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Zinswende

EZB hebt Leitzins an

Die EZB hat den Leitzins erstmals seit elf Jahren angehoben. Mit dem „Transmission Protection Instrument“ (TPI) hat sie zudem ein neues Tool der Geldpolitik angekündigt.

Update 13.9.2022: EZB erhöht den Leitzins auf 1,25%

Innerhalb weniger Wochen hat die EZB den Leitzins erneut erhöht. Eine Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte ist einmalig seit der Einführung des Euro-Bargeldes. Die EZB möchte so ein deutliches Zeichen gegen die steigende Inflation im Euro-Raum setzen. Verbraucher*innen dürften zeitnah die Zinssteigerung etwa bei der Kreditaufnahme spüren. Ob und wie schnell die Zinssteigerung gegen die hohe Inflation wirkt, ist noch offen, da die hohen Energiekosten sowie Lieferkettenengpässe einen erheblichen Anteil an der Inflation haben. Die Zinserhöhung könnte zu einer Abschwächung der Wirtschaft führen, was die Inflation etwas abmildern könnte. Gleichzeitig besteht die Gefahr, die Wirtschaft abzuwürgen und eine Stagflation (kein Wirtschaftswachstum sowie hohe Preissteigerungen) zu riskieren.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am vergangenen Donnerstag, den 21. Juli, überraschend deutlich den Leitzins von 0 Prozent auf 0,5 Prozent angehoben. Nach über einem Jahrzehnt der lockeren Geldpolitik leitet die EZB damit die Zinswende ein. Bereits im letzten Monat hatten die Währungshüter angekündigt, den Leitzins zu erhöhen – allerdings um 25 Basispunkte. Der EZB-Rat, bestehend aus sechs Mitgliedern des Direktoriums und den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der 19 Mitgliedstaaten des Euroraums, hat nun einstimmig entschieden, einen größeren Schritt zur Normalisierung des Zinsniveaus zu gehen, um der hohen Inflation zu begegnen. 

Voraussetzung für die stärkere Anhebung des Leitzinses ist die Etablierung des neuen Instrumentes „Transmission Protection Instrument (TPI)“, das ebenfalls vorgestellt worden ist. Es ermöglicht der EZB, Anleihen von Euro-Ländern anzukaufen, „um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen“. Der Umfang der Ankäufe ist von vorneherein nicht begrenzt. Die Leitzinserhöhung könnte insbesondere für hoch verschuldete Euro-Länder problematisch werden, da sie höhere Finanzierungskosten haben als andere Euro-Länder. Der Renditeabstand - genannt Spread – zwischen den Euro-Ländern vergrößert sich seit der Ankündigung der EZB im Juni den Leitzins zu erhöhen. 

Zinserhöhung als Inflationsbremse  

Die Zins-Entscheidung der EZB soll die Inflation bremsen, die zuletzt stark angestiegen ist. Eine weitere Anhebung des Leitzinses wurde bei einer entsprechenden Datenlage im September in Aussicht gestellt. Der höhere Leitzins soll die Nachfrage dämpfen, um so ihrem Mandat, nämlich der Preisstabilität, gerecht zu werden. Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und den damit verbundenen steigenden Energiepreisen droht eine Rezession, die durch steigende Zinsen verschärft werden könnte, denn auch Unternehmen müssen jetzt mehr Zinsen für Kredite zahlen. Dies könnte problematisch sein, da auch die Anpassung an eine nachhaltige Wirtschaft in vielen Unternehmen hohe Investitionsbedarfe auslöst. Gleichzeitig schwächt die hohe Inflation die Wirtschaft ebenfalls.

  • Welche Auswirkungen haben höhere Zinsen auf aktuelle Investitionsvorhaben?
  • Welche Forderungen werden für höhere Fremdkapitalkosten getroffen?
  • Welche Auswirkungen könnten eine nachlassende Nachfrage auf die kurz- und mittelfristige Auftragslage haben? 
  • Welche Störungen im Produktionsablauf sind durch die aktuelle Energieunsicherheit und mögliche Störungen in den Lieferketten zu erwarten? 
  • Welche Auswirkungen hat die Zinswende kurz- und mittelfristig auf die Zinsspanne?
     

Das Mandat der EZB 

Nach Artikel 127 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist die EZB primär der Einhaltung der Preisstabilität verpflichtet. Darüber hinaus soll die EZB auch die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union unterstützen, um zur Verwirklichung der Ziele der EU beizutragen, die in Artikel 3 des Vertrages über die Europäische Union festgelegt sind. Zu diesen Zielen gehören unter anderem ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und Umweltschutz. 

Was Preisstabilität in der Praxis bedeutet, also welche Inflationsrate konkret angestrebt werden soll, entscheidet der EZB-Rat selbst, denn die EZB ist nach Artikel 130 AVEU unabhängig und somit geschützt vor politischen Einflüssen. Jüngst passte die EZB ihre Definition der Preisstabilität an: Im Sommer 2021 reagierte die Zentralbank auf ein verändertes makroökonomisches Umfeld, indem sie weiterhin eine Zielinflationsrate von 2 Prozent anstrebt, dieses Ziel aber als symmetrisch betrachtet. Das bedeutet, dass Abweichungen der Inflationsrate nach oben und unten gleichermaßen unerwünscht sind.

