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Gute Praxis

Unternehmen in Krisen

Einführung

Das Jahr 2020 ist tief geprägt von der Corona-Pandemie, die von heute auf morgen unsere Lebensweise und unseren Alltag auf den Kopf stellte. Unternehmen traf die Corona-Pandemie mit voller Wucht und in doppelter Hinsicht: Unter hohem Zeitdruck wurden binnen weniger Tage Hygiene- und Abstandsgebote in innerbetrieblichen Organisationen etabliert: Schichten wurden zeitlich versetzt geplant, Kantinen geschlossen, ganze Unternehmensbereiche ins Home-Office geschickt und dabei Rücksicht auf die Betreuungssituation vieler Eltern genommen. Doch fast noch herausfordernder war der gravierende Einbruch des Absatzmarktes. Noch nie mussten so eilig Regelungen zu Kurzarbeit und innerbetrieblichen Sparmaßnahmen gefunden werden. Ein Ende der Corona-Pandemie ist nicht absehbar, weswegen es wirtschaftlich gesehen kaum Planungssicherheit gibt. Für die Interessenvertreterinnen und -vertreter war und ist dies alles extrem herausfordernd und eine enorme Belastung. 

Welche Lösungen wurden in der Vergangenheit bei ähnlichen Krisen gefunden? Wir schauen nachfolgend auf acht Beispiele guter Praxis, die in den letzten zehn Jahren als Projekte beim Deutschen Betriebsrätepreis eingereicht wurden. Die Projekte geben Einblicke, welche unternehmensbezogenen Lösungen zur Bewältigung von Krisensituationen durch Interessenvertretungen entwickelt und initiiert wurden. Einige von ihnen resultieren aus der Weltfinanzkrise der Jahre 2008/2009. Obwohl die jetzige und damalige Krise nur bedingt vergleichbar sind, beinhalten sie dennoch inspirierende Ideen und Lösungsansätze, die auf die eigene betriebliche Situation übertragbar sind. Es findet sich ein breites Spektrum an Projekten.
 

Mitbestimmungspraxis 35

Unternehmen in Krisen

Einblicke in Anwendungsbeispiele guter Praxis

Mitbestimmungspraxis 35. Düsseldorf 2020 von Julia Massolle

Die Publikation zeigt acht Beispiele guter Praxis, die in den letzten zehn Jahren als Projekte zum Deutschen Betriebsräte-Preis eingereicht wurden. Sie geben Einblicke, welche Lösungen zur Bewältigung von Krisensituationen von den Betriebsräten entwickelt wurden.

Das tun Betriebsräte – Ergebnisse im Überblick

Welche Maßnahmen und Lösungen wurden in der Vergangenheit zur Bewältigung von Krisen entwickelt? Aus acht Praxisbeispielen wird deutlich: Die Möglichkeiten sind vielseitig und hängen stets von der betrieblichen Situation ab – seien es Qualifizierungskonzepte, die Kurzarbeit und Entlassungen verhindern; ein erweitertes Arbeitszeitkonto, Investitionsprogramme, umfassende Kurzarbeiterregelungen oder die Entwicklung eines Haustarifvertrags. Die Praxisbeispiele bilden ein breites Spektrum ab, ermöglichen Einblicke in die damalige Situation der Unternehmen und stellen Lösungen vor.

Die Projekte im Überblick:

Leerzeiten für Qualifizierung nutzen, Kündigung vermeiden – Feinkost Homann GmbH
Der Betriebsrat entwickelt und koordiniert ein Weiterbildungskonzept, mit dem Kündigungen verhindert, Arbeitsplätze gesichert und Qualifizierungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Erweitertes Gleitzeitkonto zur Krisenvorbereitung – MTU Maintenance Hannover GmbH
Die Betriebsparteien führen ein erweitertes Gleitzeitkonto ein, um Auftragsrückgänge ohne Kurzarbeit und Kündigungen zu überbrücken.

Solidarisch durch die Krisen – NICOLAY Gruppe
In der Krise vereint: Mehrfach initiiert der Betriebsrat Maßnahmen, bei denen durch den anteiligen Verzicht aller Beschäftigter Arbeitsplätze gesichert werden.

Standortentwicklung statt Personalabbau – Essity Operations Mannheim GmbH
Der Betriebsrat bringt das Konzept „Mannheim 2020“ zur Standortentwicklung auf den Weg. Statt Personal abzubauen, soll durch Investitionen in neue Produktionsanlagen, Modernisierung und Automatisierung die Produktivität gesteigert werden.

Mit Maßnahmenpaket durch die Krise, um qualifiziertes Fachpersonal zu halten – Krones AG
Gewappnet in die Krise: Der Betriebsrat verhandelt vorbeugend Maßnahmen, die Kosten reduzieren und zugleich die Zukunft absichern.

Beschäftigungssicherungskonto zur Überbrückung der Auftragslage – Falken GmbH
Durch den Wegfall eines Großkunden sind rund 50 Arbeitsplätze in Gefahr. Mit der Einführung eines Beschäftigungssicherungskontos wird vorausschauend agiert und Geld in Zeit zur Überbrückung umgewandelt.

Qualifizierung statt Kurzarbeit – Salzgitter Flachstahl GmbH
Um die finanziellen Auswirkungen von Kurzarbeit für die Beschäftigten zu verringern, strukturiert der Betriebsrat Qualifizierungsschichten um.

Haustarifvertag sichert Arbeitsplätze – Marquardt GmbH
Der Betriebsrat verhindert durch einen Haustarifvertrag den Wegfall und die Verlagerung von 800 Arbeitsplätzen.

Homann Feinkost GmbH: Leerzeiten für Qualifizierung nutzen, Kündigung vermeiden

Der Betriebsrat entwickelt ein Weiterbildungskonzept, mit dem Kündigungen verhindert, Arbeitsplätze gesichert und Qualifizierungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Das Unternehmen
Die Homann Feinkost GmbH ist Teil der Müller Unternehmensgruppe. Am Produktionsstandort in Bottrop arbeiten 230 Stammbeschäftigte und bis zu 50 Leiharbeitskräfte. Die Produktion ist durch saisonale Schwankungen geprägt. Der Betriebsrat besteht aus 9 Mitgliedern.

