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Gute Praxis

Betriebsratsarbeit im Krisenmodus

Einführung

Seit nun schon anderthalb Jahren prägt die Coronapandemie unser Leben und unseren Alltag. Die Interessenvertretungen schauen auf eine anstrengende Zeit zurück, in der immer auf Sicht, parallel zu den Entwicklungen der Coronapandemie, agiert wurde. Langfristige Planungen waren vielfach nur unter Vorbehalt möglich. Die infektionssichere Organisation von Arbeit war dabei sicherlich die größte Herausforderung, in dessen Zuge das Homeoffice an noch nie da gewesener Dynamik erfahren hat.

Dabei hat sich die Arbeit der Betriebsräte selbst extrem in dieser Zeit verändert. Die Arbeit miteinander, der Austausch mit den Mitarbeitenden und mit dem Arbeitgeber wurde in einen digitalen Raum verlagert. Wie haben Betriebsräte konkret ihre Arbeit organisiert? Wir schauen nachfolgend auf acht Beispiele guter Praxis, die im letzten Jahr als Projekt beim Deutschen Betriebsrätepreis eingereicht und in einer Mitbestimmungspraxis ausführlich beleuchtet wurden. Die Projekte geben Einblicke darin, welche Lösungen Betriebsräte erarbeitet haben, damit die Mitbestimmung präsent bleibt und nicht an Einfluss verliert. Denn gerade in Krisen ist sicherzustellen, dass die Interessen der Beschäftigten zu jeder Zeit gut vertreten sind, die Interessenvertreterinnen und -vertreter ausreichend Informationen erhalten und aktiv Einfluss auf Entscheidungen nehmen können. Die Projekte zeigen aber auch, welche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz auf den Weg gebracht wurden und wie sich die Kommunikation mit den Beschäftigten in dieser Zeit gestaltete. Gerade der letzte Punkt ist in Anbetracht der anstehenden Wahlen im nächsten Jahr von Relevanz. Wie wirkt sich der fehlende persönliche Kontakt hierauf aus? Es findet sich ein breites Spektrum an Projekten.

Das tun Betriebsräte – Ergebnisse im Überblick

Trotz vieler Unterschiede gibt es unter den acht Praxisbeispielen eine große Gemeinsamkeit: die Möglichkeit, wieder direkt miteinander sprechen zu können, Sitzungen vor Ort in einem gemeinsamen Raum stattfinden zu lassen, wird herbeigesehnt – für die gremieninterne Arbeit, aber auch für die Kommunikation mit den Beschäftigten. In jedem Praxisbeispiel wurden Konzepte zum Infektionsschutz, zur Unterstützung der Beschäftigten oder zur Aufrechterhaltung des Austausches mit den Beschäftigten entwickelt und umgesetzt. Die einzelnen Projekte in einer Zusammenfassung:

Vertrauen in infektionssichere Arbeitsplätze schaffen – AGCO GmbH
Um Vertrauen zu schaffen, dass die Arbeitsplätze infektionssicher sind, wurde bei der AGCO GmbH die Betriebsvereinbarung Coronapandemie abgeschlossen. 

Der Gesamtbetriebsrat Kärcher als Krisenmanager in der Pandemie – Alfred Kärcher SE & Co. KG 
Die Alfred Kärcher SE & Co. KG durchlief während der Pandemie einen dynamischen Krisenverlauf. In dieser Situation der Ungewissheit avancierte der Gesamtbetriebsrat zum Krisenmanager. 

Alternativen zur Betriebsversammlung in Zeiten der COVID-19-Pandemie – ArianeGroup GmbH
Der Betriebsrat der ArianeGroup erfindet die Betriebsversammlung unter den Bedingungen der Pandemie neu und präsentiert Themen in Form von Videos, Trickfilmen und kurzen schriftlichen Berichten. 

Handlungssicherheit für den Betriebsrat schaffen – AWO Kreisverband Siegen-Wittgenstein/Olpe
Zu Beginn der Pandemie stellte der Betriebsrat durch eine Betriebsvereinbarung sicher, dass virtuell gefasste Beschlüsse rechtssicher sind. 

Betriebsrat in Zeiten der Coronapandemie – Chemnitzer Verkehrs-AG
In der Zeit der Pandemie haben sich die Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden der Chemnitzer Verkehrs-AG schlagartig verändert. Der Betriebsrat engagiert sich für Maßnahmen, um die Mitarbeitenden in dieser kontaktstarken Branche zu schützen.

Die Coronakrise als Katalysator für Mitbestimmung – GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG
Um sicherzustellen, dass bei allen Entscheidungen auch die Mitbestimmung gewahrt ist, wird vom Betriebsrat ein paritätischer Epidemieausschuss als Teil des Inzidenzmanagementteams umgesetzt. 

Schnelle Umstellung der Betriebsratsarbeit für eine krisenfeste Mitbestimmung – Roche Diagnostics GmbH
Damit die Mitbestimmung nicht an Einfluss verliert, reagiert der Betriebsrat schnell und organisiert seine Arbeitsweise neu.

Innovative Arbeitsorganisation durch engagiertes Krisenmanagement – Stadtwerke Böblingen GmbH & Co. KG
Der Betriebsrat der Stadtwerke Böblingen setzt sich für die Arbeitssicherheit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie während der Coronapandemie ein und entwickelt eine Betriebsvereinbarung.

AGCO GmbH: Vertrauen in infektionssichere Arbeitsplätze schaffen

Um Vertrauen zu schaffen, dass die Arbeitsplätze infektionssicher sind, wurde bei der AGCO GmbH die Betriebsvereinbarung Coronapandemie abgeschlossen. 

Das Unternehmen
Die AGCO Corporation gehört zu den größten Herstellern und Anbietern von Traktoren und Landmaschinen. In Marktoberdorf, wo die AGCO GmbH und die AGCO Deutschland GmbH ansässig sind, sind über 4.200 Personen beschäftigt. Der Betriebsrat besteht aus 23 Mitgliedern. 

Projekt: Vereinbarung zur Bewältigung der Coronakrise 
Zu Pandemiebeginn waren bei den Beschäftigten Unsicherheiten über den eigenen Gesundheitsschutz sehr verbreitet. Die erste Kurzarbeitsphase im Frühjahr 2020 wurde von den betrieblichen Sozialpartnern genutzt, um Prozesse rund um einen Krisenstab zu festigen und infektionssichere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die betrieblichen Sozialpartner schließen die Betriebsvereinbarung Coronapandemie ab. Mit dem Projekt „Vereinbarung zur Bewältigung der Coronakrise“ bewarb sich der Betriebsrat 2020 beim Deutschen Betriebsräte-Preis.

