Wie gestaltet die betriebliche Mitbestimmung digitale Transformationsprozesse?
Digitalisierungsstrategien im Portrait
Vier Beispiele aus der Praxis veranschaulichen, wie sich Betriebsräte effektiv in betriebliche Veränderungsprozesse einbringen und diese dauerhaft im Unternehmen verankern können. Sie zeigen: Die digitale Transformation ist dann effektiv gestaltbar, wenn die Aufmerksamkeit auf den Prozess der Einführung gelegt wird.
Wie können Betriebsräte die digitale Transformation gestalten, sich in betriebliche Veränderungsprozesse einbringen und Mitbestimmung dauerhaft im Unternehmen stärken? Diese Frage wird anhand von vier kurzen, beispielhaften Portraits beantwortet, die verschiedene Mitbestimmungsstrategien vorstellen und einer vergleichenden Analyse unterziehen. Der zentrale Befund lautet: Die digitale Transformation ist dann effektiv gestaltbar, wenn die Aufmerksamkeit auf den Prozess der Einführung gelegt wird – am besten durch Vereinbarungen, die die frühzeitige, verbindliche und an klare Kriterien gebundene Einbindung der Mitbestimmung nachhaltig sichern.
Vier Portraits zeigen, wie sich Betriebsräte einbringen
In enger Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen des Praxiswissen Betriebsvereinbarungen des I.M.U. der Hans-Böckler-Stiftung haben wir Mitbestimmungsstrategien der betrieblichen Interessenvertretungen von vier Unternehmen aus der Metall- und Elektroindustrie, der Chemie- und der Dienstleistungsbranche untersucht und in kurzen Portraits vorgestellt. Die vier Portraits zeigen, wie Betriebsräte sich in Mitbestimmungsprozesse einbringen, um zukünftige Digitalisierungsvorhaben effektiv und im Interesse der Beschäftigten mitzugestalten. Zudem veranschaulichen sie, welche Vereinbarungen getroffen wurden, um die sozialpartnerschaftlichen Gestaltungsprozesse dauerhaft im Unternehmen zu implementieren. Die Erkenntnisse aus einer vergleichenden Analyse der einzelnen Mitbestimmungsstrategien können nun in der Mitbestimmungspraxis Nr. 34 eingesehen werden.
Digitalisierungsstrategien im Portrait
Wie gestaltet die betriebliche Mitbestimmung digitale Transformationsprozesse im Unternehmen?
Mitbestimmungspraxis 34. Düsseldorf 2020 von Tim Harbecke und Gernot Mühge
Vier Beispiele aus der Praxis veranschaulichen, wie sich Betriebsräte effektiv in betriebliche Veränderungsprozesse einbringen und diese dauerhaft im Unternehmen verankern können. Sie zeigen: Die digitale Transformation ist dann effektiv gestaltbar, wenn die Aufmerksamkeit auf den Prozess der Einführung gelegt wird.
Wege in die Mitbestimmungs- und Gestaltungsprozesse
Um eine wirksame Vertretung der Beschäftigten in Transformationsprozessen zu gewährleisten, benötigt die betriebliche Interessenvertretung einerseits einen frühzeitigen Überblick über die anstehenden Digitalisierungsprozesse, andererseits braucht es ausreichend Zeit, um die geplanten Vorhaben zu bewerten und eigene Gestaltungsvorschläge zu entwickeln. Die vergleichende Analyse der Unternehmensportraits zeigt: Insbesondere bestehende Arbeitsgruppen oder Arbeitskreise, die mit Vertretern vom Arbeitgeber und Betriebsrat besetzt sind, können eine frühzeitige Einbindung in den Informationsfluss sicherstellen und ein sozialpartnerschaftliches Vorgehen bei den Gestaltungsprozessen gewährleisten. Des Weiteren kann sich der Betriebsrat durch eine proaktive Auseinandersetzung mit anstehenden Digitalisierungsvorhaben sowie deren aktive Kommunikation frühzeitig als Gestalter positionieren und die Thematik im Unternehmen vorantreiben. Dazu empfiehlt sich, innerhalb des Gremiums eine Digitalisierungsstrategie zu entwickeln. Sie klärt, wie 4.0-Prozesse im Sinne der Beschäftigten mitgestaltet werden können und welche Themen besonders in den Fokus gerückt werden sollen. Die entscheidende Frage für das Gremium lautet: Wie soll gute Arbeit im Unternehmen in Zukunft aussehen und wie können wir sie gestalten? Als hilfreich erweist sich hier die enge Zusammenarbeit mit den gewerkschaftlichen Unternehmensbetreuern, mit Vertrauensleuten sowie der Besuch von entsprechenden Qualifizierungsseminaren.
Die betriebliche Praxis in den untersuchten Unternehmen hat gezeigt, dass sich der Betriebsrat mit einer Digitalisierungsstrategie als Treiber positionieren und seine Einbindung in die Gestaltungsprozesse sicherstellen konnte. Darüber hinaus erleichtern bereits bestehende (überbetriebliche) Vereinbarungen – beispielsweise Tarifverträge oder gemeinsame Absichtserklärungen – die Einbindung in die Mitbestimmungsprozesse .
Nachhaltigkeit durch Vereinbarungen schaffen
Sind die Betriebsräte erfolgreich in die Mitbestimmungs- und Gestaltungsprozesse eingebunden, gilt es, diese Einbindung im Betrieb dauerhaft zu verankern. Dies gelingt durch eine hohe praktische Verbindlichkeit der Regelungsgrundlagen, auf die sich die Betriebsparteien, Beschäftigte und andere betriebliche Akteure berufen können. Mitbestimmungsprozesse, die in der betrieblichen Praxis gelebt werden, existieren somit auch dann weiter, wenn durch Fluktuationen die personelle Kontinuität unterbrochen wird – sie brauchen folglich nicht erneut ausgehandelt zu werden.
In den untersuchten Unternehmen wurden sowohl Betriebsvereinbarungen zu einzelnen 4.0-Themen als auch umfassende Rahmenbetriebsvereinbarungen getroffen. Letztere verfolgten das Ziel, eine komplette Prozessregelung für anstehende Digitalisierungsvorhaben vorzugeben. Mit dieser weitreichenden Regelung für gesamte Abläufe bei der Implementierung von neuen Technologien werden mehrere Mitbestimmungsthemen gebündelt und die mit ihnen verbundenen Gestaltungsprozesse festgelegt. Dies hat für die Betriebsparteien den Vorteil, dass bereits eine Blaupause für neue Digitalisierungsvorhaben existiert und die verbundenen Mitbestimmungsprozesse nicht kontinuierlich neu ausgehandelt werden müssen. Einige dieser Zukunftsvereinbarungen beinhalten auch Regelungen, die den Einbezug der Mitarbeiter bei Veränderungsprozessen fördern. Sie ermutigen beispielsweise die Beschäftigten, sich in betriebliche Projekte einzubringen und diese mitzugestalten.
Somit senden diese Vereinbarungen auch ein klares Signal an die Belegschaft: Sie müssen bei den geplanten Digitalisierungsvorhaben keine Nachteile befürchten. Auf diese Weise senken sie die Skepsis vor anstehenden Veränderungsprozessen.
Technologischer Wandel ist gestaltbar
Die Erkenntnisse aus den Fallstudien der vier Portraits unterstreichen einmal mehr, dass Veränderungsprozesse, die durch die digitale Transformation initiiert sind, arbeitsorientiert gestaltet werden können. Hier kommt der betrieblichen Mitbestimmung eine entscheidende Rolle zu, da sie bei der Prozessgestaltung neben den technologischen auch die personellen und organisatorischen Komponenten berücksichtigen muss, um die Interessen der Beschäftigten wirksam zu vertreten. Dazu kann sie aktiv die Partizipation fördern und maßgeblich zum Erfolg der digitalen Transformationsprozesse beitragen. Von entscheidender Bedeutung ist, dass Betriebsräte bei der Implementierung technischer oder arbeitsorganisatorischer Prozesse frühzeitig und verbindlich eingebunden sind. Die vier Fallportraits zeigen auf exemplarische Weise, wie dies in der betrieblichen Praxis verankert werden kann.
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Ansprechpartner in der Hans-Böckler-Stiftung
Nils Werner

Sandra Mierich
Praxiswissen Betriebsvereinbarungen: Betriebs- und Dienstvereinbarungen zur digitalen Transformation und betriebliche Praxis zum orts- und zeitflexiblen Arbeiten
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Tim Harbecke
ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Darmstadt und an der Gemeinsamen Arbeitsstelle RUB/IGM der Ruhr-Universität Bochum tätig, wo er Sozialwissenschaft studiert hat. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören: Digitalisierung von Arbeit, Restrukturierung sowie Bildungs- und Qualifizierungspolitik.

Prof. Dr. Gernot Mühge
ist Professor für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Arbeit, Organisation und Personal an der Hochschule Darmstadt. Seine Forschungsthemen sind Interne Arbeitsmärkte, Alternativen zu Personalabbau in betrieblichen Krisensituationen und Beschäftigtentransfer.