Gute Praxis - Homann

Ausgangslage: Drohende Kündigungen als Auswirkung der Wirtschaftskrise
Bereits vor der Weltfinanzkrise der Jahre 2008/2009 war das Unternehmen in einer finanziell schwierigen Lage, die sich mit ihr nochmals verschärfte. Es drohte die Kündigung von 10 Beschäftigten im Bereich des Zentrallagers. Der Betriebsrat folgte in Ansätzen den Überlegungen des Managements. Tatsächlich bestand ein Personalüberhang, aber nur in Zeiten der Nebensaison. 

Hier setzen die Überlegungen des Betriebsrats an. Die Kündigungen sollten in jedem Fall verhindert werden und zwar nicht nur zum Schutz der Beschäftigten, sondern auch, weil der Betriebsrat der Überzeugung war, dass das Unternehmen langfristig benachteiligt wäre. Gerade in der Hochsaison ist die Produktion auf die eingespielten und erfahrenen Beschäftigten angewiesen. Der Betriebsrat suchte also nach einer Lösung, mit der die Kündigungen verhindert sowie Zeit gewonnen werden konnte.

Wir haben damals überlegt: Wie kriegen wir die Leute aus dem Betrieb zu Zeiten, wo wir sie nicht brauchen, sie aber dennoch vollen Lohn bekommen?

Suzann Dräther, Betriebsratsvorsitzende

Das Projekt: Saisonale Qualifizierung und Weiterbildung
2008 wurde das Projekt „Saisonale Qualifizierung und Weiterbildung statt Wirtschaftskrise“ vom Betriebsrat ins Leben gerufen. Damals bewarb die Bundesagentur für Arbeit die Weiterbildungsinitiative „Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen“, kurz WeGebAU. Die Initiative förderte berufsbegleitende Qualifizierungen zu 100 Prozent.

Der Betriebsrat sah in der Weiterbildungsinitiative die Lösung: Die Beschäftigten bilden sich blockweise in Zeiten der Nebensaison weiter. Sollte sich die wirtschaftliche Situation zwischenzeitlich verbessern, können die Beschäftigten unter alten Bedingungen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Würde auch nach Beendigung der Maßnahme ein Überhang im Zentrallager bestehen, hätten die Beschäftigten mit der Qualifikation bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Hochmotiviert entwickelte der Betriebsrat ein konkretes Weiterbildungskonzept: Zwei Klassen erwerben in zeitlich versetzten Berufsschulblöcken die Qualifizierung zur Fachkraft für Lagerwirtschaft. Zum Saisonhöhepunkt pausieren beide Klassen, damit die höhere Produktionsauslastung bewältigt werden kann. 

Organisatorisches Jonglieren und viel Überzeugungsarbeit
Als die Idee geboren war, erforderte sie zunächst viel organisatorisches Geschick und Überzeugungsarbeit. Absprachen mussten mit der Agentur für Arbeit, der IHK und dem Bildungsträger getroffen und zugleich mit dem Arbeitgeber verhandelt werden. Dieser zeigte sich zu Anfang skeptisch, ob tatsächlich keine Kosten während der Ausbildungsphasen entstehen würden, stimmte jedoch schnell zu, als diese Befürchtung ausgeräumt war. Überzeugungsarbeit war auch bei den Beschäftigten gefragt. Sorgen und Ängste, die Ausbildung nicht zu schaffen, mussten abgebaut und die persönliche Chance jeder und jedem vermittelt werden. Letztendlich ist dies geglückt, weil dem Betriebsrat hohes Vertrauen entgegengebracht wird. 

Resonanz: Der strategische Zeitgewinn geht auf
Der größte Teil der Beschäftigten hat erfolgreich die Prüfung zur Fachkraft für Lagerwirtschaft bestanden. Doch nicht nur deswegen zeigt sich der Betriebsrat mit der Ausbildungsmaßnahme sehr zufrieden. Die Arbeitsplätze der Kolleginnen und Kollegen wurden gerettet. Die Strategie des Betriebsrates, wertvolle Zeit zu gewinnen, ging auf: Am Ende der Ausbildung hatten sich die wirtschaftliche Situation und die Auftragslage des Unternehmens verbessert. 2017 wurde das Projekt in ähnlicher Form und in Kooperation mit einem benachbarten Unternehmen wieder aufgenommen. 

Aber auch unabhängig davon profitieren die Beschäftigten durch die höhere Qualifikation. Eine ältere Kollegin sieht darin ihre Chance, noch einmal beruflich aufzusteigen.

Suzann Dräther, Betriebsratsvorsitzende

Fazit
Durch großes Engagement hat der Betriebsrat ein Qualifikationskonzept entwickelt, das die Beschäftigten in doppelter Hinsicht schützt: Die Arbeitsplätze wurden abgesichert; gleichzeitig erreichten die Beschäftigten eine höhere Qualifikation und hätten damit im Falle einer Kündigung verbesserte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Der Betriebsrat übernahm hierbei die Rolle eines Vordenkers.

Ansprechpartner: Betriebsrat.Bottrop@homann.de

MTU Maintenance Hannover GmbH: Erweitertes Gleitzeitkonto zur Krisenvorbereitung

Die Betriebsparteien führen ein erweitertes Gleitzeitkonto ein, um Auftragsrückgänge ohne Kurzarbeit und Kündigungen zu überbrücken.

Das Unternehmen
Im Mittelpunkt steht die Maintenance Hannover GmbH, die weltweit für Kunden aus der Luftfahrt Triebwerke überholt, instand setzt und wartet. 19 Betriebsrätinnen und Betriebsräte vertreten die Interessen der 2.500 Beschäftigten.

Gute Praxis - Maintenance

Ausgangslage: Geringere Auftragslage durch Wirtschaftskrise
2011 reichte der Betriebsrat das Projekt „Auf- und Abbau von Gleitzeit in der Krise“ beim Deutschen Betriebsrätetag ein. Die Ursprünge dieses Projektes liegen in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Damals stand die Gefahr im Raum, dass Kunden insolvent gehen und damit auf längere Sicht Arbeit wegfallen würde. Es war mit Kurzarbeit und Entlassungen zu rechnen. Ebensolche Auswirkungen wollte der Betriebsrat unbedingt verhindern, denn er war überzeugt, dass die Auftragsschwankung nur kurzzeitig sein würde.

Das Projekt: Auf- und Abbau von Gleitzeit in der Krise
Die Idee fußt auf einen entschiedenen Vorteil: Die Krise würde sich bei MTU mit zeitlichem Verzug zeigen. Die verbleibende Zeit sollte dazu genutzt werden, Arbeitsstunden auf einem extra angelegten Gleitzeitkonto aufzubauen. Sollte die Krise das Unternehmen erreichen, könnten zunächst diese Stunden abgebaut werden. 