Die Betriebsvereinbarung enthält drei Kategorien: technische, organisatorische und personenbezogene Schutzmaßnahmen. Im technischen Bereich sind Maßnahmen zusammengefasst, die den Sicherheitsabstand von 1,50 Meter garantieren. Kann dieser nicht eingehalten werden, werden Arbeitsabläufe umgestaltet. Als organisatorische Maßnahmen wurden Hygienemaßnahmen und Regelungen zum Mindestabstand festgehalten. Personenbezogene Schutzmaßnahmen, wie z. B. das Tragen einer Mund-Nasen-Schutzmaske, werden dann ergriffen, wenn die organisatorischen Maßnahmen nicht ausreichen.

Wir haben das von Abständen abhängig gemacht und haben gesagt, natürlich muss zuerst technisch geschaut werden, dann organisatorisch und dann persönlich, und so haben wir das auf die komplett neue Gefährdungsbeurteilungslinie gestellt und haben wirklich alles überprüft – angefangen bei den Sozialräumen.

Michael Schnitzer, Betriebsratsvorsitzender
Projektzeitstrahl der AGCO  GmbH

Grundlage für alle vorgestellten Maßnahmen ist eine Gefährdungsbeurteilung nach den „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unter Beachtung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrats.

In der Anwendung waren die Maßnahmen überaus erfolgreich. Infektionen wurden vorgebeugt und Vertrauen und Sicherheit vermittelt. Trotz der guten Resonanz musste auch Überzeugungsarbeit geleistet werden, z. B. bei der Einführung einer zusätzlichen Schicht. Der Betriebsrat konnte durch Gespräche jedoch die Notwendigkeit nahebringen. 

Erfahrungen für die Betriebsratsarbeit und Umstellung der eigenen Arbeitsweise
Zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit übertrug der Betriebsrat die Entscheidungsbefugnisse rund um die Pandemie auf den Betriebsausschuss, der gleichzeitig ein Teil des Krisenstabes ist. Für die Praxis bedeutete das, dass im Betriebsausschuss Entscheidungen ohne Rücksprache mit dem Gremium getroffen werden konnten. Zu Beginn musste zwar eine pragmatische Lösung her, aber die Einbindung des Gremiums sollte dennoch nicht zu kurz kommen. Es wurde digital informiert und – wann immer es die Coronasituation ermöglichte – wurden Sitzungen in großen Räumen organisiert.

Wir haben schon sehr viel Vertrauen entgegengebracht bekommen vom Betriebsrat, dass der Betriebsausschuss mit seinen sieben Leuten oftmals auf die Schnelle – und es muss ja manchmal schnell entschieden werden: "Was passiert denn morgen?“ –, dass wir da so viel Freiraum hatten. Da muss man schon auch ein stückweit dankbar sein, in unserer Struktur funktioniert das Gott sei Dank.

Michael Schnitzer, Betriebsratsvorsitzender

Während der Coronapandemie ist es dem Betriebsrat gelungen, die Betriebsversammlungen, bis auf eine, stattfinden zu lassen. Dass sie trotz der vielen Einschränkungen durchgeführt wurden, war aus Sicht des Betriebsrats extrem wichtig, denn gerade in dieser Zeit sollten die Beschäftigten viele Informationen erhalten. Die Betriebsversammlungen wurden mit hohem technischem Aufwand durchgeführt. Zeitlich waren die Betriebsversammlungen kürzer, daher wurde als Ergänzung die Betriebsratszeitung „BR-Info“ entwickelt. 

Einen hohen Lerneffekt gab es im Betriebsrat im Umgang und der Funktionalität mit digitalen Tools und Medien in der eigenen Betriebsratsarbeit und in der Kommunikation mit den Beschäftigten. Perspektivisch soll in einem Mix aus alten und neuen Medien kommuniziert werden. 

Fazit: Großer Erfolg durch gewerkschaftliche Unterstützung
Bis heute gilt die Betriebsvereinbarung Coronapandemie. Der Schutz der Beschäftigten steht auch weiterhin im Vordergrund, weshalb die Maßnahmen immer mit Blick auf die gegenwärtige Coronasituation hinterfragt, neu gewertet und ggf. angepasst werden. 

Dass die Betriebsvereinbarung so erfolgreich ist, führt der Betriebsrat auch auf die Unterstützung der IG Metall zurück. Die von ihr zur Verfügung gestellten Hilfsmittel und die Beratung waren wichtige inhaltliche Impulsgeber. 

Kontakt: michael.schnitzer@agcocorp.com

Alfred Kärcher SE & Co. KG: Der Gesamtbetriebsrat Kärcher als Krisenmanager

Die Alfred Kärcher SE & Co. KG durchlief während der Pandemie einen dynamischen Krisenverlauf. In dieser Situation der Ungewissheit avancierte der Gesamtbetriebsrat zum Krisenmanager.

Das Unternehmen
Die Alfred Kärcher SE & Co. KG produziert als Weltmarktführer Reinigungsgeräte für den privaten, gewerblichen und industriellen Bereich. Weltweit beschäftigte Kärcher ca. 13.500 Personen, von denen knapp 3.600 in Deutschland und davon fast 2.300 in Winnenden beschäftigt sind. Der Gesamtbetriebsrat besteht aus zwölf Mitgliedern. 

Das Projekt: Der Gesamtbetriebsrat Kärcher als Krisenmanager in der Pandemie
Schon zu Beginn der Pandemie war dem Gesamtbetriebsrat klar, dass er schnell aktiv werden muss. In seinem eingereichten Projekt beschreibt er drei Säulen, auf denen sein Krisenmanagement beruht: (1) seine Handlungsfähigkeit aufrechterhalten (2) Krisenbewältigungslösungen finden und (3) auch in Krisenzeiten bestehende Projekte weiter voranzutreiben. Zwei dieser Säulen werden nachfolgend vorgestellt. 

