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Denken in Alternativen

Warum Szenarien?

Warum Szenarien?

Wenn wir die Zukunft nicht mehr hochrechnen können, kommt der Entwicklung denkbarer Szenarien höchste Bedeutung zu.

Burkhard Schwenker, Barbara Dauner-Lieb

Szenarien sind Geschichten über die Zukunft, aber ihr Zweck liegt darin, bessere Entscheidungen in der Gegenwart zu treffen.

Ged Davis

Wir wissen heute noch nicht, wie sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Unternehmensstrukturen in Deutschland über die nächsten zwei Jahrzehnte verändern werden. Wir können die Zukunft nicht vorhersagen, sie ist offen. Das Gute daran ist, dass wir damit die Möglichkeit haben, Einfluss zu nehmen. Das Schwierige liegt darin, dass wir stets unter Unsicherheit handeln müssen.

Sicher ist, dass sich in unserem Wirtschaftsmodell gerade eine ganze Reihe tiefgreifender Veränderungen und Transformationen vollzieht, – die auf die eine oder andere Weise jedes Unternehmen betreffen wird. Und doch ist das Bild sehr begrenzt, das wir uns von der Zukunft und unseren Einflussmöglichkeiten machen. Allzu oft dominieren Eile und die vielfältigen Anforderungen des Alltags, isolierte Symptombetrachtung und das bloße Fortschreiben von aktuellen Trends. Erst wenn der „Dampf im Kessel“ ein hohes Maß erreicht hat, wird etwas getan – reaktiv und unter Druck. Es fehlt an Referenzbildern über die möglicherweise deutlich veränderten künftigen Rahmenbedingungen, in denen sich die heute getroffenen Entscheidungen und Handlungsstrategien auf längere Sicht bewähren müssen. Darum erfolgen sie allzu oft unter der stillen Annahme „Ceterus paribus“ bzw. entsprechend dem alten Kölschen Grundgesetz „Et kütt wie et kütt“.

Das Ziel der Entwicklung von Szenarien ist nicht, die Zukunft vorherzusagen. Vielmehr geht es darum, den Blick zu weiten und unterschiedliche mögliche Entwicklungen frühzeitig zu antizipieren, um besser vorbereitet zu sein, wenn die eine oder andere davon tatsächlich eintritt. Schon der Umstand, dass sie stets in der Mehrzahl auftreten – es gibt zu einer Fragestellung in der Regel immer mehrere plausible Szenarien – unterscheidet sie von der Prognose. Szenarien unterscheiden sich aber auch von Utopien, die meist „in einem fernen Land in einer unbestimmten Zeit“ spielen. Denn Szenarien tragen stets der heutigen Ausgangslage und den damit verbundenen Pfadabhängigkeiten Rechnung. Sie spielen im Spannungsfeld zwischen dem, was wir von der Zukunft aller Voraussicht nach schon wissen, und dem, was noch völlig ungewiss ist.

Statt eine eindeutige Antwort bzw. Prognose auf die Frage nach der Zukunft zu geben, werden zentrale Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft identifiziert:

  • Welche Einflussfaktoren werden einen maßgeblichen Einfluss haben, sind aber aus heutiger Sicht in ihrer künftigen Ausprägung noch hochgradig ungewiss?
  • Was sind die grundlegenden Alternativen und welche kausalen Zusammenhänge könnten die eine oder die andere Entwicklung vorantreiben?
  • Was wären dann die jeweiligen Auswirkungen?

Ein wichtiger Aspekt hierbei ist, dass man quasi gezwungen wird, sich Gedanken darüber zu machen, was für die zugrunde liegende Fragestellung wirklich von elementarer Bedeutung ist. Denn um handeln zu können, müssen wir die Wirklichkeit vereinfachen. Die Frage ist also: Was berücksichtigen wir und was lassen wir außen vor? Es geht nicht um Vollständigkeit, sondern um Bedeutung – und damit um unsere mentalen Modelle, mit denen wir uns (unbewusst) die Welt erklären. Durch die intensive Auseinandersetzung mit diesen Fragen entstehen verschiedene Theorien darüber, welche grundlegenden Alternativen die Zukunft in sich birgt.