Umsetzung
Im Februar 2009 wurde die Betriebsvereinbarung zum Gleitzeitkonto vereinbart. Bereits zuvor gab es ein reguläres Gleitzeitkonto, das mit dem Abschluss der Betriebsvereinbarung eingefroren wurde. In der Betriebsvereinbarung selbst wurde eine deutliche Öffnung des Gleitzeitrahmens festgelegt. Statt 120 waren bis zu 240 Plusstunden und statt 40 bis zu 80 Minusstunden möglich. Sollte der Krisenfall eintreten, könnten Beschäftigte durch das Gleitzeitkonto zunächst sechs Wochen lang bei vollem Entgelt Überstunden abbauen. 

Alle sollten gleich behandelt werden, der alte Gleitzeitstand sollte eingefroren werden und alles, was wir jetzt aufbauen, läuft unter einer anderen Prämisse.

Michael Behé, freigestellter Betriebsrat

Mit der Betriebsvereinbarung und dem vereinbarten Modell zeigt sich der Betriebsrat zufrieden. Es ermöglicht, sehr flexibel auf situationsbezogene Auslastungen zu reagieren. Die von den Beschäftigten zunächst erbrachte Mehrarbeit wird mit einem angemessenen Zuschlag honoriert. Der Zuschlag ist eine wichtige Komponente des Modells, die Beschäftigte für ihren individuellen Einsatz entschädigt. Zusätzlich zur Betriebsvereinbarung wurde ein gelockertes Rotationssystem umgesetzt. Es ermöglichte, dass Beschäftigte flexibler dort aushelfen, wo es eine bessere Auftragslage gibt – ohne formelle Versetzung und Zustimmung des Personalausschusses.

Das hat reibungslos funktioniert, weil die meisten Kollegen gesagt haben, ehe ich nach drei Stunden Arbeit nach Hause geschickt werde, arbeite ich in einem anderen Bereich.

Michael Behé, freigestellter Betriebsrat

Die eingeführten Instrumente wurden auch von den Beschäftigten positiv und zustimmend aufgenommen. Generell schildert der Betriebsrat, dass während dieser Zeit viel Solidarität am Standort zu spüren war. Hohe Anerkennung fand das frühzeitige Engagement des Gremiums und die allgemeine Weitsicht.

Resümee: Guter Ansatz, glücklicherweise ohne volle Entfaltung
Glücklicherweise zeichnete sich nach drei Monaten ab, dass die Krise bei MTU deutlich schwächer ausfallen würde. Man sei da mit einem blauen Auge davon gekommen, resultiert Betriebsrat Michael Behé. Die Gleitzeitkonten wurden daher schnell wieder nach unten geführt. Als nachhaltig erwies sich das Rotationssystem, das noch eine Zeit lang praktiziert wurde. Einige Beschäftigte ließen sich dauerhaft versetzen, da sie neue Bereiche für sich entdecken konnten.

Rückblickend ist der Betriebsrat überzeugt, damals richtig reagiert zu haben. Wäre es tatsächlich zu einem starken Auftragsrückgang gekommen, hätten die Beschäftigten auf ein Polster von sechs Wochen bauen können. Die ursprünglichen Ziele wären für diese Zeit geglückt. Betont wird, dass die Betriebsvereinbarung auf einer gemeinsamen Idee und einem gemeinsamen Prozess mit dem Management beruht. 

Fazit
Der Betriebsrat reagierte damals umsichtig auf drohende Auftragseinbrüche: Durch ein ausgeweitetes Gleitzeitkonto sollten im Krisenfall die Beschäftigten zunächst angesammelte Überstunden abbauen. Kündigungen und Kurzarbeit wären für eine gewisse Zeitspanne verhindert worden. 

Ansprechpartner: Michael.Behe@mtu.de
 

NICOLAY Gruppe: Solidarisch durch die Krisen

In der Krise vereint: Mehrfach initiiert der Betriebsrat Maßnahmen, bei denen durch den anteiligen Verzicht aller Beschäftigten Arbeitsplätze gesichert werden.

Das Unternehmen
Zur NICOLAY Gruppe gehören die NICOLAY GmbH und die Sensocab Kabelproduktion GmbH. Als Gemeinschaftsbetriebsrat vertritt das neunköpfige Gremium 290 Stammbeschäftigte und ca. 40 Leiharbeitskräfte.

Gute Praxis - Nicolay

Projekt: Arbeitszeitreduktion zum Erhalt der Arbeitsplätze
2017 reichte der Betriebsrat das Projekt „Beschäftigungssicherung“ beim Deutschen Betriebsrätetag ein. Der Grund für das Projekt liegt in einem deutlichen Absatzrückgang, der sich im Spätsommer 2016 bei NICOLAY bemerkbar machte. Der NICOLAY-Betriebsrat war überzeugt davon, dass der Nachfrageeinbruch nicht von langer Dauer sein werde. Das Ziel bestand daher darin, Kündigung zu verhindern. Dabei musste eine Alternative zur gesetzlichen Kurzarbeit gefunden werden. Denn ob der Auftragsrückgang tatsächlich den für die Gelder notwendigen Wert überschreiten würde, war ungewiss. 

Schmeißt keine Leute raus, sondern wir machen ein Solidarpakt. Wir halten die Leute, denn hinterher brauchen wir sie wieder.

Martin Stöhr, Gemeinschaftsbetriebsratsvorsitzender

Gemeinsam mit den Tarifvertragspartnern verhandelte man die Betriebsvereinbarung TV Besch. Die Betriebsvereinbarung basiert auf einem solidarischen Konzept, in dem alle Beschäftigten anteilig auf Entgelt verzichten und damit die Arbeitsplätze in dem angeschlagenen Produktionsbereich querfinanzieren. Konkret wurde vereinbart, dass in der Produktion die Arbeitszeit und das Entgelt der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um maximal 8 % reduziert werden. Der Stundenumfang der anderen Beschäftigten bleibt gleich, jedoch geben diese 2,8 % ihres Entgeltes ab. Der Entgeltverlust der Produktionsbeschäftigten wird damit zur Hälfte ausgeglichen. Weiterhin wurde vereinbart, dass die tariflichen Entgelterhöhungen und die Ermittlung des tariflichen Leistungsentgeltes später erfolgen. Als wichtigste Errungenschaft wird während dieser Zeit auf betriebliche Kündigungen verzichtet. Da sich die wirtschaftliche Situation schneller als gedacht verbesserte, konnte die Produktion drei Monate früher hochgefahren und die regulären Entgelte an die Belegschaft gezahlt werden.

