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Europäische Aktiengesellschaft (SE)

EuGH verhandelt über Aufsichtsratssitze von Gewerkschaften

Müssen Gewerkschaftssitze im Aufsichtsrat bei einer Umwandlung in eine SE beibehalten werden? Um diese Frage dreht sich ein aktuelles Verfahren beim Europäischen Gerichtshof. Das Bundesarbeitsgericht hatte diese Ansicht bestätigt, die Frage aber dem EuGH vorgelegt.

Vorhof des Europäischen Gerichtshofs
© Gerichtshof der Europäischen Union

Die Europäische Integration braucht eine starke Mitbestimmung und stellt sie gleichsam vor Herausforderungen. Zu den ohnehin national bestehenden Gesetzeslücken im Bereich der Mitbestimmung sind durch Vorgaben des europäischen Gesellschaftsrechts weitere Möglichkeiten zur Mitbestimmungsvermeidung hinzugekommen. Drei Viertel der in Deutschland ansässigen Unternehmen nutzen heute Lücken mit europarechtlichem Bezug. Führendes Mitbestimmungs­vermeidungs­instrument ist die Unternehmensform der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, kurz: SE). 

Beim Wechsel in diese Gesellschaftsform sieht das SE-Recht vor, dass ein besonderes Verhandlungsgremium, bestehend aus Arbeitnehmervertreter*innen aller betroffenen Länder, mit der Unternehmensleitung über die künftige Ausgestaltung der Mitbestimmung verhandelt. Kommt es zu keiner Einigung bleibt in dem Unternehmen das Mitbestimmungsniveau dauerhaft erhalten, das auch vor dem Rechtsformwechsel in eine SE bestanden hatte. Es gilt das sogenannte „Vorher-Nachher-Prinzip“, ein bis dato mitbestimmungsloses Unternehmen bleibt demnach auch in Zukunft ohne Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat, selbst wenn die Beschäftigtenzahl nach erfolgter SE-Gründung den für das Drittelbeteiligungsgesetz oder das Mitbestimmungsgesetz 1976 maßgeblichen Schwellenwert übersteigt (Einfriereffekt). Gut also, dass die Ampelkoalition dieses Einfriermanöver gezielt unterbinden will.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschäftigt sich zurzeit mit der speziellen Frage, ob im Wege der Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine SE die nach nationalem Recht zwingend vorgegebene interne Besetzungsstruktur der Arbeitnehmendenseite im Aufsichtsrat beseitigt werden darf. Konkret geht es um die Sitzgarantie für Gewerkschaftsvertreter*innen im Aufsichtsrat nach § 7 des deutschen Mitbestimmungsgesetzes.

Die IG Metall und ver.di hatten bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) geklagt, als im Zuge der Umwandlung des Softwareriesens SAP in eine SE im Jahr 2014 zwischen Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenseite festgelegt wurde, dass diese Garantie künftig wegfällt.

Das BAG war im August 2020 der Argumentation der Gewerkschaften gefolgt, dass die überbetriebliche Arbeitnehmervertretung in Form ausgewiesener Gewerkschaftssitze ein prägendes Element der deutschen Mitbestimmung sei, welches auch im Zuge einer SE-Gründung erhalten bleiben müsse. Es hat den Fall jedoch dem EuGH zur Prüfung vorgelegt mit der Frage, ob diese Auslegung des SE-Rechts mit den europarechtlichen Vorgaben der SE-Richtlinie vereinbar ist. Am 7. Februar haben sich in einer mündlichen Verhandlung vor dem EuGH, die Bundesregierung, die Europäische Kommission und Luxemburg ebenfalls der Sicht der Gewerkschaften angeschlossen.

Nun blicken wir gespannt und zuversichtlich auf die Entscheidung des EuGH, welche im Laufe des Jahres 2022 erwartet wird. Währenddessen setzen wir uns weiter ein für eine starke Mitbestimmung und für ein starkes Europa.