Das Durchspielen von Szenarien führt dazu, dass man für unterschiedliche Entwicklungen besser gewappnet ist. Denn schon Louis Pasteur wusste: „Glück kommt denen zugute, die darauf vorbereitet sind.“ Szenarien helfen so, vom passiven Modus – „Hoffentlich wird nichts Schlimmes passieren!“ – hin zu einer Haltung zu kommen, die Handlungsspielräume in den Mittelpunkt stellt: „Welche Möglichkeiten haben wir, wenn dieses oder jenes eintritt?“ Oder: „Was können wir tun, um diese oder jene Entwicklung zu unterstützen bzw. zu verhindern?“

Eine Einladung zum Dialog

In der Zusammenschau unterschiedlicher Szenarien entsteht so ein Referenzrahmen, eine „Landkarte für die Zeit“, die auch dem konstruktiven Austausch mit anderen dient. Die Kommunikation mit und über Szenarien wird zudem dadurch befördert, dass es sich dabei in der Regel um Geschichten handelt, die nicht nur den analytischen Verstand ansprechen, sondern auch das Emotionale. Sie sind vielschichtig und mehrdeutig, haben Licht- und Schattenseiten – wie das wirkliche Leben. Szenarien lassen sich leicht verbreiten, man erzählt sie weiter.

Szenarien sind in diesem Sinne stets als Einladung zum Dialog zu verstehen,

... sich gemeinsam mit anderen darüber zu verständigen, was für die Zukunft von Bedeutung sein wird,

...  auf welche grundlegenden Alternativen man vorbereitet sein sollte,

...  in welcher Zukunft wir leben wollen und

...  was wir heute tun können, um unsere Zielsetzungen wirkungsvoll zu verfolgen.

Auch gerade über die üblichen Grenzen innerhalb von Organisationen sowie zwischen unterschiedlichen Interessengruppen und über gegenläufige Weltanschauungen hinweg können Szenarien zu einer konstruktiven Verständigungskultur beitragen – zum Beispiel für die Kommunikation von Vorstand und Aufsichtsrat, in der Sozialpartnerschaft, zwischen den Betriebsparteien, zwischen unterschiedlichen Standorten eines Unternehmens etc.

Szenarien als Produkt und als Prozess

Wenn es um die Frage geht, welchen Mehrwert die Entwicklung von Szenarien erbringt, müssen zunächst zwei Ebenen unterschieden werden:

Zum einen ist da das Produkt – die Szenarien. Diese Erzählungen vermitteln mögliche längerfristige Entwicklungspfade, die dazu genutzt werden können, für den größeren Kontext zu sensibilisieren und mögliche Handlungsweisen einmal auf unterschiedlichen „Bühnenbildern“ zu testen bzw. durchzuspielen. Grundlegende Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft werden in Szenarien explizit gemacht, ebenso wie die Prämissen derer, die sie entwickelt haben. Szenarien schaffen eine gemeinsame Sprache, sie thematisieren (unterschwellige) Risiken und regen zum Nachdenken über (neue) Handlungsoptionen an. Szenarien sind ein Kommunikationsmittel für den Austausch mit anderen. Wirkungsvolle Szenarien sind plausibel, aber zugleich auch neuartig und herausfordernd. Sie eröffnen neue Perspektiven.

Ein wichtiger Nutzen entsteht in der Regel aber auch bereits im Prozess der Szenarienentwicklung. Dieser fördert die Fähigkeit der Beteiligten, mit Ungewissheit in einer konstruktiven und strukturierten Weise umzugehen. Das Gespür für längerfristige Zusammenhänge und für relevante Veränderungen im weiteren Umfeld wird ebenso gestärkt. So berichten Beteiligte von Szenarienprozessen immer wieder, dass sie im Anschluss einzelne Ereignisse und Medienberichte besser in größere Entwicklungslinien und -zusammenhänge einordnen können.

Der Prozess der Szenarienentwicklung bietet Raum für Perspektiven, Bedürfnisse und Erwartungen, die gewöhnlich ausgeblendet werden bzw. unausgesprochen bleiben. Fest verankerte Prämissen können, ja müssen, im Verlauf der Szenarienentwicklung immer wieder hinterfragt werden. Auch unkonventionelle Sichtweisen werden einbezogen.