TV Besch

Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung gibt es seit 1994. Ihr Ziel ist es, Arbeitsplätze durch eine vorrübergehende Absenkung von Arbeitszeit zu sichern. Während der Laufzeit sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen.

Maßnahmen mit hohem solidarischen Zuspruch
Der Gemeinschaftsbetriebsratsvorsitzende Stöhr betont, dass während dieser Zeit große Solidarität unter den Beschäftigten bestanden habe. Sie zeigte sich beispielsweise anhand einer Abstimmung, die der Betriebsrat vor der finalen Verhandlung der Betriebsvereinbarung organisierte. Das Ergebnis war mehr als eindeutig: Über 90 % stimmten dem Modell zu, was den Betriebsrat in eine gute Verhandlungsposition brachte.

Auf die große Solidarität wurde auch zu Beginn des Jahres 2020 gebaut – vor der Corona-Krise. Die Maßnahme fußte diesmal auf dem 2018 verabschiedeten tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG). In einer Betriebsvereinbarung wurden folgende Regelungen festgehalten: Die Beschäftigten der Produktion nehmen freiwillig drei ihrer acht T-ZUG-Tage im ersten Quartal und verzichten damit anteilig auf drei Achtel des T-ZUG. Dabei wurde der Personenkreis um diejenigen erweitert, die normalerweise keine Berechtigung auf die freien Tage hätten. Das für den Arbeitgeber eingesparte Geld dient der Beschäftigungssicherung, von der vor allem die befristet Beschäftigten profitieren. Es gab keine Verpflichtung, die T-ZUG-Tage zu nehmen, sondern das Konzept beruht auf Freiwilligkeit. Als Resonanz bleibt festzustellen: Fast alle Berechtigten nahmen die angebotenen T-ZUG-Tage in Anspruch und finanzierten damit gefährdete Arbeitsstellen. Der Betriebsrat zieht deswegen ein durchweg positives Resultat aus diesem Konzept. 

T-ZUG

Das tarifliche Zusatzgeld ist eine jährliche Sonderzahlung, die es seit 2018 in der Metall- und Elektroindustrie gibt. Sie wird immer Ende Juli ausbezahlt und besteht aus zwei Teilen: aus 27,5% des individuellen Monatsentgelts (A) und einem pauschalen Zusatzbetrag von 400 Euro (B). Beschäftigte mit Kindern, zu pflegenden Angehörigen oder in Schichtarbeit können statt des Zusatzentgeltes A acht zusätzliche freie Tage im Jahr nehmen. 

Wenn ihr jetzt solidarisch seid, wenn ihr da jetzt mitzieht und die drei freien Tage in diesem Frühjahr macht, können wir Beschäftigte halten und verlängern. Das Geschäft wird wieder anders werden und dann braucht man kein Personal suchen, sondern man kann sofort wieder durchstarten.

Martin Stöhr, Gemeinschaftsbetriebsratsvorsitzender

Fazit
Mit dem Ziel, Beschäftigte vor Kündigungen oder auslaufenden Befristungen zu schützen, initiierte der Betriebsrat in den vergangenen Krisen Maßnahmen, in deren Rahmen die Belegschaft anteilig auf Entgelt verzichtete. Mit hohem solidarischem Anspruch konnten dadurch betriebsbedingte Kündigungen verhindert werden.

Ansprechpartner: Betriebsrat@nicolay.de
 

Essity Operations Mannheim GmbH: Standortentwicklung statt Personalabbau

Der Betriebsrat bringt das Konzept „Mannheim 2020“ zur Standortentwicklung auf den Weg. Statt Personal abzubauen, soll die Produktivität durch Investitionen gesteigert werden.

Das Unternehmen
Essity AB ist ein globales Hygiene- und Gesundheitsunternehmen. In Deutschland ist das Unternehmen im Bereich der Hygienepapiere tätig. Im Mittelpunkt steht der Produktionsstandort in Mannheim, wo die Interessen der 2.000 Beschäftigten von 17 Betriebsratsmitgliedern vertreten werden. 

Gute Praxis - Essity

Das Projekt: Zukunftssicherung durch „Mannheim 2020“
2015 bewarb sich der Betriebsrat mit dem Projekt „Mannheim 2020“ beim Deutschen Betriebsrätepreis. Das Projekt beinhaltet im Wesentlichen ein Investitions- und Weiterentwicklungsprogramm. Die Ursprünge des Projektes liegen in strategischen Überlegungen des Managements, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Standorte zu vergleichen. Zusätzlich wurde 2014 verkündet, dass der Mannheimer Standort sich auf Hygieneprodukte fokussieren und der Verpackungspapierbereich, der seit Jahren negative Zahlen geschrieben hatte, geschlossen werden soll. Der Betriebsrat war augenblicklich alarmiert. In jedem Fall sollten Kündigungen verhindert werden. Der Gegenvorschlag des Betriebsrates beruhte auf einer komplett anderen Strategie: Statt Kosten durch Personalabbau zu sparen, sollte in den Standort investiert werden. Der Betriebsrat war überzeugt, dass durch gezielte Investitionen die Produktivität des Standortes bei gleicher Beschäftigtenzahl so gesteigert werden kann, dass die Gesamtkosten gesenkt werden. 

Anfangs lehnte das Management ein solches Programm strikt ab. Doch der Betriebsrat erreichte durch Überzeugungsarbeit, dass gemeinsame Gespräche aufgenommen wurden. Argumentationsbasis waren u. a. Berechnungen, die zeigten, wie sich eine Investition langfristig für das Unternehmen auszahlt.
 

Unsere Argumentation beruhte auf Faktenlage und realistischem Nachdenken. Wir haben uns durch einen pragmatischen Plan und die Leistung der Kollegen und Kolleginnen bestmöglich präsentiert.

Frank Gottselig, Betriebsratsvorsitzender

In gemeinsamen Workshops erarbeiteten Betriebsrat, Betriebsleitung, Gewerkschaftsmitglieder und Vertrauensleute die Inhalte von Mannheim 2020. Das Programm besteht einerseits aus Einsparpotenzialen und andererseits aus einer Investitionsstrategie. Ein Teil dessen ist eine Qualifizierungsoffensive. Mithilfe einer Qualifikationsmatrix werden Beschäftigte gezielt gefördert und ihrer Qualifikation entsprechend den Schichten zugeteilt. Die Tätigkeiten sollen so passgenau der jeweiligen Kompetenz entsprechen. Als Teil des Zukunftsprogramms wurde die Übernahme von Auszubildenden vereinbart sowie Investitionen in neue Anlagen bzw. in die Modernisierungen von Anlagen.

Resümee: Sicherung der Arbeitsplätze und Produktivitätssteigerung
Sichtlich stolz zeigt sich der Betriebsrat. Denn seine Ideen sind in Verbindung mit den Ideen des lokalen Managements aufgegangen: Tatsächlich wurde die Produktivität bei gleicher Beschäftigtenanzahl erhöht. Die Schließung des Verpackungsbereiches konnte letztendlich nicht verhindert, aber mit einem hohen sozialverträglichen Maßstab gestaltet werden.

Der größte Teil der Maßnahmen wurde bis 2020 umgesetzt. Die Auszubildenden wurden übernommen und die Qualifikationsmatrix wurde wie gedacht umgesetzt. Auch neue Verarbeitungslinien sind hinzugekommen. Die alten Anlagen wurden ertüchtigt, um die Produktivität zu steigern. Die vereinbarten Einsparungen konnten bis auf einen geringen Betrag erreicht werden. Rückblickend erkennt der Betriebsrat: Der Erfolg dieser Maßnahmen resultiert aus intensivem Austausch und Dialog: mit der Betriebsleitung, aber insbesondere mit der Belegschaft und mit den Vertrauensleuten.

Der Betriebsrat beschreibt noch einen anderen Effekt. Neben der Umsetzung der Maßnahmen wurden mit Mannheim 2020 eine konkrete Vision und ein Leitbild für den Standort geschaffen. Diese Vision war ständig präsent. Mannheim 2020 wurde mit weiteren Zukunftsprogrammen ständig weiterentwickelt, es ist gewissermaßen der rote Faden für den Standort. 

Wir haben diese Pläne ständig verfolgt und getrieben. Es ist wichtig, dass man eine Vision für einen Standort hat.

Frank Gottselig, Betriebsratsvorsitzender

Fazit
Mit der Entwicklung der Zukunftsprogramme hat der Betriebsrat die Grundsteine gelegt für eine wettbewerbsfähige und zukunftsorientierte Weiterentwicklung des Standortes. Das Fazit lautet: Die Programme haben die gewünschten Ziele erreicht. Die Schließung der Abteilung konnte ohne betriebsbedingte Kündigungen und Reduzierung von Arbeitsplätzen abgewickelt werden.

Ansprechpartner: Frank.Gottselig@essity.com

Krones AG: Mit Maßnahmenpaket durch die Krise, um qualifiziertes Fachpersonal zu halten

Gewappnet in die Krise: Der Betriebsrat verhandelt vorbeugend Maßnahmen, die Kosten reduzieren und zugleich die Zukunft absichern.

Das Unternehmen
Die Krones AG ist ein Sondermaschinenbauer. In Neutraubling, dem größten deutschen Standort, wurde das nachfolgend vorgestellte Maßnahmenpaket hauptsächlich entwickelt und später auf alle deutschen Standorte übertragen. Das Gremium besteht aus 35 Mitgliedern.

Gute Praxis - Krones

Das Projekt: Effiziente Beschäftigungssicherung in Krisenzeiten
Im Jahr 2010 reichte der Gesamtbetriebsrat der Krones AG das Projekt „Effiziente Beschäftigungssicherung in Krisenzeiten“ beim Deutschen Betriebsrätepreis ein. Es entstand als direkte Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise. Damalige Prognosen ließen erkennen, dass die Wirtschaft und somit auch Krones in eine Absatz- und Auftragskrise geraten könnte. Sollte dies eintreten, wären 1.200 Arbeitsplätze in Gefahr.

Die Betriebsparteien fassten den Entschluss, frühzeitig über mögliche Maßnahmen zu verhandeln. Sollte die befürchtete Krise tatsächlich eintreffen, könnte man auf einen fertigen Plan zurückgreifen. 

Trotzdem muss ich ja meiner Betriebsratsrolle gerecht werden und dann habe ich vorgeschlagen: Lass uns halt mal in Schubladen was reinlegen, das wir jetzt schon verhandeln und bei einer vielleicht kommenden Krise rausholen. Weil jetzt ist die Verhandlungssituation relativ leicht, wir haben keinen Druck, wir haben keinen Schmerz, die Rendite passt noch, derzeit ist das alles kein Problem.

Josef Weitzer, Betriebsratsvorsitzender

Bei den Verhandlungen orientierte man sich an der Idee des Pforzheimer Abkommens  der Metall- und Elektroindustrie und entwickelte eigene Bausteine. Die Betriebsparteien waren der Überzeugung, dass diese Krise noch von kurzer Dauer sein würde. Rückblickend beschreibt der Betriebsrat diese Zuversicht als Schlüsselmoment für die Verhandlungen: Sie führte dazu, dass viele positive Zugeständnisse seitens der Geschäftsführung gemacht wurden. So bestand das oberste Ziel der Betriebsparteien darin, Kündigungen zu verhindern, damit die Produktion nach der Krise mit vollem Knowhow wieder hochgefahren werden kann. Ebenso wollte man als Arbeitgeber nicht an Attraktivität verlieren. 

Pforzheimer Abkommen

Das Pforzheimer Abkommen wurde 2004 in der Metall- und Elektroindustrie eingeführt – eine Vereinbarung zur Sicherung von Arbeitsplätzen, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Es erlaubt Unternehmen, temporär von Tarifverträgen abzuweichen, wenn Arbeitsplätze gesichert oder neue geschaffen werden. Heute ist das Pforzheimer Abkommen Teil des Tarifvertrags zur Beschäftigungssicherung (TV Besch) (s. auch diesen Abschnitt).

Die Inhalte des Projektes: Eine Maßnahmen-Mischung
Die Betriebsparteien vereinbaren eine ganze Reihe neuer Maßnahmen. Alle eint das Ziel, die Kosten am Standort zu reduzieren, mehr Flexibilisierung zuzulassen und Arbeitsplätze abzusichern. Gleichzeitig sollten Anreize geschaffen werden, um Abwanderungen zu vermeiden. Als Grundlage hierfür wurde zwischen den Betriebsparteien eine Beschäftigungs- und Standortsicherung vereinbart. 

  • Vereinbarung einer Kurzarbeitsregelung
  • Rückholen der Fremdverträge
  • Einführung von Sabbaticals
  • Förderung von Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen
  • Umstellung des leistungsabhängigen Entgeltes: Zielentgelt statt Beurteilung
  • Erhöhung der Auszubildendenzahlen
  • Einführung einer Ergebnisbeteiligung für alle Beschäftigten
  • Einführung eines Zeitwertkontos
  • Weiterentwicklung und Förderung von Teilzeitarbeit
  • Einführung einer Home-Office-Regelung

Umsetzung und Erfahrungen
Letztlich konnte mithilfe des fertigen Plans die Krise schnell überwunden und das oberste Ziel, der Erhalt der Arbeitsplätze, erreicht werden. Bis auf das Zielentgelt gibt es noch heute alle damals beschlossenen Maßnahmen.

In dieser Zeit machte der Betriebsrat zwei wichtige Erfahrungen: Zum einen sollten für eine erfolgreiche Überwindung von Krisen alle Beschäftigten konsequent beteiligt und aktiv eingebunden werden. Zum anderen sollte man gleichzeitig die Zukunft mitdenken. Denn diese gibt es nur bei ausreichend qualifizierten und motivierten Beschäftigten.

Fazit
Durch die frühe Reaktion der Betriebsparteien wurden mit zeitlichem Vorlauf mehrere Maßnahmen ausgehandelt und vereinbart. Die finanzielle Krise konnte dadurch gut und schnell überwunden und die Arbeitsplätze von 1.200 Beschäftigten gesichert werden. 

Und deswegen konnten wir schon auf einiges zurückgreifen, weil wir das schon vorbereitet hatten. Da sind schon Bausteine dabei, die helfen uns heute noch und die wurden auch jetzt erst so deutlich ausgespielt.

Josef Weitzer, Betriebsratsvorsitzender

Für sein Engagement und seinen Einsatz wurde der Krones-Betriebsrat 2010 mit Silber beim Deutschen Betriebsrätepreis ausgezeichnet.

Ansprechpartner: Josef.Weitzer@krones.com

Falken GmbH: Beschäftigungssicherungskonto zur Überbrückung von Auftragslage

Durch den Wegfall eines Großkunden sind rund 50 Arbeitsplätze in Gefahr. Mit der Einführung eines Beschäftigungssicherungskontos wird vorausschauend agiert und Geld in Zeit umgewandelt.
 
Das Unternehmen
Die Falken GmbH (vormals Biella-Falken GmbH) mit Sitz in Peitz ist ein Büro- und Schulartikelhersteller. Die Interessen der 300 Beschäftigten werden von einem neunköpfigen Gremium vertreten.

Gute Praxis - Falken

Hintergrund zum Projekt: Wegfall eines Großkunden
2013 reichte der Betriebsrat das Projekt „Einführung eins Beschäftigungssicherungskontos“ beim Deutschen Betriebsrätetag ein. Erste Überlegungen dazu entstanden im Herbst 2011. Zu der Zeit war es absehbar, dass ein Großkunde und mit ihm die Bestellungen für das kommende Jahr wegbrechen würde. Vom Auftragsrückgang wären 40 bis 50 Beschäftigte betroffen gewesen, deren Arbeitsplätze zur Diskussion standen.
Für den Betriebsrat stand fest: Die Arbeitsplätze sollten erhalten bleiben – zum Schutz der Beschäftigten, aber auch im Sinne des Unternehmens. Trotz des Wegfalls eines Großkunden blickte der Betriebsrat optimistisch ins nächste Jahr. Es ist gut möglich, dass binnen weniger Monate ein neuer Großkunde gewonnen werden kann. Für das Unternehmen ist es dann umso wichtiger, auf erfahrene und eingespielte Fachkräfte zurückgreifen zu können. Die zündende Idee fußt auf einem strategischen Vorteil: Man konnte sich mit einem zeitlichen Vorlauf von einem halben Jahr vorbereiten. 

Das Projekt: Einführung eines Beschäftigungssicherungskontos
Die Einführung eines Beschäftigungssicherungskonto stand schnell zur Diskussion. Die Maßnahme sieht Folgendes vor: Alle Beschäftigten erhalten ein Beschäftigungssicherungskonto, auf das alle zusätzlichen Sonderzahlungen und sonstige kollektivrechtliche Leistungen (Urlaubs-/Weihnachtsgeld, Jahresprämie) in Arbeitsstunden umgewandelt und auf das Konto gebucht werden. Insgesamt werden dadurch 175 Stunden angespart, was ungefähr dem Stundenumfang eines Monats pro Mitarbeiter/in entspricht. Sollten die Aufträge zurückgehen, könnten zunächst diese Stunden abgebaut und damit eine gewisse Zeit überbrückt werden.

Im Herbst 2011 wurde die Betriebsvereinbarung zur Einführung eines Beschäftigungssicherungskontos verabschiedet. Betriebsbedingte Kündigungen wurden während der Laufzeit der Betriebsvereinbarung ausgeschlossen. Zudem wurde vereinbart, dass die Beschäftigten ein Jahr später wählen können, ob die Stunden auf das reguläre Arbeitszeitkonto übertragen oder ausgezahlt werden. Sollte es wider Erwarten zu keinem Auftragsrückgang kommen, würden die Beschäftigten durch diese Regelung ihre Sonderzahlungen in vollem Umfang erhalten.

Erfahrungen und Auswirkungen
Transparent wurden die Überlegungen des Betriebsrates und schließlich das Beschäftigungssicherungskonto vorgestellt. Der Betriebsrat betont, dass ein ehrlicher Austausch wichtig ist. Nur dann können Beschäftigte beschlossene Maßnahmen mit all den Überlegungen nachvollziehen. Generell stimmten die Beschäftigten dem Modell zu – schließlich können dadurch mit solidarischem Einsatz die Arbeitsplätze aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten bleiben. 

Tatsächlich bewahrheiteten sich die optimistischen Prognosen des Betriebsrates. Ab Juni 2012 war sicher, dass auf die eingezahlten Stunden des Beschäftigungssicherungskontos nicht zurückgegriffen werden muss. Am Ende des Jahres entschieden sich die meisten Beschäftigten dazu, sich die Beiträge auszahlen zu lassen. Für die Beschäftigten, aber auch für den Betriebsrat war dieser Jahresabschluss ein tolles Ergebnis. 

Letztendlich war es das Gute gewesen, auch für die Beschäftigten. Am Ende des Jahres haben eben alle ein Plus gehabt und hatten die Wahlmöglichkeiten, auf ein Stundenkonto umzuschreiben oder das Geld auszahlen zu lassen.