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  1. Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit: Um schnell aktuelle Probleme aufzugreifen, wurden einige Mitglieder befähigt Beschlüsse vorzubereiten und mit dem Arbeitgeber vorzuverhandeln, bevor der Gesamtbetriebsrat final einbezogen wurde. Weiterhin wurde schon im März 2020 mit dem Arbeitgeber beschlossen, dass Sitzungen via WebEx durchgeführt werden können und auch die so gefassten Beschlüsse bindend sind und anerkannt werden. Als weitere Maßnahme konnte der Gesamtbetriebsrat erwirken, dass über das rechtlich vorgeschriebene Kontingent hinaus sieben weitere Betriebsratsmitglieder freigestellt wurden, um den erhöhten Arbeitsaufwand während der Krise bewältigen zu können, ohne schon geplante Projekte zu vernachlässigen (dritte Säule). 
  2. Krisenbewältigungslösungen: Mitte März 2020 wurde die Arbeitsgruppe „GBR/HR Krisenbewältigung“ ins Leben gerufen, der Vertreterinnen und Vertretern des Gesamtbetriebsrats und der HR-Abteilung angehören. Sie diente als Steuerungszelle für alle Themen, die sowohl den Bereich HR als auch den Betriebsrat betroffen haben. Hier wurden krisenrelevante Maßnahmen zusammen erarbeitet und vorbereitet, um sie dann in den Gremien formal beschließen zu können. Weiterhin wurden vier verschiedene Arbeitszeit- und Schichtmodelle eingeführt, aus denen die Beschäftigten in Absprache mit der Abteilung wählen konnten, um zum einen den Infektionsschutz gewährleisten und zum anderen die Arbeitszeit in der Krise möglichst flexibel gestalten zu können. Zudem wurden allen Beschäftigten in der Verwaltung früh und unbürokratisch angeboten, aus dem Homeoffice heraus zu arbeiten.

Da haben wir gesagt (…), was wir machen, ist einfach – wir geben volles Vertrauen zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dürfen von zuhause arbeiten, in Absprache mit dem Vorgesetzten.

Michael Teichmann, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats

Veränderte Kommunikation mit der Belegschaft
Der persönliche Kontakt hat während der Coronapandemie spürbar gelitten. Während dieser Zeit wurde die Belegschaft mit vielen Newslettern monatlich, themenabhängig teils auch wöchentlich, oder dem ein oder anderen Video ständig über Neuigkeiten informiert. Wo es möglich war, wurden Abteilungsversammlungen im Hybridformat – mit einigen Teilnehmenden von zuhause aus und einigen vor Ort – abgehalten. Dennoch weiß der Gesamtbetriebsratsvorsitzende, wie wichtig die physische Präsenz für die Arbeit ist:

Der Bezug, dass man einfach auch mit den Leuten vor Ort spricht, wenn es mal irgendwo ein Problem gibt, wir mal herkommen können und dies gemeinsam lösen (…) das muss sich in der Zukunft wieder ändern.

Michael Teichmann, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats

Positiv ist aufgefallen, wie die Belegschaft die neue Art und vor allem den neuen Rhythmus der Informationsweitergabe vom Gesamtbetriebsrat angenommen hat. Dies nimmt der Vorsitzende als eine wichtige Erkenntnis aus der Pandemiezeit mit: Die Belegschaft möchte nicht immer in großen, stundenlangen Sitzungen einmal im Quartal oder Halbjahr in einem Rundumschlag über alles gleichzeitig informiert werden, sondern sie möchte schnelle Information, die dann erfolgt, wenn die Themen aktuell sind.

Fazit: Mit Pragmatik und Innovation zum Krisenmanager 
Mit seiner pragmatischen Vorgehensweise hat der Gesamtbetriebsrat von Kärcher die Krise erfolgreich gehandhabt. Innerhalb des Krisenmanagements hat der Gesamtbetriebsrat neue und innovative Lösungen für die interne Zusammenarbeit und den Umgang mit den Herausforderungen der Pandemie im Unternehmen gefunden und in der Praxis etabliert. Dies hat ihm auch die Belegschaft in einem sehr positiven Feedback zurückgespiegelt, welches die Initialzündung für die erste Bewerbung beim Deutschen Betriebsräte-Preis  2020 war.

Kontakt: michael.teichmann@de.kaercher.com

ArianeGroup GmbH: Alternativen zur Betriebsversammlung

Der Betriebsrat der ArianeGroup erfindet die Betriebsversammlung unter den Bedingungen der Pandemie neu und präsentiert Themen in Form von Videos, Trickfilmen und kurzen schriftlichen Berichten. 

Das Unternehmen
Die Ariane Group GmbH ist einer der weltweit führenden Anbieter für Raumfahrttechnik. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen knapp 7.600 Personen, davon ca. 1.100 in Deutschland auf vier Standorte verteilt. Der Betriebsrat des Standorts in Bremen umfasst elf Mitglieder.

Das Projekt: Alternativen zur Betriebsversammlung in Zeiten der COVID-19-Pandemie
Als im März 2020 die Lage der Pandemie immer ernster wurde, wechselte der Betriebsrat in den Krisenmodus und passte die Ausschuss- und Gremienarbeit an die aktuellen Coronaregeln an. Schnell war klar, dass die Betriebsversammlung nicht in einem Live-Format digital abgehalten werden konnte. Zum einen war im Unternehmen ein videobasierter Dienst noch nicht standardmäßig etabliert. Zum anderen war sich der Betriebsrat darüber einig, dass die für eine Betriebsversammlung übliche Dynamik mit dem Arbeitgeber nur in Präsenz möglich ist und unmöglich in ein digitales Format übertragen werden kann. Eine grundlegend andere Darstellungsform musste her. 

WZK Gute Praxis Ariane Group GmbH

Mit Kreativität und etwas Mut wird aus der Betriebsversammlung ein mediales Erlebnis 
Ende Juni 2020 wurde die erste digitale Betriebsversammlung freigeschaltet. Sie bestand aus elf Videos. Dafür wurde sich z. B. kurzerhand selbst beigebracht, wie man mit Power-Point Trickfilme erstellt. Schnell war auch ein eigener Name für dieses Format gefunden: Die „Konserve“ hielt alle wichtigen Informationen komprimiert an einem Ort bereit und konnte von allen Mitarbeitenden geöffnet und genutzt werden, wann sie wollten.

Auch die nächste Betriebsversammlung im Herbst 2020 wurde so durchgeführt, hier entschloss man sich aber einen Schritt weiterzugehen. Es wurde ein ganzes Studio zur Videoproduktion eingerichtet mit professioneller Kamera, Scheinwerfern, Mikros und einem großen Greenscreen. Es wurden Drehbücher geschrieben, Skripte mit Kameraeinstellungen gezeichnet und geprobt. 

Wir haben die Qualität gesteigert und sind auch im Miteinander, im Regiebetrieb, kann man so sagen, professioneller geworden.

Judith Bohl, Betriebsratsvorsitzende

Gute Informationslage der Beschäftigten und Präsenz des Betriebsrats 
Die digitale Betriebsversammlung hat in den Augen des Betriebsrats den Informationsfluss aufrechterhalten und auch den Zusammenhalt unter den Mitarbeitenden gestärkt. Bewusst haben nicht nur die Vorsitzende des Betriebsrats und ihr Stellvertreter, sondern auch andere Mitglieder Video-Statements aufgenommen. Die Videos boten die Möglichkeit, sich als vielschichtiger Betriebsrat zu präsentieren und gleichzeitig Wertschätzung für die Arbeit der einzelnen Betriebsräte zu zeigen. Klare Vorteile eines solchen Formats sieht der Betriebsrat darin, dass es keine zeitliche Begrenzung der Länge oder der Verfügbarkeit der Inhalte gibt. 

Wir waren aber da – anwesend und erreichbar. Das haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschätzt und haben ihre Themen und Sorgen bei uns platzieren können.

Betriebsratsvorsitzende Judith Bohl und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Andreas Juhls einstimmig

Auch die Beschäftigten honorierten die immer neuen Ideen. Der Betriebsrat hat das Gefühl, dass sich seit der Pandemie mehr Mitarbeitende bei ihm melden. Auch bringen sich die Beschäftigten aktiver ein, beispielsweise, indem sie mit Ideen für Neuerungen oder Verbesserungen auf den Betriebsrat zugehen Der Betriebsrat fühlt sich gut über die Situationen der Beschäftigten informiert, gleichwohl fehlt spürbar der zwischenmenschliche Kontakt. 

Was die Betriebsratswahl in 2022 angeht, macht sich der Betriebsrat keine großen Sorgen um die Wiederwahl. Er hat das Gefühl, dass seine Arbeit von den Beschäftigten in den vergangenen Monaten wertgeschätzt wurde. Eher ist die Frage präsent, wie man noch weitere Mitglieder akquirieren kann. Judith Bohl sieht aber beispielsweise in der Veränderung der Betriebsversammlung auch eine Chance, neue Mitglieder von der Betriebsratsarbeit zu begeistern – es zeige, dass Betriebsratsarbeit modern, kreativ und vielfältig ist. Daraus erhofft sie sich auch einen Anreiz, gerade für junge Leute, im Betriebsrat aktiv zu werden. Wichtig sei vor allem, die Vielfältigkeit im Gremium zu erhalten, um weiterhin so breit im Unternehmen vertreten zu sein. 

Fazit: Die „Konserve“ für den Informationsfluss und Präsenz bei den Beschäftigten
Mit der Umstellung auf eine innovative und digitale Betriebsversammlung hat der Betriebsrat für einen stetigen Informationsfluss in der Pandemie gesorgt. Er hat ermöglicht, dass das ganze Gremium in der Belegschaft präsent war und somit Nahbarkeit und Zusammenhalt demonstriert. Das hat für einen regen Austausch zwischen dem Betriebsrat und den Mitarbeitenden geführt, auch unter Krisenbedingungen.

Kontakt: judith.bohl@ariane.group | andreas.juhls@ariane.group 

AWO Kreisverband Siegen-Wittgenstein Olpe: Handlungssicherheit für den Betriebsrat schaffen

Zu Beginn der Pandemie stellte der Betriebsrat durch eine Betriebsvereinbarung sicher, dass virtuell gefasste Beschlüsse rechtssicher sind. 

Das Unternehmen
Im AWO Kreisverband Siegen-Wittgenstein/Olpe werden rund 70 Einrichtungen betrieben. Der Kreisverband beschäftigt ca. 1.400 Personen, der Betriebsrat besteht aus 15 Mitgliedern. 

Massive Einschränkungen bei sozialen Dienstleitungen durch die Coronapandemie
Für die AWO waren die Einschränkungen durch die Coronapandemie massiv, denn der Kern ihrer Tätigkeit besteht aus zwischenmenschlichen Kontakten. Direkt zu Beginn der Pandemie hat die AWO umfangreich reagiert und früh Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeitenden und der zu betreuenden Personen in den verschiedenen Einrichtungen auf den Weg gebracht. Es wurden Hygienekonzepte entwickelt und ein Krisenstab eingerichtet, in dem auch der Betriebsrat Mitglied war. Die Hygienekonzepte waren überaus erfolgreich: Während der ganzen Pandemiezeit wurden große Ausbrüche vermieden, Covid-19-Erkrankungen gab es nur in Einzelfällen. 

Das Projekt: Video-Betriebsratssitzungen und Konferenzen mit dem Arbeitgeber in der Coronazeit
Zu Beginn der Pandemie schloss der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung ab, die ihm seine Handlungsfähigkeit sicherte. Hierüber reichte der Betriebsrat 2020 das Projekt „Video-Betriebsratssitzungen und Konferenzen mit dem Arbeitgeber in der Coronazeit“ beim Deutschen Betriebsrätetag ein. Die Betriebsvereinbarung beinhaltet, dass digital gefasste Beschlüsse vom Arbeitgeber nicht angefochten werden können. Der Betriebsrat hat damit zu einem frühen Zeitpunkt (März 2020) sein Handeln abgesichert – denn auf Bundesebene wurde erst im April 2020 diese Rechtssicherheit geschaffen. 

Wir haben sehr schnell auch eine Vereinbarung getroffen, dass auch wir handlungsfähig bleiben als Betriebsrat.

André Lumen, Betriebsratsvorsitzender

Der Prozess bis zum Abschluss der Betriebsvereinbarung wird vom Betriebsrat positiv hervorgehoben, denn er war von einem kooperativen Verständnis geprägt. Beide Betriebsparteien waren sich schnell einig, dass eine Absicherung zur digitalen Beschlussfassung absolut notwendig ist. In mehreren Videokonferenzen wurden die Inhalte abgestimmt und die Betriebsvereinbarung innerhalb weniger Tage abgeschlossen. Die Betriebsvereinbarung wurde insgesamt zwei Mal verlängert. Als das Betriebsverfassungsgesetz ebenfalls die Rechtssicherheit garantierte, hat man sie schließlich auslaufen lassen. 

Uns beiden war sofort bewusst, wir müssen handlungsfähig bleiben (…). Wir haben natürlich von Betriebsratsseite aus sehr deutlich und proaktiv gesagt, dass wir unsere Betriebsratsarbeit absichern müssen.