Daraus ergeben sich auch positive Effekte für die Zusammenarbeit in anderen Bereichen sowie die allgemeine „Verständigungskultur“. Die Entwicklung von Szenarien kann dazu beitragen, Vertrauen zu stärken und eine gemeinsame Sprache zu finden.

 

Die Entwicklung von Szenarien ist immer eine Expedition in unvertrautes Terrain. Denn es geht um Veränderungen, die sich aus der Gegenwart heraus nur bedingt abschätzen lassen. Wie werden sich die Rahmenbedingungen unseres Handelns verändern, wovon können wir ausgehen, was ist noch hochgradig ungewiss? Da die Zukunft nicht berechenbar ist und sich per Definition nicht aus der Erfahrung heraus belegen lässt, ist die Entwicklung von Szenarien zunächst eine weniger strenge Wissenschaft im herkömmlichen Sinne und mehr ein kreativer, explorativer Prozess – eine Erkundung von Möglichkeiten. Gleichwohl geht es hier nicht um eine „L'art pour l'art“ (eine Kunst, um der Kunst willen), sondern um das Knüpfen von Zusammenhängen, um Sinn und (Be-)Deutung, um das Ausloten von Möglichkeiten. Kurz: um den Kontext unseres Handelns.

 

Der Szenarien-Ansatz ist in diesem Sinne eine Kulturtechnik, die sich unter anderem durch folgende Merkmale auszeichnet:

  • die Akzeptanz der Grenzen von Vorhersehbarkeit, Planbarkeit und Kontrolle in einem komplexen – und damit unberechenbaren – Handlungsumfeld;
  • Sensibilität für den größeren und längerfristigen Kontext, in dem wir uns bewegen und handeln, sowie die Fähigkeit, (mögliche) Veränderungen frühzeitig zu antizipieren und sich darauf vorzubereiten;
  • die mit einer offenen Zukunft verbundene Unsicherheit nicht (nur) als Bedrohung zu empfinden, sondern als Möglichkeitsraum, der vielfältige Handlungsoptionen beinhaltet, die wir mit einer gewissen Beweglichkeit und Achtsamkeit fruchtbar machen können;
  • die Einsicht, dass unterschiedliche „Theorien über die Zukunft“ nicht nur gleichberechtigt nebeneinander bestehen können, sondern in der Zusammenschau das Blickfeld weiten – und so auch zu besseren Entscheidungen beitragen.

Wesentliche Arbeitsschritte der Szenarien-Entwicklung

Auch wenn die Entwicklung von Szenarien ein kreativer Prozess ist, so gibt es doch eine klar strukturierte Vorgehensweise – eine Dramaturgie. Diese Schritte folgen einer gewissen Logik, können aber in Bezug auf die Intensität bzw. Ausführlichkeit flexibel gestaltet werden.

Die Entwicklung von und Arbeit mit Szenarien eignet sich grundsätzlich für alle Sachverhalte und Herausforderungen, die für die handelnden Akteure von hoher Relevanz sind und sich zugleich durch ein hohes Maß an Unsicherheit über die künftige Entwicklung bzw. die Auswirkungen möglicher (eigener oder fremder) Entscheidungen auszeichnen.

  1. Es bedarf eines Anlasses. Davon ausgehend, wird gemeinsam eine möglichst konkret gefasste Ausgangsfrage formuliert. Die Wahl eines geeigneten Zeithorizonts für die Szenarien ist eng mit dieser Fragestellung verknüpft. Bei einem Betriebsübergang bzw. der Übernahme eines Unternehmens durch einen neuen Investor eignet sich zum Beispiel ein Zeithorizont von vier bis fünf Jahren. Geht es um die mittelfristige Entwicklung einer Branche, bietet sich ein Rahmen von zwei bis drei Produktzyklen an. Bei größeren Umbrüchen, wie dem Entstehen neuer Märkte, der Digitalisierung der Arbeitswelt oder den Auswirkungen des demografischen Wandels auf das Fachkräfteangebot, sollte der Betrachtungszeitraum in Größenordnungen von 15–20 Jahren gedacht werden. Kurz: Es geht darum, einen Zeithorizont zu wählen, der in Bezug auf die Fragestellung nicht zu eng gefasst ist und Raum für wirkliche Veränderungen bietet.

    Für das Projekt „Unternehmen 2040“ haben wir den Zeithorizont der kommenden zwei Dekaden gewählt. Es geht darum, unterschiedliche Perspektiven auf die Fragestellung zu gewinnen und zusammenzubringen. Entsprechend formulierten die Teilnehmenden des Projekts anhand von Leitfragen zunächst individuell ihre „Zukunftsausblicke“. Durch die Auswahl von Projektteilnehmenden aus unterschiedlichen Fachbereichen und ökonomischen Denkschulen ergaben sich in der Zusammenschau bereits ein facettenreiches Bild und Stoff für einen spannenden Austausch.  
  2. Auf dieser Grundlage wurden in den anknüpfenden Szenarien-Workshops gemeinsam relevante Einflussfaktoren für die Fragestellung ermittelt und nach ihrer Bedeutung bzw. Wirkmächtigkeit für die künftige Entwicklung bewertet. In einem weiteren Schritt ging es darum, diese nach dem Kriterium der Vorhersehbarkeit zu ordnen:

    a) Gegebenheiten: Welche relevanten Faktoren sind für den Betrachtungszeitraum bereits mit großer Sicherheit vorhersehbar? Hier wird deutlich, dass wir vieles über die Zukunft bereits heute wissen (können) und was somit unabhängig vom jeweiligen Szenario stets mit in die Gleichung genommen werden muss.

    b) Offene Variablen: Welche der gesammelten Einflussfaktoren sind in ihrem künftigen Verlauf hochgradig ungewiss? Hier werden die Unsicherheiten deutlich, mit denen wir umgehen müssen – und die es erforderlich machen, in Alternativen – sprich Szenarien – zu denken.

    Diese Zuordnung lässt sich gut bewerkstelligen bzw. testen, indem für jeden Einflussfaktor unterschiedliche künftige Ausprägungen benannt werden. Wo der Verlauf bzw. die Ausprägung bis zum Ende des Betrachtungszeitraums eindeutig erscheint, handelt es sich wahrscheinlich um Gegebenheiten, mit denen wir für jedes Szenario rechnen müssen. Sehr wichtige Einflussfaktoren, für die völlig unterschiedliche Ausprägungen vorstellbar sind, sind kritische Variablen für die künftige Entwicklung – und dienen zur Entwicklung alternativer Szenarien.
  3. Zwei in sich konsistente Bündel von gegenläufigen Entwicklungsdynamiken wurden nun dafür genutzt, den Zukunftsraum zu strukturieren und vier trennscharfe Teilräume zu beschreiben. Diese Reduzierung ist entscheidend. Denn es geht bei der Entwicklung von Szenarien nicht um graduelle Abstufungen aller möglichen Zukünfte – sondern um die Gegenüberstellung und Auseinandersetzung mit grundlegenden Entwicklungsalternativen.
  4. Für jeden der vier Zukunftsquadranten wurde dann ein Szenario ausgearbeitet. Die Aufgabe: die darin enthaltenen Konflikte, Herausforderungen, aber auch Chancen und Handlungsoptionen, in einer erzählerischen und damit lebendigen Weise „erfahrbar“ zu machen.
  5. Für die weitere Arbeit mit den Szenarien wurden diese nun in einen konkreten Bezug zu konkreten Handlungsfeldern gesetzt. Wie könnten Unternehmensführungen in den jeweiligen Szenarien agieren und unsere Ziele verfolgen? Wie aussichtsreich wären bestimmte Verhaltensmuster und Strategien? Auch wenn es beim Szenarien-Ansatz zunächst nicht um die Erarbeitung normativer Zukunftsbilder geht, ist es auch naheliegend und legitim zu fragen, welches Szenario man bevorzugt und wie man dessen Eintreten forcieren könnte – und welches bzw. welche es zu verhindern gilt. Die Auseinandersetzung mit den Szenarien, die man als negativ erachtet (und die darum in der Zukunftsbetrachtung oft ausgeklammert werden), ist in der Regel besonders ertragreich. Denn auch diese Szenarien können eintreten und auch sie bieten Handlungsmöglichkeiten.

All dies mag technisch und kompliziert klingen, im Grunde geht es hier aber um eine tief menschliche Art und Weise, mit Unsicherheiten umgehen: Wir entwickeln Geschichten darüber, was in der Zukunft vielleicht passieren könnte – und bereiten uns entsprechend darauf vor. Doch findet dies meist nur im Persönlichen und nicht systematisch bzw. als gemeinsame Erkundung statt. Der Szenarien-Ansatz fungiert hier als bewährtes Instrument, einen solchen Lernprozess sinnvoll und ertragreich zu realisieren.

Im Grunde geht es um eine intelligente Form des Risikomanagements und der Strategiebildung in unsicheren Zeiten. Szenarien fördern eine offene Dialogkultur – auch über die üblichen Grenzen von Organisationen, Interessengruppen und Weltanschauungen hinweg. Die Erfahrung zeigt, dass jedes Szenario sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden kann. Und es sind gerade diese unterschiedlichen Wahrnehmungen und Zuordnungen, die zu einem fruchtbaren Austausch sowie einer Erweiterung der eigenen Perspektive führen. Szenarien bieten ein kraftvolles Instrument für das gemeinsame Abwägen und Schaffen von Möglichkeiten. 

Ein umfangreicher „Werkzeugkasten“ sowie weitere Anregungen und Beispiele für die Arbeit mit dem Szenarien-Ansatz stehen im Mitbestimmungsportal zur Verfügung:

Eine "kleine Gebrauchsanweisung" für die Arbeit mit Szenarien

Szenarien sind für sich noch keine direkte Handlungsempfehlung. Sie beschreiben unterschiedliche, aber gleichermaßen plausible Veränderungen im künftigen Handlungsumfeld. Im Folgenden werden ein paar erste Herangehensweisen bzw. Fragestellungen beschrieben, wie sich Szenarien dafür nutzen lassen, das eigene Handeln zukunftsfester zu machen. In den daran anknüpfenden Kapiteln werden diese Zugänge dann in einer tiefergehenden und systematischen Form dargestellt.

Von Szenarien zur Strategie: erste Zugänge

Auf einen Blick

Frühe Anzeichen des Wandels erkennen
„Wo sehen wir heute schon konkrete Hinweise auf die einzelnen Szenarien?“

Mögliche Auswirkungen im geschützten Raum durchspielen
„Wie wären wir von den einzelnen Szenarien betroffen?“

Getroffene oder anstehende Entscheidungen testen
Welche Handlungsweisen und Strategien wären in den jeweiligen Szenarien Erfolg versprechend? Und welche würden voraussichtlich nicht funktionieren?“

Stärkung einer erstrebenswerten Zukunft
„Welche(s) der Szenarien bevorzugen wir, welche(s) wollen wir vermeiden? Und was können wir heute tun, um die angestrebte Zukunft wahrscheinlicher zu machen?“

Anhand dieser Fragestellungen lassen sich bereits ohne tiefergehende systematische Analyse eine Reihe von ersten strategischen Ableitungen und Handlungsoptionen identifizieren. 

Indem man sich bereits mit unterschiedlichen möglichen Szenarien vertraut gemacht hat, fällt es leichter, Veränderungen wahrzunehmen und einzelne Ereignisse in den größeren Kontext einzuordnen. In diesem Sinne liegt ein erster strategischer Nutzen von Szenarien in der Frage: „Wo sehen wir heute schon erste Anzeichen, die auf das eine oder andere Szenario hinweisen?“ Indem man stärker auch auf „frühe Signale“ achtet, ist man besser vorbereitet und kann gegebenenfalls das eigene Verhalten entsprechend anpassen – bevor der Wandel mit voller Wucht eingetreten ist.

Durch die Erarbeitung von bzw. Auseinandersetzung mit „Erinnerungen an mögliche Zukünfte“ ist die Wahrnehmung sensibilisiert. Ereignisse und Entwicklungen werden in das Kalkül miteinbezogen, die ansonsten vielleicht im Alltagsrauschen untergegangen wären. In diesem Sinne bietet es sich an, im Anschluss an die Entwicklung von Szenarien Informationen aus der Medienberichterstattung, der unternehmensinternen Kommunikation und anderen Informationsquellen auch danach zu bewerten, ob sie auf das eine oder andere Szenario hinweisen. Gewöhnlich finden sich Anhaltspunkte für alle Szenarien. Nach und nach zeigt sich aber auch, wenn sich die Hinweise auf eine bestimmte Entwicklungsrichtung verdichten. Szenarien können so als ein „Zukunftsradar“ fungieren, das den Wahrnehmungshorizont erweitert.

Jedes Szenario ist mit spezifischen Herausforderungen und Chancen verbunden. Darum liegt eine weitere strategische Nutzung in der Frage: „Welche Auswirkungen hätten die jeweiligen Szenarien auf uns?“ Indem eine Auseinandersetzung mit möglichen Konsequenzen erfolgt, bevor sie eintreten, erweitern sich die Handlungsmöglichkeiten. Zum einen entsteht bereits eine lebendige und bildhafte Vorstellung davon, wie die eigenen Handlungsspielräume von der einen oder anderen Veränderung betroffen wären. Zum anderen kann so besser Vorsorge getroffen werden, indem die Resilienz gegenüber diesen Veränderungen gestärkt und Verletzlichkeiten verringert werden. Ebenso können Fähigkeiten erweitert werden, um sich ergebende Chancen besser nutzen zu können.

Mehr Infos zur SWOT-Analyse im Szenarien-Kontext finden sich in Abschnitt 4

Akteure der Mitbestimmung müssen permanent handeln und Entscheidungen treffen, auch wenn sie nicht wissen, in welchem Umfeld sich diese in der Zukunft entfalten werden. In diesem Sinne können Szenarien wie ein „Teststand“ genutzt werden, um bereits getroffene oder anstehende Entscheidungen unter verschiedenen Annahmen über die Zukunft durchzuspielen.

Einzelne Entscheidungen und Strategien werden unter unterschiedlichen möglichen Rahmenbedingungen auf ihre Tauglichkeit hin abgeklopft und bewertet. Strategien, die in drei von vier Szenarien absehbar an die Wand fahren würden, sind tendenziell weniger zukunftsfest als solche, die in der Mehrzahl der entwickelten Szenarien mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich wären. Gerade in Phasen des Umbruchs ist es wichtig, unterschiedliche Entwicklungspfade in Bezug auf das künftige Handlungsumfeld zu durchdenken und die Frage zu stellen: Welche Entscheidungen und Strategien würden in den unterschiedlichen Szenarien, die wir für die Zukunft als plausibel erachten, funktionieren und zur Erreichung unserer Ziele beitragen?

Bei der Entwicklung von Szenarien steht die Frage im Mittelpunkt, welche möglichen Veränderungen aus heutiger Sicht plausibel sind und in Betracht gezogen werden sollten – nicht, welche Zukunft wir uns wünschen würden. Dennoch wird man im Ergebnis einzelne der erarbeiteten Szenarien als positiver als die anderen empfinden. Darum stellt sich die Frage: „Wie können wir die Zukunft stärken, die uns bei Betrachtung der grundlegenden Entwicklungsalternativen am erstrebenswertesten erscheint?Oder umgekehrt: Wie können wir das Eintreten der eher als negativ erachteten Szenarien vermeiden? Daraus ergeben sich erste Ableitungen darüber, welche Entwicklungen es gegebenenfalls erforderlich machen würden, in den Konflikt zu gehen oder auf andere Weise gegenzusteuern. Oder für welche Entwicklungen man bereits heute eintreten und sich mit geeigneten Partnern zusammentun sollte. 

Durchführung einer SWOT-Analyse für jedes Szenario

Eine etwas systematischere Herangehensweise, um die strategischen Bezüge von Szenarien zu erkunden, ist die Durchführung einer SWOT-Analyse. Diese Methode ist ein Klassiker in der strategischen Planung, die in den 1960er-Jahren an der Harvard Business School entwickelt wurde. SWOT steht dabei für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Potenziale) und Threats (Gefahren).

Diese Methode verbindet die Analyse von externen Faktoren (hier Veränderungen des Handlungsumfelds in Form von Szenarien) mit internen Fähigkeiten bzw. Schwächen der relevanten Handlungsebene (das eigene Unternehmen, die eigene Organisation, das betreffende Gremium etc.). Gewöhnlich wird eine SWOT-Analyse für eine Untersuchung eines Ist-Zustandes, also einer gegebenen Situation, verwendet. Hier dynamisieren wir die Herangehensweise, indem wir den Ansatz auf unterschiedliche mögliche Ist-Zustände in der Zukunft anwenden. Es werden also mehrere SWOT-Analysen entsprechend der Anzahl der entwickelten Szenarien durchgeführt.

Vorgehen

  1. Für jedes Szenario werden zuerst die jeweils damit verbundenen Auswirkungen untersucht und möglichst konkret beschrieben. Hierbei wird zwischen Chancen und Bedrohungen unterschieden. Es geht hier also um die äußeren Einflüsse: Welche Potenziale eröffnet uns dieses Szenario? Welche Gefahren sind für uns damit verbunden?
  2. Im Anschluss werden die internen Einflüsse, also eigene Stärken und Schwächen, in Bezug auf die in diesem Szenario angenommenen Rahmenbedingungen herausgearbeitet: Auf welche Stärken können wir zurückgreifen, um die Chancen dieses Szenarios zu nutzen und die Risiken bzw. negativen Konsequenzen so weit es geht zu vermeiden? Welche Schwächen stehen dem entgegen?
  3. In einem dritten Schritt wird gefragt, wie sich die Stärken zur Nutzung der Potenziale in diesem Szenario erweitern bzw. optimal ausschöpfen lassen und wie die identifizierten Schwächen verringert werden könnten.
  4. Abschließend wird zusammengefasst, was heute und in der Zukunft getan werden kann, um auf dieses Szenario gut vorbereitet zu sein.

Diese Vorgehensweise wird für alle Szenarien in gleicher Weise durchgeführt. Dabei wird deutlich, dass das, was in einem Szenario eine Stärke ist, sich in einem anderen als Schwäche erweisen kann. Auch ob ein äußerer Einfluss Chance oder Bedrohung ist, kann davon abhängen, wie man aufgestellt ist bzw. „was man daraus macht“.

So können potenzielle Stärken frühzeitig ausgebaut werden. Mögliche Verwundbarkeiten bzw. „offene Flanken“ werden offengelegt und können entsprechend verringert werden, bevor sie einen teuer zu stehen kommen. In diesem Sinne gibt es nicht die eine richtige Strategie, sondern eine geeignete strategische Ausrichtung muss immer auch in Hinblick auf den jeweiligen (künftigen) Kontext gewählt werden. Veränderungen im Umfeld erfordern in der Regel auch eine Veränderung der eigenen Handlungsweisen. Zum anderen wird deutlich, dass es nur begrenzt gute und schlechte Szenarien per se gibt, sondern dass es auch darauf ankommt, „auf welchem Fuß“ uns die Zukunft erwischt und wie gut wir auf unterschiedliche Entwicklungen vorbereitet bzw. wie wir für die Unwägbarkeiten einer offenen Zukunft ausgestattet sind. Flexibilität und Reserven im System sind dabei oft wichtiger als unverrückbare Positionierungen und „Effizienz bis auf Kante“.

Anstehende oder getroffene Entscheidungen in den Szenarien durchspielen und „testen“

Für die tiefergehende Arbeit mit den Szenarien werden diese in einen konkreten Bezug zu den eigenen Handlungsspielräumen gesetzt. Wie kann man in diesen unterschiedlichen Zukünften agieren und seine Ziele verfolgen? Wie aussichtsreich wären bestimmte Verhaltensmuster und Strategien? Wie behaupten sich unsere (geplanten) Entscheidungen, Handlungen und Pläne in den verschiedenen Szenarien? Auf welche Hindernisse und unterstützenden Faktoren würden sie jeweils treffen? Wie können wir unsere Freiräume nutzen, um möglichst in allen Szenarien relevant und durchsetzungsfähig zu bleiben?

Die konkreten Handlungsmöglichkeiten sind natürlich vom jeweiligen Akteur bzw. der jeweiligen Gruppe abhängig, die diese Untersuchung macht. Eine große Branchengewerkschaft hat andere Möglichkeiten als der Betriebsrat eines mittelständischen Unternehmens, ein Personaldirektor andere als eine Fraktion im Bundestag. Darum können in der folgenden Matrix nur Platzhalter stehen, die vor dem Hintergrund der jeweiligen konkreten Akteure und ihrer Handlungsspielräume ausgefüllt werden müssen.

Zunächst werden in der linken Spalte möglichst konkrete Entscheidungsmöglichkeiten bzw. Handlungsstrategien benannt und untereinander aufgelistet. Danach werden die einzelnen Handlungen für jedes Szenario bewertet.

In der Mitbestimmung könnten mögliche Handlungsstrategien zum Beispiel die Forderung nach neuen Arbeitszeitregelungen, bestimmten Qualifikationsangeboten, konkrete Beschäftigungssicherungs­vereinbarungen oder Investitionszusagen sein. Bestimmte Maßnahmen des Arbeitskampfes können kooperativen Strategien gegenübergestellt werden. Ebenso wie unterschiedliche Formen der politischen Einflussnahme.   

Die Frage ist, wie sich der jeweilige Handlungsansatz in den verschiedenen Szenarien behaupten bzw. wie er sich in Bezug auf die übergeordneten Zielsetzungen auswirken würde: „Sehr positiv“ wird mit + + gekennzeichnet, „positiv“ mit +, „neutral“ mit o, „negativ“ mit –, „sehr negativ“ mit – –. Handlungen, die voraussichtlich sowohl Vor- und Nachteile mit sich bringen, werden mit –/+ gekennzeichnet.

Handlungsweisen, die nur in einem oder zwei Szenarien Erfolg versprechend sind, sind nicht sehr robust und sollten auf den Prüfstand gestellt bzw. durch bessere Optionen ersetzt werden. 

Die Zukunft stärken, die als erstrebenswert erachtet wird

Szenarien sind keine Vorhersagen, sie beschreiben mögliche Zukunftsalternativen. Darum ist es naheliegend und legitim zu fragen, welches Szenario man bevorzugt – und welches bzw. welche es zu verhindern gilt. Diese Bewertung kann man für sich selbst vornehmen und daraus Schlüsse für das eigene Handeln ziehen. Oder man verständigt sich als Gruppe bzw. mit anderen Akteuren auf eine gemeinsame Bewertung und Zielrichtung.

Oft hat man bereits ein Bauchgefühl, welches Szenario einem zusagt und welches weniger. Die Auseinandersetzung mit den Szenarien, die man nicht so gerne mag (und oft in der Zukunftsbetrachtung ausklammert), ist in der Regel besonders ertragreich. Denn auch diese Szenarien können eintreten und auch sie bieten Handlungsmöglichkeiten – umso mehr, wenn man sich darauf vorbereitet hat. Szenarien können in diesem Sinne auch dazu dienen, etwas Licht in die blinden Flecken unserer Wahrnehmung zu bringen und den Blick auf die Zukunft zu weiten.

Hierfür lässt sich die bereits oben verwendete Matrix erneut heranziehen. Diesmal geht es jedoch nicht darum, getroffene oder ins Auge gefasste Entscheidungen zu testen, sondern zu fragen, mit welchem Handlungsbündel man am ehesten das Eintreten des präferierten Szenarios befördern kann. Wenn wir zum Beispiel Szenario III bevorzugen, sollten alle Handlungen, die in diesem Szenario mit + + oder + eingestuft werden, gebündelt und forciert werden. Handlungen, die in diesem Szenario eher mit „neutral“ bis „sehr negativ“ bewertet werden (im unten stehenden Beispiel wäre dies Handlungsoption 3), sollten hingegen zurückgefahren werden. Die ausgefüllte Matrix kann natürlich auch entsprechend genutzt werden, um zu fragen, wie die eigenen Handlungsspielräume genutzt werden können, um ein bestimmtes Szenario zu verhindern.

Abbildung Zukunft stärken

Indem wir unterschiedliche Alternativen einander gegenüberstellen und bewerten, stärken wir unsere Fähigkeit, Zukunft nicht einfach nur zu erdulden, sondern aktiv (mit anderen) zu gestalten. Bei dieser Herangehensweise geht es darum, Einfluss auf die allgemeine Entwicklung zu nehmen – also die Zukunft zu prägen. Wenn man nicht über sehr große Machtressourcen verfügt, muss man dafür gewöhnlich Verbündete suchen, mit denen man gemeinsam an einem Strang ziehen kann. Denn gemeinsam lässt sich in aller Regel mehr erreichen als auf eigene Faust.

Werkzeugkasten Szenarien

Ein umfangreicher „Werkzeugkasten“ sowie weitere Anregungen und Beispiele für die Arbeit mit dem Szenarien-Ansatz stehen im Mitbestimmungsportal zur Verfügung: