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Netzwerktreffen StabsmitarbeiterInnen

Nachhaltigkeit: Haben deutsche Unternehmen ihre Lieferketten im Griff?

Die Wertschöpfungsketten der Unternehmen sind weit verzweigt, die Zulieferstrukturen unübersichtlich. 100 StabsmitarbeiterInnen diskutierten über Handlungsmöglichkeiten der Mitbestimmung und die aktuellen Entwicklungen im geplanten Lieferkettengesetz.

Lieferkette Icon Buehne

Verbrannte Näherinnen, erschossene Bergarbeiter, Kinderarbeit und Misshandlungen auf Plantagen, Trinkwasserverschmutzung, Umweltzerstörung und Artensterben, Desozialisierung indigener Bevölkerung und Missbildung von Neugeborenen: Von Zeit zu Zeit dringen Skandale über die Arbeits- und Lebensbedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern an die Öffentlichkeit, führen zu kurzen aber heftigen Debatten … und verebben wieder. In der Konsequenz bleibt es meist bei kleineren Anpassungen (beispielsweise beim Brandschutz), es werden fadenscheinige Zertifikate entwickelt oder öffentlichkeitswirksame Selbstverpflichtungen verkündet. Ohne wirklichen politischen Druck tun verantwortliche Unternehmen häufig zu wenig, um eklatante Missstände bei ihren Zulieferern anzugehen.

Der Hintergrund

Auf einer Pressekonferenz Anfang Dezember 2019 wagten Entwicklungsminister Gerd Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil einen Vorstoß und diskutierten öffentlich über die Einführung eines Lieferkettengesetzes. „Nicht einmal 20% der Unternehmen kommen ihren Sorgfaltspflichten zur Überprüfung und Wahrung der Menschenrechte nach“, so Gerd Müller. Die Daten entstammen der ersten Monitoring-Befragung im Rahmen des „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP)“, welcher 2016 von der Bundesregierung ins Leben gerufen wurde. Von 3300 befragten Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten nahmen nur 464 Unternehmen an der Onlinebefragung teil.

Kurz nach der entsprechenden Pressemeldung laufen die Arbeitgeberverbände Sturm. Ingo Kramer von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) sagt dazu: „Dieser Unfug ist so groß, dass er nicht kommen wird“ und er stehe „mit beiden Beinen im Gefängnis“, wenn dieses Gesetzesvorhaben durchgedrückt würde. Sozialverbände und Umweltorganisationen dagegen befürworten das Vorhaben der Minister.

Auch Gewerkschaften und betriebliche Mitbestimmungsakteure arbeiten schon lange an der Thematik Lieferkette und haben innerbetriebliche Erfolge feiern können. Das klassische Instrument hierfür ist die globale Rahmenvereinbarung. Seit dem Jahr 2000 sind ca. 310 Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern geschlossen worden.

Die Debatte im Netzwerk

Im „Netzwerk Stabsmitarbeiterinnen und Stabsmitarbeiter“ der Hans-Böckler-Stiftung sind i.d.R. mitbestimmungsstarke Unternehmen vertreten. Der richtige Ort also, um das Gesetzesvorhaben und seine Rahmenbedingungen mit PraktikerInnen, WissenschaftlerInnen und NGO-VertreterInnen zu diskutieren. Das diesjährige StabsmitarbeiterInnen-Netzwerktreffen drehte sich rund um die Frage der Nachhaltigkeit und die Rolle der Mitbestimmung innerhalb der Thematik.

Zum Abschluss der zweitägigen Veranstaltung fand unter der Moderation von Jan Giertz (I.M.U.) eine Podiumsdiskussion über das Lieferkettengesetz statt.

Im Podium vertreten waren:

  • Albert Kruft - GBR-Vorsitzender und Sekretär des EBR der Solvay GmbH,
  • Carsten Hübner - Transatlantic Labour Institute (USA),
  • Johanna Kusch - Vertreterin der Initiative „Lieferkettengesetz.de“,
  • Herbert Winistörfer - ZHAW School of Management and Law in Winterthur (Schweiz).

Ein zentraler Diskussionspunkt waren die Einflussmöglichkeiten der Mitbestimmung: Wie wirksam sind globale Rahmenvereinbarungen (GRV) zwischen (Euro-) Betriebsrat und Arbeitgeber? Woran hakt es und wie könnte ein Lieferkettengesetz hier unterstützen?

Albert Kruft hat eine solche Vereinbarung zur Lieferkettenkontrolle bei Solvay abgeschlossen und kann Erfolgskriterien benennen:

Entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung sind gute Netzwerke und Strukturen an den einzelnen Standorten in den Ländern vor Ort. Diese müssen genau in einer GRV formuliert sein.

Albert Kruft (GBR-Vorsitzender und Sekretär des EBR der Solvay GmbH)

Problematisch sei es in Ländern, in denen keine Mitbestimmungsstrukturen vorhanden sind. Dort müssen alternative Systeme etabliert werden, um eine Kontrolle der Lieferkette zu gewährleisten. Albert Kruft und seine Betriebsratskollegen reisen deshalb in die Länder und führen gemeinsam mit dem Arbeitgeber Audits durch. Verstöße gegen die Regelungen können auch von Vertrauenspersonen vor Ort gemeldet werden. Dies ist auch für Carsten Hübner vom Transatlantic Labour Institute entscheidend für die Wirksamkeit einer GRV:

Die Mitbestimmung muss in der Lage sein, das lokale Management zurechtweisen zu können. Ein internes Berichtswesen via Beschwerdemechanismen muss zu Sanktionen führen können.

Carsten Hübner (Transatlantic Labour Institute)

Sanktionieren, wo Freiwilligkeit an ihre Grenzen stößt

Sanktionierung ist auch in der Ausgestaltung des Lieferkettengesetzes ein heiß diskutierter Punkt. Aber wie und womit? Die Initiative Lieferkettengesetz, vertreten durch Johanna Kusch, benannte hierfür zwei Haftungsansätze: einen zivilrechtlichen sowie einen verwaltungsrechtlichen. In vielen betroffenen Ländern herrscht ein niedriger rechtlicher Standard (nicht selten ist dies auch ein Grund, warum dort produziert wird). Je nach Rechtsgrundlage des Landes kann dies eine zivilrechtliche Haftung deutlich verkomplizieren. Die Initiative schlägt deshalb vor:

Wir fordern, die Haftungsregelung so auszugestalten, dass Unternehmen mit Geschäftstätigkeit in Deutschland bzw. Unternehmenssitz auch vor deutschen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können.

Johanna Kusch (Initiative Lieferkettengesetz.de)

Das Lieferkettengesetz wirke dann als sog. Eingriffsnorm. Dadurch müssen die Prozesse in Deutschland nicht auf der Rechtsgrundlage des Landes durchgeführt werden, in dem der Schaden eingetreten ist. Ebenfalls wichtig: Es muss jemand gefunden werden, der als Kläger auftritt und einen Prozess finanziell durchhalten kann. Hierfür sollen staatliche Schutzvorschriften gelten, die den Geschädigten den rechtlichen Zugang erleichtern.

Der verwaltungsrechtliche Haftungsansatz dagegen soll in Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften im Bundesministerium für Justiz durchgesetzt werden. Zur Überprüfung soll die bisher geltende Sorgfaltspflicht in eine Berichts- und Dokumentationspflicht mit Beweislastumkehr überführt und an das Justizministerium gemeldet werden. Unternehmen müssten fortan also nachweisen, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen.

Die Öffentlichkeit als Hebel

Im weiteren Verlauf der Diskussion fragte Moderator Jan Giertz die DiskutantInnen, was sie von Ingo Kramers vielzitierter Aussage „mit beiden Beinen im Gefängnis“ halten. Hier war man sich auf dem Podium einig, dass es nicht zuvorderst um die strafrechtliche Verfolgung von Unternehmern sondern um Reputation geht. Herbert Winistörfer (ZHAW School of Management and Law) berichtete von Erfahrungen aus der Schweiz, in denen bspw. das Unternehmen Nestlé seinen Hauptsitz hat.

Der Hauptgrund, warum sich Unternehmensverbände in der Schweiz auf eine Diskussion um ein Lieferkettengesetz einlassen, ist die öffentliche Debatte.

Herbert Winistörfer (ZHAW School of Management and Law)

Die Herstellung von Öffentlichkeit sei entscheidend für ein wirksames Gesetz. „Bei drohendem Reputationsverlust wird selbst Kik vom Saulus zum Paulus“, meint Albert Kruft und sieht hier einen Vorteil für die Mitbestimmung: „Das gibt uns argumentative Hebel für die Durchsetzung von Regelungen im Bereich nachhaltige Lieferkette.“

Bild Studie Menschenrechte

Lesetipp: "Achtung der Menschenrechte. Eine Kurzbewertung der größten deutschen Unternehmen"

Die Studienergebnisse der ZHAW School of Management and Law und des Business & Human Rights Resource Centre zeigen: die 20 umsatzstärksten deutschen Unternehmen haben eine hohe Selbstverpflichtung zur Achtung der Menschenrechte innerhalb ihrer Organisation. Jedoch sieht es bei der strukturellen Verankerung zur Einhaltung der Sorgfaltspflicht via Ressourcenbereitstellung, Risikoabschätzung, Monitoring und Überprüfung weniger gut aus. Ebenso sind die Beschwerde- und Abhilfemechanismen der untersuchten Unternehmen eher für Anliegen der MitarbeiterInnen gedacht, als für Anliegen externer Personen.

Ein Lieferkettengesetz ist kein Teufelswerk

Die deutschen Arbeitgeber scheinen sich hingegen nach wie vor schwer zu tun. So spricht BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter in einem Brief an Peter Altmaier von Sorge über ein für die Wirtschaft „derart schädliches Gesetz“.

Gleichzeitig unterstützen viele Unternehmen die Gesetzesinitiative bereits – sicher nicht ganz uneigennützig, denn sie erhoffen sich dadurch einen faireren Wettbewerb und eine Aufpolierung ihres Images. Hinzu kommt: Es gibt es auch Unternehmen wie Solvay, die schon viel weiter sind als das Gesetz greifen würde und trotzdem erfolgreich sind. Auch andere europäische Länder bspw. Frankreich und England, wenden ein Lieferkettengesetz bereits an.

Am Ende der Diskussionsrunde sind sich die DiskutantInnen einig, dass das Gesetzesvorhaben eine gute und richtige Initiative ist, sofern es handwerklich gut gemacht ist und auch tatsächlich Wirkung zeigt. Ob präventiv durch Abschreckung von öffentlicher Meinung oder sanktionierend bei Verstoß gegen die formulierten Standards. Bei der Realisierung und nachhaltigen Umsetzung des Gesetzes kann die Mitbestimmung maßgeblich zum Erfolg beitragen, denn ein Lieferkettengesetz würde zudem die Verhandlung einer GRV stark unterstützen. Die regelmäßigen internen Audits, wie Albert Kruft sie bei Solvay durchführt, wären hier ein Instrument zur Einhaltung der Sorgfaltspflicht.

Deutsche Unternehmen sollten nicht nur für gute, qualitativ hochwertige Produkte stehen, sondern auch für verantwortungsbewusstes und nachhaltiges Unternehmertum in der gesamten Lieferkette. Da allerdings Freiwilligkeit bisher nicht zum Ziel geführt hat, muss nun wohl ein Gesetz Verbindlichkeit schaffen

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