Die schwierige Ausgangslage der EZB 

Die Leitzinsen wurden nun zum ersten Mal seit 2011 erhöht. Damit möchte der EZB-Rat die Inflation mittelfristig auf den Zielwert von 2 Prozent stabilisieren. In den Ratssitzungen der vergangenen Monate hatte die Zentralbank eine solche Zinserhöhung noch vermieden, denn die EZB sieht sich momentan einem Dilemma ausgesetzt: In den vergangenen Jahren war die Inflation zu niedrig. Diese Tendenz wurde durch den Beginn der Corona Pandemie und das ursprüngliche Schließen von Geschäften und Industrie zunächst verschärft. Als Reaktion darauf setzte die EZB unter anderem ein Notfallkaufprogramm auf, um im großen Stil Vermögenswerte auf den Finanzmärkten aufzukaufen, und damit für günstige Finanzierungskosten während der Krise zu sorgen und die Wirtschaften im Euroraum zu stabilisieren. So war das Auslaufen von PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) eine Voraussetzung für die jetzt erfolgte Zinserhöhung. Da niedrige Leitzinsen auch die Investitionsmöglichkeiten der Unternehmen und privaten Haushalte begünstigen, tat sich die EZB lange schwer, eine gerade erst aus dem Corona Abschwung kommende Wirtschaft einer Zinserhöhung auszusetzen. Der Krieg in der Ukraine und mögliche Energieengpässe erhöhen die Unsicherheit weiter, unter der die EZB aktuell Entscheidungen treffen muss. Dazu kommt, dass ein Großteil der aktuellen Inflation im Euroraum auf Ursachen zurückgeht, die nicht im Einfluss der Zentralbanken liegen. 

Die aktuellen Inflationsdaten von Eurostat verdeutlichen, dass die Inflationsrate für Juni im Euroraum von 8,6 Prozent knapp zur Hälfte von steigenden Energiekosten getrieben wird (Eurostat: Monatliche Inflationsrate und deren einzelne Komponenten, eigene Berechnungen). Auch ein Zinsanstieg wird das Angebot von zur Verfügung stehender Energie nicht vergrößern können. Hinzu kommen weitere Faktoren wie Lieferengpässe, die sich auch nur bedingt durch Geldpolitik beeinflussen lassen. Somit wird deutlich, dass zumindest ein Teil der Inflation angebotsbedingt ist. Der EZB bleibt so zur Inflationsbekämpfung aber keine andere Wahl als die Gesamtnachfrage nach Gütern und Investitionen über eine Zinserhöhung abzubremsen. Da Zinsveränderungen ihre Wirkung verzögert entfalten, ist es fraglich, wie schnell und effektiv die aktuelle Zinswende den Inflationsdruck im Zaun halten kann. 

Aus Arbeitnehmer*innensicht  ist es wichtig, auf die Treiber der aktuellen Inflation aufmerksam zu machen. So kann belegt werden, dass es nicht Lohnforderung von Gewerkschaften und die so gefürchtete Lohn-Preisspirale sind, die momentan für Inflation und die nun erfolgte Reaktion der EZB verantwortlich sind.

Das Instrument zur Absicherung der Transmission (Transmission Protection Instrument – TPI)

Erwartet haben die Märkte nicht nur die geldpolitische Entscheidung, sondern vor allem auch die Vorstellung des sogenannten Instrumentes zur Absicherung der Transmission (Transmission Protection Instrument (TPI)). Grundsätzlich muss beachtet werden, dass die EZB zwar die Geldpolitik für alle Euro-Länder einheitlich vorgibt, aber die Wirtschafts- und Fiskalpolitik immer noch in den Händen der Mitgliedstaaten liegt. Die Finanzierungsbedingungen der Mitgliedstaaten sind abhängig von der von Investoren antizipierten Kreditwürdigkeit der Mitgliedstaaten. Nach Artikel 123 AEUV ist es der EZB strikt verboten, monetäre Staatsfinanzierung zu betreiben. Doch wenn sich die Finanzierungskosten der einzelnen Euro-Staaten stark unterschieden, ist die einheitliche Transmission der Geldpolitik, sprich die Auswirkung der Zinserhöhung auf die Realwirtschaft, in Gefahr. Der Renditeabstand – Spread genannt – zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten sollte daher ausschließlich ein Marktrisiko ausdrücken und nicht von Spekulation in die Höhe getrieben werden. Genau solchen „ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken (…) die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen,“ soll das neu vorgestellte TPI nun entgegenwirken.

Nur wenn die Transmission des geldpolitischen Kurses in allen Euro-Staaten reibungslos erfolgt, und sich die Geldpolitik einheitlich auf die Finanzierungskosten der Realwirtschaft auswirken, kann die EZB auch ihr Preisstabilitätsmandat erfüllen. Daher erlaubt das TPI gezielte Anleihekäufe einzelner Länder, um so die Risikoaufschläge gegenüber deutschen Staatsanleihen, die als besonders sicher gelten, einzugrenzen. Der Umfang möglicher Käufe ist vorher nicht beschränkt und hängt von der Schwere der Transmissionsrisiken ab. Um nicht gegen Artikel 123 AEUV zu verstoßen, hat die EZB Konditionen veröffentlicht, die ein Euro-Staat erfüllen muss, um unter das TPI fallen zu können. In der Praxis dürfte es sich allerdings als äußert schwierig erweisen, ungerechtfertigte, ungeordnete Marktdynamiken klar zu definieren. Ist etwa ein Anstieg der Finanzierungskosten Italiens bei einem möglichen Regierungswechsel weg vom reformfreudigen Draghi zu einer populistischen Regierung gerechtfertigt? EZB Präsidentin Lagarde gab bei der Pressekonferenz preis, dass der gleichzeitige Zinssprung um 50 Basispunkte und die Einführung des TPIs ein Kompromiss waren, um auf Einstimmigkeit im Rat zu kommen.

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