Mario Stelzer, Betriebsratsvorsitzender

Rückblickend war der Prozess um das Beschäftigungssicherungskonto eine wichtige Erfahrung für den Betriebsrat. Das Gremium wurde in seiner Arbeit bestärkt. Auch zukünftig wird es das oberste Ziel sein, sich für die Absicherung von Arbeitsplätzen einzusetzen und dabei stets nach neuen Möglichkeiten zu suchen.

Das A und O, das immer für das Gremium ganz oben stand, war es, alle Beschäftigte an Bord zu halten und gerade nach der Vereinbarung und dieser Zeit hat es uns bestärkt, auch weiterhin hier dran umso mehr festzuhalten.

Mario Stelzer, Betriebsratsvorsitzender

Fazit
Durch den Wegfall eines Großkunden drohten betriebsbedingte Kündigungen. Es wurde ein Beschäftigungssicherungskonto eingeführt. Die Lösung stellte sich im Nachhinein als absolut wertvoll heraus. Als neue Aufträge gewonnen wurden, konnte die Produktion schnell hochgefahren werden.

Ansprechpartner: Betriebsrat@biella.eu

Salzgitter Flachstahl GmbH: Qualifizierung statt Kurzarbeit

Um die finanziellen Auswirkungen von Kurzarbeit für die Beschäftigten zu verringern, strukturiert der Betriebsrat Qualifizierungsschichten um.

Das Unternehmen
Die Salzgitter Flachstahl GmbH ist die größte Stahltochter der Salzgitter Gruppe. Am Standort Salzgitter werden verschiedene Flachstahlerzeugnisse produziert. Die Interessen der rund 6.000 Beschäftigten werden durch 33 freigestellte Betriebsräte vertreten.

Gute Praxis - Salzgitter

Das Projekt: Minuskonten für Qualifizierung
Im Jahr 2010 reichte der Betriebsrat das Projekt „Minuskonten für Qualifizierung“ beim Deutschen Betriebsrätetag ein. Das Projekt entstand als unmittelbare Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009. Die Auftragseingänge gingen damals erheblich zurück. Die Betriebsparteien reagierten mit einer breitflächigen Einführung von Kurzarbeit. 

Von der Kurzarbeit am meisten betroffen waren die Arbeitsbereiche mit direkter Bezugnahme zur Stahlproduktion (ca. 2.500 Beschäftigte). Der Betriebsrat überlegte damals, wie man die finanziellen Einbußen, die durch die Kurzarbeit entstehen, so gering wie möglich gestalten kann. Die Idee beruht auf einer simplen Überlegung: Statt die Beschäftigten in Kurzarbeit zu schicken, sollte die Zeit für Qualifizierungen genutzt werden. Die Umsetzung dieser Idee fußt auf Details des Schichtsystems, in dem über das Jahr gesehen 13 Verfügungsschichten geleistet werden. Diese werden außerhalb der wöchentlichen Arbeitszeit erbracht und stehen z. B. für Betriebsversammlungen und Qualifizierungen zur Verfügung. Im Zuge der Kurzarbeit sollten nun alle Verfügungsschichten des Jahres vorzeitig für Qualifizierungen genutzt werden. Für die Beschäftigten entsteht daraus der Vorteil, dass diese Schichten nicht der Kurzarbeit unterliegen und daher samt Schichtzulagen entlohnt werden.

Da haben wir gesagt, wenn ihr jetzt Kurzarbeit beantragt, dann lasst uns doch diese Verfügungsschichten vorziehen, so dass die Leute nicht Kurzarbeit, sondern Qualifizierung machen.

Thomas Hartmann, Betriebsratsmitglied

Auch dem Arbeitgeber gefiel die Idee. Man vereinbarte, dass auch nach Beendigung der Kurzarbeit der Arbeitgeber ein Jahr lang Zeit hat, die Verfügungsschichten zu nutzen. Bis dahin werden die bereits entlohnten Verfügungsschichten als Minusschichten bei den Beschäftigten gebucht.

Umsetzung und Erfahrungen
Grundsätzlich ist der Plan des Betriebsrates aufgegangen: Die Beschäftigten hatten weniger Kurzarbeit und dadurch weniger finanzielle Einbußen. Der Arbeitgeber schaffte es allerdings nicht, die Verfügungsschichten im vereinbarten Zeitraum für Qualifizierungen zu nutzen, mit der Konsequenz, dass den Beschäftigten die Hälfte der Minusschichten geschenkt wurde. Im Durchschnitt waren dies zwei Schichten pro Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter. Für die Beschäftigten hatte dies einen doppelt positiven Effekt: weniger Kurzarbeit und stattdessen ein mit Schichtzulage geschenkter Freizeitausgleich. Doch was für die Beschäftigten gut war, führte auf der anderen Seite zu hohen Kosten des Unternehmens. In dem Zusammenhang betont der Betriebsrat, dass man den Arbeitgeber rechtzeitig auf diesen Umstand aufmerksam gemacht habe. Seitens des Arbeitgebers fehlte schlicht die Zeit, die Qualifizierungen umzusetzen. In dem Zusammenhang verweist der Betriebsrat auf eine langfristige Folge, die sich bei der Verhandlung einer erneuten Kurzarbeiterregelung im Jahr 2012 zeigte: Wegen der entstanden hohen Kosten war der Arbeitgeber deutlich kritischer, was die Verhandlungen insgesamt erschwerte und die Qualifizierungsmaßnahme gestrichen wurde.

In dem Moment, wo sie die Qualifizierungen nicht hinbekommen haben, hat uns diese Nummer an die Hacken geschlagen.

Thomas Hartmann, Betriebsratsmitglied

Der Betriebsrat nennt zwei langfristige Lerneffekte im Zusammenhang mit Kurzarbeiterregelungen: Zum einen ist es insbesondere in einer Stresssituation von enormer Bedeutung, dass die Betriebsparteien aufeinander zugehen und die jeweils andere Seite mitgedacht wird. Nur dann kann eine Krise sozialpartnerschaftlich überwunden wird. Zum anderen ist es wichtig, dass man den Zeitpunkt nach der Kurzarbeit nicht aus den Augen verliert. Die hohe Kunst ist es, die Regelungen so flexibel zu gestalten, dass eine vollständige Wiederaufnahme der Produktion binnen weniger Tage möglich ist. Dies ist gewissermaßen die Bedingung dafür, dass alle Beschäftigten gehalten werden und auf Kündigungen verzichtet wird. 

Fazit
Der Betriebsrat erreicht, dass die Beschäftigten qualifiziert statt in Kurzarbeit geschickt werden. Die Beschäftigten haben dadurch weniger finanzielle Einbußen.

Ansprechpartner: hartmann.t@salzgitter-ag.de

Marquardt GmbH: Haustarifvertag sichert Arbeitsplätze

Der Betriebsrat verhindert durch einen Haustarifvertrag den Wegfall und die Verlagerung von 800 Arbeitsplätzen.

Das Unternehmen
Die Marquardt GmbH entwickelt und produziert weltweit mechatronische Schalt- und Bediensysteme. Am Hauptsitz in Rietheim-Weilheim werden die Interessen der ca. 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von einem 19-köpfigen Betriebsratsgremium vertreten. 

Gute Praxis - Marquardt

Das Projekt: Beschäftigungs- und Standortsicherung in Deutschland
2016 reichte der Betriebsrat das Projekt „Beschäftigungs- und Standortsicherung in Deutschland“ beim Deutschen Betriebsrätetag ein. Das Projekt beinhaltet einen Haustarifvertrag, der 2015 abgeschlossen wurde. Seine Anfänge liegen in neuen Managementplänen: durch die Verlagerungen von Maschinen ins Ausland sollten 800 Arbeitsplätze wegfallen und damit am Standort 60 Millionen Euro eingespart werden. Diskussionen um Verlagerungen waren bereits in der Vergangenheit mehrfach aufgetreten.

Das Thema Verlagerungen war bei Marquardt schon länger Diskussionsgegenstand. Als dann der Abbau von 800 Arbeitsplätzen anstand, hat der Betriebsrat reagiert und auf den Abschluss des Haustarifvertrages zur Beschäftigungssicherung gedrängt.

Antonio Piovano, Betriebsratsvorsitzender

Der Betriebsrat reagierte augenblicklich auf die erneute Ankündigung des Managements. Auf jeden Fall sollte eine Verlagerung verhindert und die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Um Ideen auszuarbeiten kam das Gremium zu einer zweitägigen Klausurtagung zusammen. Voller Begeisterung blickt der Betriebsratsvorsitzende auf diese zwei Tage zurück: Intensiv haben die Betriebsratsmitglieder nach Lösungen gesucht, diese diskutiert und durchgerechnet. Dabei musste eine Balance zwischen ausreichenden Einsparungen und zumutbaren Kürzungen für die Beschäftigten gefunden werden. Ebenso wichtig war es, eine Zukunftsperspektive zu entwickeln, die langfristig Arbeitsplätze sichert. Am Ende entstand ein Katalog an möglichen Maßnahmen, der gemeinsam mit der IG Metall weiterentwickelt wurde.

Aushandlung und Inhalt des Haustarifvertrages
Proaktiv wurde anschließend das Gespräch mit dem Arbeitgeber gesucht. Er erklärte sich bereit, über Alternativen zu verhandeln. Schnell war klar, dass es sich dabei um einen Haustarifvertrag handeln muss, um Lösungen außerhalb der regulären Tarifverträge vereinbaren zu können. Der Maßnahmenkatalog des Betriebsrates wurde grundsätzlich positiv vom Arbeitgeber beurteilt, wenngleich Gegenforderungen gestellt wurden. Nach zähen Verhandlungen wurde der Haustarifvertrag schließlich abgeschlossen. Über 84 % der Gewerkschaftsmitglieder stimmten dem Haustarifvertrag in einer Befragung der IG Metall zu, was zugleich eine tolle Bestätigung der Betriebsratsarbeit war. 

Zusammenfassend beinhaltet der Haustarifvertrag Maßnahmen, die einerseits Kosten einsparen und andererseits Investitionen in Qualifizierungen und Innovationen sichern:

  • Verschiebung der Tariferhöhungen während der Laufzeit des Haustarifvertrages um 9 Monate
  • unentgeltliche Erhöhung der Arbeitszeit um drei Stunden pro Woche
  • Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und Verlagerungen ins Ausland
  • Ausbuchung von 35 Stunden pro Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter
  • unbefristete Übernahme aller Auszubildenden und Dual-Studierenden
  • Bereitstellung eines Qualifizierungs- und Weiterbildungsbudgets
  • Bau des Entwicklungs- und Innovationszentrums am Standort Rietheim-Weilheim für ca. 800 Beschäftigte 

Resonanz und Umsetzung
Insgesamt ist der Betriebsrat absolut zufrieden mit der Umsetzung des Haustarifvertrages: Tatsächlich konnte die erforderliche Summe von 60 Millionen Euro eingespart werden. Das oberste Ziel, die Absicherung der Arbeitsplätze, wurde erreicht. Der Betriebsrat beschreibt, dass mit dem Abschluss des Haustarifvertrages eine deutliche Erleichterung unter den Beschäftigten zu spüren war. Viele von ihnen hatten die Diskussion um eine mögliche Verlagerung mehrfach erlebt und nun endlich die Absicherung, dass diese für die nächsten fünf Jahre ausbleiben wird.

Das war für uns alle ein riesengroßer Erfolg. Wir als Betriebsrat sind stolz, auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung und mit Unterstützung der IG Metall diesen Haustarifvertrag in die Wege geleitet zu haben.

Antonio Piovano, Betriebsratsvorsitzender

Fazit
Der Betriebsrat erstellt mit intensiver Unterstützung der IG Metall ein umfassendes Konzept zur Standort- und Beschäftigungssicherung. 800 Arbeitsplätze werden gerettet und perspektivisch gesichert. Der Haustarifvertrag ist das Ergebnis einer intensiven Teamarbeit, zu der jedes Mitglied seine Ideen und Fähigkeiten beitrug. 

Für sein Engagement und seinen Einsatz wurde der Marquardt-Betriebsrat 2016 mit Bronze beim Deutschen Betriebsrätepreis ausgezeichnet.

Ansprechpartner: Antonino.Piovano@marquardt.com

Noch mehr 'Gute Praxis'....

Es gibt viele gute betriebliche Lösungen zu aktuellen Problemen – entwickelt von und mit Betriebsräten. Wir zeigen einige und liefern Erfahrungen mit, wie neue Ideen verhandelt und kreativ umgesetzt wurden. Unsere Praxisbeispiele können Euch und Eurer Betriebsratsarbeit als Inspiration dienen. Bisher erschienen sind die folgenden Module: