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Nach der Europawahl

Mitbestimmung muss auf die EU-Agenda

Die neue EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen nimmt voraussichtlich im November ihr Amt auf. Nachhaltige Unternehmensführung und stärkere Kollektivrechte müssen in den nächsten fünf Jahren eine Priorität sein.

Das Europäische Parlament hat Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin gewählt. Neben personellen Fragen geht es auch um die zukünftige politische Ausrichtung der EU und Prioritäten für die nächsten fünf Jahre. Eine gute Gelegenheit, um Bilanz zu ziehen: wo wurden in der letzten Legislaturperiode Fortschritte gemacht und wo muss aus mitbestimmungspolitischer Sicht noch nachgebessert werden. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass Fortschritte auf Individualrechtsebene gemacht wurden. Kollektivrechte wurden aber in den letzten fünf Jahren eher stiefmütterlich behandelt. Daher muss es eine Priorität für Ursula von der Leyen und die nächste Europäische Kommission sein, die Mitbestimmung in Europa deutlich zu stärken.

cover MBReport 51

Europawahl 2019

Neues EU-Parlament, neue EU-Kommission – neuer Schwung für Workers’ Voice?

von Martin Feldmann, Maxi Leuchters

Mitbestimmungsreport Nr. 50. Düsseldorf: 2019.

Was in den letzten 5 Jahren erreicht wurde:

Europäische Arbeitsbehörde
Die Europäische Arbeitsbehörde wurde 2019 durch das Europäische Parlament und den Rat beschlossen. Die Behörde soll die Mitgliedstaaten bei der grenzüberschreitenden Arbeitskräftemobilität unterstützen. Dabei geht es um die Einhaltung europäischer Regeln zur Entsendung und Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme. Darüber hinaus soll die neue Behörde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Informationen zu ihren Rechten zur Verfügung stellen. Die Errichtung der Behörde ist ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Sozialdumping. Sie muss aber langfristig mehr Kompetenz für Kontrollen bekommen.

Revision der Entsenderichtlinie
Die erfolgreiche Revision der Entsenderichtlinie aus dem Jahr 1996 stellt einen der größten Erfolge der vergangenen Legislaturperiode dar. Entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können nun Löhne vereinbart in Kollektivverträgen erhalten. Zudem müssen Zulagenzahlungen und andere Leistungen gezahlt werden und auch Reise- sowie Unterbringungskosten können nicht länger vom Mindestlohn abgezogen werden. Darüber hinaus sind Entsendungen in Zukunft auf 12 Monate (in Einzelfällen auf 18 Monate) begrenzt.

Die Europäische Säule sozialer Rechte
Die Säule sozialer Rechte beinhaltet 20 allgemeine sozialpolitische Grundsätze, die die Grundlage für faire und gut funktionierende Arbeitsmärkte sowie Sozialsysteme in Europa legen sollen. Die unverbindlichen Prinzipien lassen sich in drei Kapitel unterteilen: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen und Sozialschutz sowie soziale Inklusion. Es müssen nun durch die neue EU-Kommission konkrete Gesetzesvorschläge auf europäischer Ebene folgen, etwa zu verbindlichen sozialen Mindeststandards. Zudem müssen länderspezifische Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters auf die Sozialpolitik ausgeweitet werden.

Was muss in dieser Legislaturperiode auf die Agenda?

Initiierung einer Rahmenrichtlinie zu Unterrichtung, Anhörung und Unternehmensmitbestimmung
Im Zuge der Verhandlungen zum Gesellschaftsrechtspaket wurde ausführlich über Verbesserungen der Mitbestimmungsmöglichkeiten im europäischen Gesellschaftsrecht diskutiert. Leider sind substanzielle Verbesserungen am Ministerrat gescheitert. An dieser Stelle muss die Kommission in den kommenden Jahren aktiv werden und eine Richtlinie mit Mindeststandards zur Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung von Arbeitnehmern auf europäischer Ebene vorschlagen. Diese sollten für alle Unternehmen gelten, die Instrumente des europäischen Gesellschaftsrechts nutzen, z.B. die Europäische Aktiengesellschaft (SE). Mit Hilfe eines sog. „Mitbestimmungs-Escalators“ sollte ein dynamisches Element eingeführt werden, sodass bei Anwachsen der Belegschaft eines Unternehmens und Überschreiten der in einer Richtlinie festgelegten Schwellenwerte die Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat erhöht wird.

Revision der Richtlinie zu Europäischen Betriebsräten
Europäische Betriebsräte sind in europäisch und global agierenden Unternehmen ein wichtiges Element der Interessensvertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über die nationalen Grenzen hinaus. Ein Europäischer Betriebsrat hat bei Unternehmensentscheidungen mit grenzüberschreitender Wirkung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht, angehört und konsultiert zu werden. Leider ist es für Unternehmen aber noch immer deutlich zu einfach, sich über die gesetzlich verbrieften Rechte hinweg zu setzen. Deswegen bedarf es stärkerer Sanktionsmechanismen, falls Unternehmen eine Maßnahme durchführen, ohne den Europäischen Betriebsrat zu konsultieren. Zudem sollte die Anwendung eines Instruments des europäischen Gesellschaftsrechts (etwa eine grenzüberschreitende Verschmelzung) zu einem automatischen Auslösen von Verhandlungen über einen Europäischen Betriebsrat führen, wie es bereits auch bei der Europäischen Aktiengesellschaft der Fall ist.

Nachhaltigkeit im europäischen Unternehmensrecht
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit in der Führung von Unternehmen müssen zukünftig einen höheren Stellenwert bekommen. Dafür muss an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden. Im Rahmen der nicht-finanziellen Berichterstattung müssen große kapitalmarktorientierte Unternehmen bereits heute u.a. über Umwelt- und Arbeitnehmerbelange berichten. Die konkrete Ausgestaltung dieser Berichte kann das Unternehmen aber selbst festlegen, was die Vergleichbarkeit erschwert. Daher ist eine konkrete Berichterstattung über die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die Einbeziehung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von Nöten. Zudem bedarf es einer verbindlichen Berichterstattung über die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards entlang der Lieferkette.

Workers' Voice

Workers' Voice in European corporate governance - an invitation to open up new perspectives for participatory democracy.

von Norbert Kluge, Robin Leger und Maxi Leuchters

Mitbestimmungsreport Nr. 52. Düsseldorf: 2019

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