeiten. Es gibt jedoch auch vieles, das wir bereits heute von der Zukunft wissen (können). In dieser Übung geht es darum, Aspekte der Zukunft zu benennen, die wir mit großer Wahrscheinlichkeit bereits vorhersehen (können). So lassen sich Unsicherheiten verringern sowie bestimmte Entwicklungen ausschließen. Das Feld der Zukunft und die tatsächlichen Unsicherheiten treten klarer zutage.

Vorgehen

  1. Zu folgender Leitfrage werden (zunächst individuell und dann gemeinsam in der Gruppe) Antworten gesammelt und reflektiert: „Was können wir heute schon mit großer Sicherheit für die Zukunft vorhersehen?“
  2. Für die identifizierten Entwicklungen bzw. Ereignisse wird reflektiert, warum sie weitgehend vorhersehbar sind:
  • Pfadabhängigkeiten (wenn es in den Bergen geregnet hat, werden die Flüsse in den kommenden Tagen mehr Wasser führen);
  • regelmäßig wiederkehrende Ereignisse (2024 wird in den USA ein Präsident gewählt);
  • sehr langsame Variablen (Ende der 20er-Jahre gehen viele Babyboomer in Rente);
  • unveränderliche Variablen (dieser Berg wird hier auch in 100 Jahren noch stehen;
  • verlässliche Hinweise (das Straßenschild weist darauf hin, dass der Ort X in 10 km kommen wird etc.).

Diese Übung richtet den Blick auf die „Zukunft, die schon passiert ist“. Sie kann für sich durchgeführt werden, bietet sich insbesondere aber auch an, wenn es in der Szenarienentwicklung um die Frage geht, was für alle Szenarien als gegeben angenommen werden muss (sogenannte „Givens“). Die Erfahrung zeigt, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber geben kann, was für die Zukunft als bereits vorhersehbar angenommen wird. 

Fragen an einen Zeitreisenden

Ein Kernmerkmal des Szenarienansatzes liegt darin, wesentliche Unwägbarkeiten mit Blick auf die Zukunft in den Fokus zu nehmen. Grundlegende Entwicklungsalternativen werden in Form trennscharfer Szenarien beschrieben und gegenübergestellt. Aber was sind die zentralen offenen Fragen? Um dies etwas näher zu untersuchen, bietet sich die Übung „Fragen an einen Zeitreisenden“ an.

Vorgehen

  1. Die Leitfrage für die Übung lautet: „Wenn du einem Zeitreisenden begegnen würdest, der die Zukunft (in Bezug auf die Entwicklung, die uns hier gerade beschäftigt) bereits kennt und ihm zwei oder drei Fragen stellen dürftest: Wie würden diese lauten?“
  2. Jeder formuliert zunächst individuell zwei oder drei Fragen, die persönlich als ausgesprochen wichtig und zugleich sehr schwer abschätzbar erscheinen.
  3. Die Ergebnisse werden im Anschluss vorgestellt und diskutiert. Was ist aus heutiger Sicht hochgradig ungewiss, wird aber in der Zukunft einen großen Einfluss haben? Welches sind also zentrale Stellschrauben, anhand derer sich unterschiedliche Zukunftsszenarien ergeben können?

„Imagine ...“ – zu Besuch in einer wünschenswerten Zukunft

Wir alle haben Vorstellungen davon, welche Entwicklungen wir uns wünschen. In dieser Übung geht es darum, eine erstrebenswerte Zukunft zu beschreiben – bildhaft und so konkret wie möglich.

Vorgehen

  1. Die Leitfrage lautet: „Stell Dir vor, Du könntest in die Zukunft reisen und würdest Dein Unternehmen (Organisation, Gremium etc.) in zehn Jahren besuchen. Was würdest Du dann gerne vorfinden?“ Die Teilnehmenden werden aufgefordert, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und ein in ihren Augen sehr positives Zukunftsbild zu schildern. Es geht erst mal nicht darum, ob das realistisch möglich ist oder was die Voraussetzungen zur Erreichung dieser Zukunft wären.
  2. Im Anschluss werden diese Zukunftsbilder erzählt.

Anhand dieser kleinen Übung werden tiefer liegende Bedürfnisse und Wertvorstellungen deutlich, die oft gar nicht offen ausgesprochen werden und gute Anknüpfungspunkte enthalten, anhand welcher Kriterien wir über die Zukunft nachdenken sollten.

„Never ever!“ – Was ich niemals akzeptieren würde

Mit dieser kurzen Übung wird unsere Fähigkeit auf die Probe gestellt, tief verankerte Überzeugungen auch einmal infrage stellen zu können.

Vorgehen 

  1. Die Teilnehmenden werden gebeten, sich zu überlegen und zu notieren, welche Entscheidungen bzw. Veränderungen sie in ihrer Organisation, ihrem Unternehmen, an ihrem Arbeitsplatz o. ä. auf gar keinen Fall akzeptieren würden.
  2. In einem zweiten Schritt werden die Teilnehmenden nun gebeten, eine Begründung dafür zu finden und aufzuschreiben, warum genau diese Entscheidung bzw. Veränderung aber doch erfolgen sollte – ja unbedingt erfolgen muss!

Gegebenenfalls können einige der Teilnehmenden (soweit sie dies wollen), von ihren Eindrücken bei der Durchführung dieser Übung erzählen. Wichtig ist jedoch vor allem die Erfahrung, dass man ein und dieselbe Sache aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln sehen und bewerten kann.

„Elefanten im Raum“ – Die Fragen, die wir nicht stellen

In jedem Unternehmen, in jeder Organisation oder Gruppe gibt es Fragen, die nicht gestellt werden. Es besteht die stillschweigende Übereinkunft, dass bestimmte Dinge nicht angesprochen werden. Oft sind aber genau diese „Elefanten im Raum“ eine der Ursachen, dass notwendige Veränderungen nicht angegangen werden oder sich im schlimmeren Fall die Dinge immer weiter zum Schlechteren hin entwickeln.

Vorgehen

  1. Die Teilnehmenden werden gebeten, eine Frage aufzuschreiben, die von großer Bedeutung ist, aber im Alltag nicht offen angesprochen wird.
  2. Gegebenenfalls können die Fragen in (anonymisierter Form) an einem „Schwarzen Brett für die Zukunft“ gesammelt werden. Aber auch der Umstand, dass man sich mal Gedanken darüber macht und formuliert, was für die Zukunft wichtig ist, aber im tagtäglichen Miteinander stets unausgesprochen bleibt oder bestenfalls nur gestreift wird, kann den Mut stärken, es zum Thema zu machen. 

„Schwarze Schwäne“

Neben der Zukunft, die wir erwarten, alternativen Szenarien und der Zukunft, die wir uns wünschen, gibt es noch eine vierte Kategorie von Zukunft, die den Lauf der Geschichte immer wieder maßgeblich beeinflusst – oft in dramatischer Weise. Dies sind die großen Überraschungen, die keiner auf dem Schirm hatte. In der Forschungsliteratur werden diese großen Überraschungen auch „Schwarze Schwäne“ (Nassim Nicholas Taleb) oder „Wild Cards“ (John L. Petersen) genannt. Um das Gespür für die unvorhersehbaren Unvorhersehbarkeiten etwas zu sensibilisieren, bietet sich folgende Übung an. Was könnte unsere Vorstellungen über die Zukunft völlig über den Haufen werfen?

Vorgehen

  1. Die Teilnehmenden werden gebeten, sich (zunächst individuell und dann in der Gruppe) mit folgender Frage auseinanderzusetzen: „Welche Ereignisse könnten die Szenarien, die wir heute mit Blick auf die Zukunft sehen, vollkommen zunichtemachen?“

Die Reflexion darüber, welche überraschenden Ereignisse bzw. Entwicklungen – quasi aus heiterem Himmel – unsere Erwartungen obsolet machen könnten, sensibilisiert für die Unwägbarkeiten einer offenen und manchmal unberechenbaren Zukunft. Die Fähigkeit, mögliche Brüche inklusive ihrer Ursachen zu antizipieren, wird gestärkt. Auch auf Unvorhersehbares vorbereitet zu sein, ist ein wesentliches Merkmal von (organisationaler) Resilienz.

Literatur & weiterführende Ressourcen

Ulrich Golüke (2018): Scenarios: How to create them and Why you should, BoD.

Adam Kahane (2013): Transformative Scenario Planning: Working Together to Change the Future, Berrett-Koehler Publishers, San Francisco.

Sascha Meinert (2014): Leitfaden Szenarienentwicklung, European Trade Union Institute (ETUI), Brussels.

Peter Schwartz (2. Aufl. 1996): The Art of the Long View: Planning for the Future in an Uncertain World, Doubleday, New York.

Kees van der Heijden / Ron Bradfield /George Burt / George Cairns / George Wright (2002): The Sixth Sense: Accelerating Organizational Learning with Scenarios, John Wiley and Sons, New York.

George Wright, George Cairns (2011): Scenario Thinking, Practical Approaches to the Future, Palgrave Macmillan, New York.

Alle Szenarienmodule im Überblick