Richard Kutzner, freigestelltes Betriebsratsmitglied
WZK Gute Praxis AWO Kreisverband

Digitale Kommunikation in der Betriebsratsarbeit
Der Betriebsrat resultiert, dass die Umstellung im Gremium auf die digitale Kommunikation mit vielen Videokonferenzen gut funktioniert hat. Nach anderthalb Jahren Pandemie sieht der Betriebsrat positive und negative Aspekte in dem digitalen Kommunikationsformat. Perspektivisch spricht sich der Betriebsrat für hybride Betriebsratssitzungen aus. 

Eingeschränkter Kontakt mit den Mitarbeitenden
Nicht erst seit der Pandemie ist es für den Betriebsrat nicht leicht, die Mitarbeitenden über den digitalen Weg zu erreichen. In den Einrichtungen gibt es oftmals nur einen Computer. Deswegen sind die persönlichen Gespräche in den Einrichtungen von hohem Stellenwert. Der Betriebsrat war bemüht, trotzdem auch während der Coronapandemie den Kontakt zu den Beschäftigten nicht zu verlieren. Es wurden z. B. häufiger Newsletter verschickt. 

Ungewiss ist, wie sich der eingeschränkte Kontakt auf die Betriebsratswahl im Jahr 2022 auswirken wird – hinsichtlich der generellen Wahlbeteiligung und der Aufstellung von ausreichend Kandidatinnen und Kandidaten. Auf der einen Seite kann die Coronapandemie das Interesse an Betriebsratsarbeit gestärkt haben. Auf der anderen Seite kann jedoch durch den eingeschränkten Kontakt die Betriebsratsarbeit in den Hintergrund gerückt sein. Um Letzteres abzuwenden, wird der Betriebsrat in der nächsten Zeit gezielt Werbung für seine Arbeit machen. 

Fazit: Schnelles Agieren für rechtssicheres Arbeiten 
Zwischen den betrieblichen Sozialpartnern bestand ein gemeinsames Verständnis, wie Rechtssicherheit geschaffen werden kann, weswegen es gelungen ist, innerhalb von drei Tagen eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. 

Die digitalen Kommunikationsformen werden auch in naher Zukunft wichtige Themen sein. Dem Betriebsrat ist es wichtig, dass im Umgang mit digitalen Kommunikationsformen eine gesunde Mitte gefunden wird. 

Kontakt: a.lumen@awo-siegen.de | r.kutzner@awo-siegen.de

Chemnitzer Verkehrs-AG: Betriebsrat in Zeiten der Coronapandemie

In der Zeit der Pandemie haben sich die Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden der Chemnitzer Verkehrs-AG schlagartig verändert. Der Betriebsrat engagiert sich für Maßnahmen, um die Mitarbeitenden in dieser kontaktstarken Branche zu schützen. 

Das Unternehmen
Die Chemnitzer Verkehrs-AG (CVAG) beschäftigt rund 650 Mitarbeitende im Fahrbetrieb, den Werkstätten und der Verwaltung. Der Betriebsrat setzt sich aus elf Personen zusammen. 

Das Projekt: Sensibilität erzeugen und Schutzmaßnahmen ergreifen
Mit Einsetzen der Coronapandemie stand für den Betriebsrat schnell fest, dass Maßnahmen unterschiedlichster Art benötigt werden, denn der Fahrbetrieb sollte auf jeden Fall aufrechterhalten bleiben. Die Mitarbeitenden zu sensibilisieren, Verunsicherung abzufangen und Orientierung zu bieten, so lassen sich die übergeordneten Ziele des Betriebsrats der CVAG in dieser Krisenzeit zusammenfassen. 

Die Maßnahmen, die dazu konkret ergriffen wurden, unterscheiden sich je nach Beschäftigtengruppe (Verwaltung, Werkstatt- und Fahrbetrieb) und beinhalten das 2020 eingereichten Projekt beim Betriebsrätetag. Den Mitarbeitenden in der Verwaltung wurde eine Verlagerung ins Homeoffice ermöglicht. Dafür wurden ein paar Hürden, vor allem technischer Natur überwunden. Auch war es notwendig, Arbeitsabläufe neu zu definieren. Für die Werkstattmitarbeitenden und die Fahrerinnen und Fahrer veränderte sich der Arbeitsalltag grundlegend, denn durch den engen Kontakt mit Kundinnen und Kunden ist hier der Infektionsschutz besonders wichtig. Vor allem in der Werkstatt bedeutete die Umstellung große Anpassungen der Arbeitszeit, denn hier wurde u. a. ein Schichtsystem eingeführt, um die Mitarbeitenden räumlich zu entzerren. 

Da haben auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut mitgespielt. Dass sie dann doch gesagt haben, na gut, in der Zeit müssen wir dann auch unseren Beitrag leisten und wir gehen dann in ein Schichtsystem über, wo eine Nachtschicht dann halt mitgemacht wird.

Silvio Venus, Betriebsratsvorsitzender
WZK Gute Praxis Chemnitzer Verkehrs AG

Besonders schwierig gestaltete sich der Schutz der Busfahrerinnen und Busfahrer durch den direkten Kundenkontakt. Als Maßnahme wurde u. a. der Fahrscheinverkauf ausgesetzt, Glasscheiben installiert und zusätzliche Pausenräumlichkeiten geschaffen. 

Fahrertablets als neuer Kommunikationsweg 
Für den Betriebsrat war vor allem der Kontakt zu den Fahrerinnen und Fahrer herausfordernd. Glücklicherweise hatte man bereits vor Beginn der Pandemie Fahrertablets eingeführt, über die wichtige Informationen, beispielsweise Dienstpläne, und Neuigkeiten vom Betriebsrat zugesendet werden. Mithilfe der Tablets konnte ein Teil der Kommunikation aufgefangen werden, wenngleich ein persönlicher Austausch in keinem Fall ersetzt werden kann. Die Resonanz ist mittlerweile sehr positiv und die Beschäftigten haben das neue Arbeitsmittel gut in ihren Alltag integrieren können. 

Weil wir als Betriebsrat immer gefordert haben, die Möglichkeit auch zu nutzen, mehr digital zu machen, weg vom Papierkrieg, na auch Ressourcen zu sparen irgendwo und ganz einfach die digitale Welt aufzumachen für unsere Firma.

Silvio Venus, Betriebsratsvorsitzender

Die Betriebsratsarbeit in der Coronapandemie
Die Coronapandemie hat nicht nur den Arbeitsalltag der CVAG geändert, sondern auch die Arbeit des Betriebsrats auf neue Weichen gestellt. Zwar hat das digitale Zusammenarbeiten gut funktioniert, merklich lässt sich jedoch die Streit- und Diskussionskultur nicht mit gleicher Qualität in das Digitale verlagern. Das Teamgefühl und der Zusammenhalt im Betriebsrat leiden unter diesen Umständen. Der Gedanke, sich nach der Pandemie wieder in Präsenz zu treffen, auch mal wieder zusammen zum Mittagessen gehen, ist ein Lichtblick für den Betriebsrat. 

Dass die Pandemie dem Betriebsrat und der gesamten Belegschaft viel abverlangt hat, merkt der Betriebsratsvorsitzende auch, wenn er auf die kommenden Betriebsratswahlen blickt. Ankündigungen und Themenvorstellung für die Wahl 2022 werden zwar u. a. über die Tablets laufen, aber er wünscht sich auch, in einem persönlichen Gespräch mit den Mitarbeitenden über das Aktuelle und das Kommende sprechen zu können. Generell sieht er eine große Aufgabe für die kommenden Monate darin, wieder einen Übergang zur alten Normalität zu finden, zumindest in dem Rahmen, in dem dies möglich ist. Beispielsweise sollen wieder Abteilungsversammlungen abgehalten werden. 

Fazit
Für die Zukunft nimmt die CVAG viele neue Kompetenzen mit, die auch die Betriebsratsarbeit nachhaltig prägen. Die Teilnahme des Betriebsrats der CVAG am Deutschen Betriebsrätetag sollte vor allem aufzeigen, wie es der Branche in dieser Krisenzeit geht – mit welchen Herausforderungen sie zu kämpfen hat und wie die Arbeitsumstände sind. Mit dem Projekt wurden die Mitarbeitenden dieses Sektors in den Fokus gestellt. 

Kontakt: silvio.venus@cvag.de

GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG: Die Coronakrise als Katalysator für Mitbestimmung

Um sicherzustellen, dass bei allen Entscheidungen auch die Mitbestimmung gewahrt ist, wird vom Betriebsrat ein paritätischer Epidemieausschuss als Teil des Inzidenzmanagementteams umgesetzt. 

Das Unternehmen
GSK Biologicals in Dresden ist Zentrum für die Entwicklung und Herstellung von Grippeimpfstoffen und beschäftigt 800 Personen. Das Gremium besteht aus 13 Betriebsratsmitgliedern. 

Das Projekt: Die Coronakrise als Katalysator für Mitbestimmung und Digitalisierung
Mit dem Ziel, dass die Mitbestimmung bei allen anstehenden Entscheidungen Berücksichtigung findet, schlug der Betriebsrat eine neue Arbeitsweise der betrieblichen Sozialpartner vor: die Einführung eines Epidemieausschusses als Teil eines Inzidenzmanagementteams. 2020 reichte der Betriebsrat das Projekt beim Deutschen Betriebsrätetag ein. 

Wir haben halt das Risiko gesehen, wenn wir den üblichen Weg der Mitbestimmung beibehalten, dass bestimmte Entscheidungen trotzdem getroffen werden, schon kommuniziert sind und wir dann am Ende kein Mitspracherecht haben und unser Ziel war es, tagtäglich unsere Mitbestimmung aktiv wahrzunehmen.

Kerstin Löhrs, Betriebsratsvorsitzende in Dresden

Der Epidemieausschuss besteht aus je zwei Personen des Betriebsrats und des Managements und verfügt über Entscheidungskompetenzen mit denen Beschlüsse zu Mitbestimmungsthemen gefasst werden können. Dieser Prozess setzt ein enormes Vertrauen des Gremiums in die betriebsrätlichen Vertreterinnen und Vertreter voraus. Zu welchen Themen sie Entscheidungskompetenzen erhalten sollten, wurde im Betriebsratsgremium beschlossen. Auch wurde das Gremium weiterhin eng an den Entscheidungen im Inzidenzmanagementteam beteiligt. 

Wir haben uns den gesetzlichen Rahmen angeschaut und definiert: Bis wohin können wir gehen? Als BR-Gremium haben wir den Entscheidungsrahmen mit in den Epidemieausschuss gegeben.

Kerstin Löhrs, Betriebsratsvorsitzende in Dresden
WZK Gute Praxis GlaxoSmithKline GmbH

Erfahrungen mit dem Inzidenzmanagementteam: Schnelles Agieren und Transparenz
Rückblickend bewertet der Betriebsrat die aktive Beteiligung im Inzidenzmanagementteam als eine absolut richtige Entscheidung, die auf vielen Ebenen vorteilhaft war. In den Sitzungen wurde vor allem sachlich argumentiert, Positionen ausgetauscht und gestritten. Durch kontroverse Diskussionen sind in den meisten Fällen Lösungen gefunden worden, die einen Kompromiss darstellen. Seit der Gründung des Inzidenzmanagementteams sind eine ganze Reihe von Regelungen beschlossen und Betriebsvereinbarungen angepasst worden. Zu Beginn wurden u. a. mobile Arbeit breitflächig und mehr freie Tage für die Betreuung von Kindern ermöglicht. 

Das Inzidenzmanagementteam wurde als erste Ansprechplattform für die Beschäftigten angegeben. Dieses Vorgehen hat die Fragen der Beschäftigten für alle sehr transparent gemacht. Es wurde gemeinsam darüber nachgedacht, wie mit den Anliegen umgegangen wird. Der Gefahr, dass mehrere Antworten zu einer Frage kursieren, wurde dadurch vorgebeugt. Die schnelle Reaktion wurde von den Beschäftigten sehr geschätzt, es wurde hierdurch Sicherheit vermittelt. 

Die Mitbestimmung ist durch die Einbringung im Inzidenzmanagementteam sichtbarer geworden. Der praktische Nutzen hinter der Mitbestimmung, in der die Beschäftigteninteressen von Beginn an berücksichtigt werden, sind erkannt worden. 

Kontakt mit den Beschäftigten und digitale Betriebsratsarbeit
Der Betriebsrat hat versucht, den regulären Austausch mit den Beschäftigten aufrechtzuerhalten. Es wurde auf digitale Formate zurückgegriffen, Betriebsversammlungen wurden online abgehalten und, wo es ging, der persönliche Austausch ermöglicht. Herausfordernd ist es nach wie vor eine Balance zwischen digitaler Kommunikation und persönlichen Begegnungen zu finden. Der Betriebsrat ist überzeugt, dass digitale Medien, helfen, bessere und kurzzyklischere Rückmeldungen der Beschäftigten zu erhalten. 

Generell ist die Betriebsratsarbeit durch die Coronapandemie digitaler geworden, auch in der eigenen Organisation und im Austausch mit dem Arbeitgeber. Für den Betriebsrat wurde dadurch mehr Flexibilität geschaffen. Perspektivisch soll ein Teil dessen erhalten bleiben. 

Fazit: Mobiles Arbeiten als neue Arbeitsweise 
Das ursprüngliche Ziel, einen Prozess für schnelle Entscheidungen zu verankern und dafür zu sorgen, dass die Mitbestimmung bei allen Entscheidungen mitspielt, wurde durch das proaktive Vorgehen des Betriebsrats erreicht. Dass sich auch für den Arbeitgeber offensichtliche Vorteile ergeben haben, wird als Win-win-Situation für das Unternehmen beschrieben. 

Kontakt: kerstin.k.loehrs@gsk.com 
 

Roche Diagnostics GmbH: Schnelle Umstellung der Betriebsratsarbeit für eine krisenfeste Mitbestimmung

Damit die Mitbestimmung nicht an Einfluss verliert, reagiert der Betriebsrat schnell und organisiert seine Arbeitsweise neu. 

Das Unternehmen
Am Roche Standort in Penzberg arbeiten 6.800 Beschäftigte für die Roche Diagnostics GmbH und für das Biotechnologie-Kompetenzzentrum. Das Betriebsratsgremium besteht aus 33 Mitgliedern. 

Das Projekt: „Virtuell und doch real“ – BR-Arbeit in Coronazeiten bei Roche in Penzberg
Die Mitbestimmung sollte eine entscheidende Rolle bei der Krisenbewältigung einnehmen. Mit dem Ziel, die Interessen der Beschäftigten zu jeder Zeit gut vertreten zu können, stellte der Betriebsrat seine Arbeit um. Hierzu reichte er im Jahr 2020 das Projekt „Virtuell und doch real“ – BR-Arbeit in Coronazeiten bei Roche in Penzberg“ beim Deutschen Betriebsrätetag ein. Das Projekt beschreibt die Herausforderung der Betriebsratsarbeit in drei Facetten: der Schutz der Beschäftigten vor Ansteckung und Überlastung, die interne Zusammenarbeit und Koordinierung der Betriebsratsarbeit und die Aufrechterhaltung der Kommunikation mit den Beschäftigten. 

Schutz der Beschäftigten vor Ansteckung und Überlastung 
Für den Standort Penzberg entwickelten die betrieblichen Sozialpartner ein Konzept für infektionssicheres Arbeiten. Dort, wo die Tätigkeiten es zuließen, wurden Beschäftigte ins Homeoffice geschickt. Für die anderen Beschäftigten wurde ein neues Schichtmodell etabliert. Ergänzend zu dem neuen Schichtmodell wurden weitere, kleinere Maßnahmen umgesetzt. Das Konzept hat den gewünschten Effekt bewirkt. In Penzberg hat es nur wenige Infektionen gegeben – für den Betriebsrat zeigt dies, dass die Arbeitsplätze sicher waren. 

Also die Konzepte, die waren echt rund, waren schlüssig, haben gegriffen, sodass es wirklich keinen negativen Einfluss auf die Arbeit gehabt hat. Das war gut.

Dieter Sonnenstuhl, Betriebsratsvorsitzender
WZK Gute Praxis Roche Diagnostics

Die Umorganisation der Betriebsratsarbeit
Binnen zwei Wochen wurde von einer analogen und papierbasierenden Arbeitsform auf eine virtuelle und digitale gewechselt. Hilfreich war es, dass bereits vor der Pandemie Diskussionen und Abstimmungen über die Digitalisierung der Betriebsratsarbeit stattfanden. Um sicherzustellen, dass diese Arbeitsform den rechtlichen Ansprüchen genügt, wurde eine schriftliche Bestätigung vom Arbeitgeber eingefordert. Noch vor der gesetzlichen Änderung des § 129 BetrVG garantierte der Arbeitgeber, dass virtuell gefasste Beschlüsse nicht angefochten werden. Die umfassendste Umstellung war jedoch der Wegfall der Präsenzsitzungen. Sämtliche Sitzungen wurden seitdem per Videokonferenz durchgeführt. Zudem wurde der Sitzungstakt des Betriebsrats verkürzt und ein morgendlicher Jour fixe eingeführt. Virtuelle Sitzungen verlangen nicht nur viel Disziplin, sondern benötigen auch mehr Vorbereitungszeit. Die Betriebsräte beobachten eine weitere Veränderung: Viele Prozesse haben sich durch die digitale Bearbeitung merklich beschleunigt. 

Also wir haben innerhalb von drei Tagen umgestellt von einem alten papierbasierten Prozess inklusive der Regelabsprache mit dem Arbeitgeber auf einen Prozess per Mailanhänge. Wenn mir jemand das zwei Wochen vorher erzählt hätte, da hätte ich schallend gelacht, weil ich das nicht geglaubt hätte.

Tobias Schmid, freigestellter Betriebsrat

Neue Kommunikationsstrategie mit den Beschäftigten
Auch der Austausch mit den Beschäftigten wurde neu konzeptualisiert. Neben dem Angebot digitaler Sprechstunden wird seitdem ein bis zwei Mal die Woche ein Betriebsratsnewsticker verschickt und auf der Website des Betriebsrats veröffentlicht. Bereits im April 2020 fand die erste virtuelle Betriebsversammlung statt. Die Betriebsräte beschreiben, dass virtuelle Betriebsversammlungen vom Grunde auf anders gedacht werden müssen. Dem Betriebsrat ist es wichtig, dass trotz der digitalen Distanz Interaktion mit den Beschäftigten stattfindet, was durch verschiedene Tools gesichert wird. 

Trotz der schwierigen Situation ist es gelungen, den Kontakt zu den Beschäftigten nicht zu verlieren. Insbesondere die virtuellen Betriebsversammlungen waren ein voller Erfolg, denn es konnten dreimal mehr Beschäftigte erreicht werden. Es steht die Überlegung im Raum den Newsticker langfristig zu etablieren. 

Fazit: Mobiles Arbeiten als neue Arbeitsweise 
Das Ziel, die Interessen der Beschäftigten jederzeit gut vertreten zu können, konnte erreicht werden. Innerhalb eines kurzen Zeitraums stellte er seine Betriebsratsarbeit und die Kommunikation mit den Beschäftigten um, und hatte zugleich den Schutz der Beschäftigten im Blick. Die Betriebsräte haben sich dabei als konstruktive Partner in einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber eingebracht. 

Kontakt: dieter.sonnenstuhl@roche.com | tobias.schmid@roche.com 

Stadtwerke Böblingen GmbH & Co. KG: Innovative Arbeitsorganisation durch engagiertes Krisenmanagement

Der Betriebsrat der Stadtwerke Böblingen setzt sich für die Arbeitssicherheit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie während der Coronapandemie ein und entwickelt eine Betriebsvereinbarung. 

Das Unternehmen
Die Stadtwerke Böblingen GmbH & Co. KG beschäftigt ca. 90 Mitarbeitende, aufgeteilt auf die Standorte Bäder, Einkaufszentrum (Verwaltung, Finanzen, Vertrieb) und Betriebszentrale (Technik). Der Betriebsrat umfasst fünf Mitglieder.

Das Projekt: In der Not lernt der Betriebsrat fliegen! – Innovative Arbeitsorganisation durch engagiertes Krisenmanagement
Für die Stadtwerke Böblingen als kritisches Infrastrukturunternehmen stellte die Pandemie eine besondere Herausforderung dar. Beschäftigte mussten effektiv vor einer Infektion geschützt werden, um die Versorgungsleistungen aufrechtzuerhalten. Schon im Frühjahr 2020 forderte der Betriebsrat langfristig Lösungen und agierte proaktiv. Innerhalb von wenigen Tagen beriet er sich mit Führungskräften und Mitarbeitenden darüber, was nun gebraucht wird und rechnete Maßnahmen durch. Auf dieser Grundlage formulierte er kurzerhand eine Betriebsvereinbarung, welche ohne Nachverhandlungen mit dem Arbeitgeber verabschiedet wurde. 

Einer der Hauptgründe, warum der Arbeitgeber schlecht ,Nein‘ sagen konnte, neben dem, dass wir ihm Arbeit abgenommen haben, war, dass wir immer sagen konnten, das sind Maßnahmen, die haben wir mit den Kolleginnen und Kollegen mit den Führungskräften gemeinsam erarbeitet.

David Hoffmann, Betriebsratsvorsitzender
Stadtwerke Böblingen

Die Betriebsvereinbarung 
Die Betriebsvereinbarung umfasst vier zentrale Regelungen. Erstens wurden die Beschäftigten, die vor Ort arbeiten müssen, in zwei Gruppen unterteilt, welche im wöchentlichen Wechsel vor Ort tätig sind. In der Zeit, in der diese Gruppe zuhause ist, sind sie von der Arbeit unter Lohnfortzahlung freigestellt. Zweitens wurde die Rahmenarbeitszeit ausgeweitet. Drittens konnten alle Mitarbeitenden, die Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, bis zu zehn bezahlte Freistellungstage beantragen. Viertens schrieb die Betriebsvereinbarung fest, dass dort wo es möglich ist die Mitarbeitenden von zu Hause arbeiten. Dazu gehört auch, dass der Arbeitgeber die notwendigen technischen Möglichkeiten bereitstellt. 

Von krisenbedingten Regelungen zur langfristigen Etablierung 
Der Betriebsrat wehrte sich erfolgreich gegen eine Kündigung der Betriebsvereinbarung im Juli 2020. Auch hier wurden die Beschäftigten breitflächig eingebunden. Letztendlich wurde eine neue Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die nun auch Regelungen für die Zeit nach der Pandemie festschreibt, z. B. zum mobilen Arbeiten. Weiterhin gibt es die Möglichkeit der Arbeitsfreistellung, zur Betreuung minderjähriger Kinder und bei akuter Erkrankung eines Angehörigen. Zudem können sich nun auch alle Mitarbeitenden zwei Tage für gewerkschaftliche Arbeit freistellen lassen. 

Kommunikation und Aktivierung als wichtige Tools des Betriebsrats 
Dem Betriebsrat ist eine enge Beziehung zur Belegschaft sehr wichtig. Gleichzeitig war es durch die Pandemie bedingt aber nicht möglich, die Belegschaft in einem immer gleichen Rhythmus über alles zu informieren. Stattdessen informierte der Betriebsrat dann, wenn wichtige Entscheidungen anstanden. Über diese Art und über das Maß an Kommunikation hat das Gremium bisher positive Rückmeldungen von den Mitarbeitenden bekommen. 

Die Besprechungen des Betriebsrates wurden schnell in den digitalen Raum verlegt. Dies geschah in Absprache mit einem Rechtsanwalt, da das Betriebsverfassungsgesetz zu dieser Zeit noch keine digitale Betriebsratsarbeit vorsah. Der Betriebsrat stellte jedoch fest, dass das Miteinander unter der digitalen Zusammenarbeit stark leidet. Mimik, Gestik, Tonalität, ja auch die Möglichkeit, dem anderen Mal ins Wort zu fallen, sind weniger stark im digitalen Raum ausgeprägt. Es wurde jedoch auch erkannt, dass es nicht nötig ist, für alle Angelegenheiten ein Präsenztreffen zu veranschlagen. Daher soll in Zukunft ein hybrides Modell her.

Fazit: Als Betriebsrat mutig sein
Der Betriebsrat der Stadtwerke Böblingen hat mit seinem Projekt verdientermaßen den Sonderpreis Corona des Deutschen Betriebsrätetags 2020 verliehen bekommen. Mit seiner schnellen Reaktion auf die Pandemie, mit der Einbindung möglichst vieler Mitarbeitender wurde binnen kürzester Zeit eine Betriebsvereinbarung entwickelt. Durch die vorgestellte Betriebsvereinbarung machte er sich stark für seine Belegschaft. Der Betriebsratsvorsitzende fasst das Vorgehen folgendermaßen zusammen: 

Irgendwie muss man als Betriebsrat auch mal mutig sein. Wir müssen auch mal in die Bresche springen. Wir müssen dann, wenn wir das Gefühl haben, hier hat gerade keiner das Steuer in der Hand, das Steuer in die Hand nehmen.

David Hoffmann, Betriebsratsvorsitzender

Noch mehr 'Gute Praxis'

Es gibt viele gute betriebliche Lösungen zu aktuellen Problemen – entwickelt von und mit Betriebsräten. Wir zeigen einige und liefern Erfahrungen mit, wie neue Ideen verhandelt und kreativ umgesetzt wurden. Unsere Praxisbeispiele können Euch und Eurer Betriebsratsarbeit als Inspiration dienen. Bisher erschienen sind die folgenden Module: